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XI.

Erst ein Tag war verflossen, seit Anna mit Frau Smith gesprochen hatte, aber die nachfolgenden Ereignisse hatten ihre Theilnahme so lebhaft angesprochen, und Elliot's Betragen – ausgenommen in so fern es nach einer gewissen Seite hin gewirkt hatte – kümmerte sie jetzt so wenig, daß sich's am andern Morgen von selbst verstand, den Besuch bei Frau Russel noch einmahl aufzuschieben. Sie hatte versprochen, vom Frühstück bis zum Mittagessen bei Frau Musgrove zu bleiben. Ihr Wort war gegeben und Elliot's Ruf sollte, wie der Kopf der Sultaninn Scheherezade In »1001 Nacht« ist Scheherazade die Tochter des Wesirs des persischen Königs, der von seiner Gemahlin betrogen wurde. Davon überzeugt, dass es keine treue Frau auf Erden gibt, heiratet er jeden Tag eine neue Frau, die er am nächsten Morgen töten lässt. Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, lässt Scheherazade sich selbst von ihrem Vater dem König zur Frau geben. In der Nacht beginnt sie, dem König eine Geschichte zu erzählen, deren Handlung am nächsten Morgen unterbrochen wird. Neugierig auf das Ende der Geschichte, lässt der König sie am Leben. Dies zieht sich über 1001 Nächte hin, und am Ende ist der König von der Treue seiner Frau überzeugt und von ihrer Klugheit so beeindruckt, dass er sie am Leben lässt. [ Anm.d.Hrsg.], einen Tag länger leben.

Der Regen hielt sie, zu ihrem Bedauern, lange ab, und als sie im Gasthofe ankam, fand sie, daß schon Besuch da war. Frau Croft saß neben Frau Musgrove, und Harville war mit Wentworth im Gespräche. Marie und Henriette waren ausgegangen, sobald der Himmel heller geworden war, hatten aber Frau Musgrove den Auftrag gegeben, Anna aufzuhalten, bis sie zurück gekehrt wären. Anna setzte sich, suchte ruhige Fassung zu zeigen, und sah sich noch einmahl in alle jene lebhaften Gemüthsbewegungen versetzt, die sie nur etwa in der letzten Morgenstunde fühlen zu müssen geglaubt hatte. Unvorbereitet war sie wieder in dem Glücke solches Jammers, oder im Jammer solcher Glückseligkeit.

Zwei Minuten nach ihrer Ankunft hob Wentworth an: »Wir wollen den Brief schreiben, Harville, wovon wir sprachen, wenn Sie mir das Nöthige dazu geben wollen.«

Schreibezeug und Papier waren bei der Hand, auf einem besondern Tische. Wentworth setzte sich, und den Uebrigen fast den Rücken zukehrend, war er eifrig mit Schreiben beschäftigt.

Frau Musgrove erzählte der Gemahlin des Admirals, wie sich die Verbindung ihrer ältesten Tochter geknüpft hatte, und zwar in einem Tone, der ganz vernehmlich war, ungeachtet es nur ein Flüstern sein sollte. Anna fühlte, daß sie an diesem Gespräche nicht Antheil nehmen sollte, und doch konnte sie, da Harville in Gedanken versunken und zum Sprechen nicht aufgelegt zu sein schien, es gar nicht vermeiden, manche gar nicht anziehende Umstände zu hören. Frau Musgrove erzählte, wie zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder Hayter die Sache wäre besprochen worden, was ihre Schwester gemeint, was das junge Pärchen gewünscht und wozu sie selber im Anfange ihre Einwilligung nicht gegeben hätte, bis sie endlich wäre überredet worden, daß alles recht gut gehen würde. Diese Kleinigkeiten konnten, selbst wenn sie mit Geschmack und Feinheit wären mitgetheilt worden, was Frau Musgrove nicht vermochte. nur für die Betheiligten anziehend sein, aber Frau Croft hörte sehr freundlich zu, und so oft sie etwas sagte, sprach sie sehr verständig. Anna hoffte, die beiden Männer wären zu sehr mit sich selber beschäftigt, um etwas hören zu können.

»Wenn wir alles dieß bedachten,« fuhr Frau Musgrove in ihrem lauten Flüstern fort, »schien es uns doch nicht recht zu sein, länger zu zögern, wiewohl nicht alles nach unsern Wünschen war. Karl Hayter war einmahl ganz versessen auf das Mädchen, und Henriette fast eben so arg. Mögen sie sich denn lieber heirathen, dachten wir und mit einander leben, so gut es gehen will, wie viele Andre vor ihnen. Auf alle Fälle, sagte ich, ist es doch besser, als eine lange Bewerbung.«

»Das wollte ich eben sagen,« erwiederte Frau Croft. »Ich habe es lieber, wenn ein Paar junge Leute sich gleich, selbst bei geringen Einkünften, mit einander verbinden, sollten sie auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben; besser, als wenn sie zu einer langen Bewerbung verurtheilt sind. Ich glaube immer, daß keine gegenseitige –«

»O meine Liebe,« fiel Frau Musgrove ein, »es ist nichts so abscheulich für junge Leute, als eine lange Bewerbung. Ich habe immer gesagt, bei meinen Kindern sollte das nie statt finden. Es geht alles recht gut für junge Leute, pflegte ich zu sagen, wenn sie bei ihrer Verbindung nur die Aussicht haben, sich in sechs, oder in zwölf Monaten zu heirathen; aber eine lange Bewerbung –«

»Oder eine ungewisse Bewerbung,« setzte Frau Croft hinzu, »eine Bewerbung, die sich in die Länge ziehen kann …; Ich halte es für sehr bedenklich und unklug, eine Verbindung anzuknüpfen, ohne zu wissen, daß man zu einer bestimmten Zeit im Stande sein werde, sich zu heirathen, und alle Aeltern sollten das, glaube ich so viel möglich vermeiden.«

Anna fand hier unerwartet etwas Anziehendes. Sie fühlte, welche Anwendung sie von diesen Aeußerungen auf sich selber machen konnte, sie fühlte es mit innerem Erbeben, und in demselben Augenblicke, wo sie unwillkührlich nach dem entfernten Tische sah, hörte Wentworth mit Schreiben auf, horchte aufmerksam, und sich alsbald umwendend, warf er ihr einen schnellen Blick zu, der ihr sagte, daß er ihre Gedanken errieth.

