Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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31.

Kaiserhof, Berlin, den 20. Februar 1885.

Wie ich dazu komme, mich mitten im Sturm der Berliner Tage zu einem langen Brief hinzusetzen, erklärt sich vielleicht nachträglich, wenn es nicht, wie manches andre, für immer ein unerklärtes und unwesentliches Geheimnis bleiben sollte.

Sonntag früh kam ich hier an. Kieperts Telegramm ist in der Tat kein unnötiger Alarmruf gewesen. Der »Kongreß deutscher Landwirte«, richtiger gesagt, die Hochtories des preußischen Grundbesitzes, haben beschlossen, die bisher beobachtete feindliche Haltung gegen die D. L. G. aufzugeben und wünschten am folgenden Dienstag eine Besprechung mit einigen der leitenden Herren auf unsrer Seite. An der Spitze der überraschenden Bewegung steht Herr von Below-Saleske, dem Kiepert und ich in München begegnet und in dessen Herzen der dort ausgestreute Samen Wurzel gefaßt hatte. Ich sage es ja zum hundertstenmal: keine Arbeit ist ganz verloren. In München mußten wir mit Mühe und Not eine Versammlung abhalten, um den ersten wirksamen Keil in das knorrige Pommern zu treiben. Anfangs wurden Belows Versuche im Kreis der Seinen schroff abgewiesen. Später scheint eine Gärung eingetreten zu sein. Below wurde in den Vorstand gewählt, einige der schroffsten Querköpfe traten aus, und so kam der für unsre weitere Entwicklung so wichtige Entschluß zustande. Ich trommelte Leute zusammen, so gut und so rasch es möglich war, so daß wir, neun Mann hoch, mit vier Herren des Kongresses unter Belows Führung zusammentrafen. Dieser erklärte mit einer gewissen Feierlichkeit, daß der Kongreß die Ziele und Grundsätze der werdenden D. L. G. anfänglich mißverstanden habe. Jetzt aber sei ihnen ein Licht aufgegangen – das Licht, wie ich glaube, waren die 1500 Mitglieder des Provisoriums gegenüber den 300 des Kongresses –, sie seien bereit, eine Haltung aufzugeben, die keine Berechtigung gehabt habe, und es jedem ihrer Mitglieder freizustellen, der D. L. G. beizutreten.

Darauf sprachen Kiepert und ich nicht weniger feierlich, betonten, daß wir nie unfreundlich gegen den Kongreß aufgetreten seien, daß wir die politische Vertretung der Landwirtschaft für hochwichtig halten, daß wir aber den nichtpolitischen Charakter der D. L. G. unter keinen Umständen preisgeben werden, worauf die Szene mit der Beitrittserklärung Herrn von Belows schloß, und wir versprachen, am folgenden Tag die Generalversammlung des Kongresses zu besuchen.

Dies geschah denn auch. Das Ergebnis unsrer Besprechung wurde sowohl von Herrn von Below als auch von Kiepert den Anwesenden mitgeteilt, und ich hatte Gelegenheit, drei Vorträge über landwirtschaftliche und agrarpolitische Fragen zu hören. Das Unglück wollte es, daß der Hauptredner der schroffsten Richtung dieser schroffen Gruppe unsrer agrarischen Freunde angehörte. Ich gestehe aufrichtig: die Ansichten, die dieser Herr mit schneidender Schärfe entwickelte, waren für mich völlig unverständlich. Es war wie die Stimme aus einem Haus ohne Boden und Dach, von dessen Dasein ich keine Ahnung gehabt hatte. Es wird mir für immer ein Rätsel bleiben, wie sich die reale Welt in einem solchen Kopf spiegelt. Zugleich wurde mir klar, daß der Friedensschluß mit der D. L. G. von einer großen Minorität nur nach heftigem Widerstreben angenommen worden war. Doch das hat zurzeit nichts zu sagen. Wir sind jetzt wenigstens die offene Gegnerschaft los und werden nach wie vor ruhig unsern Weg gehen. Langsam werden die Gedanken, die unsrer D. L. G. zugrunde liegen, auch in diesen Kreisen ihre Kraft erproben, dessen bin ich sicher. Können sie das nicht, so sind sie's nicht wert, sich Bahn zu brechen.

