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Philippe Soupault, Le cœur d'or.

Paris: Bernard Grasset 1927. 260 S.

Der berühmte »Surrealismus« ist als Theorie jetzt gegen drei Jahre alt. Als Praxis ist er bedeutend älter. Diese uralte Praxis völliger Entspannung, die er als Grundlage der dichterischen Arbeit vorschreibt, macht das ganze Interesse der Theorie aus. Man versteht auf den ersten Blick, warum sie unter dem Einfluß Freuds, der in Frankreich erst spät aber nachhaltig auftrat, formuliert werden mußte. In der Tat hat der Surrealismus mit einer »vague de rêves« in Paris seinen Einzug gehalten, einer Traumschlaf-Epidemie, der Führer und Adepten sich hingaben. Man hat aber bei alledem übersehen, daß die Präzepte einer Produktion aus dem entspannten Innern, aus einem unbewußten Fundus, den zu Tage zu fördern die ganze »Kunst« macht, vielleicht für Künstler von Beruf viel schwerer als für den Amateur sich verwirklichen lassen. Wir sehen ein, daß der private Dilettant an die Schablonen des Dichtens oder des Malens, wie sie jeweilen gelten, enger gebunden bleibt als der Künstler, weil er sie weniger erfaßt und durchschaut. Wir sehen ein, daß dieser Dilettant als solcher notwendig unfrei ist, weil in bestimmten Dingen Freiheit ausschließlich aus Wissen und Übung kommt. Über diese Freiheit verfügt der Künstler. Aber er ist von ganz andrer Seite gefährdet. Die glückliche Konstellation, die phantastische Evidenz stellen in diesen tiefsten Schichten nur intermittierend, gelegentlich sich dar und jede Praxis, die ihnen gegenüber den Geist gefügiger, prompter, geschickter macht, gerät in Gefahr, die wichtigsten Daten zu fälschen: Zeit, Ort und Umstand unter denen sie vernehmlich werden. Nicht technische sondern vitale Notwendigkeit, mit andern Worten, die exakteste Bestimmung durch alle Beiläufigkeiten in Raum und Zeit gibt gerade dilettantischen Produkten von Kindern, Privatiers, Wahnsinnigen jene Selbständigkeit im Banalen, jene Frische im Gräßlichen, die den surrealistischen Sachen trotz allem oft fehlen. Und wenn nun gar das Stoffbereich sehr gegenständlich, etwa die Schilderung eines Orts, die Erzählung von etwas Erlebtem, die Entwicklung eines Gedankens ist (während es doch dies alles dauernd simultan und in Einem sein sollte), so müßte die Prägnanz des willenlosen, entspannten Eingedenkens schon sehr groß sein, um ihr das Traumhafte zu gewährleisten. Ist es dagegen die bewußte Erinnerung, welche der Autor post festum in das Unbewußte erst transponiert, so läßt der traurige Erfolg nicht auf sich warten. Undeutlich, nicht phantastisch, monoton, nicht traumhaft werden die Dinge abrollen. Darauf hat leider in seinem letzten Buch Soupault das Exempel gemacht. An ihm – der Fall verdient vermerkt zu werden – ist nichts gut als der Waschzettel. Darauf steht: »Cœur d'or – cœur solitaire (Proverbe de Montrouge)«. Diese Geschichte handelt von der Einsamkeit, stellt sie in einer langen Bilderfolge dar, die unterbrochen und wie gerahmt von schmalen Gegenwarten der Geliebten wird. Sie zu lesen ist quälend, sie zu leben war quälender, sie zu schreiben war nicht sehr schwer. Der Mann, der das gelitten hat, was dieses Buch erzählt, hat als Autor den Abhang, den er mühsam als Liebhaber hat erklimmen müssen, behaglich auf der andern Seite sich herunter rutschen lassen. Und der Leser geht leer aus. Vor kurzem hat in einem hübschen Wort Paul Valéry die merklichen Gefahren der neuen Dichterschule angedeutet. Es spielt auf die Pariser Würfelbuden an, die auf den großen Markt- und Straßenfesten das Publikum mit schreienden Plakaten an sich ziehen. Da heißt es »Jeder Wurf ein Treffer«. »Chaque coup gagne« – das nennt er den Grundsatz der neuen Schule. Gewiß nicht mehr als ein kleines Bonmot, aber gerade genug um ein schwaches Buch aufzuwiegen.


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