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Anna erinnerte sich am nächsten Morgen mit Freude ihres Versprechens, Frau Smith zu besuchen. Sie glaubte, auf diese Weise gerade zu der Zeit, wo Elliot wahrscheinlich kommen möchte, abwesend zu sein; denn ihm auszuweichen, war nun ihre erste Angelegenheit.
Sie hegte viel Wohlwollen gegen Elliot. Trotz der unseligen Folgen seiner Aufmerksamkeiten war sie ihm Dankbarkeit und Achtung, vielleicht Mitleid schuldig. Sie mußte häufig an die sonderbaren Umstände denken, unter welchen die Bekanntschaft mit ihm entstanden war, an das Recht, das er durch seine verwandtschaftlichen Verhältnisse, seine Gesinnungen, seine frühe Vorliebe, auf ihre Theilnahme erlangt zu haben schien. Das Verhältniß war doch immer sehr sonderbar; schmeichelnd, wenn auch peinlich. Was sie gefühlt haben würde, wenn kein Wentworth im Spiel gewesen wäre, war der Untersuchung nicht werth; denn es gab einen Wentworth und mochte der Ausgang des ungewissen Verhältnisses gut oder schlimm sein, ihm gehörte ihr Herz für immer. Ihre Verbindung mit ihm, glaubte Anna, könnte sie nicht mehr von andern Männern trennen, als es ihre unwiderrufliche Trennung von ihm thun würde.
Holdere Träume schwärmerischer Liebe und ewiger Treue mochten wohl nie auf der Straße geträumt worden sein, als durch Anna's Köpfchen Dieser Ausdrucksweise, die dem Original und überhaupt der Autorin völlig fremd ist, macht sich der Übersetzer zum Glück nur ein einziges Mal schuldig. [Anm.d.Hrsg.] gingen, während sie auf dem Wege zum West-Ende war.
Sie war freundlicher Aufnahme gewiß, und Frau Smith schien ihr heute für den Besuch besonders verbunden zu sein, und sie kaum erwartet zu haben, obgleich man Abrede genommen hatte.
Frau Smith wollte sogleich etwas von dem Konzerte hören, und Anna hatte so glückliche Erinnerungen davon, daß ihre Züge sich belebten, und sie gern von dem Abende sprach. Alles, was sie mittheilte, sagte sie sehr froh; aber alles dieß war wenig für jemand, der im Konzerte gewesen war, und unbefriedigend für eine so forschende Fragerinn, als Frau Smith, die auch schon durch den kurzen Bericht einer Wäscherinn und eines Aufwärters besser, als es Anna erzählen konnte, wußte, wie das Konzert ausgefallen war. Vergebens fragte sie nun, ob diese und jene da gewesen wäre, da ihr alle angesehene Fremden in Bath, dem Nahmen und ihren Verhältnissen nach, gut bekannt waren, aber Anna konnte wenig Auskunft geben. Frau Smith meinte, ihre Freundinn hätte ohne Zweifel, als Gesellschafterinn der Lady Dalrymple, auf der vordersten Reihe, zunächst am Orchester, gesessen.
»Nein, aber ich fürchtete es eben, und es würde mir in jeder Hinsicht sehr unangenehm gewesen sein. Lady Dalrymple setzt sich zum Glücke immer etwas weiter, und wir hatten sehr gute Plätze, zum Hören, mein' ich, nicht zum Sehen, denn ich merke wohl, daß ich sehr wenig gesehen habe.«
»O Sie haben genug zu ihrer eigenen Unterhaltung gesehen. Ich kann das begreifen. Es gibt eine Art von still häuslichem Genusse, selbst mitten in einem Gedränge, und den haben Sie gehabt. Sie waren in einer zahlreichen Gesellschaft für sich und brauchten sonst keine Unterhaltung.«
»Aber ich hätte mich doch mehr umsehen sollen,« erwiederte Anna, fühlte jedoch dabei wohl, daß sie es an Umsehen wirklich nicht hatte fehlen lassen, und nur der Gegenstand ihre Erwartungen nicht erfüllt hatte.
»Nein, nein, Sie hatten bessere Beschäftigung. Sie brauchen mir nicht zu sagen, daß Sie einen angenehmen Abend gehabt haben. Ich lese es in ihrem Auge. Ich sehe deutlich, wie die Stunden hingegangen sind; und daß Sie immer auf etwas Angenehmes zu hören hatten. In den Pausen unterhielt man sich mit Gespräch.«
»Lesen Sie das in meinem Auge?« fragte Anna, ein wenig lächelnd.
»Allerdings. Ihre Züge sagen mir ganz deutlich, daß Sie gestern Abend mit dem Manne in Gesellschaft gewesen sind, den sie für den angenehmsten halten, mit dem Manne, der in diesem Augenblicke anziehender für Sie ist, als die ganze Welt.«
Erröthen bedeckte Anna's Wangen. Sie konnte nichts sagen.
»Und da dieß der Fall ist,« fuhr Frau Smith nach einer kurzen Pause fort: »so werden Sie mir wohl glauben, daß ich die Güte zu schätzen weiß, womit Sie mich heute besuchen. Es ist in der That sehr freundlich von Ihnen, daß Sie in diesem Augenblicke zu mir kommen, wo Sie so viele Einladungen haben müssen, ihre Zeit zuzubringen.«
Anna hörte nichts. Sie war noch ganz erstaunt und verwirrt über den Scharfblick ihrer Freundinn, und begriff nicht, wie Frau Smith etwas von Wentworth hätte hören können.