Die beiden Frauen setzten ihr Gespräch über denselben Gegenstand fort, und hatten selbst in dem Kreise ihrer Beobachtung Beispiele von den nachtheiligen Wirkungen des Gegentheils gefunden; Anna aber hörte nun nichts mehr deutlich, es war nur ein Gesumme von Worten vor ihren Ohren, aber ihre Seele war in Verwirrung.

Harville, der nichts von dem Gespräche gehört hatte, stand nun auf und trat an's Fenster. Anna, die ihn blos aus Zerstreuung beobachtete, bemerkte nach und nach, daß er sie einlud, zu ihm zu kommen. Er blickte sie lächelnd und nickend an, als hätte er ihr zu verstehen geben wollen, daß er ihr etwas mitzutheilen wünschte. Die unbefangene Freundlichkeit seines Benehmens, welche die Gesinnungen eines ältern Bekannten verrieth, als er doch eigentlich war, nöthigte sie, seiner Einladung zu folgen. Sie ging zu ihm. Das Fenster, wo er stand, war am entgegengesetzten Ende des Zimmers, dem Platze der beiden Frauen gegenüber, und Wentworth's Stuhle zwar näher, doch nicht ganz nahe. Als sie zu Harville trat, wurde der Ausdruck seines Gesichtes wieder so ernst und gedankenvoll, als ihm natürlich zu sein schien.

»Sehen Sie,« sprach er, ihr ein kleines Gemählde zeigend, das er in der Hand hielt: »wissen Sie, wer das ist?«

»Nun, Capitain Benwick.«

»Ja, und können Sie errathen, für wen es ist? Aber« – setzte er seufzend hinzu, »es ward für eine Andre gemacht. Erinnern Sie sich, Fräulein Elliot, wie wir in Lyme auf unserm Spaziergange ihn bedauerten? Ich dachte zu jener Zeit nicht – Doch still davon! Dieses Bildchen wurde auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung gemahlt. Benwick fand da einen geschickten jungen Künstler aus Teutschland, und um sein Versprechen gegen meine arme Schwester zu erfüllen, ließ er sich von ihm mahlen und brachte das Bild für sie mit. Nun soll ich's für eine Andre einfassen lassen. Das war ein Auftrag für mich! Aber wen konnte er sonst darum angehen? Ich nehme es ihm nicht übel, aber gern überlasse ich die Sache einem Andern. Er übernimmt's« – setzte er hinzu, mit einem Blicke auf Wentworth – »und schreibt jetzt deßhalb.« Mit bebender Lippe sprach er dann: »Die arme Fanny! sie hätte ihn nicht so schnell vergessen.«

»Nein,« erwiederte Anna mit betrübtem Tone: »das glaube ich gern.«

»Es lag nicht in ihrer Natur. Sie hing zu sehr an ihm.«

»Es würde in der Natur keines weiblichen Wesens liegen, das aufrichtig liebte.«

Harville lächelte, als hätte er sagen wollen: »Machen Sie darauf Anspruch für ihr Geschlecht?«

Anna lächelte auch, als sie, den Wink beantwortend, fortfuhr: »Ja, wir vergessen gewiß nicht so schnell, als die Männer uns. Es ist vielleicht eher unser Schicksal, als unser Verdienst. Wir können nicht anders. Wir leben ruhig und abgeschieden in unsrer Heimath, und unsre Gefühle verzehren uns. Die Männer sehen sich zur Anstrengung ihrer Kräfte gezwungen. Sie haben immer einen Beruf, Bestrebungen, Geschäfte irgend einer Art, die sie sogleich wieder in die Welt zurück führen, und stete Beschäftigungen und Abwechselungen schwächen bald die Eindrücke.«

»Zugegeben, daß die Welt alles dieß so schnell für uns Männer thue – was ich jedoch wohl nicht zugeben will – so paßt es doch nicht auf Benwick. Er ist gar nicht zu irgend einer Anstrengung seiner Kräfte gezwungen worden. Der Friede brachte ihn augenblicklich an's Land, und er hat seitdem immer in unserm kleinen Familienkreise gelebt.«

»Allerdings sehr wahr, daran habe ich nicht gedacht. Aber was sollen wir nun sagen? Ist die Veränderung nicht durch äußere Umstände bewirkt worden, so muß sie aus dem Inneren kommen; es muß Natur, des Mannes Natur sein, was Benwick dahin gebracht hat.«

»Nein, nein, es ist nicht des Mannes Natur. Ich gebe es nicht zu, daß es mehr des Mannes, als des Weibes Natur sei, unbeständig zu sein, und Diejenigen zu vergessen, die man liebt, oder geliebt hat. Ich glaube an das Gegentheil; ich glaube an eine wahre Aehnlichkeit zwischen unserer körperlichen und geistigen Beschaffenheit, und so wie unsre Körper stärker sind, so sind's, meines Bedünkens, auch unsere Gefühle, sie können die rauheste Berührung vertragen und dem bösesten Wetter trotzen.«

»Ihre Gefühle können stärker sein, aber auf den Grund derselben Aehnlichkeit darf ich die Behauptung bauen, daß die unsrigen die zärtlichsten sind. Der Mann ist rüstiger, als die Frau, aber er lebt nicht länger, und dieß erklärt meine Ansicht von dem Wesen ihrer beiderseitigen Zuneigungen. Es würde zu hart für die Männer sein, wenn's anders wäre. Sie haben mit Schwierigkeiten, Entbehrungen und Gefahren genug zu kämpfen; immer sind sie Mühen und Beschwerden ausgesetzt, müssen Heimath und Freunde verlassen, und weder Zeit, noch Gesundheit, noch Leben gehört ihnen eigen. Es würde in der That zu hart sein,« setzte sie mit unsicherer Stimme hinzu, »wenn zu all diesem noch weibliche Gefühle kommen sollten.«

»Wir werden über diese Frage nie einig werden,« hob Harville an, als ein leises Geräusch die Aufmerksamkeit der beiden Sprechenden auf den zeither so stillen Platz zog, wo Wentworth saß. Er hatte seine Feder fallen lassen; aber Anna ward betroffen, da sie ihn näher fand, als sie gedacht hatte, und sie argwohnte beinahe, er hätte die Feder nur fallen lassen, weil er mit ihnen beschäftigt und bemüht gewesen wäre, etwas von ihrem Gespräche zu erhorchen, was ihm aber wie sie glaubte, nicht gelungen sein könnte.

