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I

Eine ganze Seite leer, und die dritte nur halb beschrieben – nicht eine einzige Zeile, die von einem sehnsuchtsvollen Herzen sprach!

Das also war der Liebesbrief, nach dem er sich so sehr gesehnt, daß er vom Bahnhof aus, mit seinem ganzen Gepäck, den langen Umweg zur Hauptpost in San Silvestro gemacht hatte.

Jetzt sitzt er in seinem Auto und fühlt sich so verlassen, so armselig, als ob er es sei, der allein in dem kleinen Hotelzimmer zurückgeblieben war, und nicht sie.

Heute vor einer Woche hatten sie sich Lebewohl gesagt, in dem halbdunklen Zimmer an der Tür, er fühlt noch ihre warmen Lippen auf seinem Mund, und den Druck des zarten gespannten Mädchenkörpers gegen den seinen. Dann hatte sie ihn von sich gedrängt: »genug – leben Sie wohl …«

Enttäuscht, gekränkt blickt er die leere Seite an, die ihm in Roms Morgensonne spöttisch entgegenlacht.

Ist eine Laune ihres veränderlichen Gemüts darin verborgen?

»Sieh und lies – hier steht alles, was man weder sagen noch schreiben kann. Aber du weißt ja, was es ist. Füll die Seite also mit deinen Erinnerungen aus!«

Er liest den Brief noch einmal, dreht und wendet ihn hin und her, – nein, etwas Verstecktes kann er nicht darin finden.

»Dear Mr. Amloth« – so fängt er an; wie kühl das klingt!

Dann erzählt sie von der alten Miß Bush – »ich glaube, sie vermißt Sie sehr beim Nachmittagstee – mehr als ich«.

Die entzückende Dämmerstunde beim knisternden Kaminfeuer, der Widerschein des Sonnenuntergangs im Spiegel über dem Gesims und die Glocken von Saint Sulpice, während Miß Bush mit Tee und heißem Wasser und den kleinen Kuchen hin und her geht – » Do take another one, Mr. Amloth« – und die Küsse hinter ihrem Rücken, die heimlichen Händedrücke, all die bezaubernden gestohlenen Minuten – sie entbehrt sie also nicht! …

Dann folgt Pensionsklatsch – und daß sie mit Miß Deen zusammen Napoleons Grab besucht hat – » such a lovely day« –.

Der Teufel hole Miß Deen und Napoleons Grab –

Nicht ein inniges Wort. Nicht ein Funken, der zu ihm überspringen und zünden könnte.

Und sie will Künstlerin sein! Seit zwei Jahren hat sie auf dem lustigen Mont Parnasse in der Malerschule studiert!

Er betrachtet die kleinen launenvollen Buchstaben, die rund und doch so spitz sind, seltsam, und er fragt bis ins tiefste Herz gedemütigt:

»Sollte sie eine andere sein, als ich geglaubt habe?«

Er schließt die Augen und fühlt von neuem ihre brennenden Hände, die weichen Handflächen, sieht die braunen Augen vor sich mit der samtnen Dunkelheit des Stiefmütterchens, das schmale Gesicht mit der geraden römischen Rase, das schwarze, von einem Kamm aus der weißen Stirn zurückgestrichene Haar und den von verhaltener Leidenschaft geprägten Mund.

Sie sahen zusammen am Kamin. Die Flammen spiegelten sich in den Spangen ihrer Schuhe, und der Schein brach sich in ihren Augen. Um die schwarzen Punkte der Pupillen lag die Iris mit grünem Schimmer – ihr Blick wurde starr, und sie legte keinen Wert mehr darauf, ihr Innerstes zu verbergen.

Harriet – hast du vergessen, was du stammeltest, wenn das Licht in meinem Zimmer erloschen war und nur ein leichter Schein aus dem Kamin zuckte? Oder hast du die Worte nie bewußt gesprochen? Wie wäre es sonst möglich, daß du also schließen kannst:

»Bisweilen ist es mir, als hätten wir uns nie gekannt, als wären die letzten drei Wochen nur ein Traum. Seltsam müßte es sein, wenn wir uns plötzlich wiedersehen würden.«

Das ist alles. Und dann die Unterschrift:

» Believe me yours very sincerely

Harriet O'Kennell.«

Wie man einem alten verehrten Lehrer schreibt.