»Sagen Sie mir doch,« hob Frau Smith nach kurzem Schweigen wieder an: »weiß Herr Elliot, daß Sie Umgang mit mir haben? Ist es ihm bekannt, daß ich in Bath bin?«
»Herr Elliot?« fragte Anna, überrascht aufblickend. Nach kurzem Nachdenken sah sie, daß ein Mißverständniß im Spiele gewesen war. Sie errieth es augenblicklich, und ermuthigt durch das Bewußtsein, daß ihr Geheimniß gesichert war, setzte sie gefaßter hinzu: »Kennen Sie Herrn Elliot?«
»Ich bin ziemlich bekannt mit ihm gewesen,« sprach Frau Smith, sehr ernst, »aber es scheint, die Bekanntschaft ist vergessen. Ich habe ihn nun sehr lange nicht gesehen.«
»Das habe ich gar nicht gedacht. Sie sagten mir nie vorher etwas davon. Hätte ich's gewußt, so würde ich das Vergnügen gehabt haben, mit ihm von Ihnen zu reden.«
»In der That,« erwiederte Frau Smith mit ihrer gewöhnlichen Munterkeit, »das ist eben das , das ich Ihnen gern machen möchte. Ich wünsche, daß Sie mit Herrn Elliot von mir sprechen. Ich brauche ihre Verwendung bei ihm. Er kann mir wesentliche Dienste leisten, und wenn Sie die Güte haben wollten, meine liebe Anna, sich dieser Angelegenheit anzunehmen, so wird's gemacht sein.«
»Es würde mich ungemein freuen, und ich hoffe, Sie können gar nicht zweifeln an meiner Bereitwilligkeit, Ihnen jeden Dienst zu leisten; aber ich vermuthe, Sie glauben, daß ich höhere Ansprüche auf Herrn Elliot's Gefälligkeit, und ein größeres Recht auf ihn einzuwirken habe, als wirklich der Fall ist. Ich bin überzeugt, Sie sind, ich weiß nicht wie, zu einer solchen Meinung verleitet worden. Betrachten Sie mich aber bloß als Herrn Elliot's Verwandte. Gäbe es irgend etwas, das ich als Verwandte von ihm fodern dürfte, so stehen Sie doch ja nicht an, meine Dienste zu verlangen.«
Frau Smith heftete einen durchdringenden Blick auf sie, und sprach dann lächelnd: »Ich bin etwas voreilig gewesen, wie ich sehe. Verzeihen Sie's. Ich hätte die förmliche Meldung erwarten sollen. Aber, mein liebes Fräulein, geben Sie mir, als einer alten Freundinn, einen Wink, wann ich sprechen kann. Nächste Woche? Gewiß nächste Woche werde ich wohl glauben dürfen, daß alles im Reinen sei, und dann meine eigennützigen Plane auf Herrn Elliot's Glück gründen können.«
»Nein,« erwiederte Anna, »weder nächste Woche, noch die folgende, noch die dritte. Glauben Sie mir, es giebt gar nichts der Art, woran Sie denken, das in irgend einer Woche im Reinen sein könnte. Ich werde Herrn Elliot nicht heirathen, und möchte wohl wissen, wie Sie auf den Gedanken gekommen sind.«
Frau Smith sah sie ernsthaft an, lächelte, schüttelte den Kopf und rief: »Nun, ich möchte, daß ich Sie verstände. Wüßte ich doch, wie es mit Ihnen wäre! Ich bin überzeugt, Sie werden nicht grausam sein wollen, wenn der rechte Augenblick kommt. Bis er kommt, denken wir Frauen immer, wie Sie ja wissen, daß wir Niemand haben wollen. Es versteht sich bei uns von selbst, daß jeder Mann abgewiesen werden soll, bis er kommt. Aber warum sollten Sie grausam sein? Lassen Sie mich für meinen – jetzigen Freund kann ich nicht sagen – aber für meinen ehemaligen Freund sprechen. Gäbe es eine passendere Verbindung? Wo fänden Sie einem gebildetern, angenehmern Mann? Hören Sie doch, wie gut Oberst Wallis von ihm spricht, und wer kann ihn besser kennen, als Oberst Wallis?«
»Liebe Frau Smith, Herrn Elliot's Frau ist ja nicht viel über ein halbes Jahr todt. Wie könnte man ihm zutrauen, daß er schon um eine Andre werben wollte?«
»O wenn Sie sonst keine Einwendungen haben,« sprach Frau Smith mit schlauem Blicke: »so ist Herr Elliot geborgen, und ich gebe mir seinetwegen keine Mühe mehr. Vergessen Sie mich nicht, wenn Sie verheirathet sind; mehr wünsche ich nicht. Lassen Sie ihn wissen, daß ich ihre Freundinn bin, und dann wird er wenig der Mühe achten, die nothwendig ist; aber jetzt ist es bei seinen Geschäften und Verbindungen sehr natürlich, diese Mühe zu vermeiden und so gut als möglich sich ihr zu entschlagen. Neun und neunzig unter Hundert würden's eben so machen. Denkt er doch schwerlich, wie wichtig es für mich ist! …; Nun, liebes Fräulein, ich hoffe zuversichtlich, Sie werden sehr glücklich sein. Herr Elliot hat Verstand genug, ihren Werth zu erkennen. Ihr Friede wird nicht Schiffbruch leiden, wie es mir geschah. Sie sind sicher in allen Beziehungen auf äußere Verhältnisse, sicher über seinen Charakter. Er wird sich nicht auf Irrwege leiten, er wird sich nicht durch Andre zu seinem Verderben verführen lassen.«
»Ja, ich kann alles dieß von meinem Vetter gern glauben. Er scheint ein ruhiges, entschiedenes Gemüth zu haben, und ganz und gar nicht für gefährliche Eindrücke empfänglich zu sein. Ich hege viel Achtung gegen ihn, und habe nach allem, was ich beobachten konnte, keine Ursache, anders gegen ihn gesinnt zu sein. Aber ich kenne ihn erst kurze Zeit, und er ist, glaube ich, nicht der Mann, den man bald genau kennen lernt. Nun, wird denn dieser Ton, worin ich von ihm spreche, Sie nicht überzeugen? Ruhiger kann ich doch nicht sprechen. Auf mein Wort, er ist mir gleichgiltig. Sollte er mir je seine Hand antragen – und ich habe wenig Ursache, zu glauben, daß er so etwas im Sinne führt – so werde ich sie nicht annehmen. Glauben Sie, ich werde es nicht thun. Ich versichere Ihnen, Herr Elliot hatte an dem Vergnügen, das mir das gestrige Konzert gegeben haben kann, nicht so viel Antheil, als Sie glauben. Nein, Herr Elliot ist es nicht, der –«
Sie hielt inne, und mit hohem Erröthen bedauerte sie, daß sie so viel angedeutet hatte; aber weniger würde kaum hinlänglich gewesen sein. Frau Smith würde kaum so schnell geglaubt haben, Elliot wäre in seinen Bewerbungen nicht glücklich gewesen, wenn sie nicht gemerkt hätte, daß es sonst Jemand war. Unter diesen Umständen gab Frau Smith sogleich nach, ohne zu verrathen, daß sie mehr sähe, und Anna, die gern weiterer Beobachtung entgehen wollte, wünschte zu wissen, warum Frau Smith sie für Elliot's Braut gehalten hatte, woher ihr dieser Gedanke gekommen sein, und von wem sie ihn gehört haben konnte. »Wie sind Sie zuerst darauf gefallen?« fragte sie.
