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III

Bent schritt durch das Gartentor der Villa Borghese.

Auf dem breiten Fahrweg begegnete der Strom heimkehrender Reiter den Autos und hochrädrigen Gigs, in denen die Damen der Fremdenkolonie mit Kindern und Gouvernanten hinausfuhren in den Frühling nach dem Hain schlanker braunstämmiger Pinien, der einst nur der Belustigung fürstlicher Herren und ihrer fürstlichen Gäste gedient hatte.

Links auf dem großen grünen Rasen der Reitbahn, die sich in der Sonne leuchtend bis zur alten Stadtmauer unterm Pincio erstreckte, galoppierten die Vollblüter, Schwanz und Mähne kurz geschnitten, über die schwarze weiche Erde, die den Laut ihrer Hufe dämpfte. Schaum flog ihnen vom Gebiß, während sie mit erhobenen Köpfen vorbeirasten, angefeuert durch die Zurufe der Reiter, die sich wie die Vorfahren im Zirkus Maximus fühlten.

Rechts in dem kleinen Garten hinter La Vaccheria schwirrte es hell vom Jubel froher Kinderstimmen. Hier waren eifrige Spiele der Kleinen im Gange: Verstecken hinter den Pinien und in den Lauben, Ballwerfen und Reifentreiben unter der Aufsicht üppiger römischer Ammen mit ihren bunten Taillen und weiten Röcken und braungekleideter englischer Nurses.

Dem Fahrweg folgend, gelangte Bent an das Marmordenkmal Goethes; aber nur einen kurzen teilnahmslosen Blick ließ er über die leuchtende Zugendgestalt des Dichters gleiten.

In dieser Stunde überquellenden Lebens vermochte die Stimme der Kunst seine Sinne nicht zu erreichen. War sie doch nur ein Widerhall jenes Daseins, in dessen innersten Kreis er sich jetzt ganz gebannt fühlte.

Er bog nach links ab und überschritt die Rasenfläche zwischen den hohen Stämmen. An einer Wegekreuzung brach die Sonne sich auf dem Dach eines kleinen antiken Tempels. Im Hintergrund lag der Sienaplatz, der Hippodrom aus der Zeit der Borghese, im goldenen Morgenglanz, und auf der anderen Seite zwischen den Stämmen ein altes Kasino.

Der Rasen war mit blühenden Bellis besät. Funkelnde Lichtstreifen bahnten sich ihren Weg durch das weiche Dunkel der Pinienkronen und streuten Sonnenflecke übers Gras. Aus dem neuen Zoologischen Garten, nördlich des Parkes, ertönte Löwengebrüll.

Bent folgte auf gut Glück den Blüten, den Sonnenflecken und dem hellen Vogelgezwitscher, den Schattierungen der Stämme und Formen der Baumkronen, und gelangte zu einem Pfad, der vom Sienaplatz durch den Pinienhain zur Vaccheria führte.

Am Fuß der Ruine hatte sich eine Schar Gymnasiasten niedergelassen und verzehrte ihr Frühstück. Etwas weiterhin spielten dunkellockige Schuljungen, glänzende Zähne in den geröteten Gesichtern, Fußball. Ein Abbate ging mit seinem Schüler in vertraulichem Gespräch vorbei. Flüchtig streiften die braunen Augen des Knaben und des Mannes Bent. Zwei Seminaristen in langen schwarzen Talaren, das goldene Kreuz auf der Brust, gingen lesend vorbei. Tiefer Friede herrschte unter diesen hohen grünen Kronen, und eine aromatische, kristallklare Luft labte Auge und Herz. Bent gab sich ganz jener Selbstvergessenheit hin, in der die Seele sich allen Keimen des Unbewußten erschließt.

Der Pfad führte ihn zu der Vaccheria, dem Spielplatz der Kinder.

»Edith!« rief plötzlich jemand dicht neben ihm.

Bent wandte sich hastig um.

Eine junge Dame, schlank und hochgewachsen, hatte sich von ihrem Platz erhoben, um einem Kinde nachzusehen, das hinter einem Hunde herlief, mit unsicheren Schritten und ausgebreiteten Armen.

