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Paul Souday, Marcel Proust. »Les Documentaires«. Paris: Simon Kra (1927). 107 S. – Paul Souday, André Gide. »Les Documentaires«. Paris: Simon Kra (1927). 126 S. – Paul Souday, Paul Valéry. »Les Documentaires«. Paris: Simon Kra (1927). 145 S.
Proust, Gide und Valéry, das ist, wenn man so will, das gleichseitige Dreieck der neuen französischen Literatur und Souday hat mit seiner kritischen Feder den umgeschriebenen Kreis darum geschlagen. Es wurde also eine fast kanonische Figur. Und dazu paßt, daß ihre Linien auf dem großen Papier verlaufen, das mit dem Namen »Temps« gestempelt ist. Souday ist literarischer Chronist des Blattes. Das sichert dieser Sammlung von Referaten vorab den dokumentarischen Wert. Das lockere Hin und Wieder seiner Reflexionen, die mit jedem Buche von neuem einsetzen, hat alle Chancen, die besondere Atmosphäre, die beim Erscheinen um die 40 Bände war, die hier behandelt sind, den heutigen Lesern fühlbar zu machen.
Das ist am interessantesten im Falle Proust. Souday war 1913 einer der wenigen, die in dem ersten Werk der großen Folge – »Du coté de chez Swann« – etwas anderes sahen als ein verdrießliches Geflecht nichtssagender Notizen und krankhafter Grübeleien. Nichts schwieriger für einen Rezensenten als dieses Werk, ich sage nicht, zu lesen, zu erfassen, sondern dem Publikum vorzustellen. Ehe der Krieg mit einem Schlage allen, indem er sie hart vor ihr Lebensende stellte, das eigene Dasein in der scharf verkürzten Perspektive zeigte, die Proust als Kranker auf sein Schicksal hatte, ehe der Krieg für ihn ein Publikum formierte, hat dieser Kritiker es verstanden, den Charme, die Distinktion des verwirrenden Buches ins Licht zu setzen. Die Masse seiner Kollegen brauchte sechs Jahre, ihm auf den vorgeschobenen Posten zu folgen. Dann fällt im Jahre 1919 der Goncourtpreis an den Dichter und von da ab verwandelt die Kritik seines Werks sich mehr und mehr in Geschichtschreibung seines Ruhms. Weil aber eine »Genesis des Ruhmes« trotz Julian Hirschs vorzüglicher Studie noch immer zu schreiben bleibt, ist das, was hier auf sehr verschiedene Art an den drei Dichtern sich darstellt, so fesselnd. Andererseits darf man es gerade darum bedauern, daß der Verfasser den journalistischen Ursprung seiner Notizen in etwas verwischte. Man vermißt das bei solchen Sammlungen übliche Vorwort und das Erscheinungsdatum der einzelnen Rezensionen. Wie dem nun sei: in kleinsten Wölkchen überm intellektuellen Horizont der Zeit hat dieses Auge die Staublawine eines nahenden Ruhmes erkannt. Ob es dann später auch in jedem Falle sie durchdrang und genau begriff, was dahinter vorging, ist eine zweite und komplexere Frage.
Einiges, was hier über Gide zu lesen steht, könnte deren Beantwortung zweifelhaft machen. Auch diesem Autor gegenüber ist Souday, als die Erstlingswerke in den neunziger Jahren erschienen, erstaunlich schnell im Bilde gewesen. Aber damit war für die Folge noch nichts gesichert. Proust mag sehr vielen Lesern verschlossen bleiben. Doch wem er sich eröffnet (jeder Satz kann Torspalt dieses Sesams werden), der ist in seinem Bannkreise ein für allemal zu Hause. Nichts dergleichen bei Gide. Hier haben Bann und Zauber nichts zu schaffen. Denn er gehört zu jener schrecklichen Rasse von Dichtern, welche im Publikum nicht die Menschheit, den Gott, das Weib sehen, sondern die Bestie. Gide – darin Oskar Wilde verwandt – ist dompteur ès lettres. Ein in Freiheit dressiertes Publikum ist sein Traum. Und man vernahm in ganz Paris das Grollen, mit dem es letzthin einige Nummern verdarb, in denen es sein Bändiger zu zeigen gedachte. An diesen neuen Unbotmäßigkeiten ist Souday nicht ganz schuldlos.
Aber er wäre nicht der Referent des »Temps«, nicht der gebildete, geistvolle Repräsentant einer bürgerlich gefestigten Mitte, wenn er gegen die »Faux Monnayeurs«, den »Corydon« und die schöne Autobiographie von Gide, die unterm Titel »Si le grain ne meurt« erschienen ist, nicht die Rechte des »gesunden« Instinkts mit einiger Rücksichtslosigkeit in Schutz nähme. So eigenwillig nämlich dieser Publizist seine besonderen Maximen und Launen herausstellt, im Grunde ist er an den besten Traditionen des französischen Bürgers geschult. Hugo ist sein Gott, der Klerus sein rotes Tuch und die Demokratie sein Glaubensbekenntnis. Ein durch und durch humanistischer Rationalismus macht ihn denn wie von selber zu einem der interessantesten unter den vielen, nicht immer willkommenen Interpreten von Valéry. Man kennt diesen Dichter und Philosophen als den bedeutendsten unter den Gegnern der surrealistischen, tiefenpsychologischen, psychoanalytischen Strömungen, der Kulte des Unbewußten und der Inspiration. Das hat nicht hindern können, daß mit dem Augenblick seines Ruhms, als die Konturen dieser erstaunlichen Existenz mit dem Maß seiner öffentlichen Beachtung an Sicherheit einbüßten, ein schöngeistiger Abbé sich einiger seiner besten Gedanken bemächtigte und eine bläßliche, nichtssagende Erörterung über die Verwandtschaft der poésie pure mit dem Gebet monatelang in Revuen sich breit machte. In der Auseinandersetzung mit dergleichen Spielereien, denen Valéry (nicht zu seiner Ehre) sich leiht, findet man diesen Mann in seinem eigensten Element: der Polemik. Und wenn er damit dem Durchschnittstypus des französischen Kritikers fernrückt, so wird er deutschen Lesern gerade darin um so leichter eingehen. Für sie sind diese drei Bändchen der angenehmste Abriß der neusten französischen Literaturkämpfe, den sie sich wünschen können.