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Bent schritt vom Korso durch die Via Croce. Er hatte seinen gewohnten Morgenspaziergang im Park Borghese gemacht und war auf dem Wege in die Gesandtschaft.
In der engen Handelsgasse standen die Ladentüren offen. Bent blickte in einen Krämerladen, von dessen Decke geräucherte Schinken in Reihen hingen. Hinter dem Ladentisch schnitt ein Mann in Kittel und Käppchen Scheiben mit einem langen, schmalen Messer, während eine einfache Frau, ihr schmutziges Kind am Rock, zusah und mit endlosem Wortschwall und dramatischen Armbewegungen statt des vielen Fettes, das der Verkäufer auf die Wage warf, mageres Fleisch forderte. Dann wurde um den Preis gefeilscht, und der Metzger wandte sich beistandheischend an die übrigen Käufer, die sich lebhaft an dem Handel beteiligten.
Beim Bäcker standen die Hausfrauen und befühlten die runden Brötchen in den Körben, während die Gesellen von meterlangen Broten nach dem Augenmaß Stücke abschnitten.
» – Quatro Soldi – cinque soldi – si signora – va bene – benessimo –!« das war alles, was Bent verstehen konnte.
Am Ende der Straße lag der spanische Platz. Eine rote Hotelmauer leuchtete, und dahinter sah man ein Stück des blauen Himmels.
In der Nähe des Platzes waren die Läden größer und reicher, offenbar auf Kundschaft aus dem Fremdenviertel eingerichtet.
In einem breiten Torweg hatte sich ein Obsthändler niedergelassen. Apfelsinen, Mandarinen, Nüsse und Gemüse waren auf breiter Platte ausgestellt – es sah aus, wie eine riesige Palette, auf der gelbe, rote, braune und grüne Farben bunt durcheinandergesetzt waren. Das Geschäft blühte.
Der kleine Mann, der den breiten, weichen Hut in den Nacken geschoben hatte, arbeitete, daß ihm der Schweiß über die Backen lief. Ein Stück seines schmutzigen Hemdes kam unter der kurzen Weste zum Vorschein; und jedesmal, wenn er sich über die Waren beugte. mußte er seine Beinkleider hochziehen, damit er sie nicht verlor.
Bents Blick fiel auf ein junges Mädchen, das auf den Obstladen zukam, mit jenem prüfenden Ausdruck in den Augen, der Hausfrauen eigen ist, wenn sie Einkäufe machen.
Es war Marthes Nichte.
Er sah sie zum erstenmal im Straßenanzug und hatte sie darum nicht gleich erkannt. Sie trug einen hellbraunen Kiepenhut, weiß unterfüttert, und ein halblanges, weitfallendes Cape, das nichts mit der Mode zu tun hatte.
Sie erinnerte ihn an die jungen Haushälterinnen auf alten holländischen Bildern. Eine Welt für sich in dem bunten Wirbel des Straßenlebens, einfarbig und gedämpft.
Ihre großen Augen, die dunkel unter dem weißen Futter des Hutes hervorsahen, musterten, was der Obsthändler auf seiner Palette hatte; sie war sichtlich mit allen Sinnen bei der Sache.
Als sie Bents Blick begegnete, errötete sie leicht, und der seltsam unfertige Mund verzog sich schmollend, als ob sie sich belauert fühle; darauf aber verwandelte sich ihre Verstimmung in ein unfreiwilliges Lächeln.
Die Hand konnte sie ihm nicht geben, weil sie eine Flasche in der einen und eine braune Tasche in der anderen trug.
Er wollte ihr die Handtasche abnehmen, sie aber ließ es nicht zu.
»Was haben Sie in der Flasche?« fragte er scherzend, wobei er sich zum erstenmal wunderte, daß sie sich trotz der Verwandtschaft nicht duzten.
»Ziegenmilch. Ich habe in der Ripetta einen Ort entdeckt, wohin ein Mann jeden Morgen mit frischer Ziegenmilch kommt.«
»Ziegenmilch?« Bent sah sie fragend an.
»Für Edith. Ziegenmilch ist fetter als Kuhmilch.«
Bent benutzte einen günstigen Augenblick, um ihr die Handtasche fortzunehmen, und sie ließ es geschehen.
»Ich dachte, daß Anna die Einkäufe besorgte,« sagte er.
»Sie kennt sich mit dem italienischen Geld nicht aus.«
Im selben Augenblick fiel sein Blick auf den Fruchthändler. In übergroßer Geschäftigkeit hatte er auf seine Beinkleider nicht geachtet, und fast wäre ein Unglück geschehen.
Auch Mimi hatte es gesehen und mußte herzlich lachen. Noch nie hatte er sie so heiter gesehen.
War das wirklich das junge Mädchen mit dem sonst so scheuen Blick, dem mürrischen Mund, dem verlegenen, bescheidenen Wesen, das zu bitten schien, man möge sie unbeachtet lassen?
Vielleicht war sie immer so, wenn sie allein war und nicht von Marthe in den Schatten gestellt wurde.
Quälte sie ihre Stellung im Hause, wo sie halb als Nichte und halb als Gast gehalten wurde?
Oder war ihr etwas Angenehmes heute morgen zugestoßen? Vielleicht eine gute Nachricht von einem guten Freunde aus der Heimat?
