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IV

Ein Dienstmädchen mit weißer Spitzenschürze und Spitzenhäubchen öffnete ihm die Tür.

» Buona sera!« sagte Bent.

»Guten Abend!« sagte das Mädchen lächelnd.

»Wie schön, wenn man seine Muttersprache hört.« Er lächelte ihr zu.

Sie war ihm beim Ablegen behilflich. An der Garderobe hingen bereits mehrere Mäntel. Er hörte lautes Lachen und Stimmen mit fremdartigem Klang, während er sich in der Vorhalle umsah, die wie eine Loggia mit Girlanden und Weinlaub bemalt war. Er richtete seinen Schlips vor dem alten venezianischen Spiegel, ärgerte sich, daß er seinen Smoking nach der Reise noch nicht hatte aufbügeln lassen und ging durch die Tür, die das Mädchen für ihn aufhielt. »Wie spät Sie kommen. Amloth!«

Marthe Steffen kam ihm hochaufgerichtet entgegen. Ein traubenblauer Seidenstoff schloß sich weich an den blendenden Hals und fiel schmiegsam von den Schultern herab, den hohen Busen und die kräftige Hüftlinie vorteilhaft hervorhebend. Ihre Haltung paßte vortrefflich zu dem Stil des Salons, mit der reich dekorierten Decke, der pompösen Kristallkrone, den langen Spiegeln in venezianischen Rahmen und den antiken Möbeln. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn dem Kreis der Anwesenden zu, während er sein spätes Kommen mit einem wichtigen Brief entschuldigte: er habe noch zum Postamt gehen müssen, um » ultima leveta« zu erreichen.

»Sie sind ja schon ein vollendeter Römer!« sagte ein ältlicher Herr mit kurzgeschnittenem Vollbart und lustigen Augen hinter blitzenden Brillengläsern.

Marthe stellte vor.

»Professor Wiborg! Unser berühmter Landsmann!«

Amloth nahm die dargereichte kurze breite Bildhauerhand, deren fester Druck fast schmerzte.

»Was heißt berühmt,« sagte der Professor mürrisch, »der Teufel ist berühmt.«

»Herr Finne!«

»Der berüchtigte norwegische Maler!« setzte dieser selbst hinzu, ein langer Mensch mit gebeugter Haltung, struppigem herabhängenden Schnurrbart und unheimlichen Eulenaugen. Er nickte Amloth zu, ohne die Hand aus der Tasche zu nehmen.

Darauf verbeugte sich ein kleiner, sehr zierlicher Italiener mit funkelnden schwarzen Augen und einem breitlächelnden Mund.

Amloth hörte, daß Archäologie sein Fach sei.

Sie drückten sich die Hand und wechselten einige französische Worte.

» Monsieur de Suire!«

Eine große, magere, ungewöhnlich elegante Erscheinung mit schmalem Rassegesicht, die Schläfen leicht eingefallen unter dem glatten, graumelierten Haar. Er reichte Bent mit einer leichten Verbeugung seine magere, heiße Hand, gleich darauf schweiften seine ausdrucksvollen hellgrauen Augen wieder prüfend über die Gesellschaft.

Hinter ihm tauchte ein untersetzter Herr im schwarzen Gehrock auf. Er grüßte Bent, einfach und herzlich, als ob sie sich schon lange gekannt und zufällig in der Fremde getroffen hätten.

»Kandidat Iversen studiert – wie heißt es doch noch?«

»Inkunabeln!«

Der junge Däne lachte mit seinen guten blauen Augen: man mußte ihn gern haben, er stand sicher nie jemandem im Wege!

Während Bent Marthe berichtete, was er seit ihrer Begegnung im Park unternommen hatte, fuhren der Bildhauer, der Norweger und der Italiener an dem kleinen Schachtisch in der Ecke unter dem Spiegel mit dem Kandelaber in ihrer Diskussion fort.

Der Bildhauer war eifrig und aggressiv, der Italiener geschmeidig, spitz und defensiv. Der Maler machte zynische Randbemerkungen, die den Italiener treffen sollten und trafen, denn Bent sah, daß er jedesmal zusammenzuckte, wie unter einem Peitschenhieb.

»Worüber streiten die Herren?« fragte Bent.

Marthe zuckte die Achseln.

»Ueber die neuesten Grabfunde,« erklärte Iversen. »Signor Berti behauptet, sie seien echt, der Professor aber ist der Meinung, daß das Museum einem Betrug aufgesessen ist.«

»Und der Maler?«

Iversen lachte auf seine gutmütige Art.

