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XVII

Sie lagerten sich im Grase.

»Du hast dich verändert, und doch weiß ich nicht wie,« sagte er und betrachtete sie forschend.

»Ich wohne hier gleich unterhalb des Waldes,« erwiderte sie, als ob er danach gefragt habe.

»Im Hotel?«

»Nein, wir haben ein Sommerhaus am See gemietet.«

»Wer ist wir?«

»Der Gutsbesitzer, bei dem ich in Stellung bin. Seine Frau ist den ganzen Winter über krank gewesen, und sie soll sich hier oben erholen. Ihr Mann und die Kinder sind in Stockholm.«

»Bist du allein mit ihr?«

»Nein, eine Kammerjungfer und ich pflegen sie abwechselnd. Sie steht erst nach dem Frühstück auf, und ich habe nachmittags Dienst. Darum gehören die Vormittage mir.«

Er lag und sah ihre Hand.

»Warum hast du uns damals verlassen?«

Sie errötete, zog ihre Hand an sich und glättete ihren Rock, während sie ihn nachdenklich prüfend anblickte.

»Wie seltsam, daß wir uns hier in der Fremde begegnen sollten!« sagte sie, als ob sie seine Frage überhört habe.

Jetzt sah er, worin die Veränderung bestand: nicht nur der Mund war aufgeblüht, wie an jenem Morgen in Rom, sondern auch der Blick, die Hände, ihre Gedanken.

Wie ich sie liebe! dachte er. Seine Augen wurden feucht, Und er sagte vor sich hin:

»Ich habe es schon lange gewußt.«

Sie blickte mit einem plötzlichen Zucken der Augenbrauen auf, als ob er eine offene Wunde berührt habe.

Sie war es, die ihn gerufen hatte. Er hatte geglaubt, daß es der Frühling sei, aber sie war es. Alle seine Träume galten ihr. Das Erlebnis mit Harriet in Paris war eine Vorahnung von ihr gewesen – jetzt sah er plötzlich die heimliche Verwandtschaft, die schwere Stirn, den Schnitt der Augen, wie ein Griff in die Wolken nach ihrem Bild war es gewesen, und als er sie gesehen, hatte er Harriet vergessen. Warum hatte er es nicht beizeiten verstanden!

Nichts von alledem kam über seine Lippen, seine Augen aber waren voll davon. Größer und größer wurde sein Blick, während er ihren Kopf umfaßte, der sich vor ihm von der hellen Himmelswölbung abhob. Das braune Haar in reifem Glanz über der kühnen Stirn, die kindlich geschwungenen Brauen, die flaumigen, blutdurchglühten Wangen, der große Mund und das reine, starke Kinn – alles so unsagbar reizvoll, und dennoch: selbst in diesem Augenblick sah er, daß sowohl Harriet wie Marthe schöner waren.

Er fühlte kein Sieden in seinen Adern, keinen Durst zu küssen und zu umarmen wie in Paris – kein stolzes Eroberergefühl wie damals, als er die von allen bewunderte Marthe gewann. Nichts von alledem. Aber er hatte das wunderbare Gefühl, daß sein Wesen sich mit dem ihren bis auf den tiefsten Grund vermischte.

Ihr Blick ruhte in dem seinen. Mit offenem Munde lauschte sie seinem stummen Bekenntnis. Dann schloß sie die Augen, und eine Träne drängte sich durch die dunklen Wimpern.

Er wagte nicht, ihre Hand zu nehmen, die unbeweglich neben ihm in der Sonne lag.

Endlich sah sie auf. Ihre Seele berührte die seine mit einer angstvollen Frage, ihr Blick veränderte sich, als ob er sagen wolle: Was soll aus uns beiden werden?

»Ich muß jetzt gehen,« sagte sie nach einer Weile und erhob sich.

»Mimi!« Er streckte die Hand nach ihr aus.

Sie zögerte einen Augenblick und sah über die wogenden Hügelrücken bis zum Horizont, wo die Erde zurückwich, als sei sie zu schwer, um sich zu dem hellen Himmelsrand emporzuheben.