»Wenn Sie morgens die Ziegenmilch holen, gehen Sie wohl beim Postamt vor, um nach Briefen zu fragen?«
»Warum?« antwortete sie, und ihr Mund war wieder mürrisch. »Ich erwarte keine Briefe.«
Er wußte, daß ihre Mutter tot war und daß sie keine Geschwister hatte. Uebrigens seltsam, wie wenig Marthe ihm von Mimi erzählt hatte; war sie doch ihre Nichte, ihrer Schwester Kind. Er wußte nicht einmal, wer ihr Vater gewesen war. Wahrscheinlich ein Vetter ihrer Mutter, da sie denselben Nachnamen hatten; Mimi hieß ja auch Hillm.
Sie hatten den Platz erreicht und standen zwischen dem Springbrunnen und der spanischen Treppe, wo ihnen eine Woge von Blumenduft entgegenschlug.
Da waren Mandelblüten, große, gelbe Pfingstlilien, Veilchen in großen und kleinen Buketts, zeitig ausgesprungene Blätterzweige – all jene Frühlingswunder aus der keuschbraunen Campagnaerde.
Sie stand in den Duft verloren, mit geblendeten Augen, die Hände wie zur Liebkosung geformt.
Und der Frühling riß auch ihn mit. Er kaufte Mandelblüten und Veilchen und Lilien und grüne Zweige und Hyazinthen, und legte sie ihr in den Arm, soviel sie nur tragen konnte.
»Und für wen dies alles?« fragte sie ungewiß lächelnd.
»Für Sie – und für Marthe,« rief er ihr zu, während er die Treppe hinaufsprang, denn eben schlug die Uhr zehn. »Für euch alle zusammen. Grüßen Sie!«
Auf der obersten Stufe wandte er sich um und begegnete ihren Augen, die ihm gefolgt waren.
Er winkte, sie nickte und lächelte mit ihrem erblühten Mund.
»Vielen Dank für die schönen Blumen,« sagte Marthe und küßte ihn, als er nach dem Mittagessen kam.
Alle Vasen und Gläser waren gefüllt, das große Zimmer war voller Blumenduft.
Er ging bewundernd durchs Zimmer.
»Wie bist du nur darauf verfallen?« fragte sie und betrachtete ihn lächelnd.
Da merkte er, daß er zum erstenmal Blumen geschickt hatte. Er fühlte, daß er errötete und beugte sich über die Hyazinthen, froh, daß Mimi das Geschenk weitergegeben hatte.
»Der Frühling!« sagte er mit einem Lächeln.
Da trat Mimi ein, sie hatte Edith zu Bett gebracht, das Kind war erkältet und hatte etwas Fieber. Sie gab Bent die Hand, ohne ihn anzusehen, eine schlaffe, weiche Hand, die gleich wieder zurückgezogen wurde. Er hatte ein Einverständnis erwartet, ihr Handdruck aber war ohne Seele, vielleicht mit Absicht. Er betrachtete ihren Mund, er war jetzt wieder mürrisch und verschlossen, als ob kein Frühlingsmorgen gewesen wäre.
Sieh, sieh, wie beherrscht, dachte ex. Aber es hilft ihr nichts, ich habe ihn doch erblühen sehen. Er wollte wissen, was sie Marthe von ihrer Begegnung erzählt hatte.
»War es nicht ein heiterer Frühlingsmorgen?« fragte er lustig.
Mimi errötete und sah mit einem Blick auf, den er sich nicht erklären konnte. Aber sie schwieg.
Nun beichtete Bent die drollige Szene mit dem Obstverkäufer. Marthe lachte:
»Warum hast du mir gar nichts davon erzählt, Mimi?«
»Ich hab' an soviel andere Dinge zu denken,« antwortete sie. »Wenn Edith morgen nicht wohler ist, müssen wir zum Arzt schicken,« fügte sie unvermittelt gleich hinzu, während ihre Mundwinkel leicht bebten.
Sie sprach hastig, als wolle sie sich gegen etwas wehren, und es zuckte in den gesenkten Lidern.
Er bereute seine Worte. Da schien etwas zu sein, wovon er nicht wußte. War Marthe auf die zwanzig Jahre der Nichte eifersüchtig? Wie wenig kannte er Marthe im Grunde. Mimi aber, die täglich mit ihr zusammen war, kannte sie und mußte sie nehmen, wie sie war.
Er sah Marthe an, die im Begriff stand, Karten aus einem Kasten zu nehmen.
Ihre Lippen waren leicht geöffnet, zwischen den Brauen erschien die Falte.
»Ja, wir müssen den Arzt holen,« sagte sie ernst.
Sie dachte an Edith; Bent fühlte sich beruhigt.
Es wurden Karten gezogen. Marthe bekam die niedrigste und mußte geben.
Während sie gab, sah sie von Bent zu Mimi und fragte:
»Warum duzt ihr euch eigentlich nicht? Man sagt nicht ›Sie‹ zu der Pflegetochter seiner Frau.«
»Frau!« lachte Bent, »noch haben wir doch nicht zusammen vorm Altar gestanden.«
»Ich bin doch auch nur deine Nichte,« sagte Mimi mürrisch.
»Ich verlange, daß ihr ›Du‹ zueinander sagt!«
»Also duzen wir uns!« sagte Bent und sah lächelnd zu Mimi hinüber, die ihre Karten eingehend studierte.
»Wie Sie meinen,« erwiderte sie nach einer Pause. »Cœur!« meldete sie gleich darauf.
»Zwei Karo!«
»Zwei Cœur!«
Bent überlegte, ob er höher bieten sollte, aber er wagte es nicht.
»Du bekommst das Spiel viel zu billig!« Marthe prüfte ihre Karten noch einmal, aber sie konnte nicht höher bieten. »Behalte es meinetwegen!«