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An das Ende der Ordnung stellen wir die Hasen ( Leporina ), eine so ausgezeichnete Familie, daß man dieser den Werth einer Unterordnung ( Leporida ) zuspricht. Sie sind die einzigen Nager, welche mehr als zwei Vorderzähne haben; denn hinter den scharfen und breiten Nagezähnen stehen zwei wirkliche Schneidezähne, kleine, stumpfe, fast vierseitige Stifte. Hierdurch erhält das Gebiß ein so eigenthümliches Gepräge, daß die Hasen geradezu einzig dastehen. Fünf bis sechs, aus je zwei Platten zusammengesetzte Backenzähne finden sich außerdem in jedem Kiefer. Die Wirbelsäule besteht außer den Halswirbeln aus 12 rippentragenden, 9 Lenden-, 2 bis 4 Kreuz- und 12 bis 20 Schwanzwirbeln. Die allgemeinen Kennzeichen der Hasen sind: gestreckter Körper mit hohen Hinterbeinen, langer, gestreckter Schädel mit großen Ohren und Augen, fünfzehige Vorder- und vierzehige Hinterfüße, dicke, höchst bewegliche, tief gespaltene Lippen mit starken Schnurren zu beiden Seiten und eine dichte, fast wollige Behaarung.
So wenig Arten die Familie auch enthält, über einen um so größeren Raum der Erde ist sie verbreitet. Mit alleiniger Ausnahme Neuhollands und seiner Inseln beherbergen alle Erdtheile Hasen. Sie finden sich in allen Klimaten, in Ebenen und Gebirgen, in offenen Feldern und Felsenritzen, auf und unter der Erde, kurz überall, und wo die eine Art aufhört, beginnt eine andere, die Gegend, welche von dieser nicht ausgebeutet wird, besitzt in einer anderen einen zufriedenen Bewohner. Alle nähren sich von weichen, saftigen Pflanzentheilen; doch kann man sagen, daß sie eigentlich nichts verschonen, was sie erlangen können. Sie verzehren die Pflanzen von der Wurzel bis zur Frucht, wenn sie auch die Blätter niederer Kräuter am liebsten genießen. Die meisten leben in beschränktem Grade gesellig und halten sehr treu an dem einmal gewählten oder ihnen zuertheilten Standorte fest. Hier liegen sie den Tag über in einer Vertiefung oder Höhle verborgen, des Nachts dagegen streifen sie umher, um ihrer Nahrung nachzugehen. Sie ruhen, streng genommen, bloß in den Mittagsstunden und laufen, wenn sie sich sicher fühlen, auch morgens und abends bei hellem Sonnenscheine umher. Ihre Bewegungen sind ganz eigenthümlicher Art. Die bekannte Schnelligkeit der Hasen zeigt sich bloß während des vollen Laufes; beim langsamen Gehen bewegen sie sich im höchsten Grade ungeschickt und tölpelhaft, jedenfalls der langen Hinterbeine wegen, welche einen gleichmäßigen Gang erschweren. Doch muß man zugestehen, daß sie mit vielem Geschicke Wendungen aller Art auch im tollsten Laufe machen können und eine Gewandtheit offenbaren, welche man ihnen nicht zutrauen möchte. Das Wasser meiden sie, obwohl sie im Nothfalle über Flüsse gehen. Unter ihren Sinnen steht unzweifelhaft das Gehör oben an: es erreicht hier eine Ausbildung, wie bei wenig anderen Thieren, unter den Nagern unzweifelhaft die größte; der Geruch ist schwächer, doch auch nicht übel, das Gesicht ziemlich gut entwickelt. Die Stimme besteht aus einem dumpfen Knurren, und bei Angst in einem lauten, kläglichen Schreien. Die zur Familie gehörenden Pfeifhasen bethätigen ihren Namen. Unterstützt wird die Stimme, welche man übrigens nur selten hört, durch ein eigenthümliches Aufklappen mit den Hinterbeinen, welches ebensowohl Furcht als Zorn ausdrücken und zur Warnung dienen soll. Ihre geistigen Eigenschaften sind ziemlich widersprechender Art. Im allgemeinen entsprechen die Hasen nicht dem Bilde, welches man sich von ihnen macht. Man nennt sie gutmüthig, friedlich, harmlos und feig; sie beweisen aber, daß sie von alledem auch das Gegentheil sein können. Genaue Beobachter wollen von Gutmüthigkeit nichts wissen, sondern nennen die Hasen geradezu boshaft und unfriedlich im höchsten Grade. Allbekannt ist ihre Furcht, ihre Aufmerksamkeit und Scheuheit, weniger bekannt die List, welche sie sich aneignen und mit zunehmendem Alter auf eine wirklich bewunderungswürdige Höhe steigern. Auch ihre Feigheit ist nicht so arg, als man glaubt. Man thut ihnen jedenfalls Unrecht, wenn man diese Eigenschaft so hervorhebt wie Linné, welcher den Schneehasen für ewige Zeiten mit dem Namen eines Feiglings gebrandmarkt hat. Ein englischer Schriftsteller sagt sehr treffend, daß es kein Wunder ist, wenn die Hasen sich feig zeigen, da jeder Leopard, jeder Tiger und Löwe sein Heil in der Flucht suchen würde, wenn zwanzig, dreißig Hunde und wohlbewaffnete Jäger ihn während seiner Ruhe aufsuchen und mit ähnlichem Blutdurst verfolgen wollten, wie wir die armen Schelme.
Wenn auch die Vermehrung der Hasen nicht so groß wie bei anderen Nagern ist, bleibt sie doch immerhin eine sehr starke, und der alte Ausspruch der Jäger, daß der Hase im Frühjahre selbander zu Felde ziehe und im Herbste zu sechzehn zurückkehre, hat an Orten, wo das Leben unserem Lampe freundlich lacht und die Verfolgung nicht allzu schlimm ist, seinen vollen Werth. Die meisten Hasen werfen mehrmals im Jahre, manche drei bis sechs, ja, bis elf Junge; fast alle aber behandeln ihre Sprößlinge in einer überaus leichtsinnigen Weise, und daher kommt es, daß so viele von diesen zu Grunde gehen. Außerdem stellt ein ganzes Heer von Feinden dem schmackhaften Wildpret nach, in jedem Erdtheile andere, aber in jedem gleich viele. Für unser Deutschland hat Wildungen die Feinde in einem lustigen Reim zusammengestellt, den ich hiermit als besten Beweis der Menge anführen will:
»Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse,
Katzen, Marder, Wiesel, Füchse,
Adler, Uhu, Raben, Krähen,
Jeder Habicht, den wir sehen,
Elstern auch nicht zu vergessen,
Alles, alles will ihn – fressen.«
Kein Wunder, daß bei einer solchen Masse von Feinden die Hasen sich nicht so vermehren, als es sonst geschehen würde – ein Glück für uns, daß dem so ist; denn sonst würden sie unsere Feldfrüchte rein auffressen. In allen Gegenden, wo sie stark überhand nehmen, werden sie ohnehin zur Landplage.
Die Kennzeichen der Hasen ( Lepus) liegen in den kopflangen Ohren, den verkürzten Daumen der Vorderpfoten, den sehr langen Hinterbeinen, dem aufgerichteten Schwanzstummel und den sechs Backenzähnen in der Oberkieferreihe.
Lampe, der Feldhase ( Lepus vulgaris , europaeus, campicola, caspius, aquilonius, medius, fälschlich auch L. timidus genannt), ein derber Nager von 75 Centim. Gesammtlänge, wovon nur 8 Centim. auf den Schwanz kommen, 30 Centim. Höhe und 6 bis 9 Kilogramm Gewicht, ist der bei uns heimische Vertreter dieser Sippe. Die Färbung seines Balges ist mit wenig Worten schwer zu beschreiben. Der Pelz besteht aus kurzen Wollen- und langen Grannenhaaren; erstere stehen sehr dicht und sind stark gekräuselt, die Grannen stark, lang und auch etwas gekräuselt. Das Unterhaar ist auf der Unterseite der Kehle rein weiß, an den Seiten weiß, auf der Oberseite weiß mit schwarzbraunen Enden, auf dem Oberhalse dunkelroth, im Genicke an der Spitze weiß, das Oberhaar der Oberseite grau am Grunde, am Ende braunschwarz, rostgelb geringelt; doch finden sich auch viele ganz schwarze Haare darunter. Hierdurch erhält der Pelz eine echte Erdfarbe. Er ist auf der Oberseite braungelb mit schwarzer Sprenkelung, am Halse gelbbraun, weißlich überlaufen, nach hinten weißgrau, an der Unterseite weiß. Nun ändert die Färbung auch im Sommer und Winter regelmäßig ab, und die Häsin sieht röther aus als der Hase; es kommen verschiedene Abänderungen, gelbe, gescheckte, weiße Hasen vor, kurz, die Färbung kann eine sehr mannigfache sein. Immer aber ist sie vortrefflich geeignet, unseren Nager, wenn er auf der Erde ruht, den Blicken seiner Gegner zu entrücken. Schon in einer geringen Entfernung ähnelt die Gesammtfärbung der Umgebung so, daß man den Balg nicht von der Erde unterscheiden kann. Die jungen Hasen zeichnen sich häufig durch den sogenannten Stern oder eine Blässe auf der Stirn aus; in seltenen Fällen tragen sie diese Färbung auch in ein höheres Alter hinüber.
Lampe führt mehrere Namen, je nach Geschlecht und Vorkommen. Man unterscheidet Berg- und Feldhasen, Wald- und Holzhasen, Grund-, Sumpf- und Moorhasen, Sandhasen etc. Der alte männliche Hase heißt Rammler, der weibliche Häsin oder Satzhase; unter Halbwüchsigen versteht man die Jungen, unter Dreiläufern die, welche drei Viertel ihrer vollkommenen Größe erreicht haben. Die Ohren heißen in der Waidmannssprache Löffel, die Augen Seher, die Füße Läufe; das Haar wird Wolle, der Schwanz Blume, die Haut Balg genannt. Im übrigen wendet man auf sein Leben noch folgende Ausdrücke an. Der Hase äst sich oder nimmt seine Weide, er sitzt oder drückt sich, er rückt ins Feld, um Aesung zu suchen, und ins Holz, um zu ruhen, er fährt ins Lager oder in die Vertiefung, in welcher er bei Tage schläft, und fährt aus derselben heraus. Er wird von den Menschen aufgestoßen, von den Hunden aufgestochen; er rammelt, die Häsin setzt; er ist gut oder schlecht; er klagt, verendet, wird ausgeweidet und gestreift etc.
Ganz Mitteleuropa und ein kleiner Theil des westlichen Asiens ist die Heimat unseres Hasen. Im Süden vertritt ihn der Hase des Mittelmeeres, eine verschiedene Art von geringer Größe und röthlicher Färbung, auf den Hochgebirgen der Alpen-, im hohen Norden der Schneehase, welcher vielleicht eine von dem Alpenhasen verschiedene, jedenfalls aber sehr ähnliche Art ist. Seine Nordgrenze erreicht er in Schottland, im südlichen Schweden und in Nordrußland, seine Südgrenze in Südfrankreich und Norditalien. Fruchtbare Ebenen mit oder ohne Gehölze und die bewaldeten Vorberge der Gebirge sind die bevorzugten Aufenthaltsorte; doch steigt er in den Alpen bis zu einer Höhe von 1500 Meter über dem Meere und im Kaukasus bis zu 2000 Meter empor. Er zieht gemäßigte den rauhen Ländern entschieden vor, und wählt aus Liebe zur Wärme Felder, welche unter dem Winde liegen und gedeckt sind. Versuche, die man angestellt hat, ihn nach dem Norden zu verpflanzen, sind fehlgeschlagen. Alte Rammler zeigen sich weniger wählerisch in ihrem Aufenthaltsorte als die Häsinnen und Junghasen, lagern sich oft in Büschen, Rohrdickichten und hochgelegenen Berghölzern, während jene in der Wahl ihrer Lager immer sehr sorgfältig zu Werke gehen.
