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VI

Als Bent von seinem Morgenspaziergang nach Hause kam – er war in der Via Appia gewesen und hatte die Lerchen über den Grabsteinen jubeln hören –, lag ein Brief von Harriet auf seinem Schreibtisch.

Bent war hereingekommen, das Herz voll von Frühling, alle Sinne dem Augenblick geöffnet, ohne Gedanken, ohne Ueberlegung – und auf seinem Tisch in der Sonne hatte etwas Weißes gelegen, das ihn mit einem Ruck aus dem Augenblick, aus dem Frühling herausriß und in eine ferne Winterstadt führte, zu einem Traum, der vorbei war.

»Als ob ich Sie nie gekannt hätte,« diese Worte, die ihn damals verwundet und gedemütigt hatten, waren jetzt seine eigenen geworden.

Er nahm den Brief in die Hand, drehte ihn hin und her, musterte die kleinen Buchstaben, und eine Ahnung des Inhaltes machte sein Herz klopfen.

Er setzte sich in den Lehnstuhl, öffnete und las. Dann blieb er lange verwundert sitzen.

Er hatte sie prüfen wollen, nun war die Wahrheit enthüllt, – zu seinem Erstaunen aber ließ sie ihn gleichgültig.

Hatte er mit seinem Brief einen heimlichen Zweck verfolgt, der jetzt erreicht war?

War er betrübt – fühlte er sich befreit?

Seine Augen füllten sich mit Tränen, vielleicht hervorgelockt, durch den kleinen Fleck auf dem Bogen – ein Tropfen war in die nasse Tinte gefallen, während sie schrieb –, und trotzdem reckte sich mitten im Kummer etwas wie Befreiung in seiner Seele. War es Befriedigung, wieder Herr seiner selbst zu sein?

Denn es war ein Traum gewesen, und wenn nicht die Entfernung und Rom den Zauber gebrochen hätten, wäre sicher nichts Gutes daraus entstanden.

Einen Augenblick schien sie ihm wieder nah mit ihren warmen Lippen und den bezaubernden Augen, in denen der grüne Reflex des Kaminfeuers flammte – und er legte seine Hände in tiefem Verlangen vor sein Gesicht.

Doch nur einen Augenblick; dann war er wieder mitten in Roms Frühling.

 

»Ihr Brief« – oder sollte es ›Dein‹ heißen? – eine seltsame Sprache, die sich mit dem einen › you‹ behilft – »hat mich härter getroffen als irgend etwas in meinem Leben. Es ist mir von jeher schwer gewesen, meine Gefühle schriftlich zu bekennen. Daß Sie mich aber so mißverstehen konnten! Warum hat das Schicksal uns zusammengeführt, wenn es so enden sollte. Ich weiß, daß ich Sie nie wiedersehen werde, vielleicht ist es am besten so, und vielleicht habe ich es auch nicht anders verdient. Ich bin jetzt ganz allein, niemand in der Malschule, der mir gefällt, und Miß Bush ist krank. Mit jedem Lag werde ich unzufriedener mit meinen Fortschritten. Ueberall auf meinem Wege sehe ich zerstörte Hoffnungen.

Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft.

Harriet O'Kennell.«

 

Beim Gedanken an ihre Verlassenheit wurden ihm die Augen wieder feucht. »Ich habe es wohl nicht anders verdient.« In ihrem Kummer erschien ihm die Liebe, die sie ihm gegeben hatte, wie eine Sünde. – Er erinnerte sich noch jedes ihrer Worte, als sie ihm ihre erste Liebe zu einem Kollegen in der Malschule ihrer Heimat anvertraut hatte. Sie war wie ein verflogener Vogel, als sie es ihm anvertraute, und er hatte sie in seine Arme genommen, um sie gegen sich selbst und alle Enttäuschungen der Welt zu schützen. Er hatte einige ihrer Arbeiten gesehen und trotz seiner Liebe kein Talent darin entdecken können. Jetzt waren ihr selbst die Augen dafür aufgegangen, so daß auch diese Hoffnung zerstört war.

Arme Harriet, flüsterte er vor sich hin, voll Bitterkeit gegen das Leben, unzufrieden mit sich selbst, daß er nicht helfen konnte.