»Sind Sie mit ihrem Briefe fertig?« fragte Harville.

»Noch nicht ganz. Nur noch wenige Zeilen. In fünf Minuten bin ich fertig.«

»Nun, ich habe keine Eile. Ich bin fertig, so bald Sie es sind. Ich liege hier auf sehr gutem Ankergrunde,« setzte er mit lächelndem Blicke auf Anna hinzu, »wohl versehen und leide keinen Mangel. Ganz und gar nicht ungeduldig auf ein Signal …; Wie gesagt, Fräulein Elliot,« fuhr er mit leisrer Stimme fort: »über diesen Punkt werden wir wohl nicht einig werden. Ich glaube, darüber vereinigen sich Männer und Frauen überhaupt nicht. Aber ich muß Ihnen bemerken, alle Erfahrung ist gegen Sie; alle Geschichten in Prosa und in Versen. Hätte ich ein so gutes Gedächtniß, als Benwick, so könnte ich funfzig Stellen auf einmahl für meine Meinung anführen, und ich dächte, jedes Buch, das ich in meinem Leben öffnete, hätte etwas von weiblicher Unbeständigkeit gesagt. Lieder und Sprichwörter, alles spricht von dem Wankelmuthe der Weiber. Aber vielleicht werden Sie sagen, alles dieß hätten Männer geschrieben.«

»Vielleicht sage ich's. Ja, ja, keine Hinweisung auf Beispiele in Büchern, wenn ich bitten darf! Die Männer haben alle Vortheile über uns, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Die Erziehung hat so viel mehr für sie, als für uns gethan, und sie haben immer die Feder in der Hand gehabt. Nein, ich kann keinen Beweis aus Büchern gelten lassen.«

»Aber wie sollen wir denn beweisen?«

»Gar nicht. Wir können über einen solchen Punkt nie einen Beweis führen. Es ist eine Verschiedenheit der Ansichten, die keinen Beweis zuläßt. Wir gehen wahrscheinlich Beide von einer kleinen Parteilichkeit gegen unser eigenes Geschlecht aus, und auf diese Parteilichkeit gründen wir jeden Umstand zu Gunsten unsrer Meinung, den wir im Kreise unsrer Beobachtung gefunden haben. Viele von diesen Umständen, vielleicht gerade die Fälle, die uns am Meisten auffallen – können gerade solche sein, die nicht entdeckt werden dürfen, ohne ein Vertrauen zu errathen, oder etwas zu sagen, das nicht gesagt werden sollte.«

Harville erwiederte mit dem Tone des lebhaftesten Gefühles: »O könnte ich Ihnen doch zeigen, was ein Mann leidet, wenn er den letzten Blick auf seine Frau und seine Kinder wirft, und dem Boote nachsieht, worin er sie weggeschickt hat, so lange es im Gesichte bleibt, und dann sich wegwendet und spricht: ›Gott weiß, ob wir uns je wieder sehen!‹ Und könnte ich Ihnen sagen, wie seine Seele glüht, wenn er sie wiedersieht, und wie er dann, wenn er bei der Heimkehr, vielleicht nach einer Trennung von einem Jahre, in einen andern Hafen einlaufen muß – wie er dann berechnet, in welcher Zeit er sie bei sich haben kann, wie er sich selber zu hintergehen sucht, wenn er sagt: ›Sie können erst an dem oder dem Tage da sein‹ – aber er hofft dabei immer, sie zwölf Stunden eher kommen zu sehen, und sieht sie dann endlich, als ob der Himmel ihnen Flügel gegeben hätte, viele Stunden früher. Könnte ich Ihnen alles dieß erklären, und alles, was ein Mann tragen und thun kann, und mit freudigem Stolze thut für diese Schätze seines Lebens! Versteht sich, daß ich nur von solchen Männern spreche, die ein Herz haben,« setzte er hinzu, seine Hand bewegt auf die Brust drückend.

»O ich bin, hoffe ich, gerecht gegen Sie und gegen Alle, die Ihnen gleichen,« sprach Anna lebhaft. »Gott verhüte es, daß ich die warmen und aufrichtigen Gefühle eines Mitmenschen herabsetzen sollte! Ich würde die höchste Verachtung verdienen, wenn ich vorauszusetzen wagte, daß sich wahre Anhänglichkeit und Beständigkeit nur allein bei den Frauen fände. Ja ich glaube, daß die Männer zu allem Großen und Guten fähig sind im ehelichen Leben. Ich glaube, sie sind zu jeder bedeutenden Anstrengung, zu jeder Erduldung im häuslichen Leben fähig, so lange als – wenn ich so sagen darf, – so lange als sie einen Gegenstand haben. Ich meine, so lange die Frau, welche sie lieben, lebt, und für sie lebt. Das einzige Vorrecht, das ich für mein Geschlecht anspreche – kein sehr beneidenswerthes, und Sie brauchen nicht danach zu trachten – ist, daß wir am Längsten lieben, wenn das Leben oder die Hoffnung dahin ist.«

Anna hatte nicht sogleich noch mehr sagen können; ihr Herz war zu voll, und der Athem versagte ihr.

»Sie sind eine gute Seele,« sprach Harville, seine Hand freundlich auf ihren Arm legend. »Man kann nicht mit Ihnen streiten, und wenn ich an Benwick denke, ist meine Zunge gebunden.«

Ihre Aufmerksamkeit wurde nun auf die Uebrigen gezogen. Frau Croft wollte gehen.

