Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Zweiter Abschnitt. 1888 – 1889

Magdeburg

76.

Berlin, den 9. Dezember 1888.

Die Luft, die ich von Gurgl und Vent und von der Wildspitze mitgebracht hatte, konnte es allein nicht machen; es weht noch jetzt ein frischerer Zug um den Kreuzberg und den Spandauer Bock, und es ist, als ob er mich ins neue Jahr hinein- und drüber hinausblasen wollte. Geb's Gott! Das abgelaufene war etwas schwül, selbst für einen alten Ägypter.

Magdeburg heißt jetzt die Losung. Dorthin führten mich vor acht Tagen zwei wichtige Dinge, das eine von weittragender, das andre, die Ausstellungsplatzfrage, von brennender Bedeutung. Laß mich mit dem ersteren beginnen, das zweite wird uns später noch genug zu schaffen machen.

Es war ein regelrechtes Turnier von Industrie und Landwirtschaft, in dem vier Landwirtschaftler mit zehn Industrierittern – im guten Sinn des Worts – einen heißen Nachmittag lang Stoß auf Stoß wechselten. Du weißt, daß die D. L. G. mit dem Syndikat der Kaliwerke einen Vertrag bezüglich der Kainitpreise abgeschlossen hatte, der mit dem 1. Januar des kommenden Jahres abläuft. Nicht zum mindesten infolge unsrer Bemühungen wurde das wertvolle, aber zuvor wenig bekannte Mineral zu Hunderttausenden von Zentnern in Deutschland ausgestreut und so dem Acker wiedergegeben, was die Menschheit seit Jahrtausenden aus ihm herausgegessen hat. Der Preis des Kainits ist jedoch nach unserm Dafürhalten noch immer viel zu hoch; die Bergwerksbesitzer legen ihre schwere Hand auf den Schatz, bestimmen unter sich, was der Bauer zu bezahlen hat, wenn er und sein Land nicht verhungern soll, und werden Millionäre dabei. Allerdings kommt es vor, daß Wasser in den einen oder andern ihrer Schächte dringt. Dann verschwinden die Millionen plötzlich wie Hexengold, und darauf weist die Reihe wohlbeleibter Herren lautklagend hin. Wir, die hungernden Landwirte, sehen nur die fetten Bäuche und ergrimmen über den Sekt, den sie uns einschenken; den wir dann allerdings mit ihnen trinken. Der erwähnte Vertrag, die erste große Tat der D. L. G. und unsers Freundes Schultz-Lupitz, brachte auf vier Jahre eine wesentliche Besserung in die Verhältnisse. Diesen Vertrag wollen die Kaliwerke jetzt auf fünf Jahre erneuern. Schultz aber, der eine politische Partei hinter sich hat, deren Stimmung von den Kaliwerken berücksichtigt werden muß, weil sie teilweise dem Staat gehören, dringt auf eine weitere Herabsetzung des Preises um volle 30 Prozent. Das Ergebnis der ersten Stunde unsrer gemeinsamen Beratungen war beiderseits eine unaussprechliche Entrüstung über die teuflischen Ansprüche der Gegenpartei. Viermal mußte die Sitzung unterbrochen werden, um den tief erregten Gemütern Zeit zu lassen, sich zu fassen und die wortlose Wut niederzukämpfen. Jeder neue Vorschlag, der aus solchen Pausen hervorging, wurde im Brustton unerschütterlicher Überzeugung und unter Anrufung der heißesten Vaterlandsliebe und der heiligsten Düngerinteressen eines großen Volkes als die letzte und äußerste Grenze bezeichnet, bis zu der man mit qualvoller Überwindung des eignen Sittlichkeitsgefühls gehen könne. Einmal stand es wirklich so, daß ich glaubte, die Verhandlung werde zu einem völligen Bruch zwischen den Kalibaronen und uns Bauern führen. Schultz-Lupitz hing wie gebrochen in seinem Stuhl, Siemssen, der Geschäftsführer der Düngerabteilung, dessen Lebensstellung auf der Erneuerung eines Vertrages in irgendwelcher Form beruhte, war totenblaß geworden. Niemand sprach mehr, und noch gähnte eine gewaltige Kluft zwischen dem, was wir haben und was die Gegner geben wollten. Es schien nutzlos, sich noch einmal, wie bei früheren Pausen, in einen Winkel des Saales zurückzuziehen und flüsternd neue Vermittlungswege zu suchen. Da, mitten in dem düstern Schweigen explodierte Rittergutsbesitzer Karbe, Schultz' Freund und Stellvertreter, wie eine fröhliche Bombe: »Donnerwetter, meine Herren, so kann das nicht fortgehen!« – Er hatte recht. Man begann aufs neue, in einem andern Ton, und das Ende vom Lied war, daß wir alle nach vier Stunden blutigen Ringens brüderlich beim gemeinsamen Essen – und einigem Trinken – saßen, uns hochleben ließen, die Versöhnung von Industrie und Landwirtschaft feierten und den Kainit für die nächsten fünf Jahre um zwölf Prozent billiger erhalten als bisher. Dies macht bei dem gegenwärtigen Verbrauch des Minerals ungefähr eine Million aus, die wir den deutschen Landwirten an diesem unvergeßlichen Nachmittag erkämpft haben. Ein Sieg des Sozialismus, der doch auch seine guten Seiten hat. – –

