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Marthe erregte auf dem Korso Aufsehen durch ihre nordische Freimütigkeit. Sie bewegte sich, als ob der Fußsteig ihr gehöre, und sprach, als wäre sie bei sich daheim.
Was ihr gefiel, musterte sie mit einer Offenheit, die die Römer verblüffte, die an verstohlene Seitenblicke und unterdrücktes Lächeln in den Mundwinkeln gewöhnt waren. Hier war eine Frau mit offenem Visier, die die Augen nicht niederschlug bei einem kühnen Blick aus einem scharfgeschnittenen unternehmenden Offiziersgesicht. Die Kavaliere konnten aber mit Erstaunen bemerken, daß sie ihr Pulver umsonst verschossen hatten. Man drehte sich nach ihr um, blieb vor Ladenfenstern stehen, um sie herankommen zu lassen, ihr noch einmal zu begegnen und im Vorbeigehen die diskrete Berührung zu versuchen, die, durch die Enge des Fußsteiges, der starke Verkehr und das südländische Temperament zu einem natürlichen Moment im südländischen Straßenflirt gemacht hat.
Bent und de Suire wetteiferten darin, ihre Begleiter zu sein. Die kritische Musterung, die neidischen Blicke, die ihnen zuteil wurden, belustigten sie.
Bent hatte den Vorzug, ihr Landsmann und ein alter Bekannter zu sein. Marthe fand es beschwerlich, immer französisch zu sprechen, und so nahm Bent nach und nach seinen Platz ein.
Sie fuhren zusammen zum Konzert auf dem Pincio, tranken ihren Nachmittagstee auf dem Piazza di Spagna bei Babingtong, in dessen engen, altmodisch-behaglichen Räumen die römische Jugend aus der Beamten- und Geschäftswelt verkehrt und die Fremden mustert.
de Suire grüßte vertraulich, wenn sie sich begegneten, und änderte seine kollegial-freundschaftliche Haltung nicht; Bent aber erfuhr, daß er sich in den Vormittagsstunden revanchierte, wenn Marthe dem Maler sah. Während Bent in der Gesandtschaft war, sorgte de Suire dafür, daß Marthe den lachenden und interessierten Gesichtsausdruck behielt, den Finne auf seinem Bild wiedergeben wollte. Bent ärgerte sich darüber, denn es nützte nichts, daß er seine Arbeitsstunden auf der Gesandtschaft umlegte, der Maler machte keine Miene, »den musikalischen Attaché«, wie er Bent nannte, einzuladen.
Marthe ließ sich von beiden den Hof machen und lud sie gelegentlich mit einigen anderen zu einem gemütlichen Abend bei sich ein.
Es machte ihr Spaß, Bent zu examinieren, was er von Rom gesehen, als sei es ein Kursus, den er durchmachen müsse. Sie stellte ihm Aufgaben, und er bat sie, sein Cicerone zu sein. »Wenn ich nur Zeit hätte –« seufzte sie, indem sie die bekümmerte Miene einer Hausfrau schauspielerte – und alle lachten.
»Daß Sie noch nicht auf dem Forum gewesen sind!« sagte sie eines Vormittags, als er mit Absicht ihren Weg vom Atelier nach Hause gekreuzt hatte.
»Führen Sie mich hin!« bat er.
Auf dem Piazza Barberini nahmen sie einen Wagen und fuhren in dem wunderbaren Frühjahrswetter bis zum Eingang, gingen mit dem Baedeker in der Hand herum, bis sie zu dem Tempel und Haus der Vestalinnen gelangten.
Marthe ließ sich auf der Mauerkante nieder und betrachtete die Statuen der streng verhüllten Priesterinnen, während Bent aus dem Reiseführer vorlas. Sie zog ihre Hacke aus, lehnte den Kopf zurück und schloß die Lider halb bei dem blendenden Licht, das von den weißen Steinen reflektierte. Eine grüne Eidechse huschte über das ausgetrocknete Bassin zwischen den Statuen. Der Himmel war matt und blau, so hatte sie ihn noch nie gesehen, – seltsam stofflich, wie eine schwere fliegende Masse, aus der Wärme herabsickerte.
Sie legte ihre unbeschuhte Hand auf die Mauer, um sich gegen eine Mattigkeit zu wehren, die plötzlich über sie kam, zog sie aber mit einem Schrei zurück: der Stein war glühend heiß.
Bent blickte von dem Fußstück, worauf er saß, zu ihr auf; sie lächelte ihn an, den Blick vor Wärme verschleiert. Unter dem großen hellgrünen Schleier des Sommerhutes erschien ihr Gesicht runder, kindlicher; ihr matter Teint hatte einen rosa Schimmer bekommen.
»Weiterlesen!« sagte sie, von seinem Blick verwirrt.
Er trocknete sich die heiße Stirn und las weiter. Da fühlte er ihren Blick auf seinem sonnengebräunten, gebeugten Nacken. Das Herz fing ihm an zu klopfen, kaum konnte er seine Stimme beherrschen.