»Friedrich,« sprach sie zu ihrem Bruder, »ich vermuthe, wir trennen uns hier; denn ich gehe nach Hause und Du hast etwas mit Deinem Freunde abzumachen. Heute Abend haben wir aber das Vergnügen, uns Alle bei Ihnen« – sie wendete sich zu Anna – »wieder zu sehen. Ihre Schwester hat uns gestern eingeladen, und ich höre, mein Bruder hat auch eine Karte erhalten. Du bist doch frei, Friedrich? Nicht wahr, wie wir?«

Wentworth faltete sehr eilig einen Brief, und konnte, oder wollte die Frage nicht genau beantworten. »Ja, allerdings trennen wir uns hier, sprach er, aber Harville und ich folgen Dir in wenigen Minuten. Ich meine, Harville, wenn Sie fertig sind, ich bin es sogleich. Es wird Ihnen ja nicht unlieb sein, wenn Sie los sind, ich weiß es. In einer halben Minute bin ich zu ihren Diensten.«

Frau Croft ging, und als Wentworth seinen Brief hastig gesiegelt hatte, war er fertig, und sein eilig bewegtes Wesen schien zu verrathen, daß er ungeduldig war, sich zu entfernen. Anna wußte nicht, was sie daraus machen sollte. Harville schied von ihr mit dem freundlichsten: ›Gott sei bei ihnen!‹ – aber von Wentworth nicht ein Wort, nicht einen Blick. Er war hinaus gegangen, ohne sie auch nur anzusehen.

Sie hatte gerade so viel Zeit, sich dem Tische zu nähern, wo er geschrieben hatte, als sie Jemanden zurück kommen hörte. Die Thüre öffnete sich; er war es selber. Er hatte seine Handschuhe vergessen, ging schnell durch das Zimmer zu dem Schreibetische, und mit dem Ricken gegen Frau Musgrove sich wendend, zog er einen Brief unter den zerstreuten Papieren hervor, den er vor Anna legte, indem er sie einen Augenblick feurig flehend ansah. Hastig nahm er dann seine Handschuhe, und war wieder aus dem Zimmer, fast ehe Frau Musgrove bemerkt hatte, daß er da gewesen war. Das Werk eines Augenblicks!

Unbeschreiblich war die Umwandlung, die ein einziger Augenblick in Anna's Seele hervorgebracht hatte. Der Brief, mit der kaum leserlichen Aufschrift: » An Fräulein A. E.« war offenbar derjenige, den er so hastig zusammen legte. Auch an sie hatte er geschrieben, während man ihn bloß mit dem Briefe an Benwick beschäftigt glaubte. Von dem Inhalte dieses Briefes hing alles ab, was sie noch von dieser Welt zu hoffen hatte. Eher alles, als Aufschub hätte sie ertragen können. Frau Musgrove hatte an ihrem Tische etwas zu thun, und Anna glaubte einige ungestörte Augenblicke erwarten zu können. Sie setzte sich auf den Stuhl, wo er gesessen, an den Tisch, wo er geschrieben hatte, und ihre Blicke verschlangen folgende Worte:

 

»Ich kann nicht länger schweigend zuhören. Ich muß mit Ihnen sprechen, auf die Weise, die mir zu Gebote steht. Sie durchbohren mir die Seele. Angst und Hoffnung kämpfen in mir. Sagen Sie mir nicht, daß ich zu spät komme, daß so selige Gefühle für immer verschwunden sind. Ich weihe mich Ihnen wieder, mit einem Herzen, das noch mehr Ihnen eigen ist, als vor neuntehalb Jahren, wo Sie es mir beinahe brachen. Sie dürfen nicht sagen, daß der Mann eher vergesse, als das Weib und seine Liebe früher sterbe. Ich habe nur Sie geliebt. Ungerecht kann ich gewesen sein, schwach und empfindlich bin ich gewesen, aber nie unbeständig. Sie allein haben mich nach Bath gebracht. An Sie denke ich, für Sie allein mache ich Entwürfe. Haben Sie das nicht gesehen? Hätten meine Wünsche Ihnen unbekannt bleiben können? Ich würde selbst diese zehn Tage hindurch nicht gezögert haben, wenn ich Ihre Gefühle hätte lesen können, wie Sie die Meinigen, glaube ich, ergründet haben müssen. Ich vermag kaum zu schreiben. Ich höre jeden Augenblick etwas, das mich überwältigt. Ihre Stimme wird leiser, aber ich kann die Töne dieser Stimme unterscheiden, wo sie für Andere verloren sein würden. Gutes, treffliches Mädchen! Ja, Sie lassen uns Gerechtigkeit widerfahren. Sie glauben daß es wahre Anhänglichkeit und Anständigkeit unter Männern giebt. Glauben Sie, diese Gefühle sind glühend und unwandelbar in

F. W.

Ich muß gehen, ungewiß über mein Schicksal; aber ich komme hieher zurück, oder folge Ihrer Gesellschaft, so bald als möglich. Ein Wort, ein Blick wird genug sein, zu entscheiden, ob ich heute Abend Ihres Vaters Haus betrete, oder nie.«

 

Nach einem solchen Briefe konnte man sich nicht sogleich erhohlen. Eine halbe Stunde einsamer Betrachtung hätte sie vielleicht beruhigen können; aber die zehn Minuten, die ihr vergönnt waren, ehe sie gestört wurde, konnten, bei allem Zwange, den ihre Lage herbei führte, nichts zu ihrer Beruhigung thun. Jeder Augenblick regte neue Bewegungen in ihrer Seele auf. Es war eine erdrückende Glückseligkeit, und sie hatte nur erst angefangen, sich zu erhohlen, als Karl Musgrove, Marie und Henriette herein kamen.

Es entstand ein Kampf in ihrem Innern, als sie sah, daß sie sich fassen mußte, aber bald erlag sie der heftigen Anstrengung. Sie verstand nicht ein Wort mehr von allem, was man sagte, und mußte Uebelbefinden vorschützen und sich entschuldigen. Man fand, daß sie sehr übel aussah, und wollte um keinen Preis ohne sie ausgehen. Das war entsetzlich! Hätte man sich nur entfernt und sie im ruhigen Besitze des Zimmers gelassen, so würde sie sich schon erhohlt haben; aber Alle um sich stehen und warten zu sehen, das hätte sie von Sinnen bringen können, und in der Verzweiflung sagte sie, daß sie nach Hause gehen wollte.