»Im allgemeinen«, sagt Dietrich aus dem Winckell, dessen Lebensschilderung Lampes ich für die gelungenste halte, »ist der Hase mehr Nacht- als Tagthier, obwohl man ihn an heiteren Sommertagen auch vor Untergang der Sonne und noch am Morgen im Felde umherstreifen sieht. Höchst ungern verläßt er den Ort, an welchem er aufgewachsen und groß geworden ist. Findet er aber in demselben keinen anderen Hasen, mit dem er sich paaren kann, oder fehlt es ihm an Aesung, so entfernt er sich weiter als gewöhnlich. Aber der Satzhase kehrt, wenn die Paarungszeit herannaht, wie der Rammler zur Herbstzeit wieder nach der Geburtsstätte zurück. Fortwährende Ruhe hält ihn besonders fest, fortgesetzte Verfolgung vertreibt ihn für immer. Der Feldhase bewohnt größtenteils die Felder und verläßt sie, wenn es regnet. Wird das Stück, in welchem er seine Wohnung gebaut hat, abgehauen, so geht er an einen anderen Ort, in die Rüben-, Saat-, Krautfelder etc. Hier, überall von kräftiger Aesung umgeben, schwelgt er im Genusse derselben. Alle Kohl- und Rübenarten sind ihm Leckerspeise. Der Petersilie scheint er besonderen Vorzug zu geben. Im Spätherbste wählt er nicht zu frische Sturzäcker, nicht zu feuchte, mit Binsen bewachsene Vertiefungen und Felder mit Oelsaat, welche nächst dem Wintergetreide den größten Theil seiner Weide ausmacht. So lange noch gar kein oder wenig Schnee liegt, verändert er seinen Wohnort nicht; nur bei Nacht geht er in die Gärten und sucht den eingeschlagenen und aufgeschichteten Kohl auf. Fällt starker Schnee, so läßt er sich in seinem Lager verschneien, zieht sich aber, sobald das Unwetter nachläßt, in die Nähe der Kleefelder. Bekommt der Schnee eine Eisrinde, so nimmt der Mangel immer mehr überhand, und je mehr dies geschieht, um so schädlicher wird der Hase den Gärten und Baumschulen. Dann ist ihm die Schale der meisten jungen Bäume, vorzüglich die der Akazie und ganz junger Lärchen sowie der Schwarzdorn, ebenso willkommen wie der Braunkohl. Vermindert sich durch Thauwetter der Schnee, oder geht er ganz weg, so zieht sich der Hase wieder zurück, und dann ist grünes Getreide aller Art seine ausschließliche Weide. Bis die Wintersaat zu schossen anfängt, äst er diese; hierauf rückt er vor Sonnenuntergang oder nach warmem Regen etwas früher aus und geht ins Sommergetreide. Auch diese Saat nimmt er nicht an, wenn sie alt wird, bleibt aber in ihr liegen, besucht abends frisch gepflanzte Krautfelder, Rübenstücke u. dgl. Der Buschhase rückt nur abends auf die Felder und kehrt morgens mit Tagesanbruch oder bald nach Sonnenaufgang wieder ins Holz zurück. Er wechselt aber während des Sommers seinen Aufenthalt am Tage zuweilen mit hochbestandenen Getreidefeldern oder, wenn Regen fällt, mit Brach- und Sturzäckern. Im Herbste, wenn die Sträucher sich entlauben, geht er ganz aus dem Walde heraus, denn das Fallen der Blätter ist ihm entsetzlich; im Winter zieht er sich in die dichtesten Gehölze, mit eintretendem Thauwetter aber kehrt er wieder in das lichtere Holz zurück. Der eigentliche Waldhase zeigt sich während der milden und fruchtbaren Jahreszeit in den Vorhölzern und rückt von hieraus, wenn ihm die Aesung auf den Waldwiesen nicht genügt, gegen Abend in die Felder. Bei starkem Winter geht er in die Dickichte und immer tiefer in den Wald hinein. Er läßt sich auch durch das fallende Laub nicht stören. Der Berghase befindet sich beim Genusse der in der Nachbarschaft seines Aufenthaltes wachsenden duftigen Kräuter so wohl, daß er nur, wenn Felder in der Nähe sind, dieselben aus Lüsternheit besucht.
»Außer der Rammelzeit, während welcher alles, was Hase heißt, in unaufhörlicher Unruhe ist, bringt dieses Wild den ganzen Tag schlafend oder schlummernd im Lager zu. Nie geht der Hase gerade auf den Ort los, wo er ein altes Lager weiß oder ein neues machen will, sondern läuft erst ein Stück über den Ort, wo er zu ruhen gedenkt, hinaus, kehrt um, macht wieder einige Sätze vorwärts, dann wieder einen Sprung seitswärts, und verfährt so noch einige Male, bis er mit dem weitesten Satze an den Platz kommt, wo er bleiben will. Bei der Zubereitung des Lagers scharrt er im freien Felde eine etwa 5 bis 8 Centim. tiefe, am hinteren Ende etwas gewölbte Höhlung in die Erde, welche so lang und breit ist, daß der obere Theil des Rückens nur sehr wenig sichtbar bleibt, wenn er in derselben die Vorderläufe ausstreckt, auf diesen den Kopf mit angeschlossenen Löffeln ruhen läßt und die Hinterbeine unter den Leib zusammendrückt. In diesem Lager schützt er sich während der milden Jahreszeit leidlich vor Sturm und Regen. Im Winter höhlt er das Lager gewöhnlich so tief aus, daß man von ihm nichts als einen kleinen, schwarzgrauen Punkt gewahrt. Im Sommer wendet er das Gesicht nach Norden, im Winter nach Süden, bei stürmischem Wetter aber so, daß er unter dem Winde sitzt.
»Fast möchte es scheinen, als habe die Natur den Hasen durch Munterkeit, Schnelligkeit und Schlauheit für die ihm angeborene Furchtsamkeit und Scheu zu entschädigen gesucht. Hat er irgend eine Gelegenheit gefunden, unter dem Schutze der Dunkelheit seinen sehr guten Appetit zu stillen, und ist die Witterung nicht ganz ungünstig, so wird kaum ein Morgen vergehen, an welchem er sich nicht gleich nach Sonnenaufgang auf trockenen, zumal sandigen Plätzen entweder mit seines Gleichen oder allein herumtummelt. Lustige Sprünge, abwechselnd mit Kreisläufen und Wälzen, sind Aeußerungen des Wohlbehagens, in welchem er sich so berauscht, daß er seinen ärgsten Feind, den Fuchs, übersehen kann. Der alte Hase läßt sich nicht so leicht überlisten und rettet sich, wenn er gesund und bei Kräften ist, vor den Nachstellungen dieses Erzfeindes fast regelmäßig durch die Flucht. Dabei sucht er durch Widerhaken und Hakenschlagen, welches er meisterhaft versteht, seinen Feind zu übertölpeln. Nur wenn er vor raschen Windhunden dahinläuft, sucht er einen anderen vorzustoßen und drückt in dessen Wohnung, den vertriebenen Besitzer kaltblütig der Verfolgung überlassend, oder er geht gerade in eine Herde Vieh, fährt in das erste beste Rohrdickicht und schwimmt im Nothfalle auch über ziemlich breite Gewässer. Niemals aber wagt er sich einem lebenden Geschöpfe anderer Art zu widersetzen, und nur, wenn Eifersucht ihn reizt, läßt er sich in einen Kampf mit seines Gleichen ein. Zuweilen kommt es vor, daß ihn eine eingebildete oder wahre Gefahr derart überrascht und aus der Fassung bringt, daß er, jedes Rettungsmittel vergessend, in der größten Angst hin- und herläuft, ja wohl gar in ein jämmerliches Klagen ausbricht.« Vor allen unbekannten Dingen hat er überhaupt eine außerordentliche Scheu, und deshalb meidet er auch sorgfältig alle Scheusale, welche in den Feldern aufgestellt werden, um ihn abzuhalten. Dagegen kommt es auch vor, daß alte, ausgelernte Hasen sich außerordentlich dreist zeigen, nicht einmal durch Hunde sich vertreiben lassen und, sobald sie merken, daß diese eingesperrt oder angehängt sind, mit einer Unverschämtheit ohne Gleichen an die Gärten herankommen und sozusagen unter den Augen der Hunde sich äsen. Lenz hat mehrmals gesehen, daß Hasen so nahe unter seinem Fenster und neben den angefesselten Hunden hinschlüpften, daß der Schaum aus dem Rachen der entrüsteten Hunde ihnen auf den Pelz spritzte.
Die Schnelligkeit des Hasen im Laufe rührt größtentheils daher, daß er stark überbaut ist, d. h., daß seine Hinterläufe länger als die vorderen sind. Hierin liegt auch der Grund, daß er besser bergauf als bergab rennen kann. Wenn er ruhig ist, bewegt er sich in kurzen, langsamen Sprüngen, wenn ihm daran liegt, schnell fortzukommen, in sehr großen Sätzen. Beim Entfliehen hat er die Eigenthümlichkeit, daß er ohne besonderer Grund in einiger Entfernung von seinem Lager einen Kegel macht d. h. die Stellung eines aufrechtsitzenden Hundes annimmt; ist er dem ihm nachjagenden Hunde ein Stück voraus, so stellt er sich nicht nur auf die vollständig ausgestreckten Hinterläufe, sondern geht auch wohl so ein paar Schritte vorwärts und dreht sich nach allen Seiten um.
Gewöhnlich gibt er nur dann einen Laut von sich, wenn er sich in Gefahr sieht. Dieses Geschrei ähnelt dem kleiner Kinder und wird mit »Klagen« bezeichnet.
Unter den Sinnen des Hasen ist, wie schon die großen Löffel schließen lassen, das Gehör am besten ausgebildet, der Geruch recht gut, das Gesicht aber ziemlich schwach. Unter seinen geistigen Eigenschaften steht eine außerordentliche Vorsicht und Aufmerksamkeit oben an. Der leiseste Laut, den er vernimmt, der Wind, welcher durch die Blätter säuselt, ein rauschendes Blatt genügen, um ihn, wenn er schläft, zu erwecken und im hohen Grade aufmerksam zu machen. Eine vorüber huschende Eidechse oder das Quaken eines Frosches kann ihn von seinem Lager verscheuchen, und selbst, wenn er im vollsten Laufe ist, bedarf es nur eines leisen Pfeifens, um ihn aufzuhalten. Die berühmte Harmlosigkeit des Hasen ist nicht soweit her. Dietrich aus dem Winckell sagt geradezu, daß das größte Laster des Hasen seine Bosheit sei, nicht weil er dieselbe durch Kratzen und Beißen äußere, sondern weil sie der Satzhase durch Verleugnung der elterlichen Liebe, der Rammler aber durch Grausamkeit gegen junge Häschen, oft in der empörendsten Weise, bethätige.
Die Rammelzeit beginnt nach harten Wintern anfangs März, bei gelinderem Wetter schon Ende Februars, im allgemeinen um so eher, je mehr der Hase Nahrung hat. »Zu Anfang der Begattungszeit«, sagt unser Gewährsmann, »schwärmen unaufhörlich Rammler, Häsinnen suchend, umher, und folgen der Spur derselben, gleich den Hunden, mit zur Erde gesenkter Nase. Sobald ein Paar sich zusammenfindet, beginnt die verliebte Neckerei durch Kreislaufen und Kegelschlagen, wobei anfangs der Satzhase immer der vorderste ist. Aber nicht lange dauert es, so fährt dieser an die Seite, und ehe der Rammler es versieht, gibt ihm die äußerst gefällige Schöne Anleitung, was er thun soll. In möglichster Eile bemüht sich nun der Rammler, seine Gelehrigkeit thätlich zu erweisen, ist aber dabei so ungezogen, im Augenblicke des höchsten Entzückens mit den scharfen Nägeln der Geliebten große Klumpen Wolle abzureißen. Kaum erblicken andere seines Geschlechtes den Glücklichen, so eilen sie heran, um ihn zu verdrängen oder wenigstens die Freude des Genusses zu verderben. Anfänglich versucht es jener, seine Schöne zur Flucht zu bewegen; aber aus Gründen, welche sich aus der unersättlichen Begierde derselben erklären lassen, zeigt sie nur selten Lust dazu, und so hebt jetzt ein neues Schauspiel an, indem die Häsin von mehreren Bewerbern verfolgt und geneckt, endlich von dem behendesten, welcher sich den Minnesold nicht leicht entgehen läßt, eingeholt wird. Daß unter solchen Umständen nicht alles ruhig abgehen kann, versteht sich von selbst. Eifersucht erbittert auch Hasengemüther, und so entsteht ein Kampf, zwar nicht auf Leben und Tod, aber höchst lustig für den Beobachter. Zwei, drei und mehrere Rammler fahren zusammen, rennen an einander, entfernen sich, machen Kegel und Männchen, fahren wieder auf einander los und bedienen sich dabei mit in ihrer Art ganz kräftigen Ohrfeigen, so daß die Wolle umherfliegt, bis endlich der Stärkste seinen Lohn empfängt, oder noch öfters sich betrogen fühlt, indem sich das Weibchen mit einem der Streiter oder gar mit einem neuen Ankömmlinge unbemerkt entfernt hat, gewiß überzeugt, daß auch die Hintergangenen nicht unterlassen werden, fremden Reizen zu huldigen, sobald sich Gelegenheit dazu findet.«
Glaubwürdige Jäger versichern, daß diese Zweikämpfe zwischen verliebten Hasen, so unschuldig sie auch aussehen, zuweilen doch nicht ohne Verletzungen abgehen, weil sie nicht selten auf ihrem Reviere erblindete Hasen angetroffen haben, denen bei solchen Kämpfen die Lichter verwundet wurden. Die abgekratzte Wolle, welche auf den Stellen umherliegt, dient dem Jäger als Zeichen, daß die Rammelzeit wirklich angebrochen ist, und in besonders milden Jahren wird sich jeder Thierfreund in Acht nehmen, nunmehr noch auf das Wild zu jagen.