»Ich bin zuerst darauf gefallen, als ich hörte, wie häufig Sie mit Herrn Elliot zusammen wären, und ich sah ein, daß wahrscheinlich Sie und er so etwas für sehr erwünscht halten müßten. Ich kann Ihnen versichern, alle ihre Bekannten haben dasselbe geglaubt. Erst seit einigen Tagen aber habe ich davon reden hören.«
Anna war nicht wenig überrascht, als Frau Smith erzählte, es habe ihre Wärterinn, Frau Rooke, jene Nachricht ihr mitgetheilt, welche sie von der Gemahlinn des Obersten Wallis erhalten hätte.
»Sie war Montag Abend eine Stunde bei mir und erzählte mir die ganze Geschichte.«
»Die ganze Geschichte!« wiederholte Anna lachend. »Ich glaube, sie konnte keine sehr lange Geschichte aus einem so kleinen Stückchen von einer ungegründeten Nachricht machen.«
Frau Smith gab keine Antwort.
»Aber wenn es auch nicht gegründet ist, daß ich Ansprüche auf Herrn Elliot machen kann,« fuhr Anna fort, »so würde ich mich doch sehr freuen, Ihnen auf alle mögliche Weise nützlich sein zu können. Soll ich es ihm sagen, daß Sie in Bath sind? Wollen Sie mir irgend etwas an ihn auszurichten geben?«
»Nein, ich danke Ihnen. Auf keine Weise. In der ersten Aufwallung, und unter einer irrigen Voraussetzung, hätte ich vielleicht versuchen lassen können, Ihnen für gewisse Umstände Theilnahme zu erwecken. Doch jetzt nicht – nein, ich habe Sie mit nichts zu beschweren.«
»Sagten Sie nicht, Sie hätten Herrn Elliot lange gekannt ?«
»So ist es.«
»Doch wohl nicht, ehe er verheirathet war?«
»Allerdings, er war noch nicht verheirathet, als ich ihn zuerst kennen lernte.«
»Und – waren Sie genau mit ihm bekannt?«
»Sehr genau.«
»Wirklich? Nun so sagen Sie mir doch, wie war er denn zu jener Zeit? Ich möchte sehr gern wissen, wie Herr Elliot als sehr junger Mann gewesen ist. War er denn, wie er jetzt erscheint?«
»Ich habe ihn seit drei Jahren nicht gesehen,« antwortete Frau Smith mit einem so ernsten Wesen, daß es unmöglich war, über diesen Gegenstand weiter zu sprechen.
Anna sah, sie hatte nichts weiter gewonnen, als daß ihre Neugier geschärft war.
Beide schwiegen. Frau Smith war in Gedanken verloren, bis sie endlich mit ihrer gewöhnlichen Herzlichkeit wieder anhob: »Verzeihen Sie mir, liebe Anna, daß ich Ihnen so kurze Antworten gegeben habe. Ich war unschlüssig, was ich thun, und wußte nicht, was ich Ihnen sagen sollte. Es war so Manches dabei zu bedenken. Man will nicht gern zudringlich sein, nicht gern böse Eindrücke machen und Unheil stiften. Es ist vielleicht gut, selbst die glatte Außenseite der Familien-Eintracht zu bewahren, wenn auch nichts Dauerhaftes darunter sein mag. Doch – ich bin nun zu einem Entschlusse gekommen, und glaube recht zu handeln; ich glaube, Sie müssen mit Herrn Elliot's wahren Gesinnungen bekannt werden. Ich bin überzeugt, Sie haben in diesem Augenblicke nicht die mindeste Absicht, seine Bewerbungen anzunehmen, aber man weiß ja nicht, was künftig geschehen könnte. Es wäre ja möglich, daß Sie einmahl anders gegen ihn gesinnt wären. Hören Sie die Wahrheit, jetzt, wo Sie unbefangen sind. Herr Elliot ist ein herzloser, ein gewissenloser Mann; arglistig, zurückhaltend, kalt, selbstsüchtig, und um seines Vortheiles, oder seiner Bequemlichkeit willen würde er sich jeder Grausamkeit, jeder Verrätherei schuldig machen, wenn es, ohne seinem Rufe zu schaden, geschehen könnte. Er hat kein Mitgefühl gegen Andre. Er kann Diejenigen, die sich meist durch ihn ins Verderben haben bringen lassen, ohne die mindesten Gewissensbisse vernachlässigen und verlassen. Er ist für keine Regung von Gerechtigkeit oder Mitleid empfänglich. O sein Herz ist schwarz, leer und schwarz.«