»O meine Liebe,« rief Frau Musgrove: »gehen Sie gleich nach Hause; und nehmen Sie etwas ein, daß Sie heute Abend wieder besser sein mögen …; Karl, klingle und bestelle eine Sänfte. Sie darf nicht zu Fuße gehen.«

Eine Sänfte – nimmermehr! Schlimmer als alles. Die Möglichkeit zu verlieren, ein Paar Worte mit Wentworth auf ihrem ruhigen und einsamen Wege nach Hause zu sprechen – und sie war beinahe überzeugt, ihm zu begegnen – das war unerträglich! Anna verbat sehr ernstlich die Sänfte, und als Frau Musgrove, die nur an eine Art von Krankheit dachte, sich überzeugt hatte, daß von keinem unglücklichen Falle die Rede war, und Anna in der letzten Zeit weder ausgeglitten war, noch einen Schlag auf den Kopf erhalten hatte, schied sie guten Muthes von ihr, mit der zuversichtlichen Hoffnung, sie am Abende besser zu finden.

Anna sprach, um jede mögliche Vorsicht gebrauchen, nach einem innern Kampfe zu Frau Musgrove: »Ich fürchte, es ist nicht alles genau verstanden worden. Sein Sie doch so gütig, den andern Herren zu sagen, daß wir heute Abend ihre ganze Gesellschaft bei uns zu sehen hoffen. Ich besorge, es herrscht ein Mißverständniß, und ich wünsche, daß Sie besonders auch Capitain Harville und Capitain Wentworth die Versicherung geben wollen, daß wir Beide zu sehen hoffen.«

»O meine Liebe, man hat alles völlig verstanden, ich gebe Ihnen mein Wort. Capitain Harville kommt ganz gewiß.«

»Glauben Sie? Aber mir ist doch bange, und es würde mir sehr leid thun. Wollen Sie mir versprechen, der Sache zu erwähnen, wenn Sie mit ihnen wieder zusammen kommen? Ich glaube, das wird wohl heute Vormittag geschehen. Versprechen Sie's mir.«

»Recht gern, wenn Sie's wünschen. Karl, wenn Du Harville irgendwo siehst, so richte den Auftrag des Fräuleins aus. Aber sein Sie unbesorgt, meine Liebe. Ich stehe dafür, daß Harville kommt, und Wentworth gewiß auch.

Anna konnte nicht mehr thun; aber ihr Herz weissagte einen Unfall, der ihr Glück trüben sollte. Es konnte jedoch kein dauerndes Unglück sein, und selbst wenn er nicht selber in ihres Vaters Haus gekommen wäre, stand es ja in ihrer Macht, ihm ein verständliches Wort durch Harville zu senden.

Eine neue augenblickliche Plage kam dazu. Karl Musgrove, der Gutmüthige, war so aufrichtig besorgt um ihretwillen, daß er sie begleiten wollte. Er ließ sich nicht abhalten. Sie fand es fast grausam, aber sie konnte nicht lange undankbar sein; er gab ja einen Gang zu einem Büchsenschmidt auf, um ihr gefällig zu werden. Sie machte sich mit ihm auf den Weg und schien nur Dankbarkeit zu fühlen.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als sie schnelle Schritte, bekannte Töne, hinter sich hörten, und Anna hatte nur wenige Augenblicke Zeit, sich auf Wentworth's Anblick vorzubereiten. Er war an ihrer Seite; aber als wäre er unschlüssig gewesen, ob er bleiben, oder vorüber gehen sollte, sagte er nichts, und nur sein Blick redete. Anna besaß Selbstbeherrschung genug, diesem Blicke zu begegnen, aber keineswegs zurückschreckend. Ihre Wangen, die kurz vorher noch blaß gewesen waren, glühten, und ihre unschlüssigen Bewegungen wurden entschieden. Er ging an ihrer Seite.

»Wentworth,« sprach Karl Musgrove, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen: »welchen Weg gehen Sie? Nur bis in die nächste Straße, oder weiter?«

»Ich weiß es kaum,« erwiederte Wentworth überrascht.

»Gehen Sie etwa bis in die Gegend, wo mein Schwiegervater wohnt? Wenn das wäre, so will ich Sie unbedenklich bitten, an meine Stelle zu treten, und Anna nach Hause zu begleiten. Sie ist zu sehr angegriffen für heute, sie darf nicht so weit gehen ohne Beistand. Und ich möchte nicht gern um den Besuch beim Büchsenschmidt kommen. Er hat ein Gewehr fertig, das er eben absenden muß, und so lange als möglich uneingepackt lassen will, um es mir zu zeigen. Gehe ich jetzt nicht zurück, so ist's damit vorbei. Es ist nach seiner Beschreibung ein Gewehr, wie meine Doppelflinte, womit Sie einmahl geschossen haben.«

Es lies sich nichts dagegen aufbringen. Wentworth verrieth äußerlich die höflichste Bereitwilligkeit, während heimlich seine Seele vor Entzücken hüpfte. In einer halben Minute war Karl wieder am Ende der Straße, die beiden Andern aber gingen voran, und bald hatten sie so viele Worte gewechselt, daß sie sich entschlossen, auf einem einsamern Pfade weiter zu gehen, wo freundliche Unterhaltung den gegenwärtigen Augenblick zu den glücklichsten machen, und ihr Gemüth für die unvergängliche Seeligkeit vorbereiten konnte, die sie erwartete. Noch einmahl tauschten sie nun jene Gefühle und jene Versprechungen aus, wodurch schon in frühern Tagen alles gesichert gewesen zu sein schien, worauf aber so viele, viele Jahre der Trennung und Entfremdung gefolgt waren. Noch einmahl gingen sie nun in die Vergangenheit zurück, glücklicher vielleicht in ihrer Wiedervereinigung, als in der Zeit, wo sie sich zum Erstenmahl gefunden hatten; zärtlicher, geprüfter, sicherer in der Kenntniß der gegenseitigen Gemüthsart, Treue und Zuneigung, beide in gleicherer Stimmung zum Handeln, und gerechtfertigter in ihren Handlungen.

