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Während die Taschenspringmäuse den zierlichsten Nagern gleichen, erinnern die verwandten Taschenratten ( Geomyina ) an die plumpesten Glieder der Ordnung. Der Leib ist massig und unbeholfen, der Kopf sehr groß, der Hals dick, der Schwanz kurz; die niedrigen Beine haben fünfzehige Füße, die Vorderfüße außerordentlich entwickelte Krallen; der Pelz besteht aus straffen, steifen Grannen ohne Grundhaar. Zwanzig Zähne, ein mächtiger Schneidezahn und vier wurzellose, länglichrunde Backenzähne mit einfacher Kaufläche in jedem Kiefer bilden das Gebiß. Der breite und kräftige, zwischen den Augenhöhlen eingezogene Schädel hat große Jochbögen und außerordentlich entwickelte Schläfenbeine; die Wirbelsäule wird außer den Halswirbeln aus 12 rippentragenden, 7 rippenlosen, 5 Kreuz- und 17 Schwanzwirbeln zusammengesetzt; Schien- und Wadenbein sind verwachsen.
Bei den Taschenratten im engern Sinne ( Geomys) zeigen die oberen Schneidezähne eine Furche in der Mitte, und sind die Ohren verkümmert. Von den vielen Arten, welche man neuerdings unterschieden hat, mag uns die am besten bekannte ein Bild der Familie geben.
Die Taschenratte oder der » Goffer«, wie er im Lande selbst heißt ( Geomys bursarius, Mus, Cricetus, Saccophorus, Pseudostoma und Ascomys bursarius, Mus saccatus, Ascomys und Geomys canadensis) ist etwas kleiner als unser Hamster, sammt dem 6,5 Centim. langen Schwanze 35 Centim. lang, und steht hinsichtlich seiner Gestalt etwa zwischen Hamster und Maulwurf mitten inne. Der Pelz ist ungemein dicht, weich und fein. Die Haare sind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der Oberseite und gelbgrau auf der Unterseite; der Schwanz und die spärlich behaarten Füße haben weißliche Färbung.
Die Thierkundigen, welche über den Goffer zuerst berichteten, erhielten ihn von Indianern, welche sich das Vergnügen gemacht hatten, beide Backentaschen mit Erde vollzupfropfen und dadurch so ungebührlich auszudehnen, daß die Taschen beim Gehen des Thieres auf der Erde geschleppt haben würden. Die künstlich ausgedehnten Taschen verschafften dem Goffer seine Namen; die Ausstopfer bemühten sich nach Kräften, den Scherz der Indianer nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten sich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen. Diesen Umständen haben wir es zuzuschreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre Scheusale von Thieren vorführen, wenn sie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen.
Der Goffer verbreitet sich über das östlich von dem Felsengebirge und westlich vom Mississippi und zwischen dem 34. und 52. Grad nördlicher Breite gelegene Land. Er führt ein unterirdisches Leben, ganz wie der Maulwurf, gräbt zahlreiche und weit verzweigte Gänge in den verschiedensten Richtungen und wirft Haufen auf, welche denen unseres Maulwurfes vollständig ähneln. Manchmal geben seine Wühlereien der Oberfläche beinahe das Aussehen gepflügter Felder, zu anderen Zeiten, zumal im Winter, bemerkt man seine Thätigkeit kaum. Bloß während der warmen Jahreszeit kommt er ab und zu einmal auf die Oberfläche der Erde; die kalte Zeit scheint er zu verschlafen. Erst in der Neuzeit haben tüchtige Naturforscher schärfere Beobachtungen über die Lebensweise des bereits seit Ende des vorigen Jahrhunderts bekannten Thieres gemacht; namentlich Audubon, Bachmann und Gesner beschreiben sein unterirdisches Leben ziemlich genau. »In einem Garten, in welchem wir mehrere frisch aufgeworfene Hügel bemerkten«, erzählen die erstgenannten, »gruben wir einer Taschenratte nach und legten dadurch mehrere ihrer unterirdischen Gänge in den verschiedensten Richtungen hin bloß. Einer von den Hauptgängen verlief ungefähr 30 Centim. tief unter der Erde, außer wenn er die Gartengänge kreuzte, wo er dann tiefer sank. Wir verfolgten den ganzen Gang, welcher durch ein breites Gartenbeet und unter zwei Wegen hinweg noch in ein anderes Beet verlief, und fanden, daß viele der besten Pflanzen durch diese Thiere vernichtet worden waren, indem sie die Wurzeln gerade an der Oberfläche der Erde abgebissen und aufgefressen hatten. Die Höhle endete in der Nähe der Pflanzung unter einem Rosenbusche. Hierauf verfolgten wir einen anderen Hauptgang, welcher bis in das Gewurzel eines großen Buchenbaumes lief; hier hatte die Ratte die Rinden abgenagt. Weiter und weiter untersuchend, fanden wir, daß viele Höhlen vorhanden waren, und einige von ihnen aus dem Garten hinaus in das Feld und in den nahen Wald führten, wo wir dann unsere Jagd aufgeben mußten. Die Haufen, welche diese Art aufwirft, sind ungefähr 30 bis 40 Centim. hoch und stehen ganz unregelmäßig, manchmal nahe bei einander, gelegentlich auch zehn-, zwanzig-, ja sogar dreißigmal weiter entfernt. Gewöhnlich aber sind sie nach oben, nahe an der Oberfläche, geöffnet, wohlbedeckt mit Gras oder anderen Pflanzen.« Aeltere Gänge sind innen festgeschlagen, die neueren nicht. Hier und da zweigen sich Nebengänge ab. Die Kammer wird unter Baumwurzeln in einer Tiefe von etwa 1½ Meter angelegt; die Höhle senkt sich schraubenförmig zu ihr hinab. Sie ist groß, gänzlich mit weichem Grase ausgekleidet, einem Eichhornneste nicht unähnlich, und dient dem Thiere zum Ruhen und Schlafen. Das Nest, in welchem das Weibchen zu Ende des März oder im Anfange des April seine fünf bis sieben Junge bringt, ist der Kammer ähnlich, jedoch innen noch mit den Haaren der Mutter ausgekleidet. Wie das Nest des Maulwurfes umgeben es Rundgänge, von denen aus die Röhren sich abzweigen. Gesner fand, daß vom Neste aus ein Gang zu einer größeren Höhlung, der Vorrathskammer, führt. Sie ist gefüllt mit Wurzeln, Erdfrüchten (Kartoffeln), Nüssen und Sämereien.