Frau Smith machte eine Pause, als Anna ihr Erstaunen laut verrieth, und fuhr dann ruhiger fort: »Was ich sage, macht Sie betroffen. Sie müssen einer gekränkten, unmuthigen Frau Nachsicht schenken, aber ich will mich zu bemeistern suchen. Sie sollen von mir hören, wie ich ihn gefunden habe. Thatsachen mögen reden. Er war der vertraute Freund meines lieben Mannes, der ihm Vertrauen und Liebe schenkte, und ihn für so gut hielt, als er selber war. Ihre Freundschaft war geschlossen, ehe ich mich verheirathete; ich lernte sie als die vertrautesten Freunde kennen, und auch mir gefiel Herr Elliot ungemein. Ich hatte die höchste Meinung von ihm. Im neunzehnten Jahre ist man, wie Sie wissen, nicht zu ernsthaftem Nachdenken aufgelegt, aber ich hielt Herrn Elliot für so gut als Andre, und für weit angenehmer, als die meisten Andern. Ich sah ihn fast immer. Wir wohnten zu jener Zeit in London, und lebten auf sehr gutem Fuß. Er war damahl in einer ungünstigen Glückslage, er war der ärmere, und es wurde ihm schwer, nur das äußere Ansehen eines Mannes von guter Abkunft sich zu geben. Er fand immer eine Heimath bei uns, wenn er wollte, er war stets willkommen, er war wie ein Bruder. Mein guter Mann, der das zarteste, edelste Gemüth von der Welt hatte, würde den letzten Heller mit ihm getheilt haben, und ich weiß, sein Geldbeutel war immer für ihn offen.«
»Das muß gerade in der Zeit seines Lebens gewesen sein, die meine Neugier immer ganz besonders gereizt hat,« erwiederte Anna. »Es wird um dieselbe Zeit gewesen sein, wo er mit meinem Vater und meiner Schwester bekannt ward. Ich selber habe ihn früher nie gekannt und nur von ihm gehört, aber es war etwas in seinem Betragen gegen meinen Vater und meine Schwester, und später in den mit seiner Heirath verbundenen Umständen, das ich mit der jetzigen Zeit nie ganz vereinigen konnte. Es schien einen andern Mann anzukündigen.«
»Ich weiß alles, alles!« antwortete Frau Smith. »Er hatte mit Ihrem Vater und ihrer Schwester Bekanntschaft gemacht, ehe ich ihn kennen lernte, aber ich hörte ihn immer von Beiden sprechen. Ich weiß, daß er eingeladen und aufgemuntert wurde, und weiß, er wollte nicht hingehen. Ich kann Ihnen vielleicht Aufschlüsse über Dinge geben, woran Sie wenig denken, und von seiner Heirath wußte ich zu jener Zeit alle Umstände. Ich war mit jedem Für und Wider bekannt, ich war die Freundinn, der er alle seine Hoffnungen und Entwürfe anvertraute. Seine Frau kannte ich zwar nicht vorher, weil's bei ihrem geringen Stande unmöglich war, wohl aber späterhin bis auf ihre beiden letzten Lebensjahre, und ich kann Ihnen jede Frage über diesen Punkt beantworten.«
»Nein, über seine Frau habe ich nicht etwa eine besondere Frage zu thun. Man hat mir immer gesagt, sie hätten nicht glücklich mit einander gelebt. Aber ich möchte gern wissen, warum er zu jener Zeit die Bekanntschaft mit meinem Vater so geringe achtete. Mein Vater war gewiß sehr wohlwollend gegen ihn gesinnt. Warum zog sich Herr Elliot zurück?«
»Herr Elliot hatte zu jener Zeit nur ein einziges Ziel im Auge; er wollte sein Glück machen, und zwar auf einem etwas schnellern Wege, als durch die Rechtsgelehrsamkeit. Sein Entschluß war wenigstens, sein Glück nicht durch eine unkluge Heirath zu hindern, und ich weiß, er glaubte – ob mit Recht oder Unrecht, kann ich natürlich nicht entscheiden – er glaubte, daß Ihr Vater und Ihre Schwester mit ihren Höflichkeiten und Einladungen auf eine Verbindung zwischen dem Erben und dem Fräulein ausgingen, aber so etwas paßte nicht zu seinen Ansichten von Reichthum und Unabhängigkeit. Glauben Sie mir, dieß war es, was ihn bewog, sich zurück zu ziehen. Ich erfuhr von ihm die ganze Geschichte. Er verhehlte mir nichts. Es war in der That sonderbar, daß gleich nach meiner Trennung von Ihnen, bei meiner Verheirathung, Ihr Vetter mein erster und genauester Bekannter wurde, und daß ich durch ihn stets von ihrem Vater und ihrer Schwester hörte. Er schilderte eine Schwester, und ich dachte liebevoll an die andre.«
»Vielleicht,« fragte Anna, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen: »sprachen Sie zuweilen von mir mit Herrn Elliot?«
»Allerdings, sehr oft. Ich that groß mit meiner Anna Elliot, und versicherte ihm, daß Sie ganz anders wären, als –«
Sie hielt frühe genug inne.