Als sie langsam hinangingen, ohne auf die nachbarlichen Gruppen zu achten, ohne auf herum schlendernde Politiker, geschäftige Haushälterinnen, flatternde Mädchen, oder Wärterinnen und Kinder zu sehen, konnten sie sich ganz den Empfindungen überlassen, welche der Rückblick auf frühere Ereignisse, und besonders die Erläuterung der Umstände, die dem gegenwärtigen Augenblicke zunächst vorher gegangen waren, in ihrem bewegten Gemüthe erweckten. Alle wechselvolle Begebenheiten der letzten Woche wurden zurück gerufen, und sie konnten gar nicht fertig werden, von gestern und heute zu sprechen.

Anna hatte sich nicht in ihm geirret. Eifersucht auf Elliot war es gewesen, was ihn zurückgehalten, was ihn in Zweifel und Qualen geworfen hatte. Diese Regung war erwacht in der ersten Stunde ihres Zusammentreffens in Bath, hatte, nach kurzer Unterbrechung, seine Freude am Konzert-Abend gestört, und in den letzten vier und zwanzig Stunden Einfluß auf alles gehabt, was er gesagt und gethan, oder zu sagen und zu thun unterlassen hatte. Zuweilen war sie den bessern Hoffnungen gewichen, die Anna's Blicke, Worte, oder Handlungen erweckten, und endlich war sie durch die Gesinnungen und die Töne besiegt worden, die er vernahm, als sie mit Kapitain Harville sprach, worauf er, von einem unwiderstehlichen Gefühle hingerissen, ein Blatt ergriffen hatte um seine Empfindungen zu ergießen.

Von den Worten, die er geschrieben, sollte nichts zurück genommen, nichts eingeschränkt werden. Nur sie, behauptete er, je geliebt zu haben; nie hätte eine Andre, sagte er, sie verdrängt, nie hätte er, seiner Meinung nach, auch nur ihres Gleichen gesehen. Er mußte freilich so viel bekennen daß er unbewußt, ja unabsichtlich treu gewesen, daß er sie hatte vergessen wollen, und geglaubt, es wäre geschehen. Er hatte sich für gleichgiltig gehalten, wo er nur unmuthvoll war, und er war ungerecht gegen ihre Vorzüge gewesen, weil er durch dieselben gelitten hatte. Ihre Gemüthsart erschien ihm nun als die vollkommenste, zwischen Kraft und Sanftheit freundlich in der Mitte; aber er mußte gestehen, daß er nur erst in Uppercroß gelernt hatte, ihr Gerechtigkeit zu erzeigen, und erst in Lyme hatte er angefangen, sich selber zu begreifen.

In Lyme hatte er Lehren mehr als einer Art erhalten. Die Bewunderung, welche Elliot ihr im Vorbeigehen zollte, hatte ihn wenigstens aufgeregt, und alles, wovon er auf dem Spaziergange Zeuge gewesen war, ihre Ueberlegenheit entschieden.

Bei seinen frühern Versuchen, sich an Luise Musgrove zu fesseln – die Versuche des unmuthigen Stolzes – wollte er immer gefühlt haben, daß er etwas Unmögliches erstrebte; Luise, behauptete er, wäre ihm gleichgiltig gewesen, und hätte ihm nur gleichgiltig sein können, aber bis zu jenem Tage, bis zu der ruhigen Ueberlegung, die ihm folgte, hatte er die hohen Vorzüge eines Gemüthes nicht begriffen, mit welchem Luise die Vergleichung so wenig aushalten konnte, die vollkommene Gewalt nicht begriffen, die es allein über seine Seele ausübte. Hier hatte er gelernt, zwischen Festigkeit in Grundsätzen und der Hartnäckigkeit des Eigenwillens, zwischen der Kühnheit einer Unbesonnenen und der Entschlossenheit eines gefaßten Gemüthes zu unterscheiden. Hier hatte er alles gesehen, was das Mädchen, welches er verloren, in seiner Meinung erheben konnte, und hier angefangen, den Stolz, die Thorheit, den Wahnsinn einer Empfindlichkeit zu beklagen, die ihn von dem Versuche abgehalten hatte, sie wieder zu gewinnen, als sie ihm noch einmahl in den Weg kam.

Von dieser Zeit an war seine Buße hart gewesen. Kaum hatte er das Schrecken und die Gewissensunruhe überwunden, die in den ersten Tagen nach Luisens Unfall ihn gequält hatten; kaum fühlte er wieder, daß er wieder lebte, so fühlte er auch, daß er zwar lebendig, aber nicht frei war.

»Ich sah,« sprach er, »daß Harville mich für gebunden hielt, daß weder er, noch seine Frau an unsrer wechselseitigen Zuneigung zweifelte. Dieß machte mich bestürzt und war mir ärgerlich. Ich hätte es bis auf einen gewissen Grad auf der Stelle widerlegen können; als ich aber erwog, daß auch Andre, daß Luisens Angehörigen und vielleicht sie selber auf gleiche Meinung gekommen sein könnten, fühlte ich, daß ich nicht länger mir selber gehörte, und die Ehre mich auffoderte, der ihrige zu sein, wenn sie es wünschte. Ich war unvorsichtig gewesen; ich hatte vorher nicht ernstlich an die Sache gedacht, nicht erwogen, daß mein so vertrauliches Verhältniß zu ihr bei Vielen die Besorgniß vor nachtheiligen Folgen hatte erwecken müssen, und daß ich mir nicht erlauben durfte, den Versuch zu machen, ob ich mich an die Eine oder die Andre der beiden Schwestern fesseln könnte. Ich hatte mich gröblich geirrt, und mußte die Folgen tragen.

Kurz, er sah zu spät, daß er sich verwickelt hatte, und daß er gerade in dem Augenblicke, wo es ihm ganz klar wurde, wie wenig Luise ihm war, sich an sie gebunden halten mußte, wenn sie für ihn fühlte, was Harville vermuthete. Dieß bewog ihn zu dem Entschlusse, Lyme zu verlassen, und ihre völlige Genesung anderswo abzuwarten. Gern wollte er, durch freundliche Mittel, die Gefühle, oder die Hoffnungen schwächen, die man etwa in Beziehung auf ihn hegen mochte, und er ging zu seinem Bruder, mit der Absicht, in einiger Zeit nach Kellynch zurückzukehren, und zu handeln, wie es die Umstände erfordern möchten.

