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Siebente Familie: Wurfmäuse ( Cunicularia

Die Familie der Wurfmäuse ( Cunicularia) besteht aus misgestalteten, häßlichen, unterirdisch lebenden Nagern. Gewissermaßen die Vertreter der Maulwürfe innerhalb ihrer Ordnung, besitzen sie alle unangenehmen Eigenschaften dieser Wühler, ohne deren Nutzen zu bringen. Der Leib ist plump und walzenförmig, der Kopf dick, breit, flachstirnig und stumpfschnäuzig; die Augen sind außerordentlich klein oder liegen gänzlich unter der äußern Haut verborgen; die sehr kleinen Ohren entbehren äußerlich sichtbarer Muscheln; der Schwanz fehlt oder ist im Pelze versteckt. Um so mehr treten die fast gleichmäßig entwickelten fünfzehigen Füße hervor; denn wie bei den Maulwürfen sind die vorderen stärker als die hinteren und alle mit sehr kräftigen Grabekrallen bewehrt. An dem hinten sehr breiten, vorn abschüssigen Schädel fällt besonders der in zwei ungleiche Aeste getheilte Jochfortsatz auf. In der Wirbelsäule zählt man außer den Halswirbeln 12 bis 14 rippentragende, 5 bis 6 rippenlose, 2 bis 5 Kreuz- und 5 bis 13 Schwanzwirbel. Das Schlüsselbein ist sehr kräftig, der Oberarm breit und stark. Die Schneidezähne sind breit und flach, die drei, vier oder sechs Backenzähne in jedem Kiefer gefaltet und mit Wurzeln versehen oder wurzellos.

Alle Wurfmäuse gehören der alten Welt an. Sie bewohnen meist trockene, sandige Ebenen und durchwühlen nach Art der Maulwürfe den Boden auf weite Strecken hin. Keine Art lebt gesellig; jede wohnt einzeln in ihrem Baue und zeigt auch das mürrische, einsiedlerische Wesen des Maulwurfes. Lichtscheu und unempfindlich gegen die Freuden der Oberwelt, verlassen die Wurfmäuse nur höchst selten ihre unterirdischen Gänge, arbeiten meistens auch hier nicht einmal während des Tages, sondern haupsächlich zur Nachtzeit. Mit außerordentlicher Schnelligkeit graben sie, mehrere sogar senkrecht tief in den Boden hinein. Auf der Erde ungemein plump und unbeholfen, bewegen sie sich in ihren unterirdischen Palästen vor- und rückwärts mit fast gleicher Gewandtheit. Ihre Nahrung besteht nur in Pflanzen, meistens in Wurzeln, Knollen und Zwiebeln, welche sie aus der Erde wühlen; ausnahmsweise fressen einige auch Gras, Rinde, Samen und Nüsse. Die in kalten Gegenden wohnenden sammeln sich zwar Nahrungsvorräthe ein, verfallen aber nicht in einen Winterschlaf, sondern arbeiten rüstig weiter zum Nachtheile der Felder, Gärten und Wiesen. Glücklicherweise vermehren sie sich nicht sehr stark, sondern werfen bloß zwei bis vier Junge, für welche manche Arten ein Nest herrichten.