Dreißig Tage etwa geht die Häsin tragend. Gewöhnlich setzt sie zwischen Mitte und Ende des März das erste, im August das vierte und letzte Mal. Der erste Satz besteht aus mindestens einem oder zwei, der zweite aus drei bis fünf, der dritte aus drei und der vierte wiederum aus ein bis zwei Jungen. Höchst selten und nur in sehr günstigen Jahren geschieht es, daß eine Häsin fünfmal setzt. Das Wochenbett ist eine höchst einfache Vertiefung an einem ruhigen Orte des Waldes oder Feldes: ein Misthaufen, die Höhlung eines alten Stockes, angehäuftes Laub oder auch ein bloßes Lager, eine tiefe Furche, ja endlich der flache Boden an allen Orten. Die Jungen kommen mit offenen Augen und jedenfalls schon sehr ausgebildet zur Welt. Manche Jäger sagen, daß sie sofort nach der Geburt sich selbst trocknen und putzen müssen. So viel ist sicher, daß die Mutter nur während der ersten fünf bis sechs Tage bei ihren Kindern verweilt, dann aber, neuer Genüsse halber, sie ihrem Schicksale überläßt. Nur von Zeit zu Zeit kommt sie noch an den Ort zurück, wo sie die kleine Brut ins Leben setzte, lockt sie durch ein eigenthümliches Geklapper mit den Löffeln und läßt sie säugen, wahrscheinlich nur, um sich von der sie beschwerenden Milch zu befreien, nicht etwa aus wirklicher Mutterliebe. Bei Annäherung eines Feindes verläßt sie ihre Kinder regelmäßig, obwohl auch Fälle bekannt sind, daß alte Häsinnen die Brut gegen kleine Raubvögel und Raben vertheidigt haben. Im allgemeinen trägt wohl die Lieblosigkeit der Hasenmutter die Hauptschuld, daß so wenige von den gesetzten Jungen aufkommen. Von dem ersten Satze gehen die meisten zu Grunde: der Uebergang aus dem warmen Mutterleib auf die kalte Erde ist zu grell, das kleine Geschöpf erstarrt und geht ein. Und wenn es wirklich auch das schwache Leben noch fristet, drohen ihm Gefahren aller Art, selbst vom eigenen Vater. Der Rammler benimmt sich wahrhaft abscheulich gegen die jungen Häschen. Er peinigt sie, wenn er kann, zu Tode. »Ich hörte«, sagt Dietrich aus dem Winckell, »einst einen jungen Hasen klagen, glaubte aber, da es in der Nähe des Dorfes war, ihn in den Klauen einer Katze und eilte dahin, um dieser den Lohn mit einem Schusse zu geben. Statt dessen aber sah ich einen Rammler vor dem Häschen sitzen und ihn mit beiden Vorderläufen von einer Seite zur andern unaufhörlich so maulschelliren, daß das arme Thierchen schon ganz matt geworden war. Dafür mußte aber der alte seine Bosheit mit dem Leben bezahlen.«
Bei keinem andern wildlebenden Thiere hat man soviel Mißgeburten beobachtet wie bei den Hasen. Solche, die zwei Köpfe oder wenigstens eine doppelte Zunge haben, oder herausstehende Zähne besitzen, sind keine Seltenheiten.
Eine junge Hasenfamilie verläßt nur ungern die Gegend, in welcher sie geboren wurde. Die Geschwister entfernen sich wenig von einander, wenn auch jedes sich ein anderes Lager gräbt. Abends rücken sie zusammen auf Aesung aus, morgens gehen sie gemeinschaftlich nach dem Lager zurück, und so währt ihr Treiben, welches mit der Zeit ein recht fröhliches und frisches wird, fort, bis sie halbwüchsig sind. Dann trennen sie sich von einander. Nach funfzehn Monaten sind sie erwachsen, schon im ersten Lebensjahre aber zur Fortpflanzung geeignet. Sieben bis acht Jahre dürfte die höchste Lebensdauer sein, welche der Hase bei uns erreicht; es kommen aber Beispiele vor, daß Hasen allen Nachstellungen noch längere Zeit entgehen und immer noch nicht an Altersschwäche sterben. Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts war in meiner Heimat ein Rammler berüchtigt unter den Jägern: mein Vater kannte ihn seit acht Jahren. Stets war es dem Schlaukopfe gelungen, sich allen Nachstellungen zu entziehen; erst während eines sehr strengen Winters wurde er von meinem Vater auf dem Anstande erlegt. Beim Wiegen ergab sich, daß er ein Gewicht von achtzehn Pfund erreicht hatte.
»Das Leben unseres Nagers«, sagt Adolf Müller, »ist fast eine ununterbrochene Kette der Drangsal, der Noth und des Leidens, denen die Geschwister Wachsamkeit und Vorsicht zwar auf dem Fuße folgen, welchen aber auch das allbekannte, weniger bemitleidete als verspottete Kind, die Hasenfurcht, gleichsam riesig über den Kopf wächst. Schickt doch das ganze Heer unserer einheimischen Raubthiere unter Säugern und Vögeln die Spione, Schleicher, Wegelagerer und Raubmörder hinter dem Friedlichen und Wehrlosen her, das stille Eden seiner Fluren und Wälder in einen Plan der Bedrängnis und des Todes umzuwandeln; jagt doch die Reihe der Hunde, vom krummläufigen, langsamen Dächsel bis zum hochläufigen, schlanken, sturmflüchtigen Windhunde hin, den schnellsten Renner der Fluren und Wälder zu Tode. Und wo selbst die Ausdauer und Flüchtigkeit des Hundes nicht ausreicht, wo der Spürsinn, die List und die Mordgier der Raubthiere, wo die Unwetter und Geschicke der Natur unseren Bedrängten verschonten: da hält der Mensch mit seiner tausendfachen Pein und List zum Verderben des Aermsten noch seine Mittel bereit. Als das grausamste und zugleich hinterlistigste Raubthier verurtheilt er den Leidgebornen auch noch zum Strange. Er schleicht wie der Mörder bei Nacht und Nebel in den Wald und legt in den Paß die scheußliche Drahtschlinge, in welcher sich der Harmlose am Halse fängt und an welcher er den jämmerlichen Tod des Erstickens stirbt. Aber dies thut nur der Wilderer, nimmermehr der Waidmann! Der Lampe des deutschen Jägers findet in diesem niemals seinen Henker, sein Hase stirbt weder unter dem Schlage des Bauernprügels, noch unter dem der Schippe des wildernden Schäfers; von der Jägerhand stirbt er nur den waidgerechten Tod durch den sicheren Schrotschuß. So wie ein edles Jägergemüth unserem Thiere gern den Sieg vergönnt, den es durch Schnelligkeit, Vorsicht und List über die waidmännische Kunst erringt, so rechnet es jede Quälerei des Wildes für eine Sünde.«
Ueber die Waid- und nicht waidgerechte Jagd des Hasen sind Bücher geschrieben worden, und kann es daher meine Absicht nicht sein, auf verschiedene Jagdarten näher einzugehen. Nach meinem Geschmacke gewähren dem Jäger die Suche und der Anstand das meiste Vergnügen. Die Hasenhetze mit Windhunden ist zwar im hohen Grade aufregend, verdirbt aber die Jagd; Kessel- oder Leinentreiben werden, so vergnüglich sie in nicht zu stark bevölkerten Gebieten sind, da wo es viele Hasen gibt, schließlich zu einer förmlichen Schlächterei, während Suche und Anstand immer in Spannung erhalten und des Jägers am würdigsten sind. Dieser hat auf der Suche Gelegenheit, sich als Waidmann zu zeigen und schöpft auf dem Anstande manche Belehrung, weil er die Thiere, nicht die Hasen allein, so zu sagen noch in ihrem Hausanzuge antrifft und ihr Benehmen im Zustande gänzlicher Ruhe und Sorglosigkeit beobachten kann. Mancher Jäger zieht den Waldanstand jeder anderen Jagd vor; denn das süßeste, die Hoffnung, ist hier des Waidmanns treue, unzertrennliche Gefährtin. Zu dem Anstande rechne ich auch das Verlappen, eine Jagdweise, welche ich wohl erst erklären muß, weil man sie nicht in allen Gegenden unseres Vaterlandes ausübt.
Freund Lampe, der Furchtsame, sieht, wie schon erwähnt, in jedem ihm unbekannten Dinge einen fürchterlichen Gegenstand, und hierauf gründet der tückische Mensch seine nichtswürdigen Pläne, ihn zu berücken. In stiller Mitternachtsstunde, wenn sich der Hase aus dem Walde in die Felder gezogen hat zu fröhlicher Aesung, schleicht jener hinaus, um ihm die Pforten nach seiner Tagesherberge zu verschließen. Drei bis vier Männer tragen große Ballen, welche bei genauerer Prüfung sich als Rollen von starkem Bindfaden erweisen, in welchen in gewissen Abständen zwei Federn oder mindestens weiße Zeugstreifen eingeflochten wurden. Das sind die Lappen, um mit dem Jäger zu sprechen. Man beginnt nun an einem bestimmten Orte des Waldrandes mit der Aufrichtung dieser Scheusale. In kleinen Abständen werden schwache Pfählchen in die Erde gesteckt und daran die Lappen befestigt, sodaß sie ungefähr einen halben Meter hoch über der Erde schweben; und so wird der ganze Kreis, welcher die Fruchtfelder begrenzt, eingeschlossen. Damit ist für den Hasen jeglicher Zugang zum Walde versperrt. Die Jagdgenossenschaft macht sich nun früh auf den Weg, denn sie muß schon eine gute Weile vor Tagesanbruch zur Stelle sein. Möglichst lautlos wandelt der Zug dahin. Der Jagdeigenthümer stellt den einen hier, den anderen dort an die besten Anlaufsplätze, und immer geringer wird die Anzahl der Jäger. Endlich ist das Ganze umstellt, jeder einzelne Jäger hat sich seinen Anstand so gut als möglich gewählt und wartet gespannt der Dinge, die da kommen sollen.
Mit dem ersten Grauen des Tages rücken die Hasen von den Feldern dem Walde zu. Unbesorgt gehen sie den altgewohnten Pfad. Der eine oder der andere treibt seine sehr gewöhnlichen Possen. Alles ist todtenstill ringsum, höchstens eine Krähe läßt sich vernehmen. Im Osten röthet die aufgehende Sonne den untersten Rand des Himmelsgewölbes. Näher und näher kommt Lampe an die gefährliche Linie: da schimmert ihm die weiße Reihe entgegen! Er wird bedenklich, erschrickt, hebt die Löffel und dreht und bewegt einen um den anderen. Nach allen Seiten hin lauscht er, alles bleibt ruhig. Noch ein paar Schritte geht er vorwärts, um sich das Ding in größter Nähe zu beschauen; aber je näher er kommt, um so bedenklicher wird er. Hier erscheint die sorgfältigste Prüfung nöthig. Eines und das andere der furchtsamen Thiere prallt entsetzt zurück, schlägt einen Haken und kehrt auf demselben Wege, welchen es gekommen, feldeinwärts, um an einer andern Stelle sein Heil zu versuchen. Drüben aber gehts ihm genau ebenso wie auf der eben verlassenen Seite. Aber es ist dort vielleicht nicht so vorsichtig gewesen; denn plötzlich zuckt ein Feuerstrahl aus dem Walde heraus, und donnernd unterbricht der erste Schuß die Morgenstille. Von allen Bergen pflanzt er sich fort, und das Echo der Wälder trägt ihn weiter und weiter. Jetzt wirds lebendig. Hier und dort blitzt es, in der ganzen Linie wirds laut. Wie verzweifelt rennen die armen Hasen in dem gefeiten Kreise umher. Der eine prallt hier, der andere dort zurück; aber leider laufen sie soviel als möglich auf dem allbekannten Wege dahin und kommen so den im Hinterhalte aufgestellten Schützen regelmäßig zum Schusse. So währt das Morden fort, bis der Morgen vollends anbricht. Denn mit dem Erleben des Tages sind alle Hasen verschwunden, auch die, welche vom Tode verschont wurden. Sie haben sich mitten in den Feldern gedrückt und harren dort auf ruhigere Zeiten, nicht ahnend, daß dem Verlappen in den Mittagsstunden die Treibjagd folgt. Nunmehr wird es auch lebendig im Walde; jeder der Schützen geht heraus, um das von ihm erlegte Wild zu holen. Die wenigsten finden so viele Hasen, als sie zu finden glaubten. Es hält schwer, das Thier in der Dämmerung gehörig auf das Korn zu nehmen, und in der Regel wird weit mehr gefehlt als getroffen.
Gefangene Hasen werden leicht zahm, gewöhnen sich ohne Weigerung an alle Nahrung, welche man den Kaninchen füttert, sind jedoch zärtlich und sterben leicht dahin. Wenn man ihnen nur Heu, Brod, Hafer und Wasser, aber nie Grünes gibt, leben sie länger. Bringt man junge Hasen zu alten, so werden sie regelmäßig von diesen todtgebissen. Anderen schwachen Thieren ergeht es selten besser: im Gehege von mir gepflegter Hasen fand ich eine getödtete, halb aufgefressene Ratte. Mit Meerschweinchen vertragen sich die Hasen gut, mit Kaninchen und Schneehasen paaren sie sich und erzielen Blendlinge, welche wieder fruchtbar sind: dies hat neuerdings wieder Broca bewiesen. Rouy, ein Kaninchenzüchter von Angoulême, liefert seit einiger Zeit jährlich über tausend » Hasenkaninchen« oder Lapins in den Handel. Diese Bastarde sind ebenso fruchtbar mit der väterlichen wie mit der mütterlichen Art als auch unter sich. Dreiachtels-Bastarde, d. h. diejenigen, welche ein Viertel vom Kaninchen und drei Viertel vom Hasen haben, gewähren die meisten Vortheile. Von diesen Blendlingen hat man bereits durch dreizehn Geschlechter Junge erzielt, ohne daß die Fruchtbarkeit abgenommen hätte. Das Weibchen bringt fünf bis sechs Junge bei jedem Wurfe zur Welt und wirft jährlich sechsmal. Broca überzeugte sich, daß der Besitzer mit größter Sorgfalt die Ergebnisse seiner Kreuzungen überwacht. Die betreffenden Thiere werden nach Umständen getrennt und zusammengebracht, mit besonderen Namen oder Zahlen bezeichnet etc.
