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Als Bent sich in der Gesandtschaft gemeldet und über die Arbeit, die seiner wartete, Bescheid bekommen hatte, schlenderte er durch die hellen Straßen des Ludovisi-Viertels, auf die Porta Pinciana zu. Er ahnte, wo sie liegen mußte, und folgte der Sonne.
Zwei Tage war er nun schon in Rom, und noch immer wie berauscht!
Er ging mit empfänglichen Sinnen umher und atmete die klare Luft und das herrliche Licht in vollen Zügen tief und wunschlos zufrieden. Es wurde Mittag, und es wurde Abend, und er begriff selbst nicht, wo die Zeit geblieben war.
Erst am gestrigen Abend, als er im Bett lag und das Licht gelöscht war, hatte er Zeit gefunden, sich zu besinnen.
Er war erstaunt, ja beschämt. Harriet, die seit seiner Abreise in der Schweiz beständig in seinen Gedanken gewesen war, so daß er bei jedem neuen Eindruck mit einem Seufzer gedacht hatte: »wie schön, wenn ich es mit ihr genießen könnte!« – sie war seinem Gedächtnis oft während ganzer Stunden entschwunden. Von dem Augenblick an, als er die Balkontüren geöffnet, hatte die Liebe zu Rom sein ganzes Herz in Besitz genommen.
Sogar an den Brief dachte er jetzt nur wie an ein kleines Aergernis. Als er abends in den Salon des Hotels kam, um die Antwort zu schreiben, kostete es ihm nicht die geringste Ueberwindung, seinen Vorsatz auszuführen. Daß Rom sich ihm offenbart, war in der Zwischenzeit Wahrheit geworden. Daß es wahrscheinlich lange dauern würde, bevor sie sich wiedersähen, war just der Gedanke, der ihn jetzt beherrschte. Er wollte Rom erst verlassen, wenn es unbedingt notwendig war.
Er las ihren Brief noch einmal, bevor er den seinen schloß. Als er zum Schluß kam, wo sie schrieb, daß es ihr sei, als ob sie sich nie gekannt hätten, als sei es nur ein Traum gewesen, der entschwunden war, mußte er sich selbst gestehen, daß dies eigentlich der Ausdruck seines eigenen Gemütszustandes sei.
Als er die Mitteilung erhalten, daß er Paris verlassen sollte, hatte er Rom verflucht – und jetzt – suchte er einen Vorwand, um hier so lange wie möglich zu bleiben.
Er mußte um Geld nach Hause schreiben, sein Kredit ging zu Ende.
Aber hatte seine Tante diese Auslandsreise nicht selbst angeregt?
Gewiß, Paris war teuer gewesen – er hatte das Doppelte ausgegeben von dem, was für die beiden Herbstmonate bestimmt war. Und dann zu Weihnachten kamen die Geschenke für die Angehörigen daheim – und die Zeit mit Harriet hatte auch nicht wenig gekostet: Versailles, Bois de Boulogne, Theaterabende und Konzerte mit anschließendem Souper; aber wie dem auch gewesen, er schuldete niemandem Rechenschaft.
Leider aber konnte die Tante nicht begreifen, daß jetzt alles dreimal so teuer war, wie zu ihrer Zeit; und wenn man sie auch nicht geizig nennen durfte, so hatte sie doch ein ziemlich genaues Gedächtnis für Ausgaben. Sicher führte sie in ihrem kleinen roten Notizbuch das Konto des Neffen und kontrollierte es sorgfältig, bevor sie ihm schrieb.
Vorläufig war er gedeckt; denn er war zum Dienst befohlen. Hätte er nicht den Brief von dem Sekretär des Ministers bekommen mit der »freundschaftlichen« Aufforderung, seinen Urlaub für einen oder zwei Monate zu unterbrechen, dann säße er noch bei Harriet in Paris. Pech, daß die neue Paßordnung gerade in Kraft treten mußte, während der Gesandte abwesend war. Sobald aber der Gesandte zurückkehrte, war er wieder ein freier Mann.
