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Fünfte Ordnung.
Die Kerfjäger ( Insectivora).

 

Allgemeines

Ungefähr dieselbe Stellung, welche die Fledermäuse unter den Handthieren einnehmen, kommt den Kerbthierfressern unter den Krallenthieren zu. Nach den Ergebnissen der neueren Forschung ist es falsch, sie mit den Raubthieren zu vereinigen; denn sie weichen von diesen mehr ab als von den Flatterthieren und Nagern. An erstere erinnert die merkliche Uebereinstimmung des Gebisses beider Gruppen, an letztere Größe und Gestalt, Wesen und Eigenschaften.

Meist Säugethiere von unschönem und selbst häßlichem Aeußeren, zeichnen sich die Kerfjäger durch auffallende Verkümmerung und ebenso bemerkenswerthe Vergrößerung einzelner Theile aus. Ihr Leib ist in der Regel gedrungen gebaut, der Kopf gestreckt, die Nase rüsselförmig verlängert; die Gliedmaßen, mit Ausnahme des Schwanzes und, bei einzelnen Arten, der Hinterbeine, sind verkürzt, die Sinneswerkzeuge ebensowohl hoch ausgebildet wie verkümmert; die Bekleidung des Leibes durchläuft vom weichen Sammetfell bis zum Stachelgewande verschiedene Zwischenstufen. Im Gebiß finden sich alle drei Arten von Zähnen; die Vorderzähne aber ändern bei den verschiedenen Familien und Sippen wesentlich ab, die Eckzähne erreichen bei einzelnen auffallende Größe und sind bei anderen kleiner als die Schneidezähne, und nur die Backenzähne stimmen insofern überein, als die vorderen von ihnen ein-, die hinteren dagegen mehrspitzig sind. Wie bei den Fledermäusen vertritt der hinterste einspitzige Backenzahn den Reißzahn der Raubthierc, und es werden somit die vor ihm stehenden Backenzähne als Lückzähne, die hinter ihm stehenden als Höcker- oder Mahlzähne angesprochen. Der Schädel ist meist gestreckt kegelförmig, die knöcherne Augenhöhle nur bei wenigen geschlossen, der Jochbogen bei einzelnen nicht entwickelt, der Schädelgrund bei einigen eben, bei anderen stellenweise häutig; die Gelenkgruben des Unterkiefers richten sich mit ihrem unteren Ende nach vorn. Das Schulterbein ist stets wohl entwickelt, das in der Regel platte Brustbein bei einzelnen Sippen mit vorspringendem Kamme versehen; die Anzahl der Wirbel und Rippen schwankt erheblich; Schien- und Wadenbein verwachsen oft am unteren Ende. An den Füßen finden sich regelmäßig fünf Zehen; aber die Entwickelung dieser wie der Hand- und Fußwurzeln ist sehr verschieden. Unter den Muskeln verdient der bei einzelnen Arten besonders ausgebildete Hautrollmuskel der Erwähnung. Ein Blinddarm fehlt meistens. Das Gehirn ist dem der Flatterthiere ähnlich und verhältnismäßig klein; die windunglosen Hemisphären des Großhirns bedecken das kleine Gehirn.

Mit dieser Leibesbildung stehen die geistigen Fähigkeiten und die Lebensweise im Einklange. Die Kerbthierfresser sind stumpfe, mürrische, mißtrauische, scheue, die Einsamkeit liebende und heftige Gesellen. Bei weitem die meisten leben unterirdisch, grabend und wühlend oder wenigstens in sehr tief verborgenen Schlupfwinkeln sich aufhaltend; einige bewohnen jedoch auch das Wasser und andere die Bäume. Durch ihre erstaunliche Thätigkeit thun sie der Vermehrung der schädlichen Kerfe und Würmer, der Schnecken und anderer niederer Thiere, selbst auch der Ausbreitung mancher kleinen Nager wesentlichen Abbruch. Sie sind also fast ohne Ausnahme höchst nützliche Arbeiter im Weinberge, werden jedoch nur von dem Naturkundigen erkannt und geachtet; die große Menge verabscheut sie. Man sieht hierin, wie Vogt sagt, so recht die Wahrheit des alten Sprichwortes, daß die Nacht keines Menschen Freund ist. »Was nur irgend in der Dunkelheit fleugt und kreucht, wird von dem Volksgefühle schon ohne weitere Untersuchung gehaßt, und es hält außerordentlich schwer, der Allgemeinheit die Ueberzeugung beizubringen, daß die Späher und Häscher, welche dem im Dunkeln schleichenden Verderber auf die Spur kommen wollen, auch den Gängen desselben nachspüren müssen, und nicht am hellen Tageslicht ihrer Verfolgung obliegen können.

»Ein Blick in den geöffneten Rachen eines Kerfjägers überzeugt uns unmittelbar, daß diese Thiere nur Fleischfresser sein können, noch fleischfressender, wenn man sich so ausdrücken darf, als Katzen und Hunde, welche das System vorzugsweise Fleischfresser nennt. Die beiden Kiefern starren von Spitzen und geschärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne, bald weiter hinten über die Ebene der Kronzacken hervor; scharfe Pyramiden, den Spitzen einer auf zwei Reihen doppelt geschärften Säge ähnlich, wechseln mit Zahnformen, welche den Klingen der englischen Taschenmesser nicht unähnlich sind. Die ganze Einrichtung weist darauf hin, daß die Zähne dazu bestimmt sind, selbst hartschalige Insekten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Diese Charaktere können nicht trügen, denn, wie Savarin, der berühmte französische Gastronom, den Satz aufstellen konnte: »Sage mir, was du issest, und ich sage dir, was du bist;« so kann man auch von den Säugethieren sagen: »Zeige mir deine Zähne, und ich sage dir, was du issest und wer du bist«. Der Kerbthierfesser kaut und mahlt nicht mit seinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen werden nicht von oben her abgerieben, sondern nur geschärft durch das seitliche Ineinandergreifen der Zacken des Gebisses. Man nehme sich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer Ratte, mit demjenigen eines Maulwurfs zu vergleichen, und das unterscheidende Gepräge beider wird mit größter Bestimmtheit in die Augen springen. Das Gebiß einer Spitzmaus, zu den Maßen desjenigen eines Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft schauderhaftes Zerstörungswerkzeug darstellen.«