Neuerdings wendet man auch in Deutschland der Hasenkaninchenzucht größere Aufmerksamkeit zu und erzielt Erfolge, welche den Züchtern genügen. Ob diese wirklichen Nutzen ziehen, d. h. mehr durch ihre Zucht verdienen, als diese kostet, mag dahingestellt bleiben. Derjenige, welcher alles Futter kaufen muß und durch die Ergebnisse der Zucht auch dann noch einen Gewinn erzielen will, dürfte sich irren, während in größeren Wirtschaften, wo eine Menge von Futter abfällt, jene Zucht sich wahrscheinlich günstig stellt. Ich habe neuerdings bei einem eifrigen Züchter sehr schöne Hasenkaninchen gesehen und viel Rühmenswerthes über sie gehört; die Sache verdient also jedenfalls allgemeinere Beachtung.
Jung eingefangene Hasen gewöhnen sich so an den Menschen, daß sie auf dessen Ruf herbeikommen, die Nahrung aus den Händen nehmen, und trotz ihrer Dummheit Kunststückchen ausführen lernen; alte dagegen bleiben immer dumm und gewöhnen sich kaum an ihren Pfleger. Die Gefangenen sind nett und munter, verlieren ihre Furchtsamkeit jedoch nicht. »Lächerlich sieht es aus«, sagt Lenz, »wenn man in den Stall eines Hasen mit einem weißen Bogen Papier oder sonst einem ähnlichen Dinge eintritt. Der Hase geräth ganz aus der Fassung und springt wie verrückt meterhoch an den Wänden in die Höhe.«
Anderseits gewöhnen sich Hasen jedoch auch nach und nach selbst an ihre erklärten Feinde. Der königlich bayrische Revierförster Fuchs zu Wildenberg in Unterfranken besaß, wie die Jagdzeitung erzählt, einen ausgewachsenen gezähmten Hasen, welcher mit den Jagdhunden eine und dieselbe Lagerstätte theilte und besonders die Zuneigung eines auf der Jagd scharfen, jungen Hühnerhundes sich in dem Grade erworben hatte, daß dieser ihm durch Belecken etc. alle Freundschaftsbezeigungen angedeihen ließ, obgleich der Hase ihn und andere Hunde durch Trommeln auf Kopf und Rücken oft sehr rücksichtslos behandelte, auch bald mit diesem bald mit dem anderen Hunde aus einer Schüssel fraß. Als bemerkenswerth fügt der Beobachter noch hinzu, daß besagter Hase nichts lieber fraß als Fleisch jeder Gattung und nur in Ermangelung dessen grünes Futter zu sich nahm. Kalb- und Schweinefleisch, Leber- und Schwartenwurst brachten ihn in Entzücken, so daß er förmlich tanzte, um dieser Leckerbissen theilhaftig zu werden.
Ueber Nutzen und Schaden des Hasen herrschen verschiedene Ansichten, je nachdem man vom wirtschaftlichen oder jagdlichen Standpunkte urtheilt. Der unbefangene Richter wird den Hasen unbedingt als schädliches Thier bezeichnen müssen und behaupten dürfen, daß er mindestens das Doppelte von dem gebraucht, was er auf dem Markte einbringt. In den meisten Gegenden unseres Vaterlandes macht sich dies aus dem Grunde wenig fühlbar, weil der Hase überall zu naschen pflegt und somit seine Plünderungen auf einen großen Raum sich vertheilen; wegstreiten aber läßt sich der von ihm verursachte Schaden nicht. In Gemarkungen, in denen tausende und mehr Hasen alljährlich erlegt werden, macht sich der durch die Hasen herbeigeführte Verlust an Futter sehr wohl bemerklich. »Nach den von Dettweiler aufgestellten Berechnungen«, sagen die Gebrüder Müller, »bedarf ein zu fünf Pfund Gewicht angenommener Hase nahe an hundert Pfund vorzüglichen Heues, um jenes Gewicht hervorzubringen, ähnlich wie dies nach Fütterungsversuchen bei Stallvieh gefunden worden ist. Anderthalbtausend in den Gemarkungen von Oderheim und Alsheim in Hessen in einem Jahre geschossene Hasen stellen sonach, den Centner Heu zu zwei Gulden gerechnet, einen Schaden von dreitausend Gulden dar, d. h. die angeführte Anzahl Hasen verzehrt durchschnittlich für die angegebene Summe Felderzeugnisse. Obgleich gegen diese Berechnungen Einwendungen mancher Art erhoben werden können, sind doch die Dettweiler'schen Betrachtungen von nationalökonomischem Standpunkte aus zu würdigen, weil sie den allerdings sehr schwierigen und schwankenden Maßstab der Werthberechnung an den von den Hasen verübten Schaden legen. Daß dieser gerade an den besten Feld- und Gartenerzeugnissen in hasenbevölkerten, mit wenig oder gar keinem Wald versehenen Feldebenen kein eingebildeter zu nennen ist, wird jedem, welcher in dieser Angelegenheit tiefer zu schauen Gelegenheit hatte, klar bewußt sein. Der Hase geht nach unseren eingehenden Beobachtungen die besten, zartesten Futtergewächse, wie Klee und Runkelrüben, Kohl, vorzüglich auch Gemüsearten und ebenso die jung ausgepflanzten Gewächse gerade in ihrer Entwickelung an, äset die Aehren der Gerste und des Hafers sehr gern und wird durch seine oft eine Strecke durchs Getreide gehenden Pfädchen mittels Abbeißens und Niedertretens der Halme nachtheilig. Dieser Schaden kann bei großer Vermehrung sehr empfindlich Platz greifen, während er bei mäßigem Hasenstande, wie ihn unsere vaterländischen Gegenden aufweisen, nicht erkennbar wird. Denn der Hase liebt es, genäschig, wählerisch und unruhig, wie er ist, hier und da nur weniges zu äsen, auch nie einzeln an einem und demselben Orte länger zu verweilen, und das Zerstörende seiner Thätigkeit beschränkt sich deshalb nicht etwa auf einen Acker, sondern stellt sich als örtlich verschwindende Wirkung von einem Wenigen über weite Strecken dar.« Ich stimme diesen Worten meiner kundigen Freunde bei, möchte aber, abgesehen von dem oft sehr ärgerlichen Benagen junger Nutzbäume durch Hasen, noch auf einen mittelbaren Schaden dieses verhätschelten Nagers aufmerksam machen. Eifrige Jagdfreunde fügen, meiner Ansicht nach, unseren Feldern durch Hegung der Hasen an und für sich weniger Schaden zu als durch rücksichtslose Vertilgung der Hasenfeinde, welche durchschnittlich die besten Freunde des Landwirtes sind. Anstatt dichte Gebüsche, sogenannte Remisen, welche außer Singvögeln auch Raubsäugethieren Schlupfwinkel gewähren, anzupflanzen, räth man dieselben auszurotten; anstatt an die verheerend auftretenden Feldmäuse zu denken, behält man einzig und allein die Hasen im Auge und scheut vor keinem Mittel zurück, die unseren Gemarkungen nur nützlichen Raubthiere auszurotten mit Stumpf und Stiel. Setzt man diesen Nachtheil noch auf Rechnung des Hasen, so wird man einer unbedingten Schonung desselben nicht das Wort reden können.
Den allzueifrigen Vertilgern der Hasenfeinde möchte ich bei dieser Gelegenheit auch mit der Behauptung entgegentreten, daß sie hinsichtlich der Räubereien, welche Fuchs und Genossen dem Hasenstande zufügen sollen, unzweifelhaftzu schwarz sehen und übertreiben. Füchse werden Hasen selbstverständlich beschleichen, ergreifen, umbringen und verzehren, wo und wann sie können, nimmermehr aber sie vertilgen, wie oft genug behauptet worden ist. Wer wie ich einen afrikanischen Hasen in Gebieten beobachtet hat, in denen Füchse, Schakale, Schakalwölfe und Hiänenhunde der Hasenjagd mit Eifer obliegen, wird sich angesichts der beneidenswerthen Menge von noch nicht aufgefressenen Hasen sagen müssen, daß Fuchs und Hase sehr wohl nebeneinander leben und bestehen können, beziehentlich daß der den Hasen durch die Füchse zugefügte Abbruch doch nicht so hoch sein kann, als man gewöhnlich annimmt.
Darf nun auch die Schädlichkeit des Hasen als bewiesen gelten, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß man ihn ausrotten soll. Unsere Bauernjäger und Raubschützen sorgen ohnehin für seine Verminderung, und diejenigen, denen er ersichtlich schädlich und lästig wird, haben es in der Hand, seinen Bestand nach Belieben zu verringern. Mit Großgrundbesitzern, welche die Freuden der Jagd höher stellen als den Werth der Aesung der auf ihren Grundstücken befindlichen Hasen, ist überhaupt nicht zu rechten; aber auch denjenigen, welche für unbedingte Vertilgung des Nagers sich aussprechen, läßt sich erwidern, daß das Jagdvergnügen und das wohlschmeckende Wildpret des Hasen doch ebenfalls Berücksichtigung verdient. Somit finde ich es vollkommen begreiflich, daß Großgrundbesitzer neuerdings mit ungleich mehr Sorgfalt als früher Vorkehrungen zur Vermehrung der Hasen treffen, indem sie sogenannte Hasengärten anlegen. Diese beruhen auf der Wahrnahme erfahrener Waidmänner, daß zu viele Rammler eher zur Verminderung als zur Vermehrung des Hasenstandes beitragen, also bis auf wenige Zuchthasen abgeschlossen oder doch außer Thätigkeit gesetzt werden müssen. Demgemäß sperrt man in einem wohlumhegten, mit schützendem Gebüsch und leckerer Aesung ausgestatteten Raume fünfmal so viel Häsinnen als Hasen ein, sondert von Zeit zu Zeit die erzeugten Jungen ab, indem man dem größten Theile der Rammler die Freiheit gibt, die Häsinnen aber durch Verschneiden der Löffel zeichnet und erst nach beendigter Jagd auf die Felder setzt, selbstverständlich, nachdem man einen genügenden Bestand für das nächste Jahr zurückbehalten hat. Nach Versicherungen Hartungs, welcher neuerdings vielfach Versuche in dieser Hinsicht angestellt hat, kann man bei einem eingehegten Bestande von zwanzig Rammlern und achtzig Häsinnen mit Sicherheit eine Vermehrung von achthundert jungen Hasen erwarten, welche vollkommen ausreicht, jede Jagdlust zu befriedigen und gleichzeitig den Nahrungsverbrauch derselben feststellen läßt.
Außer dem mit Recht geschätzten Wildprete des Hasen nutzt man auch dessen Balg. In Rußland verwendet man sehr viel Felle, und in Böhmen, welches seit alten Zeiten in der Hutmacherei einen großen Ruf sich erworben hat, werden alljährlich gegen vierzigtausend zu diesem Erwerbszweige gebraucht. Von der von Haaren entblößten und gegerbten Haut des Hasen verfertigt man Schuhe und eine Art Pergament, oder benutzt sie zur Leimbereitung. In der alten Arzneikunde spielten Haar, Fett, Blut und Gehirn, selbst Knochen, ja sogar der Koth des Hasen eine bedeutende Rolle, und noch heutigen Tages wenden abergläubische Menschen Lampes Fell und Fett gegen Krankheiten an. Der Hase genoß denn auch längere Zeit die Ehre, als ein verzaubertes Wesen zu gelten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte man in ihm einen Zwitter zu sehen und war fest überzeugt, daß er willkürlich das Geschlecht zu ändern im Stande sei, also ebensowohl als Männchen wie als Weibchen auftreten könne. Die Pfädchen, welche er sich im hohen Getreide durchbeißt, werden noch heutzutage für Hexenwerk angesehen und mit dem Namen Hexenstiege belegt.
