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VII

In dem Monat, der seit ihrer Verlobung vergangen war, hatten Marthe und Bent sich tüchtig zusammen umgesehen. Erst in Rom und der Campagna, dann weiter draußen an den waldbekleideten Abhängen Frascatis, wo blaue Anemonen in voller Blüte am Wegsaum standen, und strenge Alleen von Steineichen und Zypressen zu alten berühmten Fürstensitzen führten, deren gelbe Fassaden weiß über die Ebene leuchteten; wo Bauern in der Sonne zwischen den Rebenstöcken gingen und den jungen Wein pflegten.

Fast war es des Frühlings zuviel gewesen, Sonne und Trockenheit begannen sie zu ermüden. Marthe blühte in der Wärme, Bent aber brauchte Schatten, um zu gedeihen. Nach den vielen Lagen der Freiheit verlangte er nach einem Ziel für die enteilenden Stunden.

Er wollte nicht nur sehen und mit den Sinnen aufnehmen, sondern auch erkennen und lernen.

Marthe machte sich nicht viel aus Kirchen und Denkmälern. Kunst, die nicht unmittelbar zu ihr sprach, verstand sie nicht. Es fiel ihr nicht ein, etwas anzuerkennen, weil Reiseführer oder Autoritäten es empfahlen; eine Reisegesellschaft, die sich wißbegierig um den belehrenden Führer drängte, forderte ihren Spott heraus. War aber ihre Empfindung getroffen, so konnte sie sich dem Eindruck leidenschaftlich hingeben und ihn dauernd bewahren.

Sie waren zum Rennen im Hippodrom, sie besuchten alle Theater, selbst dei Piccoli, Don Juan, und der Troubadur mit den Sängern vor der Bühne amüsierten sie.

Sie speisten in den großen Hotels und gingen auf Entdeckungsreisen in die Stammlokale der Einheimischen, wo man den lebenden Fisch bezeichnet, den man essen will, und sich das Kotelett aus der Auslage im Fenster wählt.

Zu Bents Kummer hatte Marthe keinen Sinn für Musik, und er vermochte ihn nicht zu wecken. Wie gern hätte er sie zu den Mittwochs- und Sonntagskonzerten im Augusteum geführt, wo Roms bestes Orchester unter den berühmtesten Dirigenten spielte. Nur einmal gelang es ihm, sie zu einem Konzert des alten Pachmann zu locken, der mit dem Publikum zu plaudern pflegte, während er am Flügel saß und seine Stücke vortrug, wie im engsten Kreis zur Dämmerstunde. Wem es gelang, sich an die Tribüne heranzudrängen, der konnte wohl auch einen Händedruck oder gar einen Kuß erobern.

Es war ein kostspieliger Monat gewesen. Doch als die Kammerherrin Bents offizielle Verlobungsanzeige erhielt, sandte sie ihren holdseligsten Segen und erhöhte, mit feinem Verständnis für das, was die neue Lage von ihrem Neffen forderte, der sich nun endlich dem Ernst des Lebens hingegeben zu haben schien, seinen Kredit großzügig und unverweilt – es ließ sich nicht leugnen.

Und dennoch –

Wiborg fühlte sich als Vater der Partie und gab – was noch niemand erlebt hatte – einen Empfang zu Ehren des Brautpaares in seinem Atelier, zwischen Nymphen und Faunen. de Suire überraschte alle durch seine unverblümte Herzlichkeit, als er Marthe und Bent gratulierte. Er zog sich nicht zurück – was Marthe mit heimlichem Bedauern erwartet hatte – im Gegenteil, er kam eher noch häufiger als früher, hielt sich aber bescheiden im Hintergrund, mit einer leisen Wehmut in der Stimme und resigniertem Blick, die ihm gut standen und selbst Bent eroberten.

Und dennoch –

Bent begann zu ermüden. Er ertappte sich selbst darauf, daß er nach Arbeit verlangte. Dabei dachte er freilich mehr an seine Musik. Mußte er doch die Jahresfrist ausnutzen, die ihm eingeräumt war, bevor der »Ernst des Lebens« beginnen sollte.

Der »Bourgois«, wie er es selbst nannte, empörte sich gegen dieses spielende, flatternde Leben.

