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»Bella«

Jean Giraudoux, Bella. Histoire des Fontranges. Paris: Bernard Grasset (1926). 244 S.

En Méditerranée – par les Messageries Maritimes. So lädt der Rücken dieses Buches ein, wenn Bellas Leben vor dem Leser abgelaufen ist. Man kann nicht besser ihr Gedächtnis feiern. Beim Lesen geht man gegen steifen Seewind an, und über den Dingen, auf die man trifft, liegt eine Salzkruste.

Der Pressechef im Pariser Ministerium des Auswärtigen, Jean Giraudoux, nimmt keinen nom de guerre an, wenn er Romane schreibt (von Fabre-Luce erscheint soeben die politische Romanze »Mars« unter dem schönen Dichternamen Jacques Sindral). Giraudoux bleibt als Autor hochgestellter Funktionär und beansprucht den technischen Apparat eines Büros für seine Phantasie mindestens ebensosehr wie in der Wahrnehmung seiner Berufsgeschäfte. Man möchte seine Sachen sich im Amt geschrieben denken. Oder in einer Dichterschule als »theme en classe«. Er selber muß aufs glücklichste erfahren haben, was er von den gelehrten Brüdern Dubardeau bemerkt:

»Sie konnten ohne das alltägliche Bad in einer Flut Vertrauter, Halb-Bekannter, Flut von Stimmen und von Lächeln nicht auskommen. Es war auch nicht nur Sache der Gewohnheit, weswegen sie im Lärm, in Zimmern, welche auf den Korridor hinausgehen, studieren mußten, wo immer Leute vorbeikamen, Leute, die Durand oder Dupont, Bloch oder Bechamort, La Rochefoucauld oder Uzès hießen. Die Menschheit war das Ferment, das ihre Versuche gelingen ließ. Bei all ihren Experimenten über Gasmischungen, hybride Pflanzen, die Lebensfähigkeit des neuen Österreich, hätten sie der Aufzählung der Mischungsbestandteile beifügen können, ›ich nehme hinzu: einen Menschen.‹ Die Anwesenheit eines belanglosen Individuums Labaville hatte beim Gelingen der Synthese den Ausschlag gegeben. Wenn Labaville mit seinen Knöpfen und seiner Kaschmirkrawatte nicht da war, arbeitete Onkel Karl nicht gut. Sie alle brauchten ein Gesicht als Feder-Wischer oder Blick-Wischer, wenn sie die Augen von den chemischen Synthesen oder den Giften, die da wirkten, erhoben. Ja selbst der Astronom brauchte am Abend, wenn er dem Firmamente gegenüberstand, den blassen Kopf von einem Sekretär in seiner Nähe.«

Der Autor selber ist von diesem Stamm und schlägt in seinem Buche sich zu ihm. Als Neffe nimmt er an den Kämpfen teil, die Rebendart, Ministerpräsident, den großen, freigesinnten Brüdern liefert. Das Urbild dieses Rebendart heißt Poincaré, und die Gestalt, die sich im Prisma der sechs Brüder bricht, ist Bertholots. Denn gern setzt Giraudoux ein Kollektiv an Stelle eines Individuums. Die Rebendart erscheinen ebenfalls als Gruppe. Der Haß, der sie mit primitiver Verve zeichnet, hat ihren Größten, Henri Poincaré, den Mathematiker, zugunsten jener Brüdergruppe annektiert. Was übrigbleibt, ist eine gottverlassene Sippe, die auf dem Lande ihre Existenz vertrauern muß, um nicht die wenigen aus ihrer Mitte, die in der Hauptstadt eine Rolle spielen, bloßzustellen. Die Zeichnung dieses Ministerpräsidenten erschöpft ihr Modell, wie eine chinesische Marter den Sträfling. »Alle Sonntage stand er zu Füßen eines jener gußeisernen Soldaten, die leichter als er selbst zurechtzuhämmern wären, hielt seine Rede und gab vor zu glauben, die Toten hätten sich nur etwas abgesondert, um über die Summen, die Deutschland schuldet, sich schlüssig zu werden.«

Im politischen Feldlager spielt ein Liebeskomplott. Der Romeo – Philipp, der Berichterstatter – auf Seiten seiner aufgeklärten Onkel, die Julia – Bella, eine junge Witwe – die Schwiegertochter Rebendarts. Von dieser Liebeshandlung wird das süßeste Geflecht im Buche nicht gewoben, sondern aufgetrennt. Denn beide haben, eh noch die Erzählung einsetzt, sich gehört und kannten nicht den wahren Namen voneinander. Nun bringt der Streit der Capulet und Montagu nur Trübsal, Gram, Entfremdung zwischen beide. Nicht allzuoft erscheint in der Geschichte Bella selbst; es ist darin von der Rücksicht des Liebhabers etwas, der seine Freundin unter Leuten nicht ermüden will. Seitdem sie umeinander wissen, sind sie stumm. Die Szene – der begnadete Verrat der Bella – die ihnen voreinander und den andern die Sprache wiedergibt und Rebendart im Augenblicke, da sein Anschlag fällig ist, entwaffnet, wird der Tod der Frau. Ihr platzt ein Blutgefäß in der Erregung.

Der Erzähler aber verliert nicht den Atem. Er saugt nur tiefer das geliebte Leben in sich und wendet die Geschichte Bellas Vater zu, verfolgt die Liebe in der Deszendenz, steigt zu den Quellen, endet im Motiv der sonderbarsten väterlichen Trauer, in der die Tochter ihren Vater neu belebt.

In dieses Gradnetz wurde die genaueste Geschichte eingetragen. In keiner früheren konnte ähnlich scharf, worum es Giraudoux zu tun ist, sich entfalten. Selbst hier benimmt der Zauber der unglaublich leichten Hand, die das Geschehen wie einen Faltenwurf zurechtrückt, dem Leser beinahe den Begriff von dieser Kunst und Form. Sie ist – mit einem Worte es zu sagen – die schönste Aktualisierung der Kreuzworträtsel. (Mithin: ganz eigentlich in ein Schema eingeschrieben.) Wenn dort Worte sich in den Buchstaben schneiden, so stehen hier Bilder, welche unter sich im Ding, im Namen, im Begriff sich überqueren. Ein Rätsel, dessen gelöstes Bild die wildesten Züge des politischen und erotischen Kampfes in seinen atemraubenden Kreuzungen gibt. Ausschnitte dieser Kreuzwortmetaphorik: das Parlament ist Riesenschreibmaschine, an deren Klaviatur der Präsident sitzt; so leicht wie eine Urne trägt sich das Dossier mit einem Todesurteil; ein Baum ist Grabmal und zugleich trigonometrisches Signal. »Le Puzzle du paradis perdu par l'homme« stellt in solchen Bruchstücken sich wieder her.

Auf solche Weise öffnet man in Frankreich die Archive. Zerlegbar ist das Personal selber, und der politische Mensch tut sich auf wie ein Safe. Eine Frauenhand greift hinein und langt einen Packen mit Liebesbriefen heraus. Man wird in Moskau dieses Buch verschlingen.


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