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Magdeburg, den 13. Mai 1889.
Die Last der Arbeit drückt nicht, sie hebt, wenn man sich nicht allzuviel dabei zu ärgern braucht. In dieser glücklichen Lage befinde ich mich hier; denn erstlich ärgere ich mich nicht mehr über Dinge, von denen ich nachgerade weiß, daß sie einen Teil meiner regelrechten Aufgabe bilden, und zweitens betrachten die Magdeburger unser Treiben in so wohlwollender Weise, daß ich hoffen kann, bis zum Schluß ohne unnötige Reibung durchzukommen.
Das liegt in den natürlichen Verhältnissen des Platzes. Magdeburg, eine reiche, wunderbar aufblühende Stadt, trotz der Festung, die sie umklammert, steht fest auf landwirtschaftlichem Boden, und die Landwirtschaft der Umgebung mit ihrer Rübenkultur und ihren Zuckerfabriken hat einen so großzügigen gewerblichen Charakter, daß an Stelle des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen Landwirtschaft und Industrie ein Zusammenarbeiten getreten ist, das wahrhaft herzerquickend wirkt. Warum kann es nicht überall ähnlich sein? Warum wollen dort die Herren von Grund und Boden sich an veraltete Gewohnheiten, Arbeitsweisen und Lebensanschauungen klammern, die keine Macht der Erde dauernd erhalten kann, und hier Gewerbe und Handel die Grundbedingungen über den Haufen rennen, auf denen der Wohlstand und die Gesundheit der Volkes immer wieder aufgebaut werden muß. Können sie nicht friedlich nebeneinander, füreinander am gemeinsamen Besten arbeiten? Sie sollten und könnten es natürlich, auch ohne Zuckerrüben; aber nur wenige wollen es, denn es kostet da und dort ein kleines Opfer und bringt da und dort dem andern einen kleinen Gewinn, in den sich nicht alle teilen können. Das ist ein unerträglicher Gedanke. Natürlich fehlt es an den üblichen kleinen Kämpfen nicht: heute wollen sich zehn Bewerber an den nebensächlichsten Dingen beteiligen, morgen sucht man für die notwendigste Aufgabe vergeblich einen tüchtigen Mann. Im allgemeinen finde ich den Charakter der Magdeburger für Ungewohntes etwas allzu bedächtig. Es fehlen die Juden, die zu allem bereit sind, wo ein Geschäftchen in Aussicht steht. Auch lungern nicht halb so viele müßige Leute umher, so daß ich Mühe habe, das erforderliche vorübergehend beschäftigte Ausstellungspersonal zusammen zu bekommen.
Ernstere Sorge macht mir der Oberbürgermeister Böttcher mit der oft wiederholten Frage, ob der Kaiser die Ausstellung besuchen werde, was natürlich unser lebhafter Wunsch ist, allerdings aber größere Vorbereitungen erfordern würde. Selbst der Vertreter der dritten Stadt Preußens findet es nicht leicht, mit einer einfachen Frage in die höchsten Regionen zu dringen. Schon die Vorfrage, ob man fragen dürfe, ist von Schwierigkeiten umgeben. Meine Berliner Freunde sind hierfür unbrauchbar. In der Besorgnis, irgendwo anzustoßen, rühren sie sich am liebsten gar nicht. Unser diesjähriger Präsident, Graf Stolberg-Roßla, der gefälligste und rührigste, den wir je gehabt haben, seufzt: »Ach, beim alten Herrn war all das so viel einfacher! Da ließ ich mich ohne Umstände anmelden, wenn etwas Dringendes vorlag, und die Sache war mit ein paar Worten abgemacht. Aber beim jungen Herrn!!« – Böttcher wurde zwischen dem General von Waldersee, dem Geheimen Kabinettschef von Lukanus und dem General von Wittich hin und her geschickt, bis sein rundes Bürgermeisterbäuchlein sichtlich zu schwinden begann. Alle haben eine Heidenangst vor dem jungen Herrn, aus der sie kein Hehl machen; selbst ich fühle mich davon angesteckt. Berliner Luft. Da war ich doch ein andrer Kerl in Bonn.
Vorgestern bekamen wir den ersehnten Bescheid: eine Absage, in wohlwollendster, aber entschiedenster Form. Zu verwundern ist dies nicht. Der 20. Juni, unser Eröffnungstag, bot die einzige Möglichkeit, denn vor- und nachher war jeder Tag mit irgendeiner Reise, einem Fest, einer Inspektion, einem Fürstenbesuch auf Wochen hinaus besetzt. Der Leibarzt Seiner Majestät protestierte gegen die Fahrt nach Magdeburg, die den einzigen Ruhetag verschlungen hätte, der während einiger Monate übriggeblieben war. So schlimm geht es selbst mir nicht, als dem armen, ruhelosen Kaiser.