Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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96.

München, den 25. Juni 1893.

Nunmehr liegt auch München hinter uns wie ein Wirbelwind, der in ein paar Stunden vorüberbraust. Es war prächtig, sagen die Leute, und halb betäubt sehe ich die zerzausten Äste am Boden liegen.

So ungefähr ist mir's zumute, aber auch nur mir; alle andern behaupten, es sei ja alles außerordentlich gelungen. Und es ist wahr: ein fast unglaubliches Glück hat uns an vier gefährlichen Klippen, die uns seit Monaten beständig bedrohten – dem Wetter, der Maul- und Klauenseuche, der Futternot dieses schrecklich dürren Jahres und an den Reichstagswahlen, die fast in die Ausstellungstage gefallen wären –, vorübergeführt, beinahe, ohne daß wir es merkten.

Die Vorbereitungsgeschichte will ich nicht wiederholen, wenn ich auch während dieser Wochen als einziges Lebenszeichen wie ein Kapitän im Brüllen eines Hurrikans statt aller Briefe am liebsten nur noch eine Flasche mit dem Namen des sinkenden Schiffes über Bord geworfen hätte.

Es läßt sich mit den Bayern arbeiten, wenn man sie einmal versteht. Lange; offizielle Schreiben sind nicht ihre Sache. Muß etwas Wichtiges rasch entschieden werden, so sind sie hinter einem Glas Bier am besten zu sprechen und dort zu allem bereit, was mit Überspringung unnötiger Formalitäten auszuführen ist. Drängeln und ärgern darf man sie allerdings nicht, und gelegentlich entdeckt man unter einer scheinbar rauhen Schale mit Schrecken eine Feinfühligkeit, die der äußersten Schonung bedarf. Wenn man das aber einmal weiß, warum sollte man nicht danach tun? Wir sind nicht schlecht dabei gefahren.

Über den mehr als gewöhnlich glänzenden Beginn der Schau habe ich Dir berichtet. Kommen wir zu der rein persönlichen Katastrophe des Samstags, die Du bereits kennst. Zunächst wurden vor dem Diner bei Prinz Ludwig im Palais Wittelsbach fünf Herren in ein Seitenkabinett gerufen. Was den andern passierte, weiß ich nicht genau. Als ich heraustrat, war ich Ritter des heiligen Michael. Respekt vor mir, wenigstens noch vier bis fünf Stunden lang.

Nach der Tafel ging es noch einmal zum Ausstellungsplatz, wo bis gegen neun Uhr abends alles im besten Gang war: eine unübersehbare Masse Volks, die sich alle Mühe gab, unser ernstes Werk in ein Oktoberfest zu verwandeln. Daß ich das Schuhplatteln auf der Ausstellung nicht dulden wollte, war einigen meiner bayrischen Freunde rein unbegreiflich; daß doch geschuhplattelt wurde, mußte ich mit heimlichem Lachen über mich und die D. L. G. ergehen lassen. Nach Sonnenuntergang verlangte es die Höflichkeit, daß ich mit andern nach dem Festsaal des »Kindelbräus« fuhr, um auch dort meine Maß zu trinken, wie man es in Bayern nun einmal nicht anders tut. Doch kam ich kurz nach elf, allerdings schon halb krank, nach Hause. Um drei erwachte ich mit qualvollen Kreuzschmerzen. Um fünf schickte ich nach dem Arzt und auf den Ausstellungsplatz. Nierenentzündung. Das weitere einer gepfefferten Krankengeschichte mündlich. Während ich halb betäubt von Schmerzen dalag, kam meine Zimmertür kaum zum Stillstehen. Besuche über Besuche. Allgemeine Teilnahme. Selbst der Prinzregent ließ täglich nachfragen. Es war eine schwere Woche.

Aber die Ausstellung nahm zu meinem freudigen Erstaunen auch ohne mich ihren Fortgang und schloß im roten Glanz der untergehenden Abendsonne des fünften Tags und eines Erfolgs, wie wir ihn kaum je zuvor erlebt hatten. Auch bin ich wieder auf den Beinen und leidlich wohl, und wenn ich in der nächsten Woche einen Abschiedsblick auf die Theresienwiese werfe, so werde ich all meine bayrischen Freunde heimlich bitten, mir zu verzeihen, was ich vor Jahren über den einen oder andern gesagt oder geschrieben haben sollte. Damals mögen sie es vielleicht verdient haben, heute, im Glanz unsrer Münchner Tage soll es für immer gelöscht sein.


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