In den Morgenstunden von vier bis zehn Uhr arbeitet die Taschenratte am eifrigsten am Weiter- oder Ausbau ihrer Wohnung, unzweifelhaft in der Absicht, sich mit Speise zu versorgen. Wenn der Ort reich an Nahrung ist, werden in dieser Zeit drei bis fünf Meter Höhlung gebaut und zwei bis fünf Hügel aufgeworfen; im entgegengesetzten Falle durchwühlt das Thier größere Strecken und arbeitet länger. Zuweilen unterbricht es die Arbeit wochenlang; es scheint dann von den aufgespeicherten Vorräthen zu zehren. Beim Aufwerfen der Erde, welches der Goffer ganz nach Art des Maulwurfs bewerkstelligt, läßt er seinen Leib so wenig als möglich sichtbar werden und zieht sich augenblicklich wieder in die sichere Tiefe zurück. Auf dem Boden erscheint er, um sich dürres Gras für seinen Wohnraum oder das Nest zu sammeln und, nach Audubon, um sich zu sonnen. Sein vortrefflicher Geruch und das ausgezeichnete Gehör sichern ihn hier vor Ueberraschungen; bei vermeinter Gefahr stürzt er sich augenblicklich in die Tiefe, auch wenn er sich erst durch Neugraben eines Schachtes den Eingang erzwingen müßte.
Im Laufen über der Erde humpelt der Goffer schwerfällig dahin, niemals sprungweise, oft mit nach unterwärts eingeschlagenen Nägeln der Vorderfüße, den Schwanz auf der Erde schleifend. Er kann fast ebenso schnell rückwärts als vorwärts laufen, über dem Boden aber nicht schneller, als ein Mann geht, dahinrennen. In seinen Höhlen soll er sich mit der Hurtigkeit des Maulwurfs bewegen. Aeußerst unbehülflich erscheint er, wenn man ihn auf den Rücken legt; es bedarf wohl einer Minute, ehe es ihm gelingt, sich durch Arbeiten und Stampfen mit den Beinen wieder umzuwenden. Beim Fressen setzt er sich oft auf die Hinterbeine nieder und gebraucht die vorderen nach Eichhörnchenart. Schlafend rollt er sich zusammen und birgt den Kopf zwischen den Armen an der Brust.
Seine ungeheuren Backentaschen füllt er beim Weiden mit der Zunge an und entleert sie wieder mit den Vorderfüßen. Sie treten, wie bei anderen Nagern auch, mehr und mehr nach außen hervor, je voller sie werden, und gewinnen dann eine länglich eiförmige Gestalt, hängen aber niemals sackartig zu beiden Seiten der Schnauze herab und erschweren dem Thiere keine seiner Bewegungen. Die gesammelten Nahrungsvorräthe schüttet es zuweilen gleich von außen her durch einen senkrechten, später zu verstopfenden Schacht in seinen Speicher. Gänzlich aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, daß er seine Backentaschen benutze, um die losgewühlte Erde aus seinen Bauen herauszuschaffen. Die Laune des Indianers, welcher den ersten Goffer einem Naturforscher brachte, erklärt den Ursprung jener Angabe, widerlegt sie aber auch zugleich.
Der Schaden, welchen der Goffer anrichtet, kann sehr bedeutend werden. Er vernichtet zuweilen durch Abnagen der Wurzeln Hunderte von werthvollen Bäumen in wenigen Tagen und verwüstet oft ganze Felder durch Anfressen der von ihm sehr gesuchten Knollenfrüchte. Deshalb wird der Mensch auch ihm, welcher sonst nur vom Wasser oder von Schlangen zu leiden hat, zum gefährlichsten Feinde. Man setzt ihm Maulwurfsfallen aller Art, namentlich kleine Tellereisen. Groß ist die Anstrengung gefangener, sich zu befreien, und gar nicht selten, freilich aber nur nach Verlust des eingeklemmten Beines, gelingt solches dem erbosten Thiere zum Aerger des Fängers. Gegen herbeikommende Feinde wehrt sich der Goffer mit wüthenden Bissen.
Audubon hat mehrere Taschenratten wochenlang gefangen gehalten und mit Knollengewächsen ernährt. Sie zeigten sich überraschend gefräßig, verschmähten dagegen zu trinken, obgleich ihnen nicht bloß Wasser, sondern auch Milch geboten wurde. An ihrer Befreiung arbeiteten sie ohne Unterlaß, indem sie Kisten und Thüren zu durchnagen versuchten. Kleidungsstücke und Zeug aller Art schleppten sie zusammen, um sich ein Lager davon zu bilden, und zernagten es natürlich. Auch Lederzeug verschonten sie nicht. Einmal hatte sich eine von Audubon's gefangenen Taschenratten in einen Stiefel verirrt: anstatt umzukehren, fraß sie sich an der Spitze einfach durch. Wegen dieses Nagens und des dadurch hervorgebrachten Geräusches wurden die Thiere selbst unserem entsagungsstarken Forscher unerträglich.