Als er zum erstenmal mit Marthe davon sprach, lachte sie ihn aus. Das zweite Mal wurde sie ärgerlich und nannte ihn »Kontormensch« und »Pedant«. Dann behielt er es für sich.

Wenn Marthe sich entfaltete, war sie strahlend und bezauberte jeden, wie sie auch ihn bezaubert hatte. Daheim aber, an den wenigen Abenden, die sie zu Hause zubrachten, gestand sie mit der ihr eigenen Offenheit, daß sie sich langweile.

Bent wunderte sich im stillen über Marthes Verhältnis zu ihrem Kinde. Sie liebte es, Edith zu putzen. Nichts war schön genug für sie, sie spielte mit ihr, als sei sie selbst ein ausgelassenes Kind; alle Arbeit aber, alles das, was in der Erziehung und Pflege eines Kindes ermüdet, war ihr eine Pein. Bei ihrer Nichte war es gerade umgekehrt. Die verwöhnte Edith nicht, und nur selten spielte sie mit ihr. Hand und Auge aber wachten beständig über der Kleinen; man konnte sehen, daß sie das Kind liebte, als sei es ihr eigenes. Wenn Marthe mit Edith abends noch vorm Schlafengehen lärmte, obgleich das Kind leicht erregbar war und zu Fieber neigte, dann sah Bent Mißbilligung in ihren seltsamen Augen.

»Edith!« rief sie eines Abends und wollte das Kind mit sich nehmen; aber weder Mutter noch Kind ließen sich im Spielen stören. Da sah sie Bent mit einem so vertraulich beistandheischenden Blick an, daß er sich erstaunt im Stuhl aufrichtete. Bisher hatten sie nur ganz alltägliche Worte miteinander gewechselt, er hatte ihr kaum einen Gedanken geopfert, und plötzlich war es, als kenne sie seine geheimsten Gedanken. Errötend schlug er den Blick nieder und beeilte sich zu Marthe zu sagen:

»Die Uhr ist nach zehn, findest du nicht, daß es Zeit ist, daß Edith ins Bett kommt?«

»Wie rührend einig ihr euch seid!« sagte Marthe und blickte von Mimi zu ihm, mit Augen, die vom Spiel strahlten. Darauf richtete sie sich auf, gab dem Kinde einen Kuß und glättete ihr Kleid.

Mit dem unbeirrbar sicheren Instinkt ihres Alters zog es Edith in allen Verlegenheiten, in Kummer und Not zu Mimi, als sei sie ihre Mutter. Wenn Marthe zu Hause war, war es wohl ein Fest, der Alltag aber gehörte Mimi. Sie kleidete Edith an und aus, brachte sie zu Bett, gab ihr zu essen und ging mit ihr spazieren. Wenn Marthe dem Kinde, wie es ihre Gewohnheit war, etwas Schönes mitbrachte, so flog die Kleine ihr zwar um den Hals, aber dann teilte sie ihre Freude mit Mimi, während Marthe mit leeren Händen unbeachtet daneben saß. Ehrlich mußte Marthe sich gestehen, daß sie daran selbst die Schuld trug.

»Fast könnte man glauben, daß es dein Kind sei und nicht meins!« sagte sie und ging mit einem Lächeln darüber hin; und dann besprach sie mit Bent, was am nächsten und übernächsten Tag vorgenommen werden solle.

Sie waren übereingekommen, bis Mitte Mai in Rom zu bleiben, so lange währte Marthes Mietsvertrag. Bis dahin würde auch der Gesandte zurückgekehrt und Bents Dienst in der Gesandtschaft beendet sein. Dann wollten sie nach Hause reisen und heiraten – Marthes Wohnung stand fix und fertig und wartete auf sie – und dann den Rest des Urlaubs in der Schweiz und an den italienischen Seen verbringen. Marthe hatte die Absicht, Edith mit Mimi in ihrer Wohnung in Kopenhagen zurückzulassen. Es war zu beschwerlich und auch zu teuer, Kind und Kinderfräulein bei sich zu haben, wenn man von Hotel zu Hotel übersiedelte, obendrein auf Hochzeitsreise.


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