Nicht immer verhilft er jedoch dem Guten zum Sieg, wie die zweite Aufgabe zeigte, die ich in Magdeburg zu lösen hatte. Die kommende Ausstellung ist dort bereits ein freudig erwarteter Gast, so daß uns die Stadt den besten Platz kostenlos anbot, den sie zur Verfügung hat. Leider aber ist derselbe zu weit abgelegen, dazu mit Obstbäumen bestanden und hierdurch für uns nahezu unbrauchbar. Mit emsiger Gefälligkeit führten mich sodann ortskundige Eingeborene nach dem Süden, wo sich ein prächtig ebenes Gelände ausdehnt, das in Pacht und Eigentum von fünfzehn kleinen Bauern und Gärtnern steht. Diese Herren wurden zu einer Volksversammlung zusammenberufen, in der ich ihnen den Jahresertrag ihres Grund und Bodens anbot, wenn er mir vier Monate lang zur Verfügung gestellt würde. Nach einer Erhöhung dieses Angebots um 25 Prozent waren vierzehn der Herren bereit, darauf einzugehen. Nur einer, dessen Grundstück genau in der Mitte lag, verlangte das Fünffache, denn er fühlte, daß ich ohne ihn nichts machen konnte, und war hart wie Stahl. Eine derartige Preissteigerung hätte natürlich alle andern aus Rand und Band gebracht. Ich bat deshalb zum Schluß die Herren Grundbesitzer, nach acht Tagen noch einmal zusammenzukommen, in der kaum ernstlich gehegten Hoffnung, daß dann ihr Kollege Vernunft annehmen werde.

In tiefsinnigem Grübeln über soziale Fragen, Eigentumsrecht, Bodenreform und dergleichen ging ich nach der Stadt zurück. Es war die höchste Zeit, die Platzfrage zum Abschluß zu bringen. Da begegnete mir mein Freund Toepffer, der Leiter des Fowlerschen Zweiggeschäfts in Magdeburg, und sah meine traurige Miene. »Das soll anders werden,« sagte er zuversichtlich, führte mich nach dem Norden der Stadt und zeigte mir eine ähnliche Fläche, über die drei seiner eignen Nachbarn zu verfügen hatten. Nach zwei Tagen waren die erforderlichen Pachtverträge abgeschlossen. Die Bauern im Süden ließ ich, wie abgemacht, ruhig zusammenkommen und schrieb der Versammlung einen höflichen Brief, mit der Mitteilung, daß ich nichts mehr von ihnen wissen wolle und ihnen im Jahr 1889 eine gesegnete Ernte wünsche. Mit nicht geringem Vergnügen aber hörte ich, daß die Versammelten, nachdem sie den Brief gelesen, begriffen und einiges Bier getrunken hatten, den zähen Zentrumsbauern fast polizeiwidrig verhauen haben.

Auch in diesem Fall zeigte sich, wie freundlich und wohlwollend, ja wie tatkräftig Magdeburg der D. L. G. gegenübersteht, da ich den Kerl doch nicht selbst prügeln konnte, so gern ich es acht Tage zuvor getan hätte.


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