»Dieß erklärt etwas, das er mir gestern Abend sagte,« fuhr Anna fort. »Ich fand, daß er oft von mir gehört hatte, und konnte nicht begreifen, wie. Auf was für tolle Einbildungen man kommt, wo das liebe Selbst im Spiele ist! Und wie gewiß irret man sich da? – Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbrach. Herr Elliot heirathete also bloß um des Geldes willen? Ohne Zweifel öffnete Ihnen dieser Umstand zuerst die Augen über ihn?«
Frau Smith verrieth einige Unschlüssigkeit. »O was ist denn gewöhnlicher, als so etwas!« fuhr sie fort. »Wer in der großen Welt lebt, sieht zu häufig, wie Männer und Mädchen um des Geldes willen heirathen, als daß man darüber erstaunte, wie man sollte. Ich war sehr jung, lebte nur unter jungen Leuten, und wir waren ein unbedachtsames, fröhliches Völkchen, das sich keine zu strengen Regeln des Betragens vorschrieb. Wir hatten nur den Lebensgenuß im Auge. Jetzt denke ich anders; Zeit, Krankheit und Kummer haben mich zu andern Ansichten geführt; zu jener Zeit aber, ich läugne es nicht, fand ich gar nichts Tadelnswerthes in Herrn Elliot's Betragen. Für sich selber auf das Beste zu sorgen, galt als Pflicht.«
»Aber sie war von sehr gemeiner Herkunft?«
»Ja, und dieß gab mir auch zu Einwendungen Anlaß, aber er achtete nicht darauf. Geld, Geld, das war alles, was er brauchte. Ihr Vater war ein Viehhändler, ihr Großvater ein Fleischer gewesen, aber alles war ihm gleichgiltig. Sie war schön, hatte eine anständige Erziehung erhalten, wurde von einigen achtbarem Verwandten begünstigt, und als sie zufällig mit Herrn Elliot in Gesellschaft kam, verliebte sie sich in ihn; von seiner Seite aber entstand keine Schwierigkeit, keine Bedenklichkeit ihrer Herkunft wegen. Er war einzig darauf bedacht, den wahren Betrag ihres Vermögens genau kennen zu lernen, ehe er sich bloß gab. Glauben Sie mir, was Herr Elliot jetzt auch auf seinen Ruf halten mag, in seiner Jugend hatte er nicht die mindeste Achtung dagegen. Die Aussicht auf die Erbschaft war etwas für ihn, aber die Ehre der Familie galt ihm gar nichts. Ich habe ihn oft sagen hören, wenn Baronetwürden verkäuflich wären, so sollte die seinige Jedermann für funfzig Pfund haben, sammt Wappen und Wahlspruch, Nahmen und Livree. Ich mag nicht die Hälfte der Aeußerungen wiederhohlen, die er darüber zu thun pflegte; es würde unartig sein. Und doch müssen Sie einen Beweis haben, wenn Sie meiner Behauptung glauben sollen, und ich will Ihnen Beweise geben.«
»Ich brauche keine,« erwiederte Anna. »Sie haben ja nichts behauptet, was Herrn Elliot anders zeigte, als er vor einigen Jahren zu sein schien. Alles dieß bestätigt vielmehr, was wir von ihm gehört und geglaubt haben. Ich bin neugieriger, zu erfahren, warum er sich jetzt so ganz anders zeigt.«
Frau Smith antwortete, sie müßte zu ihrer eigenen Befriedigung ihre Beweise geben, und bat ihre Freundinn, ein Kästchen zu hohlen, das auf dem Simse der Schlafkammer stand. Anna ging, als sie sah, daß Frau Smith auf ihrem Willen bestand.
»Alle diese Papiere,« sprach Frau Smith, das Kästchen öffnend: »sind von ihm und meinem Manne; es ist nur ein kleiner Theil der Schriften, die ich durchsehen mußte, als ich Witwe geworden war. Der Brief, den ich suche, ist von Elliot, und wurde vor meiner Verheirathung geschrieben. Ich weiß nicht, warum mein Mann ihn aufbewahrt hat, aber er war darin nachlässig und planlos, wie andere Männer, und ich fand beim Nachsuchen diesen Brief mit andern, noch unbedeutendern, von verschiedenen Personen. Hier ist er. Ich wollte ihn nicht verbrennen, weil ich gerade zu jener Zeit mit Elliot wenig zufrieden war, und daher jedes Denkmahl früherer Freundschaft aufzubewahren beschloß. Jetzt ist es mir noch aus einem andern Grunde lieb, daß ich dieses Blatt vorzeigen kann.«
Der Brief war an Herrn Smith, im Jahre 1803, von London aus geschrieben, und lautete so:
»Lieber Smith.
Ich habe Ihren Brief erhalten. Ihre Güte ist mir fast zu viel. Hätte doch die Natur solche Herzen, als das Ihrige, recht vielen Menschen gegeben; aber ich habe in den drei und zwanzig Jahren meines Lebens kein ähnliches gefunden. Jetzt brauche ich, glauben Sie's mir, Ihren Beistand nicht; ich bin wieder bei Kasse. Wünschen Sie mir Glück, ich bin den Baronet und das Fräulein los. Sie sind wieder nach Kellynch zurück, und ich habe es ihnen fast zuschwören müssen, in diesem Sommer sie zu besuchen; aber ich komme nicht eher nach Kellynch, als bis ich einen Sachverständigen mitbringen kann, der mir sagen soll, wie sich das Gut am Vortheilhaftesten versteigern läßt. Der Baronet könnte aber wohl leicht wieder heirathen; er ist thörig genug dazu. Thut er's, so werden sie mich in Ruhe lassen, und das mag denn eine anständige Vergütung für die Anwartschaft sein. Er ist schlimmer, als voriges Jahr.
Ich wollte, mein Name wäre nicht Elliot; er ist mir zuwider. Den Nahmen Walter kann ich, Gott sei Dank, fallen lassen, und ich bitte Sie, mich nicht wieder mit meinem zweiten W. zu beschimpfen, da ich für mein übriges Leben nichts anders sein will, als aufrichtig
Ihr
Wilhelm Elliot .«
Anna konnte einen solchen Brief nicht ohne eine Aufwallung von Unwillen lesen, und als Frau Smith die glühende Wange ihrer Freundinn sah, hob sie wieder an: »Ich weiß, er spricht sehr unehrerbietig. Die Ausdrücke sind mir nicht mehr gegenwärtig, aber ich erinnere mich genau des Inhalts. Das schildert Ihnen den Mann. Bemerken Sie seine freundschaftlichen Betheuerungen gegen meinen guten Mann. Kann man sich stärker ausdrücken?«
Anna konnte nicht sogleich den Verdruß und die Kränkung überwinden, die sie fühlte, als sie solche Worte über ihren Vater hörte. Sie mußte sich erinnern, daß der Blick, den sie auf diesen Brief warf, eine Verletzung der Ehrengesetze war, daß Niemand nach solchen Zeugnissen beurtheilt werden darf, und daß Privatbriefe nicht vor fremde Augen gehören, ehe sie ruhige Fassung genug erlangen konnte, den Brief zurück zu geben, dessen Inhalt sie erwogen hatte.
