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Johann Wolfgang von Goethe, Farbenlehre.

Herausgegeben und eingeleitet von Hans Wohlbold. Jena: Eugen Diederichs 1928. 559 S.

Im vergangenen Winter hat der Berliner Bibliophilen-Abend an seine Mitglieder als Festgabe eine Faksimile-Ausgabe der Goetheschen »Beiträge zur Optik« verteilen lassen. Vielleicht ist unter den Beschenkten manchem – wie dem unterfertigten Zaungast – der Gedanke gekommen, ob man dies Werk nicht gerade als das enfant terrible unter den Goetheschen Geisteskindern für so besonders geeignet gehalten hat, in eine geschlossene Gesellschaft zitiert zu werden. Hieß es nicht, die Freiheit dieser Tafelrunde auf das schmeichelhafteste sich zum Bewußtsein bringen? Wer so vor sich hinspann, wird nun besonders erfreut sein, daß inzwischen ein Verleger und ein Herausgeber sich recht öffentlich und ausdrücklich zu ihm bekannt und auch die Kosten und Bemühungen nicht gescheut haben, es zwar weniger altfränkisch, aber adrett gekleidet und vor allem mit seinem ganzen vielfarbigen Spielgerät unter die Leute zu schicken.

So diffizil die Sache für jeden Laien, jeden Physiker, jeden Goethe-Forscher sich anläßt, zeigt sich doch bald, daß sie sich von mehreren Seiten mit Nutzen betrachten läßt. Und zwar auch dann, wenn man die nächstliegende Frage: Newton oder Goethe – wer hatte recht? vorerst aus dem Spiel läßt. Denn erstens gibt es bekanntlich in der »Farbenlehre« mehrere Kapitel, die mit der mathematischen Physik nichts zu tun haben. Unter ihnen hat man das letzte von der »Sinnlich-Sittlichen Wirkung der Farbe« von jeher besonders gern gelten lassen. Es führt in das unerschöpfliche Gebiet der Farbensymbolik, wo man den Dichter und seine Leser mit tausend Freuden sich selbst überließ. Mit diesem Brauche ist leider auch diesmal nicht gebrochen worden. Interessante Vergleiche, wie sie zum Beispiel zwischen Goethes Farbendeutung und der außerordentlichen in Kandinskys Werk »Über das Geistige in der Kunst« nahegelegen hätten, darf man hier nicht suchen. Desto wichtiger sind die Hinweise, die der Herausgeber in einer anderen Richtung gegeben hat. So gewiß nämlich die Farbenlehre ihrem physikalischen Wahrheitsgehalte nach außerhalb des Goetheschen Forschungszusammenhanges zuständig ist, so gewiß gehört sie nach ihrem philosophischen Gehalt in dessen Zentrum. Und ganz ausgezeichnet hat Wohlbold die »Farbenlehre« als ein Gegenstück zur »Metamorphose der Pflanze« darzustellen verstanden. »So wie die Urpflanze als Idee sich in der Stoffwelt zur sinnlichen Pflanze zu gestalten sucht, will sich das Licht in der Finsternis Ausdruck schaffen. Deshalb können wir hier wie dort von einer Metamorphose sprechen.« Goethes Lehre »bildet sich nicht ein, Farben aus dem Licht zu entwickeln; sie sucht uns vielmehr zu überzeugen, daß die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was sich ihm entgegenstellt, hervorgebracht werde«. Das ist der Kern der Sache. Das ist der Sinn des berühmten Wortes: »Die Farben sind die Taten und Leiden des Lichtes.«

Es ist schade, sehr schade, daß es gerade der angelaufene Zerrspiegel von Rudolf Steiners Weltbild ist, in dem der Herausgeber diese Wahrheiten am adäquatesten erblickt haben will. Das kümmerliche, fahrige Wesen, das durch die Erzeugnisse dieser Schule geht, hat ihm denn auch eine wichtige Seite seines wohlangelegten Manuskriptes ganz gehörig verwischt. Es gibt nämlich in der hundertjährigen Debatte über die Goethesche Optik eine bestimmte, entscheidende Frage, die nun nicht mehr, nicht wieder dürfte verschleiert werden: Steht Goethes physikalische Farbenlehre zu der Newtons disparat – d. h. läßt sie sich unter Umständen unabhängig von der Newtonschen halten? oder konträr – d. h. muß, wenn die eine wahr ist, die andere falsch sein und umgekehrt? Und wenn wirklich Newton keine Instanz gegen Goethe ist, und es richtig sein sollte, der Physik stehe »ein Urteil über Goethes Farbenlehre gar nicht zu«, und wenn sie »in dieser Frage nicht kompetent« ist, so hätte die Exaktheit erfordert, zu betonen, daß Goethe selber, der von Newton, dem »Anführer der Kosaken« bekanntlich in den drastischsten Ausdrücken redet, sich über dieses Verhältnis durchaus nicht klar war. Eines aber dürfte doch feststehen: daß nämlich die Sache sich keineswegs so behandeln läßt, wie der Herausgeber es träumt. Er erklärt: »Schließlich kommt es nicht auf Berechnungen und äußere Beweise an. Es gibt ein Empfinden, einen Instinkt, könnte man fast sagen, für das, was ein rechter und ein falscher Weg ist. Beweise liegen, wie des Schicksals Sterne, in der eigenen Brust. Maßgebend ist letzten Endes der innere Gewinn. Wenn Naturbetrachtung einen Wert haben soll, so kann dieser doch schließlich nur in einer Erhöhung des Menschentums liegen, in einer Steigerung des Erlebens, einer inneren Gestaltung und Verwandlung.« Das ist nun in der Tat die Sprache eines »Hüters der Schwelle«. Bedenklich genug, daß es die des physikalischen Kabinetts im Goethe-Haus ist, zu dessen optischen Sammlungen der Herausgeber den Katalog verfaßte. Er steht übrigens in keinem weiteren Verhältnis zum Goethe-National-Museum.

Die Auseinandersetzung der Goetheaner und der Physiker ist ein Jahrhundert lang ein Stellungskampf geblieben. Unleugbar ist der Verfasser in Goethes Positionen heimisch. Goethes Überzeugungen, daß die rein naturhafte, physisch-psychische Ausstattung des Menschen ihm diejenigen Bilder des Daseins liefert, die für ihn die wichtigsten sind, daß die Optik beim »Hindurchquälen der Spektra durch viele enge Spalten und Gläser« nichts zu gewinnen habe, sind die seinen. Aber in diese Voraussetzungen der Goetheschen Haltung hat schon Simmel tiefe Blicke getan. Man kann gewiß nur gewinnen, wenn man sich für die immanenten Zusammenhänge der Goetheschen Optik an beide hält, an Simmel und Wohlbold. Aber man wird dann auch nicht vergessen dürfen, was gerade über die wichtigste Frage, die Frage der Auseinandersetzung und der Entscheidung von einem der glänzendsten Interpreten der Farbenlehre, S. Friedländer, in seiner viel zu wenig bekannten »Schöpferischen Indifferenz« geschrieben wurde: »Die wahre Aufklärung wird hier nur durch einen mathematisch gebildeten Goetheaner geschehen können; und Goethesche Mathematik ist weniger ein hölzernes Eisen als vielmehr das hölzerne Pferd, mit dessen Hilfe Goethes Griechen endlich das barbarische Troja der Optik erobern und die ihnen geraubte Helena der Farbenschönheit wiedergewinnen werden.«


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