»Ich war sechs Wochen bei Eduard,« setzte er hinzu, »und fand ihn glücklich. Ich konnte kein anderes Vergnügen haben, und verdiente kein anderes. Er fragte sehr angelegentlich nach Ihnen, und erkundigte sich, ob Sie sich in ihrem Aeußern verändert hätten; aber er ahnete nicht, daß Sie sich in meinen Augen nie verändern konnten.«

Anna lächelte und ließ es hingehn …; Es war ein zu lustiges Versehen, als daß sich ein Vorwurf darüber hätte machen lassen. Es ist etwas für eine Frau, wenn sie in ihrem acht und zwanzigsten Jahre die Versicherung hört, daß sie keinen ihrer Jugendreize verloren hat; aber für Anna wurde der Werth dieser Huldigung unaussprechlich erhöht, als sie sich dabei an frühere Aeußerungen erinnerte, und fühlte, daß diese Huldigung die Wirkung, und nicht die Ursache seiner wieder erwachten warmen Zuneigung war.

Er blieb bei seinem Bruder, die Verblendung seines Stolzes und die Versehen beklagend, wozu ihn seine Berechnungen verleitet hatten, bis er plötzlich durch die überraschende und glückliche Nachricht von Luisens Verbindung mit Benwick sich frei sah.

»Hier endigte das Schlimmste in meiner Lage,« fuhr er fort. »Ich konnte nun wenigstens meinem Glücke nachgehen, und meine Kräfte frei gebrauchen und etwas thun. Aber so lange in Unthätigkeit zu warten, und nur auf Unglück zu warten, war schrecklich gewesen. In den ersten fünf Minuten sagte ich: ›Ich will Mittwoche in Bath sein‹ – und ich war da. Und wenn ich's der Mühe werth hielt, zu kommen, war es unverzeihlich? Und wenn ich nicht ohne Hoffnung kam! Sie waren ledig. Es war möglich, daß Sie noch etwas von den frühern Empfindungen hegten, und eine Ermunterung hatte ich. Sie wurden von Andern geliebt und gesucht, daran konnte ich nicht zweifeln, aber ich wußte gewiß, daß Sie wenigstens einen Mann ausgeschlagen hatten, und ich mußte mich oft fragen: War es meinetwegen?«

Ueber ihr erstes Zusammentreffen im Laden war viel zu sagen, und noch mehr über das Konzert. Wie viele merkwürdige Augenblicke an diesem Abende! von dem Augenblicke, als sie sich im Vorzimmer ihm näherte, um mit ihm zu sprechen, als Elliot erschien und sie wegzog, und von zwei oder drei der nächsten Augenblicke, wo die Hoffnung wiederkehrte, oder der Kleinmuth zunahm, wurde mit Nachdrucke gesprochen.

»Sie zu sehen,« sprach er, »mitten unter Denjenigen zu sehen, die mir nicht wohlwollen konnten, ihren Vetter an ihrer Seite, in angelegentlichem Gespräche und freudiger Stimmung zu sehen, und dabei zu fühlen, wie viel für die Verbindung sprach und wie passend sie war! Ich konnte es mir ja nicht verhehlen, daß Alle, die Einfluß auf Sie hatten, diese Verbindung wünschten. Sah ich doch ein, daß es ihm nicht an mächtiger Unterstützung fehlen konnte, wenn Sie gleichgiltig, oder abgeneigt waren?! War dieß nicht genug, mich zu dem Thoren zu machen, der ich zu sein schien? Wie konnte ich meinen Schmerz unterdrücken? War nicht der Anblick der Freundinn, die hinter Ihnen saß, war nicht die Erinnerung an dasjenige, was sie gewesen war, an ihren Einfluß auf Sie, die unvergängliche Erinnerung, was einst Ueberredung gethan hatte – war nicht alles gegen mich?«

»Sie hätten unterscheiden sollen,« erwiederte Anna. »Sie hätten mich jetzt nicht in Verdacht haben sollen, da die Lage der Dinge so ganz anders und mein Alter so ganz verschieden war. Habe ich einst unrecht gehabt, als ich der Ueberredung nachgab, so müssen Sie bedenken, daß ich zu etwas überredet wurde, was zur Sicherheit, nicht in Gefahr führte. Ich glaubte nur der Pflicht nachzugeben, aber hier konnte keine Pflicht gegen mich aufgeboten werden, um mich zu leiten. Wenn ich einen Mann geheirathet hätte, der mir gleichgiltig war, würde ich allen Gefahren entgegen gegangen sein und jede Pflicht verletzt haben.«

»Ja, ich hätte dieß vielleicht mir sagen sollen,« erwiederte Wentworth, »aber ich konnte es nicht. Nein, ich konnte die Kenntniß von Ihrer Gemüthsart, die ich neulich erlangt hatte, nicht benutzen; ich konnte sie nicht in's Leben bringen, sie ward unterdrückt, begraben, vernichtet von jenen frühern Gefühlen, worunter ich so viele Jahre gelitten hatte. Ich sah in Ihnen nur diejenige, die nachgegeben, die mir entsagt hatte, und eher fremdem Einflusse, als dem meinigen gefolgt war. Ich sah sie an der Seite eben jener Frau, von welcher Sie sich in jenem unseligen Jahre hatten leiten lassen. Konnte ich glauben, daß diese Frau jetzt weniger Gewalt über Sie haben werde? Es kam nun die Macht der Gewohnheit dazu.«

»Ich hätte gedacht,« antwortete Anna, »mein Benehmen müßte Ihnen viele von diesen Gedanken, oder alle erspart haben.«

»Nein, nein, ihr Benehmen konnte ja auch nur die Unbefangenheit sein, die Ihre Verbindung mit einem andern Manne Ihnen geben mußte. Ich verließ Sie in diesem Glauben, und dennoch war ich entschlossen, Sie noch einmahl zu sehen. Mit dem Morgen erhielt meine Seele neue Fassung, und ich fühlte, daß ich noch einen Beweggrund hatte, hier zu bleiben.«

Endlich war Anna wieder zu Hause, und war glücklicher, als hier Jemand hätte vermuthen können. Alle Bestürzung, alle Zweifel und jedes peinliche Gefühl, wovon sie in den ersten Stunden dieses Tages war bewegt worden, hatte jene Unterredung zerstreut, und sie betrat das Haus so glücklich, daß sie auf einen Augenblick der Besorgniß sich überließ, es könnte am Ende doch unmöglich sein. Eine Pause ruhiger, dankbarer Betrachtung war das beßte Mittel, alles zu entfernen, was in diesem Rausche des Glückes hätte gefährlich sein können. Sie ging in ihr Zimmer und als sie ihrer Freude sich dankbar überließ, wurde sie standhaft und furchtlos.