Die bekannteste Art dieser Familie ist die Blindmaus ( Spalax Typhlus, Mus und Marmota Typhlus, Spalax microphthalmos, Pallassii und xanthodon, Marmota podolica, Cuniculus subterraneus). Der Kopf ist stumpfschnäuzig und stärker als der Rumpf, der kurze, unbewegliche Hals so dick wie der schwanzlose Leib; die kurzen Beine zeigen breite Pfoten mit starken Zehen und Krallen. Die Augen haben kaum die Größe eines Mohnkornes und liegen unter der Haut verborgen, können also zum Sehen nicht benutzt werden. Die Körperlänge beträgt 17 Centim. An dem dicken Kopfe ist der Schädel abgeplattet, die Stirne flach, die Schnauze stumpf gerundet, die Nase dick, breit und knorpelig, mit runden, weit auseinander stehenden Löchern. Gewaltige, dicke und gleich breite, vorn meißelartig abgeschliffene Nagezähne ragen weit aus dem Maule hervor; die drei Backenzähne in jedem Kiefer zeigen keine Schmelzbuchten, und ihre Kauflächen ändern sich, sobald die Zahnkronen sich abzuschleifen beginnen, ununterbrochen. An den Füßen sind alle Zehen stark und mit tüchtigen Scharrkrallen versehen; an den Vorderfüßen stehen sie weit von einander ab und sind nur im Grunde durch eine kurze Spannhaut verbunden. Der Schwanz wird durch eine schwach hervorragende Warze angedeutet. Ein dichter, glatt anliegender, weicher Pelz, welcher auf der obern Seite etwas länger als auf der untern ist, bekleidet den Körper; starre, borstenähnliche Haare bedecken die Kopfseiten von den Nasenlöchern an bis zur Augengegend und bilden eine bürstenartige Haarkante. Die Zehen sind nicht mit Haaren bekleidet, die Sohlen aber ringsum mit starren, langen, nach abwärts gerichteten Haaren eingefaßt. Im allgemeinen ist die Färbung gelbbräunlich, aschgraulich überflogen, der Kopf lichter, nach hinten hin bräunlich, die Unterseite dunkelaschgrau mit weißen Längsstreifen an der Hinterseite des Bauches und weißen Fleckchen zwischen den Hinterbeinen, die Mundgegend wie das Kinn und die Pfoten schmutzigweiß.

Die Blindmaus findet sich im südöstlichen Europa und im westlichen Asien, zumal im südlichen Rußland an der Wolga und am Don, in der Moldau und in einem Theile von Ungarn und Galizien, kommt auch in der Türkei und Griechenland vor; gegen Asien begrenzen Kaukasus und Ural ihre Heimat. Besonders häufig ist sie in der Ukraine. Im Altaigebirge vertritt sie eine merklich größere Art der Familie, der Zokor ( Spalax – Siphneus – aspalax), dessen Lebensweise durchaus mit der ihrigen übereinstimmen und es rechtfertigen dürfte, wenn ich über jenen gewonnene Beobachtungen auf sie beziehe.

Wie fast alle Wurfmäuse wohnt sie in fruchtbaren Gegenden und haust in unterirdischen, weit verzweigten Bauen, deren Vorhandensein man an zahllosen Haufen erkennt. Letztere sind sehr groß, viel größer als die des Maulwurfs, aber nicht hohe, sondern auffallend flache Hügel. Der ungemein winkelige Gang verläuft in geringer Tiefe unter der Oberfläche, durchschneidet feuchte, mit Wasser förmlich gesättigte Thäler, überschreitet Bäche und klettert an den Gehängen der Bergwände empor. Hier und da zweigt sich ein Nebengang ab, mündet wohl auch auf der Oberfläche. Während des Winters werden die Gänge so dicht unter der Grasnarbe angelegt, daß ihre erdige Ueberwölbung höchstens zwei Centimeter dick zu sein pflegt und der darüber liegende Schnee die eigentliche Decke bildet. Die Blindmaus hält keinen Winterschlaf, arbeitet daher fortwährend, nach Versicherung der Kirgisen, am eifrigsten in den Mittagsstunden und bei Sonnenschein, am trägsten des Morgens und bei Regen. Beim Graben soll sie die starken Schneidezähne benutzen, um das Wurzelwerk zu durchnagen, beziehentlich die Erde, welche zwischen den Wurzeln liegt, zu zerkleinern. Die losgescharrte Erde wirft sie mit dem Kopfe in die Höhe und schleudert sie dann mit den Vorder- und Hinterbeinen zurück. Sie lebt ebensowenig gesellig wie der Maulwurf, viel häufiger aber in größerer Nähe mit anderen ihrer Art zusammen. Um die Zeit der Paarung kommt sie manchmal, um sich zu sonnen, auch bei Tage auf die Oberfläche, eilt jedoch bei drohender Gefahr schleunigst wieder ihrem Baue zu oder gräbt sich, wenn sie nicht augenblicklich die Mündung findet, mit überraschender Schnelligkeit in die Erde ein, im Nu den Blicken sich entziehend. Häufiger noch als in den Mittagsstunden soll sie am frühen Morgen und in der Nachtzeit aus ihren Gängen hervorkommen.

siehe Bildunterschrift

Blindmaus ( Spalax Typhlus). ½ natürl. Größe.