Ist das jetzt Mode? Schreibt ein junges irisches Mädchen so an ihren Liebhaber?

Vielleicht. Was weiß er mit seinen zweiundzwanzig Jahren von Liebe? Er ist nie in der Welt gewesen und hat bisher nur in der Sprache seiner Heimat geliebt.

Bevor Bent Amloth die Via Sistina erreichte, war er entschlossen, Harriets Verleugnung auf ihre Wahrheit zu prüfen.

Nur gut, wollte er schreiben, daß sie ihn nicht entbehrte. Er sei dem Banne Roms verfallen, und sicher würde es lange dauern, bis sie ihn wieder zu sehen bekäme. » Believe me yours very sincerely – Bent Amloth.«

Mit diesem Entschluß kehrte ihm sein Selbstvertrauen zurück; als ihm aber auf der Treppe des Hotels zwei junge englische Damen mit ihren Malkästen begegneten, durchzuckte ihn der Schmerz von neuem. Die jungen Damen musterten ihn mit einem hastigen Blick ihrer klaren Augen, und der vertraute Klang ihrer Sprache weckte in dem eben Angekommenen Heimweh.

Als er aber das bestellte Zimmer in Besitz genommen und die Türen zum Balkon geöffnet hatte, da waren Harriet und der Brief, seine Enttäuschung und sein Vorsatz vergessen.

Da lag Rom in der Morgensonne, unter der königlichen Wölbung des Himmels.

Noch schwebte weißer Dunst verwehend über den Häusern.

Zinnen und Dächer, Kuppeln und Türme, Rauch aus schlanken Schornsteinen zwischen Weinlaub und Efeu und Feigenbäumen. Dazwischen flatterte weiße Wäsche, und ein Hahn begrüßte flügelschlagend die Sonne.

Durch die Hochebene der Dächer zieht die Via Condotti wie eine Schlucht. In ihrer Tiefe dämmert der Tag der Stadt. Eine Straßenbahn bimmelt, ein Droschkenpferd klappert über das Pflaster. Irgendwo in der Nähe girren Tauben. Auf dem Platz schmettert ein junger Blumenhändler sein Lied, während er Tacetten und Veilchen mit feinem Bast zu Sträußen bindet.

Rechts heben sich die gelben Glockentürme der S. Trinita de Monti über die hohe Steintreppe. Eine breite Allee längs einer beschatteten Gartenmauer führt zu einer Schloßfassade, die sich über dunklen Steineichen und Dächern erhebt. Das muß die französische Akademie sein. Hinter dem Schloß schimmert das matte Grün von Pinien und Zypressen, scharf gegen den blauen Himmel abgesetzt.

Fern im Norden runden sich die zart verschleierten Umrisse einer sanften Anhöhe. Und dort drüben links schwimmt ein Kuppelberg auf dem Nebel. Jetzt gewinnt er langsam, ganz langsam durch das zunehmende Licht Form und Farbe.

Aber der Berg ist Menschenwerk! Er hebt sich und streckt wie im Gebet das Kreuz allbeherrschend zum Himmel. Sankt Peter – die Hymne an das ewige Licht. Mächtig und ruhevoll wölbt die Kirche ihr schlichtgewaltiges Thema über den Chor der hundert Türme empor.


Es ist die Stadt, die auf den Gräbern der Völker erbaut und von Tausenden von Generationen, denen Gott wohlgetan, bewahrt wurde, während spätere Geschlechter, die die Sünden der Väter trugen, sie verheerten.

Es ist die ewige Stadt, weil sie den Ring des Lebens schließt, der ewig neue Ringe gebiert, vom Willen des Guten und vom Willen des Bösen erschaffen. Hier ist Stein auf Stein zur ewigen Erinnerung geschichtet. Der Lichträuber Prometheus ist hier zwischen sieben Höhen festgeschmiedet, und Menschen kommen, um ihre Fackeln an seinem Feuer zu entzünden, Adler, um seinen Körper zu genießen. Es ist die Perle der Menschheit, aus einem Sandkorn der Ewigkeit in der Ländermuschel zwischen zwei Meeren gewirkt.


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