»Sein Standpunkt ist etwas unklar. Soweit ich verstehe, meint er, daß alle öffentlichen Institute sich düpieren lassen, und besonders die italienischen. Uebrigens solle der Staat lieber etwas für die lebenden Künstler tun, anstatt den Plunder zu kaufen, der durch sein Alter nicht kostbarer werde.«

»Dieser Standpunkt scheint mir doch alles andere als unklar zu sein,« lachte Bent.

»Ich halte es mit dem Maler,« erklärte Marthe und wandte sich an den Norweger, der im Begriff war, loszulegen.

»Bravo, Finne!« rief sie und applaudierte.

Finne richtete seine Eulenaugen erstaunt auf sie.

»Verstehen Sie denn italienisch?« fragte er.

Auch der Professor und der italienische Archäologe drehten sich erstaunt zu ihr um.

»Sie versteht keinen Ton,« erklärte der Professor, ungehalten über die Unterbrechung.

Der Italiener blickte von einem zum anderen, indem er mühsam das verbindliche Lächeln festhielt, das Marthes Einmischung forderte.

Jetzt ging Marthe auf die Gruppe zu und sagte auf französisch:

»Soviel verstehe ich, daß Sie alle drei unrecht haben.«

»Unrecht – unrecht,« sagte der Professor mürrisch, »was wissen Sie davon.«

»Es ist unrecht von Ihnen, sich in einer Sprache zu streiten, die wir anderen nicht verstehen, und über Dinge, die wir auch nicht verstehen.«

Der Professor schüttelte sich verdrießlich. Französisch konnte er nicht, er hatte kaum verstanden, was Marthe sagte, und Signor Berti sprach nur italienisch.

»Gerade war es mir geglückt, diesen Menschen in die Klemme zu bringen,« sagte er leise zu dem norwegischen Maler, der gegen die Wand gelehnt stand und Rauchringe aus seiner Zigarette blies. »Aber ich werde es ihm ein andermal geben.«

Darauf tröstete er sich mit einer Zigarre, die er einem hübsch ziselierten silbernen Schrein auf dem Schachtisch entnahm.

Bent erfuhr nach und nach Näheres über die Gesellschaft. Marthe war im skandinavischen Verein zur Weihnachtsfeier gewesen, hatte dort den Maler und Bildhauer kennengelernt, die seit Jahren in Rom lebten, im Guten und Bösen zusammenhielten und sich beständig zankten. Der Maler hatte gebeten, sie malen zu dürfen. Sie saß ihm ein um den anderen Tag in seinem kleinen Atelier, das an der Via Porta Pinciana lag, mit der Gartenmauer idyllisch ineinandergebaut. Von der weinbewachsenen Loggia hatte man Ausblick über die Gärten der Villa Malta, Villa Medici und Villa Borghese. Bei dem Maler hatte sie Monsieur de Suire getroffen, der Presseattaché bei der französischen Botschaft war; er trieb in seinen Mußestunden Malerei und nahm Unterricht bei Finne. Das Atelier des Norwegers gehörte einem französischen Maler, den eine schöne Amerikanerin nach der Fifth Avenue entführt hatte; jetzt malte er Milliardärfrauen in den Staaten. Don Signor Berti hatte Marthe die Wohnung gemietet, die seiner Mutter gehörte und leer stand, weil die alte Sizilianerin sich zu schwach fühlte, diesen Winter wie sonst in Rom zu verbringen. Iversen war eine alte Bekanntschaft aus Kopenhagen, er hatte Marthe aufgesucht, um ihr Grüße aus der Heimat zu bringen.

Unter dem hohen Leuchter stand der Spieltisch bereit; für Bridge aber war keine Stimmung vorhanden. »Gott sei Dank,« sagte Marthe offenherzig – Bridge liebte sie nicht.

Monsieur de Suire leitete das Gespräch auf Finnes Porträt von Marthe, das er vormittags gesehen hatte. Er machte Finne Komplimente, sprach von der edlen nordischen Haltung, die zu ihrem vollen Recht gekommen sei und einen reizvollen Kontrast zu der weichen Bronze des Haares schaffe, das sich mit feinen Uebergangsschatten an die zarte Rundung der elfenbeinweißen Wange schmiege.

Bent begegnete dem Blick des Malers, der spöttisch zu sagen schien: »Man sieht, er ist verliebt.«

Der Franzose fuhr in seiner graziösen Art zu schildern fort, vor jedem bedeutenden Wort eine kleine wohlberechnete Pause einlegend, und gab so seinen Sätzen einen Unterton eigener zarter Intimität. Der Blick, mit dem er Marthe dabei betrachtete, und die diskreten nachzeichnenden Bewegungen seiner langen feinen Hand wirkten wie zärtliche Berührungen.

