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Die starke Frühjahrsluft griff Edith an, sie begann zu fiebern, wie voriges Jahr in Rom.
Der Arzt sprach von Luftveränderung, Höhenklima, Eisen; und Marthe, die des Frühlings in Rom gedachte und sich nach dem Süden sehnte, nahm den Gedanken mit Begeisterung auf. Sie war des Gesellschaftslebens müde und träumte von Bergen mit stillen blauen Seen.
»Bent,« sagte sie an einem sonnenklaren Vormittag beim Frühstück und legte ihre weiße, morgenfrische Hand auf die seine, »ich glaube, Edith kann die Luft in der Stadt nicht vertragen.«
Er sah sie an. Die besorgte Falte stand zwischen den Brauen, aber der Hintergedanke, den sie nicht zu verbergen vermochte, sah ihr wie ein Schelm zwischen den offenen Augen.
»Was meinst du zu einem Aufenthalt in der Schweiz? Urlaub kannst du sicher bekommen, wenn es sich um Ediths Gesundheit handelt. Auch Tante Ida findet, daß etwas für das Kind geschehen müsse.«
Bent mußte lachen.
»Du würdest eine schlechte Schauspielerin abgeben,« sagte er.
Marthe errötete. Dann lachte auch sie, wurde aber gleich wieder ernst.
»Wie häßlich von dir, daß du immer so schlecht von mir denkst. Du hast doch selbst gehört, was der Doktor gesagt hat. Edith würde sich sicher in der Schweiz erholen. Wie war es dort herrlich – weißt du noch –?«
Sie erinnerte ihn mit einem langen Blick an einen ihrer großen Lage – er wußte wohl, welchen sie meinte –, aber wie fern war das alles!
»Daß es erst dreiviertel Jahr her ist!« sagte sie, und ihre großen, grauen Augen glitten langsam prüfend über seinen blonden Kopf.
Bent beugte sich über seinen Teller und wich ihrem Blick aus.
»Ich kann nach so kurzer Zeit keinen Urlaub wieder nehmen,« sagte er nach einer Weile.
»Bilde dir doch nicht ein, Bent, daß du unentbehrlich bist,« erwiderte sie nicht ohne Schärfe. »Du sagtest ja selbst neulich, daß ihr euch im Ministerium gegenseitig auf die Hacken tretet.«
»Damals sprach ich von den beschränkten Räumen.«
Ich gehe nicht nach der Schweiz, dachte er bei sich, ich will nicht von neuem beginnen oder dort fortsetzen, wo wir aufgehört haben. Er wußte selbst nicht recht, was er eigentlich damit meinte. Aber er hatte weder Lust, noch Mut zu dieser Reise.
Der Frühling hielt ihn ganz in seinem Bann. Immer wenn er es möglich machen konnte, ging er morgens in den Wald, blickte über den Sund und wandelte dieselben Wege, wie an jenem ersten Morgen.
Eine seltsame Beständigkeit, dachte er bei sich, er, der sich sonst seine Unbeständigkeit vorzuwerfen pflegte. Jedesmal nahm er sich vor, einen neuen Weg einzuschlagen, der Wald war ja groß, und jedesmal ging er quer über den breiten Weg durch die Stämme zu der Stelle, wo das Eichhörnchenpaar hauste. Er blickte nach ihm aus, und einmal sah er es wirklich wieder.
Diese Spaziergänge behielt er für sich, sie waren ein Geheimnis zwischen ihm und dem richtigen Bent. Hätte er davon gesprochen, würde Marthe vielleicht Lust bekommen haben, ihn zu begleiten. Und er wollte allein sein in seiner Geheimkammer. Vielleicht wäre sie auch dadurch auf den Gedanken gekommen, wieder zu reiten. Und ihm graute bei dem bloßen Gedanken, wie damals in großer Gesellschaft zu reiten, was sicher ihr Wunsch gewesen wäre. Manchmal begegnete ihm ein solcher Trupp auf seinem einsamen Waldspaziergang, der die feierliche Stille mit Gelächter kränkte. Er dachte mit Abscheu daran, daß er sich selbst einst in der Horde befunden und sich wohl dabei gefühlt hatte.
Ausnahmsweise setzte er seinen Willen durch. Aber Marthe bekam auch den ihren.
Sie sprach mit dem Arzt und gewann ihn für die Reise.
»Da siehst du. Ich reise mit Edith, du kannst meinetwegen zu Hause bei deiner Arbeit bleiben.«
Es sollte Scherz sein, und sie sah ihn von der Seite an, um die Wirkung ihrer Worte zu prüfen.
Bent wollte protestieren. Er sah, daß sie es erwartete. Der Sieg lächelte ihr bereits aus den Augen. Darum zögerte er.
Warum sie nicht beim Wort nehmen? Im selben Augenblick durchzuckte ihn der Gedanke, allein zu sein, wie eine Befreiung, und er dachte erschrocken: Ist es schon so weit gekommen? Nein, nein. Nur jetzt wollte er nicht fort, in der schönen Zeit, wo etwas die Arme nach ihm ausstreckte und jeden Morgen lockte. Er fühlte, wie sein Sinn sich davon nährte und entfaltete. Durfte er das Wachstum herzlos unterbrechen?
»Wie du meinst!« sagte er und blickte sie ernst an.
Ihre Augen wurden dunkel vor Staunen. Sie überlegte eine Weile, während ihre Finger mit dem Brot spielten. Er sah an ihrem Munde, daß sie an die Tage in Rom dachte, es bebte in den hochgezogenen Mundwinkeln.
»Ist es dein Ernst?« fragte sie leise.
Es ging ihm ein Stich durchs Herz. Er war drauf und dran, ihre Hand zu nehmen.
Nein, dachte er, sie muß lernen, daß ich nicht geheiratet habe, um mich von neuem zu verlieren. Und er dachte an das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte.
»Ja, Marthe, warum nicht?« sagte er ruhig, und suchte ihren Blick, »du hast deine Aufgaben und ich die meinen im Leben.«
Sie wandte sich ihm hastig zu, als ob ihr plötzlich eine Ahnung käme.
»Was soll das heißen?«
»Was ich sage. Wenn du es für notwendig hältst, mit deinem Kinde zu reisen, so reise. Ich aber halte es für notwendig, meinen Pflichten nachzukommen.«
Sie sah ihm forschend in die Augen. Er hielt ihren Blick ruhig aus. Hatte er mehr gesagt, als er verantworten konnte? Gehörte das Geheimnisvolle, wovon sie nichts wußte, nicht auch zu seinen Pflichten – vielleicht in noch tieferem Sinne?
»Armer unentbehrlicher Bent! Wie wird deine Tante entzückt sein!«
Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte laut auf.
Sie aßen schweigend weiter. Vor Abend aber hatte Marthe sich schon mit dem Gedanken versöhnt und saß am Schreibtisch, das Kinn in die Hand gestützt, und schrieb alles auf, was noch für die Reise besorgt werden mußte.