Am Nachmittag ging Bent aus. Er blieb vor dem Hoteleingang stehen, blickte die menschenleere Straße nach rechts und links hinunter und zum Platz zu der Kirche hinüber, wo einige Touristen gegen das Geländer gelehnt standen und über die Stadt schauten. Ein summender Lärm stieg in die stille, klare Luft hinauf. Brutal erschien er ihm heute, voll von geheimem Jammer. Er reizte Sinne und Herz fast bis zum Zerspringen und verhöhnte sie dann. Er schuf Hoffnungen und Glücksträume, um sie gleich zu vernichten. Aber hoch und rein wölbte sich der Himmel über allem, klar und erfrischend war die Luft, und so wich die Bitterkeit bald.

Als er die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, war es seine Absicht gewesen, zu Marthe zu gehen. Sie zu sehen, war ihm tägliches Bedürfnis geworden. Sie hatten sich so viel zu erzählen. Wenn er Aerger in der Gesandtschaft gehabt, oder einen unangenehmen Brief von daheim bekommen hatte, ging er zu ihr. Sie besaß so viel lächelndes Verständnis für die kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens und handelte mit einer offenherzigen Ueberlegenheit, die den Kummer in Lächeln verwandeln konnte.

Als er aber vor dem Hotel stand, änderte er seinen Entschluß. Sicher würde sie ihm gleich anmerken, daß ihm etwas Ernstes zugestoßen sei, und irgend etwas hielt ihn zurück, ihr sein Herz zu öffnen und von Harriets Brief zu erzählen. Wohl hatte er ihr von seinem Erlebnis in Paris berichtet, doch nur in Andeutungen, ohne Einzelheiten, wie man von einem galanten Abenteuer spricht, dem das Herz nicht verpflichtet ist.

Heute aber würde es ihm nicht glücken, solch leichten Ton anzuschlagen. Und das richtige tiefe Vertrauen des Herzens hatte er ihr noch nicht gegeben. In ihrem Umgangston war so viel Scherz und Neckerei, daß der Ernst dabei bisher zu kurz gekommen war. Vielleicht, daß er unbewußt die Folgen fürchtete.

So schlenderte er denn über den Platz zur französischen Akademie.

Heute war kein Konzert auf dem Monte Pincio, dennoch ergoß sich ein breiter Strom von Spaziergängern, und die blinden Musikanten standen wie gewöhnlich im Schatten auf dem Fußsteig und sammelten ein.

Er machte bei der Fontäne unter den Steineichen halt und blickte zu St. Peter hinüber, seine Gedanken aber weilten bei Harriet und ihrem Brief.

»Träumen Sie?«

Es war Marthe. Ohne daß er es wußte, hatte sie in der Nähe gestanden und sein nachdenkliches Profil beobachtet, die lange eckige Nase, das kurze Kinn, die schmale charaktervolle Unterlippe.

Er wurde rot, richtete sich hastig auf und grüßte.

»Wie ernst Sie aussehen!« sagte sie und blickte ihm mit offenem Wohlgefallen in die Augen.

Ihre Hände ruhten nur kurz ineinander; doch Bent fühlte, daß er ihr jetzt alles erzählen würde.

Sie sah es ihm an und wandte sich mit einer plötzlichen Eingebung der Akademie zu, deren hohe gelbe Fassade in der Nachmittagssonne leuchtete.

»Kommen Sie,« sagte sie, »wir wollen in den Garten der Akademie gehen, dort ist es um diese Zeit menschenleer.«

Sie begaben sich zum Eingang, wo der alte weißhaarige Portier saß und sich sonnte.

»Der Garten ist heute geschlossen,« sagte Bent.

»Für uns nicht!«

Der Portier erhob sich und grüßte. Er kannte die schöne Skandinavierin und lächelte zuvorkommend. Bent hörte, daß Marthe de Suires Namen nannte. Der Portier nickte und öffnete die Gittertür.

»Man muß nur den Teufel zum Vetter haben!« lachte Marthe, und Bent dachte an das, was Wiborg neulich von de Suire gesagt hatte.

