Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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3.

Bonn, den 15. Oktober 1882.

Ein Geschichtchen, das ich aus Heidelberg mitbrachte, darf nicht ganz verloren gehen, denn es scheint seine Schatten auch in meine Bonner Zukunft werfen zu wollen. Nachdem der liebenswürdige Verleger meines Wanderbuchs beim Lustwandeln über den Philosophenweg mir das Elend der Massenschriftstellerei geschildert und in beweglichen Tönen von dem Hungertuch erzählt hatte, das über den Verlegern hänge, die sich verführen lassen, zweifelhafte Bücher zu drucken – und sie seien alle zweifelhaft –, besuchten wir eine niedliche Villa, die er sich zu bauen im Begriff stand. Dies brachte das Gespräch auf Heidelberger Verhältnisse und Heidelbergs politisches Leben. Er ist nämlich eifriges und geschätztes Mitglied einer Kegelgesellschaft, die, wie fast das ganze badische Land nicht katholischer Konfession, liberalen Grundsätzen huldigt. Er selber dagegen und etliche hundert gesinnungsstarke Männer unter vielen Tausenden nichts denkender Schreier – ich folge seinem Bericht – ist konservativ, und war infolge einer unglückseligen Wendung der Parteiverhältnisse vor ein paar Monaten gezwungen, für einen durchaus wackern, aber leider klerikalen Kandidaten des Landtags zu stimmen. Das hatten seine abendlichen Mitkegler vernommen, und einer derselben nahm ihn auf die Seite und teilte ihm mit, daß, so schmerzlich es bei seinen sonstigen schätzenswerten Eigenschaften sei, er nicht mehr mitkegeln könne. Wie sich denken läßt, war er als Politiker, Mensch und Kegler tief verletzt, und erwog allen Ernstes den Plan, mit der ganzen Verlagsbuchhandlung nach Frankfurt überzusiedeln; wenn nur seine Villa nicht schon zwei Meter aus dem Boden gewesen wäre. Doch habe sich nach mehreren Wochen der Sturm wieder gelegt. Eine edle feste Haltung seinerseits, mit der er sein Recht und seine Würde als freier Mitbürger eines politisch reifen Volkes wahrte, habe die andern zur Vernunft gebracht. Sie kegeln wieder.

Die Geschichte fiel mir aufs Herz, als mich vor einigen Tagen ein Professor aus Poppelsdorf fragte, ob ich eigentlich radikal oder konservativ, Schutzzöllner oder Freihändler sei. Da ich unvermittelt von England komme, sei ja das Schlimmste zu befürchten. Wenn ich nicht wenigstens katholisch sei oder werde, könne im Rheinland auf eine rege Beteiligung an meinen wunderlichen Plänen nicht gerechnet werden. So ungefähr, wenn auch etwas zurückhaltender, sprach mein gelehrter Freund, der mich wohlwollend auf die richtigen Wege zu leiten suchte.

Es gab mir zu denken, wie alles, was ich in den letzten Wochen hier erfahren habe. Für den Augenblick genügt dies, denn vorläufig und während ich derartige Winke sammle, habe ich mir eine einfachere Aufgabe gestellt. Es müssen einundzwanzig längere und kürzere Aufsätze über das Entstehen, Gedeihen und Wirken der englischen Royal Agricultural Society – der R.A.S., wie die Engländer kurz sagen – geschrieben werden, die ich im Lauf des Winters an die hervorragendsten deutschen Zeitungen ohne Ansehen der Parteirichtung senden will: die »Kölnische«, die »Frankfurter«, die »Magdeburger«, die »Vossische«, die »Kreuzzeitung« und wie sie alle heißen. Hoffentlich werden sie sie drucken, und da und dort wird sie jemand lesen. »Wie die R.A.S. gegründet wurde«, »die R.A.S. und die englische Tierzucht«, »die R.A.S. und das englische Gerätewesen«, »die R.A.S. und der englische Ackerbau«. »Die Grundbesitzer in England und die R.A.S.« »Die R.A.S. und die englischen Pächter.« »Die Finanzen der R.A.S.« »Das Ausstellungswesen der R.A.S.«, und so weiter. Das wären einige der Überschriften. Diese sind schon alle fertig; es fehlt nichts als die entsprechenden Aufsätze dazu, für die ich in den letzten Monaten in England massenhaften Stoff zusammengeschleppt habe. Im Text gedenke ich zunächst kein Wort über eine ähnliche Gesellschaft in Deutschland zu verlieren, eingedenk des Goetheschen und echt deutschen: Jedes ausgesprochene Wort erweckt den Gegensinn. Auch werde ich mich hüten, die Engländer übermäßig zu loben. Der einzige Zweck der Artikel ist, da und dort die Aufmerksamkeit und das Gefühl wachzurufen, dem der Direktor der Eckertschen Fabrik zu Cardiff so warmen Ausdruck verlieh: »Donnerwetter, wenn wir etwas derart bei uns zu Hause hätten!« – Gelingt dies – dann erst brauche ich an weitere Schritte zu denken.

In der so geplanten Weise wird sich wohl die Hälfte der Wintermonate ausfüllen. Für mein Inneres brauche ich zunächst den festen Vorsatz, nichts zu überstürzen. Je mehr ich von allen Seiten Schwierigkeiten auftauchen sehe, um so klarer wird mir, daß es sich hier nicht um eine Spielerei und einen gelegentlichen Zeitvertreib handelt. Gut Ding braucht lang Weil – Langeweile. Auch damit werde ich mich vertraut machen müssen. Doch am Rhein ist es ja auszuhalten. Vorige Woche holte mich Freund Schwarz aus Ruhrort, der Direktor der »Tauerei«, der großen Drahtseilschleppgesellschaft, zu einer Inspektionsreise nach St. Goar und Bingen ab, wo seine Tauer – halb und halb ja auch die meinen – erfolgreich gegen Wind und Wellen ankämpfen. Es regnete zumeist und war doch schön; denn Schwarz kennt geheime Kneipchen entlang dem herrlichen Strom, die auch bei rieselndem Regen das Herz warm halten. Etwas wehmütig war es für mich, wenn ich im Rädergetrieb seiner Boote stand, daß dies alles für mich nun vorüber sein sollte; daß ich an einundzwanzig Aufsätzen schrieb, statt meine Arbeit in Stahl und Eisen umzusetzen, daß ich auf eine großartige Vereinsmeierei lossteuerte, statt Pflüge und Schiffe zu treiben, daß mein Denken zwischen Oder und Rhein gefangen sein sollte, statt in Afrika und Amerika umherzuschweifen. – Sei's drum! Noch eine Flasche Rüdesheimer, alter Freund, ehe wir wieder flußabwärts treiben!


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