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XVI

Eines Morgens war Bent vom Hotel aus, das auf einer Landzunge zwischen zwei langgestreckten, waldumkränzten Seen lag, nach der Generalstabskarte einen Weg entlang gegangen, der im Zickzack zum Berggipfel führte; je höher er kam, desto steiniger wurde der Boden, schließlich war kein Pfad mehr zu sehen.

Er glaubte, daß die Steine ein Flußbett bezeichneten, das jetzt zur Sommerszeit ausgetrocknet war, und folgte der Richtung. Bald aber hörte der Wald auf, die Steine wurden seltener, der Boden weich und erdig, die Bäume traten wieder dichter zusammen; der Boden wurde flach, und Wasserpfützen glänzten unter der dünnen Grasschicht.

Bent plante, den Weg über den Gipfel zu nehmen und jenseits im Sommerhotel bei dem kleinen Bergdorf zu essen und dort auch über Nacht zu bleiben.

Endlich hatte er den Waldrand erreicht und sah hinter einer dünnen Tannenhecke den Gipfel des Berges, sanft gewölbt, leuchtend im zarten Grün, das der Frühling zwischen dem bläulichen Gestrüpp uralter Beerensträucher hervorgelockt hatte.

Einige Schafe standen hinter dem Kamm, starrten ihn mit gespitzten Ohren an und flüchteten bei seinem Näherkommen in die äußerste Ecke des Geheges.

Er erreichte die Höhe des Berges und blickte sich um. Vor ihm lagen waldbekleidete Bergzüge in hellem Sonnenschein einer hinter dem anderen, so weit das Auge reichte, festlich gekleidet, grün und lächelnd, Welle hinter Welle, von dunstigen Tälern getrennt, deren Tiefe er nicht sehen konnte. Auf den grünen Halden leuchtete hier und dort ein rotgemaltes Bauernhaus mit weißen Fensterrahmen. Dünne Rauchsäulen wanden sich aus dem Walde, die menschlichen Wohnungen aber lagen hinter den Stämmen.

Weit hinten, wo die wogenden Rücken wie hellgeränderte Wolken in blendendem Sonnendunst lagen, blitzte ein Elv wie ein Silberfaden auf einem Festgewand; und noch weiter fort funkelte die Sonne auf einem See in schneidendem Reflex.

Bent streckte sich ins Gras und atmete die würzige Waldluft in vollen Zügen. Dieser andachtsvoller Frieden zog in sein Herz.

Droben im Himmelsblau hing eine Lerche, als ob sie von einem unsichtbaren Wasserstrahl gehalten würde, und sie jubelte über das herrliche Spiel. Bald wurde die kleine beschwingte Kugel von dem Strahl herabgezogen, bald in die Höhe gewirbelt.

Da fiel sein Auge auf etwas Weißes jenseits des Tannenhains. Erst dachte er, daß es ein Tier sei, das außerhalb der Hecke geraten wäre. Gleich darauf aber erkannte er einen hellen Sommerhut – es war eine Frau.

Sie hielt ein Buch in der Hand; also ein Sommergast. Vermutlich lag das Hotel im Walde gleich unterhalb des Bergkammes.

Zu seiner Enttäuschung war also die lichte Gipfelwelt nicht so unberührt, wie er gehofft hatte. Die Einsamkeit, die ihn so bezaubert hatte, war nur ein zufälliger, lediger Augenblick gewesen. Nach dem Frühstück im Hotel kam gewiß ein Schwarm von Sommergästen hier herauf.

Da war es am besten, sich rechtzeitig davon zu machen. Er erhob sich mit einem Seufzer, nahm mit einem langen Blick von der wogenden Schönheit Abschied und wandte sich zum Gehen. Im selben Augenblick erreichte die Frau den Waldrand. Die Sonne lag blendend auf ihrem weißen Kleide.

Sie wurde seiner ansichtig, machte eine unwillkürliche Bewegung, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog, und blieb dann wie gebannt stehen.

Auch sie schien enttäuscht, ja erschrocken, hier in der Einsamkeit einem Menschen zu begegnen.

Aber was war das? Nickte sie ihm nicht zu?

Mimi! dachte er im selben Augenblick. Sein Herz schlug gewaltig, während er unsicher stehen blieb.

Nein, sie war es nicht – er spähte scharf aus, aber die Entfernung war zu groß. Da kam sie näher, und nun konnte es kein Zweifel mehr sein, es war Mimi.

Bent stand am Zaun, sie näherte sich rasch, schon konnte er ihr in die Augen blicken – in diese tiefen, seltsamen Augen: es zitterte um ihren Mund, und schließlich brach sich ein Lächeln Bahn, wie an jenem Morgen in Rom, als er ihre Arme mit Blumen füllte.

Er wollte ihr über den Zaun helfen, sie aber schob eine lose Latte beiseite, und stand neben ihm.

»Meine Augen sind besser als die deinen,« sagte sie, kaum ihre Erregung meisternd. »Ich habe dich gleich erkannt.«

Ihre Hand lag neben der seinen. Sie war schmucklos und nicht so weiß und gepflegt wie Marthes, aber ihr doch ähnlich. Er sah die zahllosen Sommersprossen auf dem nackten Unterarm und folgte der Linie bis unter den weißen Tüll über der weichen, fehlerfreien Schulterrundung und bis zum Halsausschnitt, wo der Puls unter der sonnengebräunten Haut wie ein Schatten spielte. Er sah das volle, dunkle Haar, das die Ohren bedeckte und in schwerem Knoten auf dem weißen Kragen ruhte. Wieder wie damals in Rom berührte ihn diese bescheidene und doch so ausdrucksvolle Mädchenerscheinung mit verwirrender Stärke. Blitzartig stieg die Erinnerung an jene Stunde in ihm auf, als sie ihr dunkles Haar gegen seine Schulter gelehnt und geweint hatte.

Eine plötzliche Trauer überkam ihn und er seufzte.

Sie entfernte ein Spinngewebe, das die Hecke auf ihrem Rock hinterlassen, und ging dann gesenkten Kopfes – wie er sich dieser Haltung erinnerte – auf die Stelle zu, wo er gelegen hatte.


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