Sie schritten langsam den schattigen, sanft ansteigenden Pfad hinter der hohen Mauer hinan. Die Stadt und ihr Lärm waren unter ihnen versunken. In den höchsten Zweigen, wo die Nachmittagssonne lag, zwitscherten. Finken. Zwischen dem welken Laub schlüpfte eine Drossel ein und aus, mit wippenden Schwanzfedern und blanken wachsamen Augen.

Am Ende des Pfades erhob sich ein Turmhaus in der Mauerecke, von der Sonne beleuchtet. Es war eins der Gartenateliers der Pensionäre. Sie bogen rechts in die lange gerade Allee ein, die an den Pinciopark grenzt.

Vor einer geschlossenen Gittertür blieben sie stehen und sahen den spielenden Kindern in den schattigen Gängen zu. die von weißen Büsten berühmter Italiener eingefaßt waren. Einzelne Kastanien, die geschützt standen, hatten ihre braunen Blütenknospen bereits gesprengt: sie streckten ihre grünen Triebe triumphierend zum Licht hinauf.

Dann wandten sie sich der grünen Dämmerung unter den hohen Bäumen zu, die in langen Alleen den Park in kleine viereckige Gärten teilen, wie dunkle Klosterzellen eines Klosters, das Pan geweiht ist. Hinter den dichten Gebüschen spielten Licht und Schatten: geheimnisvoll sich fliehend und vereinend und von dem Gott gesegnet.

Bent und Marthe durchschritten die mittlere Allee, deren Perspektive im blendenden Licht vor der Säulenhalle der Akademie endete.

Keiner von ihnen sprach. Die Scherzworte waren in der kühlen dunklen Feierlichkeit verstummt. Es war, als ob ihnen jemand oder etwas mit leisen Schritten in der schweigenden Allee entgegenkomme. Bent atmete tief, von der feierlichen Stimmung seltsam ergriffen. Marthe fühlte eine nervöse Beklemmung. Unwillkürlich griff sie nach seinem Arm.

»Wir wollen uns setzen,« sagte sie, als sie einer moosigen Marmorbank ansichtig wurden, dort, wo ein Weg die Allee kreuzte, »ich fühle mich plötzlich so müde.«

Sie setzten sich. Marthe lehnte sich gegen den Stein und stützte die Arme auf den Rand der Lehne. In dem grünen Zwielicht erschien ihre Wange weiß, fast blutleer; ihre tiefen grauen Augen ruhten auf ihm mit demselben seltsam unergründlichen Dunkel, wie neulich Abend, als sie so müde war.

Er hatte den Hut abgenommen und blickte mit zurückgelegtem Kopf zu den dunklen Baumkronen hinauf.

»Ich sitze nun hier im Frühling,« sagte er, als spräche er mehr zu sich selbst, als zu ihr, »und mitten im Winter in einem kleinen, dunklen Hotelzimmer sitzt sie und weint, weil sie so verlassen und ganz ohne Hoffnung ist.«

»Erzählen Sie mir alles!«

Bei dem ungewohnten Klang ihrer Stimme blickte er auf. Etwas in ihrem Blick wärmte ihm das Herz.

Dann erzählte er ihr alles, und als er geendet hatte, las er ihr den Brief mit versagender Stimme vor.

In seinen hellen Augen standen Tränen, und dennoch lächelte sein Mund. Er fühlte, daß das Lächeln sie in Erstaunen setzte, und sagte wie zur Erklärung:

»Es war ja nur ein Traum, das habe ich seit dem ersten Tage hier in Rom gefühlt, und auch für sie ist es wohl nichts anderes gewesen, wie sie ja in ihrem ersten Brief schrieb, und dennoch – sie ist so einsam und hoffnungsverlassen. Arme Kleine!«

Er saß ihr zugeneigt, die Hände ums Knie verschlungen.

Da fühlte er ihre Hand um seinen Nacken, eine Liebkosung, so weich, als sei er ein Kind, das sie trösten müsse.

Als er aufblickte, schloß sie die Augen, ein leises schmerzliches Lächeln – vielleicht nur die Spiegelung seines eigenen – zitterte in den Winkeln ihres halbgeöffneten Mundes.

Er beugte sich vor und küßte ihren Mund. Da legte sie auch ihre linke Hand um seinen Nacken und drückte ihn heftig an ihre Brust.


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