»Von ihrem sechzehnten bis zu ihrem dreißigsten Jahr war sie ein Opfer der Keuschheit, sie durfte den Tempel nur an besonderen Festtagen verlassen, und brach sie das Keuschheitsgelübde, wurde sie lebendig begraben.«
Es durchschauerte sie; er fühlte es in seiner Schulter, hie ihrem Arm ganz nahe war.
Er wandte den Kopf zu ihr, drückte einen Kuß auf ihre warme Hand, die matt herabhing, und hastig mehrere bebende Küsse auf das weiße Handgelenk, durch das eine blaue Ader schimmerte.
Sie lieh es geschehen, nachgiebig oder überrumpelt, er wußte es selbst nicht recht. Dann sprang sie auf und schüttelte ihr Kleid.
»Hier ist es anscheinend zu warm!« lachte sie.
Ihre Stimme klang seltsam tief.
Sie ging voran. An ihrem schweren Gang sah er, wie müde die Wärme sie gemacht hatte.
Nein, sie ist nicht mein Typ, dachte er bei sich, sie ist zu groß und hochschultrig. Er fühlte Harriets zarten Frauenkörper gegen den seinen, ihre brennenden Lippen auf seinem Mund. Und dennoch.
Es kommt von der Sonne, dachte er und atmete tief.
Darauf eilte er an Marthes Seite, schob seinen Arm vertraulich unter den ihren und lud sie zum Frühstück in einem hübschen Restaurant in der Nähe ein.
Marthe hatte ihr Gleichgewicht wiedererlangt. Während sie überlegte, welches Restaurant sie wählen sollten, betrachtete sie ihn mit ihren lachenden Augen, die ihn zu necken schienen.
»Ich weiß, was wir machen! Wir fahren nach Cesari, das ist fast auf dem Lande, und von dort hat man die herrlichste Aussicht über den Palatin.«
»Aufs Land hinaus?«
»Man fährt nur eine Viertelstunde.«
Als sie über die Via dei Cerchi fuhren, die staubig und weiß in der Sonne lag, wurden sie angerufen.
Auf dem Fußsteig stand Professor Wiborg und schwang seinen großen weihen Filzhut.
Sie winkten ihm zu und machten Miene anzuhalten; er aber rief hinter seiner hohlen Hand zu ihnen hinüber:
»Lassen Sie sich das Frühstück gutschmecken!«
»Woher weiß er?«
»Er ist wohl auch einmal jung gewesen,« sagte sie und sah ihn lächelnd an.
»Und vergnügt und hungrig.«
Im selben Augenblick ertönte der Kanonenschuß von Janiculo, und von allen Kirchen Roms schlug die Uhr 12.
Einige Tage später lief Bent Professor Wiborg in die Arme, als er aus dem Postamt kam.
»Nun, Verehrtester, wie gefällt es Ihnen?« fragte der Professor und betrachtete ihn aufmerksam.
»Rom.«
Bent äußerte sich in begeisterten Worten.
Wiborg erfreute sich an seiner Jugend und seiner Genußfähigkeit. Er selbst liebte Rom und begegnete nie einem Landsmann, ohne die Gelegenheit zu benutzen, die Erinnerung an den Glanz seines ersten Eindrucks aufzufrischen. Es war ihm eine eigen wehmütige Freude, und er unterließ nie zu erzählen, wieviel schöner Rom damals gewesen sei, als er es zum erstenmal gesehen.
Sie gingen zusammen bis zur Sistina. Wiborg sprach von Marthe.
»Wenn nur der Franzose sie nicht für sich gewinnt!« sagte er ärgerlich. »Wissen Sie, daß er immer bei dem Maler herumlungert, wenn sie sitzt?«
»Ja,« sagte Bent. »Finne aber hat ihn selbst darum gebeten, damit sie den interessierten Ausdruck bekommt, den er festhalten will.«
»Das sieht ihm ähnlich. Warum benutzt er dazu nicht Sie?«
Bent lachte etwas verlegen. Er hatte es selbst schon oft gedacht und sich darüber geärgert.
Sie hatten Professor Wiborgs Haus in Cabo le Case erreicht. Er drückte Bent kräftig die Hand und sagte:
»Sie wäre doch die Rechte für einen jungen Diplomaten wie Sie, der andere will nur ihr Geld.«
»Will mirs überlegen,« lachte Bent und zog seine Hand zurück.
»Aber beeilen Sie sich, sonst ist es zu spät!«
Gerade die Rechte für mich – Bent lächelte vor sich hin. Ha, gerade die Rechte für seine Tante. Gute Familie, Vermögen, jung und hübsch, mit Erfahrungen. Man würde sie mit offenen Armen empfangen.
Da mußte er an Harriet denken und wurde ernst; er hätte ihre Antwort schon vor drei Tagen, haben können.