Noch ist nicht ausgemacht, ob der Schneehase der Alpen und des hohen Nordens eine und dieselbe Art bildet. Im allgemeinen erweisen sich beide als treue Kinder ihrer Heimat. Sie sind Thiere, welche ihr Kleid dem Boden nach den Umständen anpassen; doch kommen hier eigenthümliche Abweichungen vor. Die Alpenschneehasen sind im Winter rein weiß, nur an der Spitze der Ohren schwarz, im Sommer graubraun, und zwar rein einfarbig, nicht gesprenkelt wie der gemeine Hase. Die in Irland lebenden, jenen sehr ähnlichen Wechselhasen werden nie weiß und deshalb von einigen Gelehrten als besondere Art ( Lepus hibernicus) angesehen. Umgekehrt entfärben sich die im höchsten Norden wohnenden Schneehasen im Sommer nicht, sondern bleiben das ganze Jahr hindurch weiß und werden deshalb ebenfalls als eigene Art ( Lepus glacialis) betrachtet. Die skandinavischen Hasen, welche sämmtlich Schneehasen sind, unterscheiden sich ebenfalls: die einen werden weiß bis auf die schwarze Ohrenspitze, die anderen verändern sich nicht. Bei ihnen ist das Unterhaar schiefergrau, die Mitte schmutzig rothbraun und die Spitze weiß. Diese Färbung scheint aber eine rein zufällige zu sein; man behauptet wenigstens, daß oft Hasen ein und desselben Satzes beide Färbungen zeigen sollen. Wahrscheinlich walten hier dieselben Verhältnisse Wie beim Eisfuchse vor. Man wird, solange nicht anderweitige Unterschiede sich auffinden lassen, die erwähnten Schneehasen kaum trennen dürfen, und jedenfalls haben wir nicht Unrecht, wenn wir zur Zeit noch alle Schneehasen vereinigen.
Der Alpenhase, oft auch Schneehase genannt ( Lepus timidus, L. alpinus, albus, borealis, canescens, hibernicus, variabilis), unterscheidet sich im Körperbau und Wesen ganz bestimmt vom Feldhasen. »Er ist«, sagt Tschudi, »munterer, lebhafter, dreister, hat einen kürzeren, runderen, gewölbteren Kopf, eine kürzere Nase, kleine Ohren, breitere Backen; die Hinterläufe sind länger, die Sohlen stärker behaart, mit tief gespaltenen, weit ausdehnbaren Zehen, welche mit langen, spitzen, krummen, leicht zurückziehbaren Nägeln bewaffnet sind. Die Augen sind nicht, wie bei den krankhaften Spielarten der weißen Kaninchen, weißen Eichhörnchen und weißen Mäuse, roth, sondern dunkler braun als die des Feldhasen. In der Regel ist der Alpenhase etwas kleiner als der Feldhase; doch gibt es auch zwölf Pfund schwere Rammler; in Bünden wurde sogar ein funfzehnpfündiger geschossen. Eine genaue Vergleichung eines halb ausgewachsenen Alpen- und eines gleich alten Berghasen zeigte, daß der erstere ein weit feineres, klügeres Aussehen hatte, in seinen Bewegungen leichter und weniger dummscheu war. Sein Schienbein war auffallend stärker gewölbt, Kopf und Nase kürzer, die Löffel kleiner, aber die Hinterläufe länger als die des braunen Hasen, welcher furchtsamer war als sein alpiner Vetter. Die Bündener Berghasenjäger unterscheiden zweierlei Hasen, welche im Winter weiß werden, und nennen sie Wald- und Berghasen, von denen die ersteren größer seien und auch im Sommer nicht über die Holzgrenze gingen, während die letzteren kleiner und dickköpfiger wären als die weißen Waldhasen.
»Wenn im December die Alpen in Schnee begraben liegen, ist dieser Hase so rein weiß wie der Schnee; nur die Spitzen der Ohren bleiben schwarz. Die Frühlingssonne erregt vom März an einen sehr merkwürdigen Farbenwechsel. Er wird zuerst auf dem Rücken grau, und einzelne graue Haare mischen sich immer reichlicher auch auf den Seiten ins Weiße. Im April sieht er sonderbar unregelmäßig gescheckt oder besprengt aus. Von Tag zu Tag nimmt die dunkelbraune Färbung überhand, und endlich erst im Mai ist sie ganz vollendet, dann aber rein einfarbig, nicht gesprenkelt wie beim gemeinen Hasen, welcher auch eine derbere Behaarung hat als der Alpenhase. Im Herbste fängt er schon mit dem ersten Schnee an, einzelne weiße Haare zu bekommen; doch geht, wie in den Alpen der Sieg des Winters sich rascher entscheidet als der des Frühlings, der Farbenwechsel im Spätjahre schneller vor sich und ist vom Anfange des Oktobers bis Mitte des Novembers vollendet. Wenn die Gemsen schwarz werden, wird ihr Nachbar, der Hase, weiß. Dabei bemerken wir folgende merkwürdige Erscheinungen. Zunächst vollzieht sich die Umfärbung nicht nach einer festen Zeit, sondern richtet sich nach der jeweiligen Witterung, so daß sie bei früherem Winter früher eintritt, ebenso bei früherem Frühlinge, und immer mit dem Farbenwechsel des Hermelins und des Schneehuhns, welche den gleichen Gesetzen unterliegen, Schritt hält. Ferner geht zwar die Herbstfärbung infolge der gewöhnlichen Wintermauserung vor sich, der Farbenwechsel im Frühlinge scheint dagegen an der gleichen Behaarung sich zu vollziehen, indem erst die längeren Haare an Kopf, Hals und Rücken von ihrer Wurzel an bis zur Spitze schwärzlich werden, die unteren weißen Wollhaare dagegen grau. Doch ist es noch nicht ganz gewiß, ob nicht auch im Frühjahre vielleicht eine theilweise Mauserung vor sich gehe. Im Sommerkleide unterscheidet sich der Alpenhase insoweit von dem gemeinen, daß jener olivengrauer ist mit mehr Schwarz, dieser röthlichbraun mit weniger Schwarz; bei ersterem bleibt der Bauch und ein Theil der Löffel weiß, bei diesem wird die Unterseite gelb und weiß.«
Nach Beobachtungen an Schneehasen, welche ich pflegte, hat Tschudi den Hergang der Verfärbung nicht richtig geschildert. Auch der Hase härt nur einmal, und zwar im Frühjahre, während er gegen den Herbst hin sein Winterkleid durch einfache Verfärbung des Sommerkleides erhält. Wie beim Eisfuchs und Hermelin währt auch nach der Verfärbung das Wachsthum der Haare fort, und es wird deshalb der Pelz mit vorschreitendem Winter immer dichter, bis im Frühjahre das Abstoßen der alten Haare durch die neu hervorsprossenden beginnt. Je nach Gegend und Lage mag die Ausbleichung des Haares früher oder später eintreten; eine Mauserung aber, wie Tschudi meint, findet im Herbste gewiß nicht statt. Die Verfärbung geschieht von unten nach oben, derart, daß zuerst die Läufe und zuletzt der Rücken weiß werden. Sie begann bei dem von mir beobachteten Thiere am zehnten Oktober und war bis zu Ende des Monats so weit fortgeschritten, daß die Läufe bis zu den Knieen oder Beugegelenken, der Nacken und der hintere Theil der Schenkel weiß waren, während die Haare des übrigen Leibes zwar lichter als anfangs erschienen, aber doch noch nicht eigentlich an der Umfärbung theilgenommen hatten. Das Fell sah um diese Zeit aus, als ob es mit einem durchsichtigen, weißen Spitzenschleier überdeckt wäre. Im November nahm das Weiß außerordentlich rasch und zwar auf der ganzen Oberseite gleichmäßig zu, das Grau verschwand mehr und mehr, und Weiß trat überall an die Stelle der früheren Färbung. Von einem Ausfallen der Haare war nichts zu bemerken; doch konnte auch mit Bestimmtheit nicht festgestellt werden, ob die Verfärbung des Haares von der Spitze nach der Wurzel vorschritt oder umgekehrt von der Wurzel aus nach der Spitze verlief; letzteres schien das wahrscheinlichste zu sein, während bei dem Eisfuchse und wohl auch bei dem Hermelin das Gegentheil stattfinden dürfte.
»Der geschilderte Farbenwechsel«, fährt Tschudi fort, »wird allgemein als Vorbote der zunächst eintretenden Witterung angesehen; selbst der einsichtsvolle Prior Lamont auf dem großen St. Bernhard theilte diesen Glauben und schrieb am 16. August 1822: »Wir werden einen sehr strengen Winter bekommen; denn schon jetzt bekleidet sich der Hase mit seinem Winterfelle.« »Wir glauben aber vielmehr, daß der Farbenwechsel nur Folge des bereits eingetretenen Wetters ist, und das gute Thier kommt mit seiner angeblichen Prophetenkunst selbst oft schlimm weg, wenn seine Winterbehaarung sich bereits gelichtet hat und abermals Frost und Schnee eintritt.« Auch dieser Meinung Tschudi's widersprechen Beobachtungen. Der russische Schneehase legt sein Winterkleid oft vor dem ersten Schneefalle an und leuchtet dann, um mich des Ausdruckes meines Gewährsmannes zu bedienen, »wie ein Stern aus dem dunkelgrünen Busche und dem braungelben Grase hervor.«
»Der Schneehase,« berichtet Tschudi weiter, »ist in allen Alpenkantonen sicher in der Höhe zu treffen, und in der Regel wenigstens ebenso zahlreich wie der braune in dem unteren Gürtel. Am liebsten hält er sich zwischen der Tannengrenze und dem ewigen Schnee auf, ungefähr in gleicher Höhe mit dem Schneehuhne und dem Murmelthiere, zwischen 1600 bis 2600 Meter über dem Meere; doch streift er oft viel höher. Lehmann sah einen Hasen dicht unter dem obersten Gipfel des Wetterhorns bei 3600 Meter über dem Meere. Der hohe Winter treibt ihn etwas tiefer den Alpenwäldern zu, welche ihm einigen Schutz und freie Stellen zur Aesung bieten, doch geht er nicht gern unter 1000 Meter über Meer und zieht sich sobald als möglich wieder nach seinen lieben Höhen zurück.
»Im Sommer lebt unser Thierchen ungefähr so: Sein Standlager ist zwischen Steinen, in einer Grotte oder unter den Leg- und Zwergföhren. Hier liegt der Rammler gewöhnlich mit aufgerichtetem Kopfe und stehenden Ohren. Die Häsin dagegen pflegt den Kopf auf die Vorderläufe zu legen und die Ohren zurückzuschlagen. Frühmorgens oder noch öfters schon in der Nacht verlassen beide das Lager und weiden sodann auf den sonnigen Grasstreifen, wobei die Löffel gewöhnlich in Bewegung sind und die Nase herumschnuppert, ob nicht einer ihrer vielen Feinde in der Nähe sei, ein Fuchs oder Baummarder, welcher freilich nur selten bis in diese Höhe streift, ein Geier, Adler, Falke, Rabe, vielleicht auch ein Wiesel, das dem jungen Hasen wohl Meister wird. Seine liebste Nahrung besteht in den vielen Kleearten, den bethauten Muttern, Schafgarben und Violen, in den Zwergweiden und in der Rinde des Seidelbastes, während er den Eisenhut und die Geranienstauden, welche auch ihm giftig zu sein scheinen, selbst in den nahrungslosesten Wintern unberührt läßt. Ist er gesättigt, so legt er sich der Länge nach ins warme Gras oder auf einen sonnigen Stein, auf welchem er nicht leicht bemerkt wird, da seine Farbe mit der des Bodens übereinstimmt. Wasser nimmt er nur selten zu sich. Auf den Abend folgt eine weitere Aesung, wohl auch ein Spaziergang an den Felsen hin und durch die Weiden, wobei er sich oft hoch auf die Hinterbeine stellt. Dann kehrt er zu seinem Lager zurück. Des Nachts ist er der Verfolgung des Fuchses, der Iltisse und Marder ausgesetzt; der Uhu, welcher ihn leicht bezwingen würde, geht nie bis in diese Höhen. Mancher aber fällt den großen Raubvögeln der Alpen zu. Unlängst haschte ein auf einer Tanne lauernder Steinadler in den Appenzeller Bergen einen fliehenden Alpenhasen vor den Augen der Jäger weg und entführte ihn durch die Luft.
»Im Winter gehts oft nothdürftig her. Ueberrascht ihn früher Schnee, ehe er sein dichteres Winterkleid angezogen, so geht er oft mehrere Tage lang nicht unter seinem Steine oder Busche hervor und hungert und friert. Ebenso bleibt er im Felde liegen, wenn ihn ein starker Schneefall überrascht. Er läßt sich, wie die Birk- und Schneehühner, ganz einschneien, oft 60 Centim. tief, und kommt erst hervor, wenn ein Frost den Schnee so hart gemacht hat, daß er ihn trägt. Bis dahin scharrt er sich unter demselben einen freien Platz und nagt an den Blättern und Wurzeln der Alpenpflanzen. Ist der Winter völlig eingetreten, so sucht er sich in den dünnen Alpenwäldern Gras und Rinde. Gar oft gehen die Alpenhasen auch in diesen Jahreszeiten zu den oberen Heuställen. Gelingt es ihnen, durch Hüpfen und Springen zum Heue zu gelangen, so setzen sie sich darin fest, oft in Gesellschaft, fressen einen guten Theil weg und bedecken den Vorrath mit ihrer Losung. Allein um diese Zeit wird gewöhnlich das Heu ins Thal geschlittet. Dann weiden die Hasen fleißig der Schlittenbahn nach die abgefallenen Halme auf oder suchen nachts die Mittagslager der Holzschlitter auf, um den Futterrest zu holen, welchen die Pferde zurückgelassen haben. Während der Zeit des Heuabholens verstecken sie sich gern in den offenen Hütten oder Ställen und sind dabei so vorsichtig, daß ein Hase auf der vorderen, der andere auf der hinteren Seite sein Lager aufschlägt. Nahen Menschen, so laufen beide zugleich davon; ja, man hat schon öfters beobachtet, wie der zuerst die Gefahr erkennende, statt das Weite zu suchen, erst um den Stall herumlief, um seinen schlafenden Kameraden zu wecken, worauf dann beide mit einander flüchteten. Sowie der Wind die sogenannten Staubecken entblößt hat, kehrt der Hase wieder auf die Hochalpen zurück.