Marthe lächelte halb verlegen, halb stolz und mied den Blick des Franzosen. An ihrem Ohr kam der kleine rote Fleck zum Vorschein, der Bent bei ihrer Begegnung neulich aufgefallen war.

Er betrachtete sie mit ganz neuen Augen; vor fünf Jahren hatte er ihr wohl etwas die Kur gemacht, weil ihre Frische und Freimütigkeit ihm gefiel. Wieviel reizvoller war sie heute. Die Jahre – oder waren es die Liebe und der Kummer – hatten ihrer Schönheit Charakter gegeben, der ihr damals fehlte.

Da blickte Marthe zu ihm hinüber. Hatte sie die Strömung, die von seinem Blick ausging, gefühlt? Bent meinte eine Frage in ihren großen Augen zu lesen. War es nur die eitle Frage: Findest du mich auch hübsch? Oder verstand sie seine Gedanken und gab ihm die Antwort: »Wer weiß, was geschehen wäre, wenn du damals gesehen hättest, was du jetzt siehst?«

Bent fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg und schlug die Augen nieder. Vielleicht war es nur Einbildung – das peinliche Verlangen nach Romantik, das ihn so oft irregeführt hatte, oder hatte sie damals, während der ersten Reitstunden, wirklich schon für ihn empfunden? Bis Hilmar Steffen kam und Beschlag auf sie legte. Auch Bent verlor damals alles Interesse für sie, denn er liebte es nicht, zu konkurrieren, um so weniger, als seine Neigung nicht stark genug war. Er wandte sich statt dessen ganz an Annemarie, die er bei einem Freund getroffen hatte. Sie war leicht zugänglich und wollte nur seine Huldigungen, ohne auf ernstliche Bindung Anspruch zu machen.

»Spielen Sie uns etwas vor, Amloth,« sagte Marthe.

Sie stand vor ihm, ein Lächeln in den dunklen Augen, und faßte ihn am Rockaufschlag, als ob sie sagen wollte: »Schlagen Sie sich die alten Gedanken aus dem Kopf, Sie werden darum doch nicht klüger!«

Bent lieh sich willig zum Flügel führen. Er hielt die Hände auf den Lasten und hatte seinen sorgfältig frisierten blonden Kopf zu der Gesellschaft umgedreht, ihre Wünsche erwartend – Beethoven, Chopin, Schubert oder etwas Modernes?

Der Maler verlangte Chopin, Wiborg aber protestierte energisch gegen den Hysteriker.

»Wir bitten um Beethoven!«

Der Franzose nannte Debussy.

Marthe entschied die Sache. Er sollte dänische Musik spielen.

Da spielte er den Walzer aus dem Ballett »Eine Volkssage« und etwas aus »Peer Gynt«.

Als er sich vom Flügel erhob und zu den anderen trat, die um den Tisch vorm Sofa saßen, sah er, daß ein neuer Gast gekommen war.

Ein junges Mädchen in einem einfachen schwarzen Kleid ohne Schmuck, einen schlichten Spitzenkragen um den Halsausschnitt. Unter einer hohen Stirn mit nachdenklichen Brauen blickten die dunklen Augen eigentümlich verschleiert oder kurzsichtig, oder als ob sie geweint hätten. Man konnte sie nicht hübsch nennen, die Vase war zu klein und der Mund seltsam formlos, gleichsam unvollendet. In ihrer Haltung lag die scheue. Zurückhaltung eines Menschen, der unbeachtet bleiben möchte.

Bent verbeugte sich und sah die Wirtin fragend an. Frau Marthe verstand ihn nicht gleich, dann aber erinnerte sie sich –

»Ah richtig,« sagte sie und legte ihren Arm schützend um die Schulter des jungen Mädchens, das fast einen halben Kopf kleiner war als sie. »Sie kennen Mimi noch nicht. Sie brachte Edith zu Bett, als Sie kamen. Es ist meine Nichte, Marie Hillm – und das ist Bent Amloth, du weißt, den ich neulich im Garten der Villa Borghese wiedertraf.«

Mimi streifte ihn mit dem Blick und reichte ihm mit einem halb verlegenen, halb mürrischen Lächeln die Hand. Bent wunderte sich, daß Marthe noch nicht von ihr gesprochen hatte.

Marthe lachte: »Ich sehe Ihnen an, daß Sie bei sich denken: ›Die hat es verstanden, sich in Rom einzurichten. Mädchen, Kinderfräulein und Gesellschaftsdame, alles hat sie beisammen‹.«

»Ich wunderte mich, daß Sie eine erwachsene Nichte haben.«

»Was werden Sie erst sagen, wenn ich sie meine Pflegetochter nenne?«

Sie drückte mit einer mütterlichen Bewegung den Kopf des Mädchens gegen ihre Schulter.