So ungeschickt und täppisch, wie man gewöhnlich angibt, sind die Bewegungen der Blindmaus nicht. Ein Zokor, welchen ich laufen sah, huschte mit der Schnelligkeit einer Ratte über den Boden dahin, eilte einem Bache zu, stürzte sich kopfüber ins Wasser, schwamm rasch ein Stück in ihm fort und verschwand eilfertig in einem hier ausmündenden Loche. Daß wenigstens diese Art ein trefflicher Läufer und Schwimmer ist, versicherten einstimmig alle von mir befragten Kirgisen, und dasselbe wird man wohl auch von der Blindmaus sagen können. Wie diese unterirdisch sich benimmt, weiß man nicht. Unter den Sinnen, welche sämmtlich wenig entwickelt sein dürften, scheint das Gehör eine hervorragende Rolle zu spielen. Man hat beobachtet, daß die Blindmaus gegen Geräusch sehr empfindlich ist und hauptsächlich durch den Gehörsinn geleitet wird. Wenn sie im Freien sich befindet, sitzt sie mit emporgerichtetem Kopfe ruhig vor der Mündung ihrer Gänge und lauscht höchst aufmerksam nach allen Seiten hin. Bei dem geringsten Geräusche hebt sie den Kopf noch höher und nimmt eine drohende Stellung an oder gräbt sich senkrecht in den Boden ein und verschwindet. Wahrscheinlich trägt auch der Geruch bei, den fehlenden Gesichtssinn bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen. Ihr Wesen scheint mit dem anderer kleinen Nager übereinzustimmen. Man bezeichnet sie als ein muthiges und bissiges Geschöpf, welches im Nothfalle seine kräftigen Zähne in empfindlicher Weise zu gebrauchen weiß, ergriffen, heftig schnaubt und knirscht und wüthend um sich beißt. Ein von uns gefangener Zokor benahm sich ruhiger, versuchte nicht, sich zu befreien, zappelte auch nur wenig, als wir ihn im Genicke gepackt hatten und festhielten. In dem ihm angewiesenen Gefängnisse ließ er ein schwaches Quieken vernehmen; andere Laute hörten wir nicht.

Die Blindmaus nährt sich, wenn nicht ausschließlich, so doch vorwiegend von pflanzlichen Stoffen, insbesondere von allerlei Wurzelwerk, im Nothfalle auch von Baumrinde. Finden sich in ihrem Wohngebiete Pflanzen mit tiefgehenden Wurzeln, so senkt sie ihre Gänge im Winter bis unter die hartgefrorene Kruste des Bodens, wenn nicht, schürft sie jene flachen Wege dicht unter dem Schnee. Wintervorräthe hat man in ihren Gängen noch nicht aufgefunden, wohl aber Nester, welche aus den feinsten Wurzeln zusammengebaut sind. In einem solchen Neste wirft das Weibchen im Sommer seine zwei bis vier Jungen.

Das Thier fügt dem Menschen im ganzen geringen Schaden zu, obgleich ihm viel böses nachgesagt wird, ebensowenig aber bringt es irgend welchen Nutzen. Die Russen glauben, daß es dem Menschen besondere Heilkräfte verleihen könne, indem derjenige, welcher Muth genug hat, es auf seine bloße Hand zu setzen, sich beißen zu lassen und es hierauf durch Erdrücken langsam umzubringen, später befähigt wäre, durch bloßes Auflegen der Hand Drüsengeschwülste aller Art zu heilen. Hierauf bezieht sich auch einer der Landesnamen, welcher soviel als »Drüsenarzt« bedeutet. Die Russen nennen unsere Wurfmaus übrigens » Slapusch« oder die Blinde; in Galizien heißt sie » Ziemni-bisak« und in Ungarn » Földi-kölök«.