»Ebenso hitzig in der Fortpflanzung, wie der gemeine Hase, bringt die Häsin mit jedem Wurfe zwei bis fünf Junge, welche nicht größer als rechte Mäuse und mit einem weißen Fleck an der Stirn versehen sind, schon am zweiten Tage der Mutter nachhüpfen und sehr bald junge Kräuter fressen. Der erste Wurf fällt gewöhnlich in den April oder Mai, der zweite in den Juli oder August; ob ein dritter nachfolge oder ein früherer vorausgehe, wird öfters bezweifelt, während die Jäger behaupten, vom Mai bis zum Oktober in jedem Monat Junge von Viertelsgröße angetroffen zu haben. Der Satzhase trägt seine Frucht dreißig Tage. Der wunderliche Irrthum, daß es unter diesen Hasen Zwitter gebe, welche sich selbst befruchten, dürfte den meisten Bergjägern schwer auszureden sein. Es ist fast unmöglich, das Getriebe des Familienlebens zu beobachten, da die Witterung der Thiere so scharf ist und die Jungen sich außerordentlich gut in allen Ritzen und Steinlöchern zu verstecken verstehen.
»Die Jagd hat ihre Mühen und ihren Lohn. Da sie gewöhnlich erst stattfinden kann, wenn die Alpenkette in Schnee liegt, ist sie beschwerlich genug, vielleicht aber weniger unsicher als auf anderes Wild, da des Hasen frische Spur seinen Stand genau anzeigt. Wenn man die Weidgänge, welche er oft des Nachts im Schnee aufzuwühlen pflegt, entdeckt hat, und dann der Spur folgt, welche sich einzeln davon abzweigt, so stößt man auf viele Widerspringe kreuz und quer, welche das Thier nach beendeter Mahlzeit, von der es sich nie geraden Weges in sein Lager begibt, zu machen pflegt. Von hieraus geht eine ziemliche Strecke weit eine einzelne Spur ab. Diese krümmt sich zuletzt, zeigt einige wenige Widergänge (in der Regel weniger als beim braunen Hasen), zuletzt eine ring- oder schlingenförmige Spur in der Nähe eines Steines, Busches oder Walles. Hier wird der Hase liegen und zwar oben auf dem Schnee der Länge nach ausgestreckt, oft mit offenen Augen schlafend, wobei er mit den Kinnladen etwas klappert, so daß seine Löffel beständig in zitternder Bewegung sind. Ist das Wetter aber rauh, begleitet von eisigem Winde, der so oft in jenen Höhen herrscht, so liegt der Hase entweder im Schutze eines Steines oder in einem Scharrloche im Schnee fest. So kann ihn der Jäger leicht schießen. Trifft er ihn nicht, so flieht zwar der Hase in gewaltigen Sätzen mit stürmischer Eile, geht aber nicht allzu weit und kommt leicht wieder vor den Schuß. Das Krachen und Knallen schreckt ihn nicht; er ist dessen im Gebirge gewohnt. Es stört auch die anderen nicht auf, und oft bringt ein Jäger drei bis vier Stück heim, welche alle im Lager geschossen wurden. In diesem wird man aber nie zwei zusammenfinden, selbst in der Brunstzeit nicht. Die Fährte des Alpenhasen hat etwas eigenthümliches: sie besteht aus großen Sätzen mit verhältnismäßig sehr breitem Auftritte. Aehnlich der der Gemsen, ist die Fußbildung der Alpenhasen vortrefflich für den Aufenthalt im Schneereiche. Die Sohle ist schon an sich breiter, die Füße sind dicker als beim gemeinen Hasen. Im Laufe breitet er die Zehen, welche ihm dann wie Schneeschuhe dienen, weit aus und sinkt nicht leicht ein, auf dem Eise leisten ihm die ausschiebbaren Krallen vortreffliche Dienste. Jagt man ihn mit Hunden, so bleibt er viel länger vor dem Vorstehhunde liegen als sein Vetter im Tieflande, und schlüpft bei der Verfolgung nur selten in die engen Röhren der Murmelthierbauten, nie aber in Fuchslöcher.
»Auffallenderweise ist der Alpenhase leichter zu zähmen als der gemeine, benimmt sich ruhiger und zutraulicher, hält aber selten lange aus und wird selbst bei der reichlichsten Nahrung nicht fett. Die Alpenluft fehlt ihm allzubald im Thale. Im Winter wird er auch hier weiß. Sein Fell wird nicht hoch gehalten; dagegen ist sein Fleisch sehr schmackhaft. Ein ganzer Hase gilt je nach der Gegend, in der er verkauft wird, 36 Kreuzer bis 1 Gulden.
»Die Vermischung des gemeinen Hasen mit dem Alpenhasen und die Hervorbringung von Bastarden ist oft bezweifelt worden. Doch wird sie durch genaue Nachforschung bestätigt. So wurde im Januar im Sernfthale, wo überhaupt die weißen Hasen viel öfter hinabgehen als irgendwo sonst, ein Stück geschossen, welches vom Kopfe bis zu den Vorderläufen braunroth, am übrigen Körper rein weiß war, in Ammon ob dem Wallensee vier Stücke, alle von einer Mutter stammend, von denen zwei an der vorderen, zwei an der hinteren Körperhälfte rein weiß, im übrigen braungrau waren. Im bernschen Emmenthale schoß ein Jäger im Winter einen Hasen, welcher um den Hals einen weißen Ring, weiße Vorderläufe und eine weiße Stirn hatte. Ob solche Bastarde fruchtbar waren, ist nicht ausgemittelt.«
Nach eigenen Beobachtungen kann ich bestätigen, daß mindestens gefangene Hasen beider Arten mit einander fruchtbar sich vermischen. Der obenerwähnte Schneehase, welchen ich über Jahresfrist pflegte, setzte am zweiten Juni drei Junge, Blendlinge von ihm und dem Feldhasen. Ich kam gerade dazu, als das Thier eben geboren hatte und die Jungen trocken leckte. Die Mutter deckte diese dabei sehr geschickt mit beiden Beinen zu, so daß man sie erst bei genauestem Hinsehen wahrnehmen konnte. Alle drei Junge gediehen und blieben am Leben, kamen mir später jedoch aus den Augen, so daß ich über ihr ferneres Verhalten nichts mittheilen kann.
Die afrikanischen Hasen zeichnen sich sämmtlich vor den unserigen durch ihre geringe Größe und zumal durch die ungemein langen Löffel aus. Daß der Wüstenhase rein sandfarbig aussieht, wird uns nicht mehr befremden, um so auffallender aber ist es, daß dieser Sandhase auch wirklich nur in der reinen Wüste und deren nächster Nachbarschaft vorkommt, während die Ostküste Afrikas z. B. eine andere, der unsrigen gleichgefärbte, aber langohrige Art beherbergt. Diesen Hasen, den Erneb der Araber ( Lepus aethiopicus), habe ich auf meiner kurzen Reise im Frühjahre 1862 ebenso häufig in der tiefliegenden Samhara als auf den Hochebenen der Bogosländer gefunden und als ein ganz eigenthümliches, dummdreistes, albernes Geschöpf kennen gelernt. Es dient zur Kennzeichnung der ganzen Familie, wenn ich namentlich einer seiner Eigenschaften hier Erwähnung thue, welche so recht deutlich beweist, daß der Hase eigentlich nur durch den Menschen zu dem geworden ist, was er ist.
Die Gebirgs- und Küstenbewohner Abessiniens, obgleich sie zum Theil Mohammedaner und zum Theil Christen find, halten die mosaischen Gesetze noch hoch in Ehren und verachten daher auch das Wildpret des Hasen. Unser Thier wird somit von Seiten des Menschen nicht im geringsten belästigt und hat in diesem den Erzfeind aller Geschöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreistigkeit des langlöffeligen und langläufigen Gesellen erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, ist der Hase überall außerordentlich häufig. Zuweilen springen vier, sechs, acht Stück zugleich vor dem Jäger auf. Im Lager, mit dessen Anfertigung der Erneb sich keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank seiner Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur sehr selten; er steht auch immer ziemlich früh auf, weil er, wenn ein Geräusch ihn aus dem Schlafe schreckt, sich erst über dasselbe Gewißheit verschaffen will. Gewahrt er nun bloß einen herankommenden Menschen, so beeilt er sich nicht im geringsten wegzukommen, sondern läuft ganz gemächlich und langsam weiter, dem ersten besten Busche zu, seht sich unter demselben in der bekannten Stellung nieder und richtet einfach seine Löffel nach der bedenklichen Gegend hin. Die Büsche, welche die ihm sehr beliebten Ebenen bedecken, sind so dürftig, so licht, so durchsichtig, daß man ihn auf hundert Schritte Entfernung immer noch sehen kann; gleichwohl scheint er der Ueberzeugung zu sein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen Gezweige gefunden habe. Er läßt einen sorglos bis auf dreißig Schritte herankommen, geht dann weiter und wieder nach einem Busche zu, wo er genau dasselbe wiederholt wie vorhin. So kann man ihn, wenn man sonst Lust hat, halbe Stunden lang in der Ebene umherjagen. Nicht einmal nach einem Fehlschusse verändert er sein Wesen; er flüchtet zwar etwas schneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erschreckenden Knalles und des unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner schaut er nach einer Rast von einigen Minuten dem Schützen von neuem so widerwärtig zudringlich in das Rohr als früher. Wenn man nicht auf ihn schießt, kann man ihn aus demselben Busche tagelang nach einander herausjagen; denn man wird ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden.
Es läßt sich nicht beschreiben, wie langweilig und abstoßend die Jagd dieses Hasen für einen Jäger ist, welcher früher mit dem nordischen Vetter zu thun gehabt hat. Man wird angewidert von dem albernen Gesellen und schämt sich förmlich, einem so dummen Narren aus das Fell zu brennen.
Ganz anders verhält sich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht schließen kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufscheucht. Er weiß sehr genau, daß eine kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Busche ihn nicht retten kann und gebraucht seine Läufe genau mit derselben Ausdauer wie Freund Lampe. Dank seiner Behendigkeit entkommt er auch meistens dem vierbeinigen Jäger; dafür lauert freilich in der Höhe ein gar schlimmer Feind, der Raubadler nämlich, welcher nur auf solche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle Fläche wegeilenden und somit einige Augenblicke lang unbeschützten Nager herabzustoßen. Er nimmt ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdrosselt den ihm gegenüber Wehrlosen, noch ehe dieser recht weiß, was ihm geschieht, in seinen gewaltigen Fängen.
Von den eigentlichen Hasen unterscheidet sich das Kaninchen ( Lepus cuniculus ) durch weit geringere Größe, schlankeren Bau, kürzeren Kopf, kürzere Ohren und kürzere Hinterbeine. Die Körperlänge des Thieres beträgt 40 Centim., wovon 7 Centim. auf den Schwanz kommen, das Gewicht des alten Rammlers 2 bis 3 Kilogramm. Das Ohr ist kürzer als der Kopf und ragt, wenn man es niederdrückt, nicht bis zur Schnauze vor. Der Schwanz ist einfarbig, oben schwarz und unten weiß, der übrige Körper mit einem grauen Pelze bekleidet, welcher oben ins Gelbbraune, vorn ins Rothgelbe, an den Seiten und Schenkeln ins Lichtrostfarbene spielt und auf der Unterseite, am Bauche, der Kehle und der Innenseite der Beine in Weiß übergeht. Der Vorderhals ist rostgelbgrau, der obere wie der Nacken einfarbig rostroth. Spielarten scheinen seltener als beim Feldhasen vorzukommen.
Fast alle Naturforscher nehmen an, daß die ursprüngliche Heimat des Kaninchens Südeuropa war, und daß es in allen Ländern nördlich von den Alpen erst eingeführt wurde. Plinius erwähnt es unter dem Namen Cuniculus, Aristoteles nennt es Dasypus. Alle alten Schriftsteller bezeichnen Spanien als sein Vaterland. Strabo gibt an, daß es von den Balearen aus nach Italien gekommen sei; Plinius versichert, daß es zuweilen in Spanien ins zahllose sich vermehre und auf den Balearen Hungersnoth durch Verwüstung der Ernte hervorbringe. Die Inselbewohner erbaten sich vom Kaiser Augustus Soldaten zur Hülfe gegen diese Thiere, und Kaninchenfänger waren dort sehr gesuchte Leute.
Gegenwärtig ist das wilde Kaninchen, Karnikel, Kunelle, Murkchen und wie es sonst noch heißt, über ganz Süd- und Mitteleuropa verbreitet und an manchen Orten überaus gemein. Die Länder des Mittelmeeres beherbergen es immer noch am zahlreichsten, obgleich man dort keine Schonung kennt und es verfolgt zu jeder Jahreszeit. In England wurde es der Jagdlust zu Liebe in verschiedene Gegenden verpflanzt und anfangs sehr hoch gehalten; noch im Jahre 1309 kostete ein wildes Kaninchen ebensoviel wie ein Ferkel. In nördlichen Ländern kommt es nicht fort: man hat vergeblich versucht, es in Rußland und Schweden einzubürgern.