»Hörst du nicht, daß Mutter ruft?« sagte die Dame auf dänisch. Im selben Augenblick stolperte die Kleine und fiel. Sie bedachte sich einen Augenblick, dann begann sie zu weinen.

Bent erreichte das Kind gleichzeitig mit der Mutter. Er sah zwei dunkle Augen, einen lachenden Mund mit schönen weißen Zähnen, und erkannte sie im selben Augenblick, als sie ihm ein freundliches »Grazie, Signore" zunickte.

»Keine Ursache, Frau Steffen!« sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.

Sie blickte erstaunt auf, mit einer fragenden Falte zwischen den graden dunklen Brauen. Dann rötete sich ihre mattweiße Wange ein wenig, und die Falte glättete sich zu einem frohen erkennenden Lächeln.

»Bent Amloth – Sie hier?«

Sie drückte ihm kameradschaftlich die Hand und beugte sich herab, um der Kleinen das Gesicht abzutrocknen und ihren Mantel vom Staub zu reinigen.

»Sie ist nur erschrocken,« sagte sie erklärend zu Bent, indem sie ihn mit ihren lachenden braunen Augen betrachtete.

Und sich dem Kind wieder zuwendend: »Edith muß jetzt artig sein und dem fremden Herrn hübsch Guten Tag sagen.«

Bent nahm die kleine Hand und blickte auf ein schmales Kindergesicht herab, mit durchsichtigem Teint und großen eifrigen Augen unter einer Fülle dunkler Locken.

Martha Steffen zog die Kleine an sich, die lebhaft widerstrebend die Augen nicht von dem Hunde verwandte.

»Sie gleicht ihrer Mutter!« sagte Bent lächelnd.

»Aeußerlich oder innerlich?«

»Aeußerlich – denn ihr Wesen kenn' ich ja nicht!«

»Mir schien. Sie spielten auf ihren Eigensinn an!«

In Marthe Steffens Augen blitzte es auf! Bent verstand, was sie meinte, und bewunderte ihre Offenherzigkeit, wie er sie vor fünf Jahren bewundert hatte, als sie zusammen die Reitschule besuchten, und sie sich in den flotten Sportsmann Hilmar Steffen verliebte.

Ihr Vater aber, der eine reiche und vornehme Partie für sie in Bereitschaft hatte, wollte seine Einwilligung nicht geben. Wenn sie im Tiergarten zusammen ritten, verbarg Marthe ihre Neigung nicht, und die übrige Gesellschaft ließ sie und Steffen ungestört Seite an Seite ein Stück hinter den Klebrigen reiten. Er hatte etwas an sich, das alle Mitbewerber fernhielt. Marthe Hillm aber setzte ihren Willen durch – – Und dies kleine hitzige Seelchen in zartem Körper war nun also ihre Tochter.

»Sie ist nach meiner Schwester genannt.«

Er blickte erstaunt auf – »Ich dachte, daß Sie einziges Kind seien?«

»Das meinen Viele!« Sie lachte kurz auf. »Nun aber erzählen Sie« – sie blickte ihm in der offenen freimütigen Art ins Gesicht, die ihn schon damals angezogen hatte –, »wie sind Sie hierhergekommen? Ich dachte, Sie arbeiteten im Ministerium. Sind Sie schon lange hier?«

»Wie ich hierhergekommen bin? Mit der Eisenbahn. Wie lange? Seit zwei und einem halben Tag. Und Sie?«

»Ich bin seit November hier, und ich glaube, ich komme nie wieder fort!« Ihre Augen strahlten.

»Auch ich nicht!«

»Dann können wir uns ja zusammentun,« lachte sie.

»Und der sterbende Fechter?« fragte er, sichtlich stolz auf sein gutes Gedächtnis.