Ich glaube nicht, daß man den Nutzen, welchen diese Thiere dem Menschen bringen, mit weniger Worten und schärfer bezeichnen könnte, als es Vogt hier gethan hat. Und nicht bloß er allein hat auf diesen Nutzen hingewiesen, sondern schon viele Naturforscher vor ihm. Aber gegen das einmal eingewurzelte Vorurtheil der Menschen läßt sich leider allzu schwer ankämpfen, und traurigerweise ist der Satz nur zu tief begründet, daß der Mensch oft gerade das, was ihm den meisten Nutzen bringt, durchaus nicht anerkennen will. Man verfolgt die kleinen Wühler, ihrer unschönen Gestalt, ihrer Lebensweise wegen, wo man sie antrifft, und vergißt dabei gänzlich, was sie leisten, was sie sind. Anders freilich wird derjenige handeln, welcher sich mit ihrem Leben näher beschäftigt. Er findet so vieles, was ihn anzieht und fesselt, daß er sehr bald die unschöne Körpergestalt vergißt und ihnen allen nun seine größte Theilnahme und Unterstützung zukommen läßt.

Mehrere Kerbthierräuber halten einen Winterschlaf und würden zu Grunde gehen, wenn die Natur nicht in dieser Weise für ihre Erhaltung gesorgt hätte. Mit der eintretenden Kälte macht das niedere Thierleben gewissermaßen einen Stillstand, und tausende und andere tausende der unseren Räubern zur Nahrung bestimmten Geschöpfe schlummern entweder in den ewigen Schlaf oder wenigstens in einen zeitweiligen hinüber; damit verödet die Erde für die Feinde der Kerbthiere, und sie müssen jetzt, weil sie nicht wandern können, wie die Vögel, dem Vorgänge jener gewissermaßen Folge leisten. So ziehen sie sich denn nach den verborgensten Schlupfwinkeln zurück oder bereiten sich selbst solche und fallen hier in den tiefen Winterschlaf, welcher, wie wir oben kennen lernten, zeitweilig fast alle Regungen des Lebens aufhebt und somit ihrem Leibe bis zum neuen Erwachen die Lebensthätigkeit erhält. Doch schlafen nur diejenigen Arten der Ordnung, welche weniger als die übrigen Räuber sind, bezüglich neben der thierischen Nahrung auch Pflanzenstoffe fressen, während gerade die eifrigsten Kerbthierräuber im Winter wie im Sommer ihrem Gewerbe nachgehen. Unter dem Schnee oder unter der Erde wie in der Tiefe des Wassers währt auch im Winter noch das Leben, das Rauben und Morden fort; dasselbe ist selbstverständlich ebenso in den glücklichen Ländern der Fall, in denen es einen ewigen Sommer oder wenigstens keinen Winter gibt, möge er nun durch die sengende Glut des Südens oder die erstarrende Kälte des Nordens hervorgebracht werden.

Nach diesen Bemerkungen läßt sich die Verbreitung unserer Thiere von vornherein feststellen. Sie finden sich hauptsächlich in den gemäßigten Ländern der Erde und in den wasserreichen Gegenden unter den Wendekreisen, nehmen aber ebensowohl nach Norden hin wie dort, wo die Hitze allgemeine Trockenheit hervorruft, bedeutend an Arten ab. Wasserreiche oder doch feuchte Waldungen, Haine, Pflanzungen und Gärten bilden auch für sie Lieblingswohnsitze, von denen sie kaum jemals sich trennen. Hier treiben sie still und geräuschlos ihre Jagd, weitaus die meisten bei Nacht, einige aber auch angesichts der Sonne. Im Verhältnis zu ihrer Größe sind sie als überaus gefräßige Thiere zu bezeichnen, und hiermit im Einklange stehen Raubgier und Mordsucht, welche fast alle bethätigen. Einzelne überfallen Thiere von viel bedeutenderer Größe als sie selbst sind, stehen also hierin den Katzen und Hunden nicht im geringsten nach. Ihre Fortpflanzung fällt in die Frühlingsmonate der betreffenden Heimat; die Anzahl der Jungen schwankt zwischen Eins und Sechszehn. Für den menschlichen Haushalt haben alle Arten nur mittelbare Bedeutung. Einige werden gegessen, andere auch wohl zur Vertilgung von Mäusen in Gefangenschaft gehalten; hierauf beschränkt sich die unmittelbare Nutzung der im ganzen wenig beachteten Genossenschaft.

Ueber die Eintheilung der Kerbthierfresser sind die Ansichten der Forscher verschieden. Früher nahm man nur drei Familien an, gegenwärtig theilt man diese in sechs Gruppen, stellt auch, Peters Vorgange folgend, ein bisher in der Ordnung der Halbaffen untergebrachtes Thier hierher und bildet somit sieben Familien.


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