Das Kaninchen verlangt hügelige und sandige Gegenden mit Schluchten, Felsklüften und niederem Gebüsch, kurz Orte, wo es sich möglichst verstecken und verbergen kann. Hier legt es sich an geeigneten, am liebsten an sonnigen Stellen ziemlich einfache Baue an, gern in Gesellschaft, oft siedelungsweise. Jeder Bau besteht aus einer ziemlich tiefliegenden Kammer und in Winkel gebogenen Röhren, von denen eine jede wiederum mehrere Ausgänge hat. Diese sind durch das häufige Aus- und Einschlüpfen gewöhnlich ziemlich erweitert; die eigentliche Röhre aber ist so eng, daß ihr Bewohner gerade durchkriechen kann. Jedes Paar hat seine eigene Wohnung und duldet innerhalb derselben kein anderes Thier; wohl aber verschlingen sich oft die Röhren von mehreren Bauen. In seinen Höhlen lebt das Kaninchen fast den ganzen Tag verborgen, falls das Buschwerk um den Bau herum nicht so dicht ist, daß es fast ungesehen seiner Nahrung nachgehen kann. Sobald der Abend anbricht, rückt es auf Aesung, aber mit großer Vorsicht, indem es lange sichert, ehe es den Bau verläßt. Bemerkt es Gefahr, so warnt es seine Gefährten durch starkes Aufschlagen mit den Hinterläufen, und alle eilen so schnell als möglich in ihre Baue zurück.
Die Bewegungen des Kaninchens unterscheiden sich wesentlich von denen des Hasen. Im ersten Augenblicke übertrifft es diesen an Schnelligkeit, immer an Gewandtheit. Es versteht das Hakenschlagen meisterlich und erfordert einen vortrefflich eingeübten Hetzhund, bezüglich einen guten Schützen. Ungleich verschmitzter und schlauer als der Hase, läßt es sich höchst selten auf der Weide beschleichen und weiß bei Gefahr fast immer noch ein Schlupfloch zu finden. Wollte es geradeaus forteilen, so würde es von jedem mittelmäßig guten Hunde schon nach kurzer Zeit gefangen werden; so aber sucht es in allerlei Genist, in Felsenritzen und Höhlen Schutz und entgeht meist den Nachstellungen seiner Feinde. Die Sinne des Aeugens, Vernehmens und Witterns sind ebenso scharf, vielleicht noch schärfer als bei den Hasen. In seinen Sitten hat es manches angenehme. Es ist gesellig und vertraulich, die Mütter pflegen ihre Kinder mit warmer Liebe, die Jungen erweisen den Eltern große Ehre, und namentlich der Stammvater einer ganzen Gesellschaft wird hoch geachtet. In den Monaten Februar und März beginnt die Rammelzeit der Kaninchen. Wie bemerkt, hält das Paar treu zusammen, wenigstens viel treuer als das Hasenpaar; doch kann man nicht behaupten, daß das Kaninchen in Einweibigkeit lebe. »So viel ist ausgemacht«, sagt Dietrich aus dem Winckell, »daß der Rammler, solange das Weibchen bei ihm bleibt, nicht von dessen Seite weicht und ihm auch oft Zärtlichkeiten erweist. Nie ist er so zudringlich, daß er sein Verfolger werden wollte, wenn es sich von ihm zurückzieht.«
»Wie die Häsin geht das Kaninchen dreißig Tage tragend, ist aber geeignet, sogleich nach dem Wurfe wieder sich zu begatten und bringt deshalb seine Nachkommenschaft schon binnen Jahresfrist auf eine bedeutende Höhe. Bis zum Oktober setzt es alle fünf Wochen vier bis zwölf Junge in einer besonderen Kammer, welche es vorher mit seiner Bauchwolle reichlich ausgefüttert hat. Einige Tage bleiben die Kleinen blind, und bis zum nächsten Satze der Mutter verweilen sie bei ihr im warmen Neste und säugen. Die Alte ist sehr zärtlich und verläßt die Familie nur solange, als sie braucht, um sich zu ernähren. Bei dieser Gelegenheit sucht sie den Gatten auf, um mit ihm, wenn auch nur kurze Zeit, süßer Vertraulichkeit zu pflegen. Bald aber kehrt sie zu den früheren Pfändern ihrer Liebe zurück und erfüllt mit Aufopferung alles geselligen Vergnügens die Mutterpflichten treulich. Selbst dem Gatten wird der Zugang zu den gesetzten Jungen nicht gestattet, weil wahrscheinlich die sorgsame Mutter wohl weiß, daß er in einem Anfalle von Raserei oder aus übertriebener Zärtlichkeit das Leben derselben zu rauben fähig ist. Bosheit treibt ihn dazu gewiß nicht an; denn er empfängt seine Kinder, wenn er sie zum ersten Male erblickt, mit Aeußerung echter Zärtlichkeit, nimmt sie zwischen die Pfoten, leckt sie und theilt mit der Gattin die Bemühung, sie Aesung suchen zu lehren.«
In warmen Ländern sind die Jungen bereits im fünften, in kalten im achten Monate zeugungsfähig, doch erreichen sie erst im zwölften Monate ihr völliges Wachsthum. Pennant hat sich die Mühe gegeben, die mögliche Nachkommenschaft eines Kaninchenpaares zu berechnen. Wenn man annimmt, daß jedes Weibchen in einem Jahre siebenmal setzt und bei jedem Satze acht Junge bringt, würde diese Nachkommenschaft binnen vier Jahren die ungeheure Zahl von 1,274,840 Stück erreichen können.
Es ist mehrfach behauptet worden, daß Kaninchen, abgesehen vom Hasen, sich auch mit anderen Nagern begatten und fruchtbare Junge zur Welt brächten; alle hierauf bezüglichen Angaben entbehren jedoch vollständig der Bestätigung.
Die Aesung des Kaninchens ist durchaus die des Hasen. Aber es verursacht viel ersichtlicheren Schaden als dieser, nicht allein, weil es sich auf einen kleineren Raum beschränkt, sondern auch wegen seiner Liebhaberei für Baumrinden, wodurch es oft ganze Pflanzungen zerstört. Man kann sich kaum denken, welche Verwüstung eine Ansiedelung bei einer so ungeheuren Fruchtbarkeit ihrer Mitglieder anzurichten vermag, wenn man der Vermehrung nicht hindernd in den Weg tritt. »Dieser überaus schädliche Nager«, sagen die Gebrüder Müller in ihrem beachtenswerthen Büchlein über die einheimischen Säugethiere und Vögel nach ihrem Nutzen und Schaden, »äußert sich außer seinem Raube an allem Wachsthume des Feldes und Waldes bedeutend nach zwei Seiten hin, einmal seines örtlichen, so sehr gedrängten Vorkommens, zum anderen seiner nachtheiligen Wühlerei als Erdhöhlenbewohner wegen. Er ist bei seiner platzweisen Aesung viel beharrlicher als der Hase, und wird dadurch, daß er von seinem Bau nicht weit in die Felder rückt, viel sichtbarer nachtheilig als sein Verwandter. Noch mehr gilt das von seinen Zerstörungen im Walde, von denen jeder aufmerksame Forstmann beredtes Zeugnis ablegen kann. Von der Hollunderstaude bis zu den edelsten Forstgewächsen verfällt das junge Wachsthum, besonders die Rinde, seinem ewig beweglichen Nagezahne. Was das Eichhorn auf dem Baume, ist das Kaninchen auf dem Boden, den es siedelweise nach allen Richtungen unterhöhlt, hierdurch allein schon den Waldbeständen, namentlich dem Nadelholze, auf sehr lockerem Boden Schaden verursachend.« Zudem vertreiben Kaninchen durch ihr unruhiges Wesen auch das andere Wild; denn selten findet man da Hasen, wo jene die Herrschaft errungen haben. Wo sie sich sicher fühlen, werden sie unglaublich frech. Im Wiener Prater hausten sie früher zu tausenden, liefen ungescheut auch bei Tage umher und ließen sich weder durch Rufen noch durch Steinwürfe im Aesen stören. Man hegt sie nirgends, sondern erlegt sie, wo man nur immer kann, selbst während der allgemeinen Schonzeit. Demungeachtet sind sie ohne Hülfe des Frettchens nicht auszurotten; nur wenn sich in einer Gegend der Iltis, das große Wiesel und der Steinmarder stark vermehrt haben, oder wenn es dort Uhus und andere Eulen gibt, bemerkt man, daß sie sich vermindern. Die Marderarten verfolgen sie bis in ihre Baue, und dann sind sie fast immer verloren, oder die Uhus nehmen sie bei Nacht von der Weide weg. In Frankreich berechnete man, daß ein Kaninchen, welches einen Sou werth war, für einen Louisd'or Schaden anrichtet; einige Gutsbesitzer glaubten deshalb ihre Güter durch sie um die Hälfte entwerthet zu sehen. Das Wildpret ist weiß und wohlschmeckend; der Pelz wird wie der des Hasen benutzt.
Unser zahmes Kaninchen, welches wir gegenwärtig in verschiedenen Färbungen züchten, ist unzweifelhaft ein Abkömmling des wilden; denn dieses kann man in kurzer Zeit zähmen, jenes verwildert binnen wenigen Monaten vollständig und wirft dann auch gleich Junge, welche die Färbung des wilden an sich tragen. Während unserer Jugendzeit hielten wir manchmal eine bedeutende Anzahl von Kaninchen. Unter ihnen hatten wir einige, welche von ihrem Stalle aus Hof und Garten besuchten. Diese warfen stets nur graue Junge, obgleich die Mutter weiß und der Vater gescheckt war. Man hält die zahmen Kaninchen in einem gepflasterten oder gedielten Stalle, in welchem man künstliche Schlupfwinkel angelegt hat, entweder lange Kästen mit mehreren Löchern oder künstliche Baue im Gemäuer, gibt ihnen viel Stroh und trockenes Moos, schützt sie gegen die Kälte im Winter und füttert sie mit Heu, Gras, Blättern, Kohl etc. Leicht kann man sie gewöhnen, sich die ihnen vorgehaltene Nahrung selbst wegzunehmen; ganz zahm aber werden sie selten, und wenn man sie angreift, versuchen sie gewöhnlich zu kratzen und zu beißen. Sie sind weniger verträglich als die wilden. Zusammen ausgewachsene leben zwar sehr gut mit einander, fremde aber werden von der Inwohnerschaft eines Stalles oft arg gemißhandelt, ja sogar todtgebissen. In Sachen der Liebe wird tüchtig gekämpft, und manche tragen dabei ziemlich bedeutende Wunden davon. Das Weibchen baut in seiner Höhlung ein Nest aus Stroh und Moos und füttert es sehr schön mit seinen Bauchhaaren aus. Es wirft gewöhnlich zwischen fünf und sieben, manchmal aber auch mehr Junge. Lenz hat sich die Anzahl der Jungen, welche ein Weibchen in einem Jahre geworfen hatte, aufgeschrieben: Am 9. Januar brachte das Weibchen sechs, am 25. März neun, am 30. April fünf, am 29. Mai vier, am 29. Juni sieben, am 1. August sechs, am 1. September sechs, am 7. Oktober neun und am 8. December sechs Junge, in einem Jahre also achtundfunfzig Junge. »In demselben Jahre«, sagt er, »bekam ich zwei junge Weibchen, welche aus einem Neste stammten, und zwei Männchen, welche zwei Tage später geboren waren, aus einem anderen und that sie in einen eigenen Stall. Genau an demselben Tage, an welchem die Weibchen den fünften Monat vollendet hatten, paarten sie sich mit den Männchen, und beide gebaren, als sie den sechsten Monat vollendet hatten, das eine sechs, das andere vier Junge. – Das Weibchen säugt seine Sprossen in der Regel nicht bei Tage, selbst wenn sie noch ganz klein sind, sondern verrammelt, wenn es geht, den Eingang zu ihnen und besucht sie oft den Tag über nicht einmal, sondern thut, als ob es von alle dem nichts wüßte. Dabei hat es aber doch sein Augenmerk auf das Nest gerichtet.« Vor den natürlichen Feinden haben auch die zahmen Kaninchen eine außerordentliche Scheu. Lenz that einmal fünf sehr zahme Kaninchen zusammen in einen Stall, aus welchem soeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er sie losließ, waren alle wie rasend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erst allmählich gewöhnten sie sich ein. Derselbe Naturforscher erzählt eine hübsche Geschichte. »Im Januar wölfte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieses nicht alle Milch aussaugen konnte, so ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem Neste und legte es dem auf meiner Wohnstube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne Weigerung die Erlaubnis ertheilte, an seiner Milch sich zu laben. Am dritten Tage schaffte ich das Hündchen sammt seinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neste zu gehen und ohne die dort hausenden Kaninchen und Ziegen zu stören, zwei Tage lang. Am dritten rief es meine Schwester hinaus, damit es frische Luft schöpfen könnte. Während es draußen ist, schleicht sich das alte Kaninchen ins Hundenest, nimmt sein Junges und trägt es zu seinen Geschwistern zurück. Ich rief nun sogleich den Hund, um zu sehen, ob er seinerseits das Kaninchen zurückfordern würde. Er aber schien dessen Verlust nicht zu beachten.« Ich meines Theils habe junge Kaninchen mehrfach unserer vortrefflichen, oben bereits erwähnten Katze untergelegt und gesehen, daß sie dieselben ruhig mit ihren Kätzchen säugte.