Der Abend kam. Die Lichter im Besuchzimmer wurden angezündet und die Gesellschaft versammelte sich. Sie war bloß zum Spiele geladen; eine Versammlung von Personen, welche sich theils nie, theils zu oft gesehen hatten; ein unbedeutender Verein, zu zahlreich für vertrauliche Anschließung, zu klein für mannigfaltige Abwechselung; Anna aber hatte nie einen Abend so kurz gefunden. Aufgeregt und liebenswürdig im Gefühle ihres Glückes, und mehr bewundert, als sie dachte, oder beachtete, hegte sie fröhliche, oder nachsichtige Empfindungen gegen Alle um sie her. Auch Elliot war da. Sie mied ihn, aber sie konnte ihn doch bemitleiden. Es gab ihr Unterhaltung, die Absichten der Familie Wallis zu verstehen. Lady Dalrymple und Fräulein Carteret mußten bald unschädliche Verwandte für sie sein. Sie bekümmerte sich nicht um Frau Clay, und hatte keine Ursache, über das Benehmen, das ihr Vater und ihre Schwester öffentlich gegen sie zeigten, beschämt zu sein. Mit der Familie Musgrove unterhielt sie sich in froher Unbefangenheit, mit Harville freundlich, wie Bruder und Schwester; mit Frau Russel suchte sie oft eine Unterredung anzuknüpfen, die aber ein seliges Bewußtsein schnell abbrach; gegen den Admiral und seine Gemahlinn zeigte sie eine Herzlichkeit und warme Theilnahme, die eben jenes Bewußtsein zu verhehlen suchte, und stets gab es Augenblicke, wo sie mit Wentworth sprechen konnte, und immer hatte sie die Hoffnung, noch mehre zu finden, und immer wußte sie, daß er da war.

In einem jener flüchtigen Augenblicke des Zusammentreffens, als Jedermann beschäftigt zu sein schien, einige schöne Treibhauspflanzen zu betrachten, sprach sie zu ihm:

»Ich habe über das Vergangene nachgedacht, und unparteilich zu erwägen gesucht, was recht und unrecht war – ich meine, in so fern es mich angeht – und ich muß glauben, daß ich recht gethan habe, so viel ich auch dabei litt, daß ich völlig recht gethan habe, mich von der Freundinn leiten zu lassen, die Ihnen einst werther sein wird, als jetzt. Bei mir hat sie Aelternstelle vertreten. Mißverstehen Sie mich nicht! Ich will nicht sagen, daß meine Freundinn sich nicht geirrt hätte in ihrem Rathe. Es war vielleicht einer von den Fällen, wo es nur vom Erfolge abhängt, ob ein Rath gut, oder böse gewesen ist, und ich würde unter einigermaßen ähnlichen Umständen gewiß nie einen solchen Rath geben. Ich will nur sagen, es war recht von mir, daß ich ihr folgte, und wenn ich anders gehandelt hätte, würde ich durch die Fortdauer der Verbindung mehr gelitten haben, als wenn ich sie aufgegeben hätte, weil ich in meinem Gewissen gelitten haben würde. Ich habe mir jetzt nichts vorzuwerfen, in so fern der menschlichen Natur ein solches Gefühl erlaubt ist, und irre ich nicht, so ist ein lebhaftes Pflichtgefühl kein geringer Theil der Mitgift einer Frau.«

Wentworth sah sie an, sah Frau Russel und sah wieder sie an, indem er, als ob er ruhig erwogen hätte, zur Antwort gab: »Noch nicht! Doch – ich hoffe, ihr künftig verzeihen zu können. Ich werde bald gut mit ihr stehen, glaube ich. Auch ich aber habe über die Vergangenheit nachgedacht, und es hat sich die Frage mir aufgedrängt, ob nicht noch sonst Jemand als Frau Russel mein Feind gewesen sein möchte. Ja, mein eigenes Selbst! Sagen Sie mir, wenn ich im Jahre Acht, wo ich einige tausend Pfund besaß, und auf der Laconia war, an Sie geschrieben hätte, würden Sie mir geantwortet – kurz, würden Sie unsre Verbindung wieder angeknüpft haben?«

»Würde ich?« antwortete sie, aber der Ton dieser Worte war entscheidend genug.

»O Gott,« sprach er lebhaft, »Sie würden es? Ich will nicht sagen, daß ich nicht daran gedacht, daß ich es nicht gewünscht hätte, als das Einzige, was alle meine andern glücklichen Erfolge hätte krönen können; aber ich war stolz, zu stolz, noch einmahl zu fragen. Ich verstand Sie nicht; ich schloß meine Augen, wollte Sie nicht verstehen, wollte nicht gerecht gegen Sie sein. Dieß ist eine Erinnerung, die mich bewegen muß, jedem Andern eher zu verzeihen, als mir selber. Ich hätte mir sechs Jahre der Trennung und des Kummers ersparen können. Es ist eine Art von Pein, die mir neu ist. Ich habe mich daran gewöhnt, zu glauben, daß ich jedes Glück, welches ich genoß, geerntet hätte, ich bin stolz auf ehrenvolle Arbeit und gerechte Belohnung gewesen. Wie andre große Männer im Mißgeschicke,« setzte er lächelnd hinzu: »muß ich mein Gemüth meinem Schicksale zu unterwerfen suchen. Ich muß es ertragen lernen, glücklicher zu sein, als ich es verdiene.«



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