Es war der letzte Reitausflug vor den Sommerferien gewesen. Sie waren in den Wald geritten und hatten sich an einem kleinen blauen See gelagert. Die Pferde standen in einer nahegelegenen Baumgruppe angebunden. Steffen hatte Reithut und Jackett abgeworfen und sich ins Gras gestreckt, in der Stellung der berühmten Statue. Als Marthe Hillm und die anderen mit ihren Frühstückspäckchen kamen und ihn dort liegen sahen, mit dem hochgestrichenen, von der Wärme feuchten Haar und dem gestutzten englischen Schnurrbart, klatschte sie in die Hände und rief: »Der sterbende Fechter!«

Die Aehnlichkeit war in der Tat schlagend und fiel allen auf. Seitdem trug Steffen den Beinamen »der sterbende Fechter«.

Marthe blickte hastig auf, ernst, die Falte zwischen den Brauen.

»Hilmar starb im vorigen Jahr … ein Automobilunfall …«

Erschrocken griff Bent nach ihrer Hand, die er in der seinen behielt, ohne es selbst zu wissen.

Er sah, daß es sie schmerzte, davon zu sprechen, und wollte nicht weiterfragen.

»Und Sie haben Ihren Vater verloren,« sagte sie und blickte mit erhobenem Kopf geradeaus, als suchte sie etwas in der Ferne.

Bent betrachtete sie von der Seite. Welch ein edler, rassiger Menschenschlag. Freimütig im Kummer, wie in der Freude. Er erinnerte sich ihrer in dem dunklen, eng anschließenden Reitkleid mit dem niedrigen Zylinder auf dem reichen braunen Haar, das im Nacken in einen langen Knoten geschlungen war.

Damals mochte sie einige Zwanzig gewesen sein; die Erlebnisse der vergangenen fünf Jahre hatten sie stattlicher, schöner, bewußter gemacht.

»Ja, mein Vater starb nur wenige Monate nach unserer Rückkehr.«

Wir haben beide Trauer – oder müßten sie haben, dachte er bei sich. Aber lachte und strahlte sie nicht noch vor einem Augenblick? Und auch ich habe mich lange nicht so glücklich gefühlt, wie in diesen Tagen, obgleich Harriet Hunderte von Meilen fern ist.

»Wo wohnen Sie?«

»In der Via Sistina. Dort habe ich eine ganze Wohnung für mich!« Sie lächelte und warf den Kopf in den Nacken.

»Sie führen selbst Haus?«

»Ich habe mein Mädchen mitgebracht, aber wir bekommen das Essen aus einem Restaurant in der Via Croce, denn sie kann ja nicht einkaufen, weil sie die Sprache nicht versteht.«

»Darf ich Sie besuchen?«

»Sie wären imstande, es nicht zu tun!«

Sie hatten jetzt den Ausgang erreicht und mußten einem großen roten Auto ausweichen, das mit einer Gesellschaft lachender Amerikaner um die Ecke bog. Die Damen hielten Blumen im Schoß, und die Herren, barhäuptig, ließen ihre Glatzen von der Sonne bescheinen.

»Alles ist glücklich in Rom!« sagte er.

»Ja!« erwiderte sie gedehnt; fast klang es wie ein Seufzer. Sie war plötzlich ernst geworden.

Als sie ihn einlud, sie nach Hause zu begleiten, entschuldigte sich Bent. Es sei noch so schön hier im Garten, er wolle noch etwas unter den Bäumen bleiben und dann auf der Terrasse der Vaccheria frühstücken; später müsse er in die Gesandtschaft – dies freilich war eine kleine Lüge.

Doch versprach er, am nächsten Abend zur Empfangsstunde zu kommen.

»Sie werden viele interessante Leute bei mir treffen!« lachte sie, nickte ihm zu und stieg in eine Droschke, die sich langsam genähert hatte.

Er blieb stehen und sah ihrem großen schleierumwundenen Sommerhut nach. Noch einmal drehte sie sich um und winkte ihm mit dem losen Handschuh. Bent kehrte in den Garten zurück, zweifelnd, ob diese Begegnung, die gesellschaftliche Verpflichtungen im Gefolge haben würde, eine Bereicherung für ihn bedeute oder nicht. Er hörte Gelächter aus einem Restaurant und sah ein junges Paar auf einem Balkon über Obst und Foglietta vertraulich zueinander geneigt. Eine plötzliche Sehnsucht nach Harriet preßte ihm das Herz, doch war sie ihm ferner als je.


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