Bei guter Nahrung werden die Kaninchen zuweilen sehr dreist, kratzen und beißen nicht bloß den, der sie fangen will, sondern auch aus freien Stücken andere Thiere, namentlich wenn diese ihren Neid erregen. Ein Schwager von Lenz hatte einen alten Kaninchenrammler bei seinen Lämmern. »Als die Fütterung mit Esparsette begann, behagte diese dem alten Herrn sehr gut, und er hätte gern das ganze bischen selbst in Beschlag genommen. Er setzte sich also dabei, grunzte, biß nach den Lämmern, sprang sogar einem auf den Hals und gab ihm die Zähne tüchtig zu kosten. Zu Hülfe eilende Leute warfen ihn zwar herab, er biß aber immer wieder nach den Lämmern,
bis er fortgeschafft wurde. Ein anderer biß einer jungen Ziege die Beine blutig, sprang der alten auf das Genick und biß sie in die Ohren. Er mußte abgeschafft werden.« Sehr alte Rammler beißen zuweilen auch ihre Jungen oder das Weibchen, oder verlocken dieses, seine Kinder schlecht zu behandeln. Wenn eine Kaninchenmutter ihr Gehecke nicht gut säugt oder gar zu todt beißt, gibt es nur ein Mittel, diese zu retten: Absperrung des Rammlers.
Räude und der Durchfall, die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen, werden meist durch zu saftiges oder zu nasses Futter hervorgerufen und folgerecht durch gutes trockenes Futter geheilt. Gegen die Räude helfen im Anfange Einreibungen mit Fett oder Butter. In vielen Gegenden hält man viele Kaninchen, um das Fleisch zu nützen. Belgische Bauern betreiben die Zucht in großartigem Maßstabe und senden im Winter allwöchentlich etwa vierzigtausend Stück nach England. Auch die Felle werden benutzt, obgleich sie nur ein wenig haltbares Pelzwerk geben. Die Haare verarbeitet man zu Hüten.
Hier und da sieht man auch Abarten des Thieres, welche nach einigen Erzeugnisse der Zucht, nach anderen die Abkömmlinge von uns unbekannten Arten sein sollen. Solche Spielarten sind das silberfarbene, das russische und das angorische oder Seidenkaninchen. Ersteres ist größer als das unserige, gewöhnlich von bläulichgrauer Farbe mit silberfarbenem oder dunklem Anfluge. Das russische Kaninchen ist grau, der Kopf mit den Ohren braun, und zeichnet sich durch eine weitherabhängende Wamme an der Kehle aus. Das angorische oder Seidenkaninchen endlich hat kürzere Ohren und einen sehr reichlichen, weichen Pelz; sein langes, gewelltes Haar reicht oft bis zum Boden herab und hat seidenartigen Glanz. Leider ist es sehr zärtlich und verlangt deshalb sorgfältige Pflege. Versuche, es in Deutschland heimisch zu machen, schlugen fehl. Das Haar eignet sich zu feinen Gespinnsten und hat deshalb einen ziemlich hohen Werth.
Die in Asien heimischen Pfeifhasen ( Lagomys) unterscheiden sich von den Hasen durch die weit kürzeren Ohren, die kaum verlängerten Hinterbeine, den nicht sichtbaren Schwanzstummel und durch ihr Gebiß, welches nur fünf (anstatt sechs) Backenzähne in jeder Reihe enthält. Die oberen Nagezähne haben eine beträchtliche Breite und sind tief gerinnelt, wodurch sie in zwei Spitzen getheilt werden, die unteren klein und ziemlich stark gekrümmt.
Der Alpenpfeifhase ( Lagomys alpinus, Lepus alpinus), eine der bekannteren Arten, erinnert in Gestalt und Größe an das Meerschweinchen; doch ist der Kopf länger und schmäler und die Schnauze weniger stumpf als bei diesem. Der Leibesbau ist gedrungen, der Schwanz äußerlich ganz unsichtbar und nur durch einen kleinen Fetthöcker angedeutet, das mittelgroße, eirunde Ohr auf der Außenseite fast nackt. Auf der Oberseite zeigt der rauhe, dichte und kurze Pelz auf röthlichgelbem Grunde eine feine schwarze Sprenkelung, während die Seiten und der Vorderhals einfarbig rostroth erscheinen; die Unterseite und Beine sind licht ockergelb; die Kehle ist graulich, die Außenseite der Ohren schwärzlich, die Innenseite gelblich. Einzelne Stücke sind vollkommen einfarbig und tiefschwarz gefärbt. Erwachsene Alpenpfeifhasen werden etwa 25 Centim. lang.
Pallas hat die ersten Mittheilungen über das Leben der Pfeifhasen gegeben, Radde weitere Beobachtungen veröffentlicht, Przewalski neuerdings beider Berichte wesentlich vervollständigt. Alle Pfeifhasen finden sich auf den hohen Gebirgen Innerasiens zwischen ein- und viertausend Meter über dem Meere. Hier leben sie als Standthiere auf den felsigen, wilden, bergigen und grasreichen Stellen in der Nähe der Alpenbäche, bald einzeln, bald paarweise, manchmal in größerer Menge. Der Alpenpfeifhase gehört der ganzen ungeheueren Gebirgskette des Nordrandes Inner- und Hinterasiens an, kommt aber auch in Kamtschatka vor. Er bevorzugt nach Radde die waldigen Gegenden und meidet die kahlen Hochsteppen, in denen er durch eine zweite Art, den Otogono (zu deutsch: der Kurzschwänzige) oder die Ogotona ( Lagomys Ogotona ), ersetzt wird. Dieser Pfeifhase wählt, nach Przewalski's Erfahrungen, zu seinem Aufenthalte ausschließlich einen wiesenartigen Theil der Steppe, namentlich, wenn derselbe hügelig ist, tritt aber auch im Baikalgebirge nicht allzu selten auf. In der nördlichen und südöstlichen Mongolei begegnet man ihm häufig; in der wüstenhaften Gobi dagegen fehlt er fast überall gänzlich.
Kleine, selbst gegrabene Höhlen und natürliche Felsenritzen sind die Wohnungen der Pfeifhasen. Ihre Bauten bilden stets Siedelungen von wechselnder, regelmäßig jedoch erheblicher Anzahl der einzelnen Höhlen, so daß man da, wo man eine von diesen entdeckt hat, ihrer zehn, hundert, ja selbst tausende wahrnehmen kann. Bei hellem Wetter liegen sie bis Sonnenuntergang versteckt, bei trübem Himmel sind sie in voller Thätigkeit. Nach Eintritt strenger Winterkälte verlassen die Ogotonen, obgleich sie auch dann wach bleiben, ihre unterirdischen Wohnungen nicht; sobald aber die Kälte nachläßt, kommen sie zum Vorscheine, setzen sich vor dem Eingange nieder, um sich an der Sonne zu wärmen, oder laufen, laut pfeifend, eiligst von einer Höhle aus der anderen zu. Aus Furcht vor ihren Feinden schleichen sie oft nur bis zu halber Leibeslänge aus ihrem Baue hervor und recken dann den Kopf in die Höhe, um sich zu überzeugen, daß sie sicher sind. In ihrem Wesen paaren sich Neugier und Furcht. Einen herannahenden Menschen oder Hund betrachten sie so lange, daß der eine wie der andere bis auf zehn Schritte an sie herankommen kann, bevor sie, nunmehr aber blitzschnell, in ihrer Höhle verschwinden; bald jedoch überwindet Neugierde die Furcht: nach einigen Minuten zeigt sich am Eingange der unterirdischen Wohnung wiederum das Köpfchen des Thieres; es späht ängstlich in die Runde und erscheint, sobald der Gegenstand des Schreckens sich entfernt hat, sofort wieder auf der alten Stelle.
Radde nennt die Pfeifhasen thätige, friedliche und sehr fleißige Nager, welche große Vorräthe von Heu sammeln, in regelrechter Weise stapeln und zuweilen mit breitblätterigen Pflanzen zudecken, um sie vor dem Regen zu schützen. Die Ogotona beginnt schon Mitte Juni für den Winter zu sammeln und ist zu Ende des Monats damit aufs eifrigste beschäftigt. In der Wahl der Kräuter zeigt sie sich nicht sehr umständlich: sie nimmt da, wo sie nicht gestört wird, gern die saftigsten Gräser an, begnügt sich aber an Orten, wo muthwillige Knaben ihre Vorräthe zerstören
oder das weidende Vieh diese auffrißt, mit Gräsern und anderen Pflanzen, welche sonst von den Thieren verschmäht werden. Die von ihr zusammengetragenen Heuhaufen erreichen 12 bis 18 Centim. Höhe und 15 bis 30 Centim. Durchmesser. Gewöhnlich, aber nicht immer, liegen die Kräuter wohlgeordnet, bisweilen sogar geschichtet; einige Male fand Radde, daß die Gräser der höheren Schicht auf die einer unteren im rechten Winkel gelegt worden waren. Wenn die Felsen zerklüftet sind, werden die Ritzen als Scheunen benutzt; Radde zog aus einer 60 Centim. langen und 15 Centim. breiten Felsenspalte eine große Menge gesammelter und sehr schön erhaltener, stark duftender Kräuter hervor und fand einen zweiten, etwas geringeren Vorrath in der Nähe des ersteren unterhalb einer überragenden Felskante, welche ihn vor Feuchtigkeit schützte. Zu diesem Baue führen schmale Pfade, welche die Pfeifhasen ausgetreten haben, und zu deren beiden Seiten sie die kurzen Gräser abweiden. Stört man die fleißigen Sammler in ihrer Arbeit, so beginnen sie dieselbe wieder aufs neue, und manchmal schleppen sie noch im September die bereits vergilbten Steppenpflanzen zusammen. Wenn der Winter eintritt, ziehen sie vor ihren Höhlen Laufgräben unter dem Schnee bis zu den Heuschobern. Diese Gänge sind mannigfach gekrümmt und gewunden, und jeder einzelne hat sein Luftloch.
Alle Pfeifhasen trinken wenig. Im Sommer haben sie allerdings oft Regenwasser, im Winter Schnee zu ihrer Verfügung; im Laufe des Frühlings und Herbstes aber, um welche Zeit in der mongolischen Hochebene oft monatelang keine Niederschläge stattfinden und die Trockenheit der Luft die äußerste Grenze erreicht, fehlt ihnen sogar der Nachtthau zu ihrer Erquickung, und dennoch scheinen sie nichts zu entbehren.
Der Schrei des Alpenpfeifhasen, welchen man noch um Mitternacht vernimmt, ähnelt dem Rufe unseres Buntspechtes und wird, selten häufiger als dreimal, rasch hintereinander wiederholt. Die Ogotona pfeift nach Art der Mäuse, aber lauter und heller, und so oft hinter einander, daß ihr Ruf wie ein schrillender, zischender Triller klingt. Eine dritte Art, der Zwergpfeifhase ( Lagomys pusillus), soll einen Ruf ausstoßen, welcher dem Schlage unserer Wachtel täuschend ähnlich ist.
Zu Anfang des Sommers wirft das Weibchen, laut Pallas, gegen sechs nackte Junge und pflegt sie sorgfältig.
Leider haben die Thierchen viele Feinde. Sie werden zwar von den Jägern Ostsibiriens nicht verfolgt, aber fortwährend vom Manul, Wolf, Korsack und verschiedenen Adlern und Falken befehdet und ziehen im Winter die Schneeeule, ihren gefährlichsten Gegner, geradezu herbei. »Die Geschicklichkeit«, sagt Przewalski, »welche die gefiederten Räuber bei ihrer Jagd auf Pfeifhasen bethätigen, ist erstaunlich. Ich sah oft, wie Bussarde von oben herab mit solcher Schnelle auf Ogotonen stießen, daß diesen nicht Zeit blieb, in ihre Höhle sich zu ducken. Einmal führte auch ein Adler vor unseren Augen solches Kunststück aus, indem er sich aus einer Höhe von mindestens sechzig Meter auf einen vor seiner Höhle sitzenden Pfeifhasen stürzte und ihn erhob.« Die Bussarde nähren sich so ausschließlich von Ogotonen, daß sie sogar ihre Winterherberge nur der Pfeifhasen halber in der Gobi nehmen. Aber auch der Mensch schädigt die harmlosen Nager, weil er die mühevoll gesammelten Vorräthe raubt. In schneereichen Wintern treiben die Mongolen ihre Schafe in solche Gegenden, wo viele Ogotonen leben, oder füttern ihre Pferde mit dem von diesen gestapelten Heu.
Ueber das Gefangenleben fehlen Berichte. »Ich wüßte kein anderes Thier«, sagt Radde, »auf welches ich soviel Mühe vergeblich verwendete, um mich in seinen Besitz zu bringen, als eben auf diesen winzigen Felsenbewohner.«