»Ich danke Ihnen,« sprach sie. »Das ist ohne Zweifel ein gnügender Beweis für Alles, was sie gesagt haben. Aber warum will er jetzt mit uns bekannt sein?«
»Auch das kann ich erklären,« antwortete Frau Smith lächelnd. »Ich habe Ihnen Elliot gezeigt, wie er vor zwölf Jahren war; Sie sollen ihn nun sehen, wie er jetzt ist. Freilich kann ich Ihnen keine schriftlichen Beweise vorlegen, aber durch ein mündliches Zeugniß, das Sie nicht glaubwürdiger verlangen können, will ich Ihnen darthun, was er jetzt will, und wonach er trachtet. Er heuchelt jetzt nicht. Er will Sie heirathen. Seine Aufmerksamkeiten gegen ihre Familie sind sehr aufrichtig und kommen ganz aus dem Herzen. Ich will Ihnen meinen Gewährmann nennen; seinen Freund den Obersten Wallis.«
»Sie kennen ihn?«
»Nein. Auf so ganz geradem Wege habe ich's nicht erfahren. Es hat einen kleinen Umweg gemacht; aber das bedeutet nichts; der Strom ist noch so gut, als anfangs, und das Bischen Unrath, das er bei seinen Krümmungen aufgenommen haben mag, läßt sich leicht wegschaffen. Herr Elliot spricht mit dem Obersten Wallis ohne Zurückhaltung über seine Absichten auf Sie; dieser Oberst mag an sich ein verständiger, bedächtiger, scharfsichtiger Mann sein, aber er hat eine sehr hübsche alberne Frau, der er Dinge sagt, die er ihr besser verschwiege. In der frohen Stimmung, die das Gefühl der wiedergekehrten Gesundheit in ihr erweckt, erzählt sie alles ihrer Wärterinn, und die Wärterinn, die meine Bekanntschaft mit Ihnen kennt, bringt mir alles. Am Montage hat mich die gute Frau in die Geheimnisse eingeweiht, und Sie sehen, was ich von der ganzen Geschichte sagte, war nicht so erdichtet, als Sie glaubten.«
»Liebe Smith, ihr Zeugniß ist nicht befriedigend. Wenn Elliot auch Absichten auf mich hätte, so läßt sich daraus doch gar nicht erklären, warum er sich so viel Mühe gegeben hat, mit meinem Vater sich wieder auszusöhnen. Alles dieß geschah, ehe ich nach Bath kam. Ich fand sie bei meiner Ankunft in beßtem Vernehmen.«
»Ich weiß es sehr wohl, aber –«
»Wie können Sie auch erwarten, liebe Smith, auf solchem Wege echte Nachrichten zu erhalten! Thatsachen, oder Ansichten, die durch so viele Hände gehen, müssen bei diesem durch Thorheit, bei jenem durch Unwissenheit verdreht werden.«
»Hören Sie mich nur an,« fuhr Frau Smith fort. »Sie werden bald zu urtheilen im Stande sein, wie glaubwürdig meine Nachrichten sind, wenn ich Ihnen einige Umstände mittheile, welche Sie sogleich verwerfen oder bestätigen können. Niemand glaubt, daß Sie ihm zu seinem jetzigen Benehmen den ersten Beweggrund gegeben hätten. Er hatte Sie zwar vor seiner Ankunft in Bath gesehen und bewundert, aber ohne zu wissen, wer Sie waren. So sagt wenigstens meine Quelle. Ist's wahr? Sah er Sie im vorigen Sommer, oder im Herbst, irgendwo in der westlichen Gegend, wie meine Erzählerinn sagt?«
»Allerdings, und in so fern hat sie wahr gesprochen. Es war in Lyme.«
»Wohlan,« sprach Frau Smith freudig, »so hat also meine Quelle diesen ersten Punkt ganz richtig angegeben. Er sah Sie in Lyme, und Sie gefielen ihm so sehr, daß er höchst erfreut war, Sie in ihres Vaters Hause als Anna Elliot wiederzusehen. Von dem Augenblicke an hatte er ohne Zweifel einen doppelten Beweggrund, seine Besuche fortzusetzen. Schon früher aber trieb ihn ein anderer Beweggrund, wie ich Ihnen nun auch erklären will. Ist etwas in meiner Geschichte, das Sie für falsch oder unwahrscheinlich halten, so fallen Sie mir in's Wort. Meine Quelle sagt, die Freundinn ihrer Schwester, die Sie zuweilen gegen mich genannt haben, wäre mit dem Baronet und Fräulein Elisabeth nach Bath gekommen, und seitdem immer hier geblieben; sie wäre eine gewandte einschmeichelnde, hübsche Frau, arm und von gutem Ansehen, und mit einem Worte eine Frau, deren Verhältnisse und Benehmen des Baronets Freunde auf den Gedanken gebracht haben sollen, daß sie wohl die Absicht hätte, Frau Elliot zu werden, und Alle, sagt man mir, wunderten sich sehr, daß Ihre Schwester die Gefahr nicht zu erkennen scheine.«
Frau Smith schwieg einen Augenblick, als aber Anna nichts zu erwiedern hatte, fuhr sie fort: »In diesem Lichte wurde die Sache lange vor Ihrer Ankunft in Bath von den Bekannten ihres Vaters betrachtet. Oberst Wallis besuchte zwar zu jener Zeit ihres Vaters Haus nicht, aber seine freundschaftliche Gesinnung gegen Elliot bewog ihn, alles zu beobachten, was vorging, und als Elliot kurz vor Weihnachten auf ein Paar Tage nach Bath kam, machte er ihn mit der Lage der Dinge und mit den verbreiteten Gerüchten bekannt. Nun müssen Sie wissen, die Zeit hat in Elliot's Ansichten über den Werth einer Baronetwürde wesentliche Veränderungen hervor gebracht. In allem, was sich auf Herkunft und Familienverbindung bezieht, ist er ein ganz andrer Mann geworden. Er hat nun schon lange so viel Geld gehabt, als er nur immer verzehren konnte, jedes Wunsches Befriedigung hat er gefunden, und ist nun nach und nach dahin gekommen, seine Glückseligkeit dem ansehnlichen Range zu suchen, den er erben