»Der Vormittag gehört ja dir,« sagte er leichthin, um die feierliche Stimmung zu unterbrechen.

Sie atmete tief auf und blickte sich um, erst nach einer Weile, als habe sie seine Worte jetzt erst erfaßt, erwiderte sie:

»Es ist spät, ich muß gehen.«

Etwas in ihrer Stimme beängstigte ihn: war das wieder ein Abschied? Hatte er sie erschreckt? Nur sein Blick konnte ihn verraten haben. Er wollte ihn verleugnen, ihn auslöschen, damit er sie nicht verwirrte.

Er deutete auf das Buch, das im Grase lag, er zwang seine Stimme zu Munterkeit:

»Du vergißt dein Buch!«

Er beugte sich, um es aufzunehmen.

»Dachte ich's doch – ein Roman! – Anna Karénina.«

Sie nahm es mit einem müden Lächeln, das zu sagen schien: Lieber, es nützt ja nichts.

»Gefällt es dir?« fragte er und kämpfte noch; seine Stimme aber verriet die Angst, er merkte es selbst.

»Ich habe erst einige Seiten gelesen.«

Ihre Stimme sagte: Glaube doch nicht, daß dies alles etwas nützen kann.

Wie sie dort vor ihm auf den Zaun zuging, meinte er, sie glitte ganz aus seinem Leben.

Sie denkt an Marthe, die ihr wie eine Mutter war, dachte er bei sich, und an Edith, die ihr ans Herz gewachsen ist; sie will ihnen kein Leid antun. Wenn das nicht wäre, würde sie den Kampf aufnehmen, so viel Weib ist sie. Ihre Mutter liebte ja auch einen verheirateten Mann, und sie ist die Frucht dieser Liebe.

Sie standen am Zaun. Er löste die Latte und wollte ihr folgen; sie aber wandte sich zum Abschied.

»Mimi!« Er ergriff die Hand, die sie ihm reichte, und drückte sie heftig. Nur einen Augenblick ruhte sie in seiner.

»Wann sehen wir uns wieder?« fragte er angstvoll.

Sie sah ihn wieder mit dem vollen, unverschleierten Blick an.

Lieber, sagte dieser Blick, was du jetzt leidest, das habe ich schon damals in Rom gelitten, denn ich liebte dich, bevor du mich entdecktest. Ich hatte mich daran gewöhnt, allein zu sein; nun bin ich dir wieder begegnet, und die Wunde ist aufgebrochen. Und sie blutet stärker als vorher, denn jetzt weiß ich, daß alles anders sein könnte, wenn du nicht fehlgegriffen hättest. Liebster, es ist das beste für uns alle, daß wir uns nicht mehr sehen.

Das sagte ihr Blick; doch die Angst auf seinem Gesicht ließ sie anders sprechen.

»Ich werde dir schreiben!« sagte sie.

»Komm morgen wieder hierher.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Willst du mich im Stich lassen, Mimi?«

Er griff in seiner Not nach ihrer Hand.

Ihre Augen ruhten in den seinen, bis es um ihre Lippen zu beben begann. Da zog sie ihre Hand behutsam zurück und sagte:

»Du hörst ja, ich werde dir schreiben.«

Er gab ihr seine Adresse, und sie neigte den Kopf zum Lebewohl.

Er faßte ihre Hand mit seinen beiden. Als er sie aber küssen wollte, sank er vor ihr auf die Knie und legte seinen Kopf schluchzend gegen ihr Knie.

»Bent!« sagte sie bittend, strich über sein Haar und schob seinen Kopf behutsam fort.

Er stand auf und wandte sich ab.

»Leb' wohl!« flüsterte sie.

Er hörte sie zwischen den Bäumen davoneilen.

Er wollte rufen, hinter ihr herstürzen. Ihr Wille aber hielt ihn zurück. Da legte er seinen Arm auf die Latte, die ihre Hand berührt hatte, und weinte sich aus.


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