Frei – als ob er seine Freiheit nicht ein für allemal verkauft und die Musik verraten hätte und mit ihr vielleicht seine Zukunft.
Von dem Tage ab, als er seinem Vater versprochen hatte, Jura zu studieren, um die Tradition der Familie in Ehren zu halten, war er nicht mehr frei gewesen.
Er hatte sein Examen bestanden, sogar mit Auszeichnung. Dann aber erkrankte der Vater, sorgte sich um seine Zukunft und besprach mit ihm die Möglichkeiten, die ihm als Juristen offen standen; als ob er ihm nie das Versprechen gegeben hätte, daß er nach beendetem Examen sich wieder seiner Musik widmen dürfe. Wenn Bent davon sprach, blickte er stets betrübt auf und brachte es nicht übers Herz, fortzufahren. Was aber sein Vater nicht durchsetzte, das gelang mit der Zeit seiner Tante. Die Kammerherrin mit den vornehmen Verbindungen, Witwe eines alten Hofbeamten, der während vieler Jahre dem Königshause nahegestanden, kinderlos und ehrgeizig, warf ihm Mangel an Kindesliebe vor; und als sich die Krankheit des Vaters verschlimmerte, gab Bent schließlich nach und nahm die Stellung an, die der Direktor im Außenministerium, ein Vetter seines Vaters, ihm in Aussicht gestellt hatte.
Bent tröstete sich damit, daß ihm neben den vier bis fünf Bürostunden noch reichlich Zeit zum Studium seiner Musik bleiben würde.
Nachdem er ein Jahr als Volontär gearbeitet hatte, wurde er Assistent. Nach dem Tode des Vaters, glaubte er, die Stunde der Freiheit gekommen. Die Kammerherrin aber übernahm seine Leitung wie eine Mission, die sie dem Verstorbenen schuldete.
Von dem Direktor ließ sie sich über Bent berichten. Es war offenbar, daß er nicht gerade seine besten Kräfte dem Dienst widmete.
Sie erfuhr die kleine Geschichte von dem Quartett – und auch die Gerüchte über Annemarie wurden ihr zugetragen – Gott mochte wissen von wem.
So konnte es nicht weitergehen, er mußte sich um finanzielle Hilfe an sie wenden. Sein Vater hatte ihm ja nichts anderes hinterlassen, als eine alte Einrichtung. Von seinem Assistentengehalt konnte er nicht leben, besonders, wenn er noch nebenbei Musik treiben wollte.
Die liebe Kammerherrin hatte ihn gekauft, konnte man es anders nennen? Trotz der schönen Worte über Tradition und dergleichen. Wenn man A gesagt hat, muß man auch B sagen – war Tante Idas Argument – Halbheit stände einem Amloth nicht an und was dergleichen Redensarten mehr waren.
Sie wolle ihm einen einjährigen Urlaub verschaffen, habe bereits mit dem Direktor gesprochen, er könne die Zeit zwischen London, Paris, einer deutschen oder einer schweizer Stadt je nach Wahl verteilen, drei Sprachen studieren und im übrigen sein eigener Herr sein. Aber – wenn die Zeit um sei, müsse er sich verpflichten, etwas Ernsthaftes zu leisten, dies hieß: das Quartettspiel aufgeben, am Gesellschaftsleben teilnehmen, mit dem Nebenziel: sich nach einer passenden Partie umsehen und mit Unterstützung des Direktors einen Posten bei einer ausländischen Gesandtschaft erlangen.
Für diesen Preis stellte sie die erforderliche Summe für eine standesgemäße Auslandsreise zur Verfügung – sowie eine weitere, seiner Stellung entsprechende Rente, vorausgesetzt, daß er nach der Rückkehr seine Verpflichtungen erfüllte.
Nur eines hatte er erreicht: daß er während der Reise sich seiner Musik widmen konnte, und auch später keine Rechenschaft abzulegen brauchte, womit er seine freie Zeit ausfüllte, falls er nur seine Stellung und seine Laufbahn nicht kompromittierte.