Am Abend war Vorstandssitzung des Moorvereins, zu der ich eingeladen wurde, um die Kainitangelegenheit zu besprechen, die gewaltigen Staub aufwirbelt. Es ist nicht nötig – sonst würde ich verzweifeln –, Dir die ineinandergeschachtelten Interessen, die verschiedenen Vereine mit ihren sich stoßenden und reibenden Bestrebungen, die zahllosen Persönlichkeiten zu schildern, die sich untereinander verklagen und entschuldigen. Der Moorverein hatte gehofft, ein ähnliches Abkommen mit den Kaliwerken abzuschließen, wie es unsrer Gesellschaft geglückt ist, und grollt, daß ein kaum aus dem Ei gekrochener Verein ihm zuvorgekommen sein soll. Wütender sind die großen, alten Provinzialvereine, deren behagliche Verwaltungen jetzt erst auf die Sache aufmerksam geworden sind. Es nutzt uns nichts, darauf hinzuweisen, daß wir nicht bezwecken, unsern Mitgliedern besondere Vorteile zu verschaffen, daß wir Wege suchen, die ganze Landwirtschaft an den Vorteilen teilnehmen zu lassen, die uns der Vertrag mit den Kaliwerken gesichert hat. Nur sollte dies nicht auf Kosten der Grundregeln unsrer Gesellschaft geschehen. Nach vielem Nachdenken ist es Schultz und mir gelungen, einen leidlich gangbaren Weg zu finden. Er verzichtet darauf, den Beitritt von Vereinen zur D. L. G. zu verlangen, gegen den ich mich aus andern Gründen mit Entschiedenheit wehre; ich willige trotz des provisorischen Charakters unsrer Gesellschaft in die Bildung einer »Düngerabteilung« – ein appetitlicher Name, nicht wahr? – an die sich alle kleinen Vereine anschließen können, die Kainit bedürfen. Der Plan hat viel von jener Feinheit verzwickter Einrichtungen, die der Deutsche über alles liebt, und führt schon jetzt und wird auch ferner zu endlosen Verhandlungen, Erklärungen, Mißverständnissen, Streitereien und Versöhnungen führen, für die wir den schönen Spruch »Einigkeit macht stark« erfunden haben. – Bei all dem kann ich bemerken, wie die Achtung vor der D. L. G. im Wachsen begriffen ist. Von allen Seiten wird mir in ungebundener Rede auseinandergesetzt, wie ich es in kurzer Zeit so herrlich weit gebracht habe, aber auch angedeutet, wie die Widersacher, die unsre Hauptgrundsätze: Unabhängigkeit, Politiklosigkeit und Selbsthilfe noch immer für landesgefährliche Grundfehler halten, sich zum Widerstand richten.

Unsre eignen Versammlungen verliefen geräuschlos, in reger Arbeit. Die Gründung und Einrichtung der Düngerabteilung war die Hauptsache. Wir haben noch – oder darf ich sagen – schon zu viel zu tun, um zwecklos streiten zu können. Gebe Gott, daß es immer so bleibe.

Am Abend des vierten Tages, als all dies so weit erledigt war, daß mich meine Freunde in der Tinte sitzen lassen konnten, ging ich ins Deutsche Theater und sah zum erstenmal in meinem Leben die »Räuber«, was mich nicht allzu glücklich machte. Man spürt beim Spielen noch mehr als beim Lesen den gewaltigen, unvergorenen Spiritus und seine scharfe Herbheit, das trübe Wallen der Masse, den noch ungeklärten Geist, der später unser Schiller wurde.

Nun könnte ich nach Bonn zurückfahren, sitze aber hier und warte die nächsten drei Tage ab, um Ausschußsitzungen und eine Generalversammlung des Kolonialvereins mitzumachen und damit dem Auftrag der Sektion Bonn zu entsprechen, die mich nolens volens in ihren Vorstand gewählt hat, wahrscheinlich, weil ich noch heute nicht begreife, was ein Kolonialverein ohne ein bestimmtes koloniales Ziel in der Welt zu schaffen hat. Jedenfalls verschaffen sie mir die Zeit, diese Zeilen behaglich zu Papier zu bringen, wozu ich in Bonn schwerlich gekommen wäre.


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