Der afrikanische Vertreter der Wurfmäuse, der Strandgräber ( Bathyergus maritimus, Mus suillus und maritimus, Bathyergus suillus, Orycterus maritimus), ist ebenso unschön wie die übrigen hierher gehörigen Thiere, plump gebaut, mit walzigem Rumpfe, breitem, stumpfem Kopfe, ohne Ohrmuscheln, mit sehr kleinen Augen und breiter, knorpeliger Nasenspitze, kurzen Beinen und fünfzehigen, durch riesige Scharrnägel bewehrten Pfoten. Der Pelz ist dicht, außerordentlich weich und fein; lange, ganz steife Schnurren umgeben den Kopf; der stummelhafte Schwanz trägt einen Strahlenbüschel. Auffallend lang sind die weit vorragenden, schwach gebogenen, weißen Nagezähne, deren oberes Paar durch eine tiefe Rinne förmlich getheilt ist. Unter den vier Nagezähnen in jedem Kiefer ist der hinterste der größte. Die allgemeine Färbung des Pelzes ist weiß, oben gelblich, unten grau überlaufen. Die Länge beträgt einschließlich des 5 Centim. langen Schwanzes 30 Centim.

Der Strandgräber ist über einen verhältnismäßig kleinen Theil Südafrikas verbreitet; am häufigsten findet er sich am Vorgebirge der Guten Hoffnung. Sandige Küstengegenden bilden seinen Aufenthalt, und sorgfältig vermeidet er jeden festeren und pflanzenreicheren Boden. In den Dünen oder Sandhügeln längs der Küste wird er häufig getroffen. Sein Leben ist unterirdisch. Er gräbt sich tief im Sande lange, verzweigte, röhrenartige Gänge, welche von mehreren Mittelpunkten ausstrahlen und unter einander vielfach verbunden sind. Reihenweise aufgeworfene Haufen bezeichnen ihren Verlauf.

Die Gänge sind weit größer als die des Maulwurfes, da das fast hamstergroße Thier selbstverständlich Röhren von größerem Durchmesser graben muß als der kleinere Mull. Wie es scheint, ist der Strandgräber emsig bemüht, überall dem Eindringen der äußeren Luft zu wehren, wie er denn überhaupt ein im höchsten Grade lichtscheues Geschöpf ist. Kommt er durch irgend einen Zufall auf die Erde, so kann er kaum entfliehen. Er versucht dann, sich auf höchst unbeholfene Art fortzuschieben und zeigt sich ängstlich bemüht, wieder in die Tiefe zu gelangen. Greift man ihn an, so schleudert er heftig den Vorderleib umher und beißt wüthend um sich. Die Bauern hassen ihn außerordentlich, weil er den Boden so unterwühlt, daß häufig die Pferde von oben durchtreten und Gefahr laufen, die Beine zu brechen, ja, daß selbst Menschen sich schädigen. Gewöhnlich wirft er morgens um sechs Uhr oder nachts um zwölf Uhr seine Haufen auf. Dies benutzen die Bauern, um ihn zu vertilgen. Sie räumen einen Haufen weg, öffnen eines seiner Löcher, legen in dasselbe eine gelbe Rübe oder andere Wurzel und befestigen diese an einer Schnur, welche den Drücker einer Flinte abzieht, deren Lauf nach dem Loche gerichtet ist. Sobald der Strandgräber an der Rübe zerrt, entladet er die Flinte und tödtet sich selbst durch den Schuß. Auch leitet man Wasser in seine Baue, um ihn zu ersäufen. Weiteres über ihn und seine Lebensweise scheint noch nicht bekannt zu sein. Von der Paarung und Fortpflanzung weiß man nichts.


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