soll. Ich sah das kommen, ehe unsre Bekanntschaft abgebrochen wurde, aber es ist nun schon eine feste Gesinnung geworden. Unerträglich ist ihm der Gedanke, nicht Baronet zu werden. Sie können also leicht errathen, daß die Nachrichten, die er von seinem Freunde erhielt, ihm nicht sonderlich angenehm sein konnten, und daß nichts natürlicher war, als der Entschluß, so bald als möglich nach Bath zurück zu kehren, und sich eine Zeitlang hier aufzuhalten, in der Absicht, die ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen, und mit Ihren Angehörigen in ein Verhältniß zu kommen, wo er Mittel fände, die ihm drohende Gefahr zu ermessen, und wenn sie gegründet wäre, die gefährliche Frau zu überlisten. Die beiden Freunde hielten dieß für das einzige wirksame Mittel, und Oberst Wallis wollte dabei auf alle mögliche Art Beistand leisten. Elliot kam bald zurück; erhielt Verzeihung, wie Sie wissen, Zutritt in Ihrem Hause und es war sein beständiges und – bis Ihre Ankunft ein anderes hinzufügte – sein einziges Augenmerk, ihren Vater und Frau Clay zu beobachten. Er versäumte keine Gelegenheit, wo er Beide sehen konnte, kam zu allen Stunden – doch es ist unnöthig, darüber viel zu sagen. Sie können sich ja denken, was ein schlauer Mann thun würde, und von diesem Gedanken geleitet, erinnern Sie sich vielleicht, was Sie ihn haben thun sehen.«
»Ja, alles was Sie mir sagen, stimmt mit demjenigen überein, was ich gewußt habe oder mir denken konnte. Es ist immer etwas Widriges im Thun und Treiben der Verschmitztheit. Die Kunstgriffe der Selbstsucht und Falschheit müssen immer empörend sein, aber ich habe nichts gehört, das mich wirklich überraschte. Ich kenne Manche, die eine solche Darstellung von Vetter Elliot beleidigen würde, und die nicht leicht daran glauben möchten; ich aber bin nie mit ihm zufrieden gewesen, und habe immer einen andern Beweggrund seines Betragens gesucht, als offenbar wurde. Ich möchte gern wissen, wie er jetzt über die Wahrscheinlichkeit des befürchteten Ereignisses denkt, und ob er die Gefahr für geringer hält, oder nicht.«
»Für geringer, wie ich höre. Er glaubt, Frau Clay fürchte ihn, weil sie merken möge, daß er sie durchschaut habe, und wage es nun nicht, so zu handeln, als sie es in seiner Abwesenheit thun würde. Aber er muß doch auf einige Zeit sich entfernen, und ich sehe nicht ein, wie er je sicher sein kann, so lange sie ihren Einfluß behält. Nach der Erzählung meiner Wärterinn hat die Gemahlinn des Obersten den lächerlichen Gedanken, man sollte, wenn Elliot sich mit Ihnen vermählt, in den Ehevertrag setzen, daß ihr Vater Frau Clay nicht heirathen soll. In der That, der Plan ist des Verstandes der guten Frau werth, und meine Wärterinn hat wohl recht, wenn sie sagt, man könnte dadurch ja nicht verhindern, daß ihr Vater sonst jemand heirathete.«
»Es ist mir sehr lieb, daß ich alles die weiß,« sprach Anna, als sie einige Augenblicke in Gedanken versunken gewesen war. »Es wird mir in mancher Hinsicht empfindlich sein, mit ihm umzugehen, aber ich werde nun besser wissen, wie ich mich zu benehmen habe. Elliot ist offenbar ein unredlicher, hinterlistiger Mann, der sich immer nur von seinem Eigennutze hat leiten lassen.«
Frau Smith war aber mit Elliot noch nicht fertig. Sie hatte die Richtung, wovon sie anfangs ausgegangen war, verloren, und Anna, zu sehr mit den Angelegenheiten ihrer Familie beschäftigt, hatte vergessen, was in den ersten Aeußerungen ihrer Freundinn war angedeutet worden. Ihre Aufmerksamkeit ward aber bald auf die Erläuterung jener Winke gelenkt, und sie hörte eine Erzählung, die zwar nicht ganz die heftige Erbitterung der Frau Smith rechtfertigte, aber doch bewies, daß Elliot sehr gefühllos, sehr ungerecht und untheilnehmend gegen sie gehandelt hatte. Sie erfuhr, daß Elliot auch nach der Verheirathung seines Freundes in vertrauter Verbindung mit ihm geblieben war, und ihn zu ungemessenem Aufwande verleitet hatte. Frau Smith suchte ihren Mann zärtlich zu entschuldigen, aber Anna errieth leicht, daß man immer besser gelebt hatte, als die Einkünfte erlaubten, und daß anfangs eine gemeinschaftliche Verschwendung herrschend gewesen war. Nach der Schilderung der Witwe – deren Gatte ein warm fühlender, lenksamer, sorgloser, nicht sehr verständiger Mann, liebenswürdiger, als sein Freund und ihm sehr ungleich gewesen, von ihm aber geleitet und wahrscheinlich verachtet worden zu sein. Elliot hatte durch seine Heirath ein großes Vermögen erworben; er war geneigt, jedes Vergnügen und jede Befriedigung der Eitelkeit zu suchen, wo es geschehen konnte, ohne sich in Verlegenheit zu bringen, da er bei aller Nachsicht gegen sich selber doch ein kluger Mann geworden war; er fing an reich zu werden in dem Augenblicke, wo sein Freund sich hätte erinnern sollen, daß er selber arm war, und er schien auf die muthmaßlichen Vermögensumstände dieses Freundes keine Rücksicht genommen, sondern im Gegentheil ihn zu Ausgaben gereizt und ermuntert zu haben, die nur zum Verderben führen konnten.