»Mimi ist seit einem Jahr bei mir im Hause, ich kann sie nicht mehr entbehren, sie hat alle Tugenden, die mir fehlen, macht sich nichts aus Gesellschaften und Theater, und Edith hängt so an ihr, daß ich manchmal eifersüchtig werde.«

»Ach Unsinn!« sagte das junge Mädchen, und zog ihren Kopf zurück.

»Ist das eine Art, mir zu antworten! Und dabei habe ich die Absicht, sie zu adoptieren.«

»Lassen Sie es bei der Nichte, Frau Marthe,« sagte Bent neckend, »wenn einige Jahre vergangen sind, werden Sie es bereuen, eine so große Tochter zu haben.«

»Sie meinen also, daß es heute noch keine Gefahr hat?« Sie beugte sich vor und flüsterte ihm zu, als ob es ein großes Geheimnis sei: »Ich habe mir heute morgen ein weißes Haar ausgerissen.«

»Hat es weh getan?« sagte er teilnahmsvoll.

Sie blickte ihn mit einem unsicheren Lächeln an, ob es sein Ernst sei.

»Ich meine, das Ausreißen.«

»Mimi hat es für mich getan, und ich habe es aufbewahrt, als eine Mahnung, falls ich eines Tages vergessen sollte, daß ich schon achtundzwanzig Jahre alt bin.«

»Sie sollten es Ihrer Tochter geben, damit sie es in einem Medaillon aufbewahrt. Denn, haben Sie es nicht im Grunde ihr zu verdanken?«

»Vielleicht.«

Sie war ernst geworden und wandte sich ab. Das Mädchen kam herein mit Tee und belegten Brötchen. Nach dem Tee gab es ausgesuchte Früchte in einem sehr schönen Aufsatz von altem italienischem Porzellan, den Berti mit liebevollen Augen betrachtete; es war ein Erbstück von seinem Großvater und hatte eine Geschichte, die er zum besten gab. Frau Marthe bewachte den Aufsatz mit ängstlichen Augen. Als er geleert war, stellte sie ihn sorgsam in einen hochbeinigen Ebenholzschrank.

Dann gab es Asti spumante und Genzano, aber auch Whisky und Selterwasser, denn sie kannte Finnes Geschmack.

Das Gespräch wurde jetzt allgemein. Der Maler und Bildhauer zankten sich und scherzten abwechselnd miteinander. Sie mokierten sich über die »Stare«, wie die jungen Künstler genannt wurden, die im Frühjahr mit ihren Stipendien kamen, um in der ewigen Stadt neue Anregung zu finden.

Der Franzose erfuhr, daß der musikalische Däne und er Kollege seien. Bent benutzte die Gelegenheit, um mit seinem Französisch zu prahlen, und nahm dankend das Angebot des Franzosen an, der ihm bei erster Gelegenheit den Palazzo farnese zeigen wollte.

Es war spät geworden, de Suire und Berti brachen auf. Die anderen blieben noch eine Stunde, und der Ton wurde gemütlicher, als die Fremden gegangen waren. Der Bildhauer machte es sich auf dem Sofa bequem; er glühte von einer ganzen Flasche Genzano, die er sich zu Gemüte geführt hatte, und befand sich so wohl, daß er alle einlud, in sein Atelier zu kommen, um seine neue Arbeit zu betrachten. – »Und morgen hat er es vergessen« – flüsterte Marthe Bent zu. Der Maler lag in einem niedrigen Lehnstuhl, die langen Beine von sich gestreckt; er war beim vierten Whisky und redete unablässig in den Bart, halb mit sich selbst, halb zu den anderen.

Bent sah auf seine Uhr, es war schon nach eins, und er stand entschlossen auf.

Der Bildhauer wollte nichts von Aufbruch wissen, und der Maler verlangte, wie gewöhnlich, hinausgeworfen zu werden; er wollte nur der Macht weichen.

Mimi war so müde, daß sie ihre schweren Lider kaum aufhalten konnte, und Marthe verbarg ihr Gähnen nicht mehr.

Schließlich kam es zum Aufbruch.

»Wann sehe ich Sie wieder?« fragte Marthe an der Tür und behielt Bents Hand einen Augenblick in der ihren.

»Wann Sie wollen!« Bent beugte sich herab und führte ihre feste weiße Hand an seine Lippen, während er ihr in die großen Augen sah, die die Müdigkeit weicher, gleichsam widerstandsloser gemacht hatte.


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