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XI

Es war Anfang Mai. Die Heimreise stand bevor.

Bent hatte noch viel auf der Gesandtschaft zu tun. Er saß jeden Vormittag und Nachmittag hinter einer flackernden Markise und schrieb im Schweiße seines Angesichts. Das Thermometer zeigte einige zwanzig Grad Wärme.

So wird von nun an mein Leben aussehen, dachte er, wenn im August mein Urlaub zu Ende ist. Auch die Abende würden ihm nicht mehr gehören. Pflichtgesellschaften, steife Bridgepartien, Diplomaten-Tennis und was der vornehmen Lakaiendienste mehr waren.

Wieviel Zeit würde ihm für die Musik – »die hübsche Passion« – bleiben?

Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und dachte darüber nach, was die Tage in Rom ihm gebracht hatten.

Wie schnell war alles gegangen, kaum hatte er Marthe getroffen, als sie auch schon verlobt waren. Sie kannten sich ja schon von früher, und sie war so offen und freimütig, daß er sich gleich mit ihr vertraut fühlte. Was aber war unter der Oberfläche? Manchmal erschien sie ihm so fremd, als ob sie nicht einen einzigen gemeinsamen Gedanken hätten. Musik war ihr nichts. Ihre strahlende Laune, ihre Schlagfertigkeit, ihre Ehrlichkeit und ihr praktischer Sinn hatten es ihm angetan. Insofern hätte er keine bessere Frau für sein künftiges Leben finden können, und dann besaß sie Vermögen. Nicht, daß er auf Geld Wert legte, oder in Luxus zu leben wünschte. Aber es war doch eine Erleichterung, daß er die Kammerherrin nicht mehr um Geld zu bitten brauchte. Er hatte Marthe versprechen müssen, ihr Vermögen zu verwalten; sie haßte Geldangelegenheiten.

Bent lächelte zufrieden und griff wieder nach der Feder.

In einem Monat bin ich verheiratet, dachte er, während er darauf losschrieb, und habe meine eigene Häuslichkeit. Ein schönes und reiches Heim, nach Marthes Schilderung. Und keine anderen Verwandten, als seine Schwiegereltern und Mimi.

Ja, Mimi – jetzt wußte er Bescheid. Er hatte Marthe einmal nach ihrem Vater gefragt, und dann hatte sie ihm die Geschichte erzählt. Es war ein ganzer Roman.

Fabrikant Hillm hatte außer Marthe noch eine Tochter aus erster Ehe, Olivia, die vierzehn Jahre älter war als Marthe. Als der Vater sich zum zweitenmal verheiratete, wollte Olivia nicht im Hause bleiben und wurde Krankenpflegerin. Sie verliebte sich in den Reservearzt des Krankenhauses. Er war verheiratet, unglücklich verheiratet, seine Frau aber wollte sich nicht scheiden lassen. Als Olivia ein Kind von ihm bekam, wollte sie es bei sich behalten. Der Vater, aufgebracht über den Skandal, verstieß sie. Nun völlig auf sich gestellt, gründete sie mit dem mütterlichen Erbteil ein Erholungsheim für alte Damen. In diesem Haus, mit einem großen alten Garten, wuchs Mimi auf. Sie glaubte, daß ihr Vater tot sei. Tatsächlich hatte er einen Posten als Arzt auf Java angenommen, als Olivia ihre Beziehung zu ihm abbrach. Sie wollte kein Geld von ihm annehmen, nur eine Lebensversicherung durfte er für sein Kind aussetzen.

Marthe war die einzige, mit der Olivia noch weiterhin in Verbindung blieb. Die Eltern gaben sich den Anschein, als ob sie es nicht wüßten; gefragt wurde nie nach ihr.

Marthe sah zu ihrer großen Schwester auf, die so entschlossen ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte. Sie bewunderte sie, daß sie trotz des Geredes der Welt nicht auf ihr Kind verzichten wollte.

Als Marthe heiratete, besuchte die kleine Mimi sie, die nur acht Jahre jünger war als sie selbst und wurde von ihr verhätschelt. Nach Steffens Tode schloß Marthe sich in ihrem Kummer noch fester an die Schwester. Kaum ein Jahr später starb Olivia. Sie war bei der Pflege eines influenzakranken Patienten angesteckt worden. Von da an betrachtete Marthe sich als Mimis Mutter.

Sie setzte durch, daß Mimi bei ihren Großeltern empfangen wurde. Der alte Hillm gewann sie lieb und wollte sie adoptieren. Mimi aber, jetzt erwachsen, weigerte sich. Marthe war auf ihrer Seite und nahm sie zu sich ins Haus, weil sie so viel von Edith hielt und Edith von ihr.

Mimi hatte beim Tode ihrer Mutter die Lebensversicherung, die in Form einer jährlichen Leibrente veranlagt war, ausgezahlt bekommen, die groß genug war, um sie vor Not zu schützen. Mimi liebte Kinder und wollte Kinderpflege als Beruf ergreifen. Ihre Stellung im Hause bei Marthe sollte ihre erste Lehrzeit sein.

Bent erinnerte sich noch des Blickes, den Mimi ihm an jenem Abend gesandt hatte, als Marthe noch so spät mit Edith spielte. Er sah sie vor sich, wie sie an jenem Krisentag auf dem Bettrand saß, weinend, weil sie nicht helfen konnte. Sie hatte seinen Namen gerufen und wie hilfesuchend nach seiner Hand gegriffen. Und als das Kind gerettet war, hatte sie ihre Freude an seiner Brust ausgeweint – das konnte er nicht vergessen.

Wie liebevoll und bestimmt hatte sie Marthe, die ihre Kräfte im Stich ließen, gezwungen, sich zurückzuziehen, und hatte selbst die ganze Bürde auf ihre schwachen Schultern genommen.

Ich will versuchen, Edith ebenso treu zur Seite zu stehen wie sie, dachte er.

Und jetzt ordnete Mimi alles in ihrer Wohnung für den großen Tag, an dem Marthe und er in ihr Heim einziehen sollten; noch vierzehn Lage waren es bis dahin.

Bent lehnte sich in den Stuhl zurück und überlegte. Wenn Marthe Mimis Pflegemutter ist, werde ich ihr Pflegevater. Eine Pflegetochter von zwanzig und eine Stieftochter von drei Jahren! Das war für den Anfang gar nicht wenig.

Er lächelte über seine doppelte Würde, richtete sich aber doch unwillkürlich höher.

Jetzt erklang der Kanonenschuß vom Janiculo. Er zog seine Uhr, stellte sie und ging zum Frühstück.

Als er in die brennende Sonne hinauskam, hörte er die Straßenbahn um die Ecke poltern und lief zur Haltestelle. Indem er aufsprang, sagte plötzlich eine Stimme in ihm:

Und wenn mir nun eines Tages die Richtige begegnet!

Das Blut schoß ihm zu Kopf, er war atemlos vom Lauf. Nachdem sich Herz und Lungen beruhigt hatten, muhte er vor sich hinlächeln.

Romanideen! Hatte er Harriet nicht aufrichtig und heiß geliebt? Und sie doch nach einem Monat vergessen?

Er seufzte bekümmert, seine Unbeständigkeit demütigte ihn – und er dachte an andere Dinge.


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