So geschah es. Der Mann starb, ehe er noch ganz seine rettunglose Lage kannte. Er hatte früher so viele Verlegenheiten erfahren, daß er die Gesinnungen seiner Freunde auf die Probe stellen mußte, wobei sich denn zeigte, daß er Elliot's Freundschaft lieber nicht geprüft hätte; aber erst bei seinem Tode ward die unglückliche Lage seiner Angelegenheiten ganz offenbar. Mit einem Vertrauen auf Elliot's Theilnahme, das seinem Herzen mehr als seinem Verstande rühmlich war, hatte Smith ihn zum Vollstrecker seines letzten Willens ernannt; aber Elliot wollte sich nicht damit befassen. Die Bedrängnisse und Unglücksfälle, womit diese Weigerung die unvermeidlichen Leiden der armen Witwe vermehrt hatte, waren so groß gewesen, daß sie dieselben nicht ohne schmerzliche Empfindungen erzählen, und Anna nicht ohne Regungen des Unwillens ihr zuhören konnte.
Frau Smith zeigte ihrer Freundinn einige Briefe, die er bei jener Gelegenheit auf dringende Gesuche der bedrängten Witwe geschrieben hatte, und alle verriethen dieselbe rauhe Entschlossenheit, sich keine fruchtlose Beschwerde zu machen, und unter der Hülle kalter Höflichkeit dieselbe hartherzige Gleichgiltigkeit gegen alle Leiden, die dadurch über die Witwe kommen möchten. Es war ein furchtbares Bild von Undankbarkeit und Unmenschlichkeit, und Anna meinte zuweilen, es könnte kaum ein offenbares Verbrechen schlimmer gewesen sein. Sie hatte viel anzuhören; alle Umstände vergangener Leiden, alle Einzelheiten gehäufter Drangsale, worauf ihre Freundinn in frühern Unterredungen nur hingedeutet hatte, wurden jetzt mit leicht zu entschuldigender Redseligkeit dargelegt. Anna fühlte, daß darin ein Trost lag, und wunderte sich nur über die ruhige Fassung, die ihre Freundinn gewöhnlich zeigte.
Es war ein Umstand in der Geschichte dieser Leiden, der besonders empfindlich war. Frau Smith hatte Grund zu vermuthen, daß eine Besitzung ihres Mannes in Westindien, welche wegen aufgelaufener Schulden viele Jahre lang unter Beschlagverwaltung gewesen war, durch zweckmäßige Maßregeln wieder erlangt werden könnte, und diese Güter waren, wenn auch nicht ansehnlich, doch beträchtlich genug, die Witwe in eine unabhängig Lage zu setzen. Es war Niemand da, der sich der Sache angenommen hätte. Elliot wollte nichts thun, sie aber konnte es nicht, da ihre Kränklichkeit sie unfähig machte, sich selber zu bemühen, und Geldmangel sie abhielt, durch Andre handeln zu lassen. Sie hatte keine Verwandten, deren Rath sie hätte suchen können und war nicht im Stande, den Beistand der Gesetze zu gewinnen. Dieß machte ihre bedrängte Lage noch schmerzlicher. Wie hart, zu fühlen, dass sie in bessern Umständen sein müßte, wenn vielleicht nur eine geringe, am rechten Orte angewandte Mühe ihr zu Hülfe käme, und zu besorgen, daß durch Zögerung selbst ihre Ansprüche gefährdet werden könnten!
Diese Angelegenheit war es, die ihre Freundinn durch Fürsprache bei Elliot befördern sollte. Frau Smith hatte, in der Vermuthung, daß Anna ihren Vetter Elliot heirathen werde, anfangs freilich gefürchtet, ihre Freundinn in diesem Falle zu verlieren; als sie sich aber überzeugte, daß Elliot noch keinen Schritt zur Störung dieser Freundschaft gethan haben konnte, da er nicht einmal wußte, daß sie in Bath wohnte, so fiel sie sogleich auf den Gedanken, daß durch die Mitwirkung seiner Geliebten etwas für sie gethan werden konnte, und sie wollte vorschnell Anna's Gefühle für sich gewinnen, in so fern es geschehen konnte, ohne Elliot's Rufe zu schaden, als plötzlich Anna's Widerlegung des verbreiteten Gerüchtes die ganze Lage der Dinge änderte. Frau Smith verlor nun die Hoffnung, die Angelegenheit, die ihr am Herzen lag, zu einem glücklichen Ausgange zu bringen, erhielt aber dagegen den Trost, die ganze Geschichte auf ihre Art erzählen zu können.
Als diese umständliche Mittheilung geendigt war, konnte Anna nicht umhin, ihre Verwunderung darüber zu äußern, daß Frau Smith anfangs so günstig von Elliot gesprochen, ihn empfohlen, ja gerühmt hatte.
»Konnte ich denn anders, meine Liebe?« erwiederte Frau Smith. »Ich hielt Ihre Verbindung mit ihm für gewiß, wenn er vielleicht auch noch nicht seinen Antrag gemacht hatte, und ich konnte eben so wenig die Wahrheit sagen, als wenn er schon Ihr Mann gewesen wäre. Mein Herz blutete, als ich von Glückseligkeit sprach. Aber er ist ja verständig, er ist angenehm, und mit einem Mädchen wie Sie, war doch einige Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Gegen seine erste Frau zeigte er sich sehr unfreundlich; ihre Ehe war unglücklich, aber sie war zu unwissend und einfältig, als daß er sie hätte achten können, und er liebte sie nie. Ich hoffte gern, daß es Ihnen besser gehen wurde.«
Anna mußte sich heimlich gestehen, es wäre wohl möglich gewesen, daß sie sich hätte bewegen lassen, ihn zu heirathen, und sie schauderte bei dem Gedanken an das Elend, worein eine solche Verbindung sie gebracht haben müßte. Ja, sie hätte sich vielleicht durch Frau Russel überreden lassen, und wer wäre dann am unglücklichsten gewesen, wenn die Zeit, zu spät, alles enthüllt hätte?
Es war sehr zu wünschen, daß Frau Russel nicht länger im Irrthum bliebe, und am Ende der langen Unterredung erhielt Anna volle Ermächtigung, ihrer Freundinn alles, was sie von Frau Smith wußte, zu eröffnen, in so fern Elliot's Betragen dadurch ins Licht gesetzt wurde.