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IV.

Einen Umstand gab es, worüber Anna, bei der Rückkehr in ihres Vaters Haus, noch lieber Gewißheit gehabt hätte, als über die Frage, ob Elliot in Elisabeth verliebt wäre, darüber nähmlich, ob ihr Vater sich nicht in Frau Clay verliebt hätte. Sie war darüber schon in den ersten Stunden nichts weniger als ruhig. Als sie am nächsten Morgen zum Frühstücke kam, glaubte sie, Frau Clay hätte nun einen schicklichen Vorwand gefunden, um ihre Abreise anzukündigen. Die Gesellschafterinn mochte etwa gesagt haben, sie würde nun, da Fräulein Anna gekommen wäre, nicht mehr nöthig sein, denn Elisabeth antwortete leise: »Gar kein Grund, ich sage Ihnen, gar keiner; sie ist nichts für mich, in Vergleichung mit Ihnen.« Und ganz vernehmlich hörte sie ihren Vater sagen: »Nein, liebe Frau Clay, das darf nicht sein. Sie haben ja noch gar nichts von Bath gesehen. Sie sind nur hier gewesen, um uns nützlich zu sein. Jetzt dürfen Sie uns nicht weglaufen. Sie müssen bleiben, um Frau Wallis kennen zu lernen, die schöne Frau Wallis. Ich weiß es, für ihre schöne Seele ist der Anblick der Schönheit ein wahrer Genuß.«

Seine Worte und sein Benehmen verriethen, daß er in vollem Ernste sprach, und Anna war nicht überrascht, als sie den Blick bemerkte, den Frau Clay verstohlen auf Elisabeth und auf sie selber warf. In Anna's Gesichte mochte sich vielleicht Wachsamkeit verrathen, aber die Lobrede auf die schöne Seele schien ihrer Schwester nicht aufzufallen. Frau Clay ließ sich von den vereinten Bitten zu dem Versprechen bewegen, noch länger zu bleiben.

Als Anna an demselben Morgen mit ihrem Vater allein war, freute er sich über ihr gutes Aussehen; und meinte, ihre ganze Gestalt und ihre Wangen wären nicht mehr so mager, als sonst; ihre Haut, ihre Farbe – alles viel besser, klarer, frischer. Er fragte, ob sie irgend etwas gebraucht hätte. »Nein, nichts.« Vielleicht blos den Gesundbrunnen von Gowland? »Nein, durchaus nichts.« Der Baronet war höchlich erstaunt, und setzte hinzu: »Du kannst nicht besser aussehen, wenn Du so bleibst; aber ich empfehle Dir doch den steten Gebrauch des Gowland-Wassers im Frühjahr. Frau Clay hat es auf meine Empfehlung gebraucht, und Du siehst, wie gut es ihr bekommen ist. Ihre Sommersprossen sind weg, wie Du siehst.«

Hätte doch Elisabeth dieß hören können! Eine solche Lobrede auf äußere Vorzüge würde ihr doch wohl aufgefallen sein, zumahl da Anna meinte, die Sommersprossen wären ganz und und gar nicht verschwunden. Doch – am Ende war die Heirath weniger ein Unglück, wenn auch Elisabeth sich vermählte; denn Anna konnte ja zu jeder Zeit bei Frau Russel eine Wohnung finden.

Frau Russel hatte bei ihrem gesetzten Gemüthe und feinem Benehmen, in Hinsicht auf jenen Umstand eine Prüfung zu bestehen, so oft sie des Baronets Haus besuchte. Sie ward immer empfindlich, wenn sie sah, wie Frau Clay in Gunst war, während Anna übersehen wurde, und ärgerte sich, wenn sie weg war, so sehr als Jemand, der die Brunnenkur braucht, alle neuen Bücher liest und eine ausgebreitete Bekanntschaft hat, Zeit zum Aergern übrig behält.

Als Elliot mit ihr Bekanntschaft machte, wurde sie nachsichtiger, oder gleichgiltiger gegen die Andern. Sein Benehmen empfahl ihn sogleich, und als sie sich mit ihm unterhielt, fand sie das Gründliche dem Oberflächlichen so überlegen, daß sie anfangs, wie sie ihrer Freundin Anna erzählte, hätte ausrufen mögen: »Kann dieß Herr Elliot sein?« Sie konnte sich keinen angenehmern, achtungwürdigern Mann denken. Er vereinigte alle gute Eigenschaften; Verstand, richtige Ansichten, Weltkenntniß und ein warmes Herz. Er hatte ein lebhaftes Gefühl für Familienanhänglichkeit und Familienehre, aber ohne Stolz oder Schwäche; er lebte mit der Freigebigkeit eines vermögenden Mannes, ohne zu verschwenden, und folgte in wesentlichen Dingen seinem eigenen Urtheile, ohne der öffentlichen Meinung in Dingen, die den Anstand betrafen, trotz zu bieten. Er war gesetzt, aufmerksam, gemäßigt, aufrichtig; er ließ sich nie von einer flüchtigen Aufregung, oder von Selbstsucht hinreißen, in dem Wahne, dem Antriebe eines kräftigen Gefühles zu folgen, und doch hatte er für alles Liebenswürdige und Liebliche so viel Sinn, gegen alle Glückseligkeit des häuslichen Lebens so viel Achtung, als Menschen von eingebildeter Begeisterung und heftiger Stimmung selten besitzen. Frau Russel war überzeugt, daß er nicht glücklich verheirathet gewesen war. Oberst Wallis sagte es ja, und sie selber sah es; aber es war doch kein so arges Unglück gewesen, daß es sein Gemüth verbittert, oder ihn abgehalten hätte, an eine neue Verbindung zu denken. Frau Russel war so zufrieden mit Elliot, daß sie den Verdruß ziemlich vergaß, den ihr Frau Clay machte.

Anna hatte schon seit einigen Jahren die Erfahrung gemacht, daß sie und ihre treffliche Freundinn zuweilen verschiedene Ansichten hatten, und es wunderte sie nicht, daß Frau Russel in Elliot's lebhaftem Verlangen nach einer Aussöhnung nichts Verdächtiges, oder Wiedersprechendes, nichts, das geheime Beweggründe verrieth, erblickte. Nach der Meinung ihrer Freundinn war es ganz natürlich, daß Elliot in reifern Jahren ein gutes Einverständniß mit dem Haupte der Familie für eine sehr wünschenswerthe Sache hielt, die ihn bei allen Verständigen empfehlen müßte. Ganz natürlich mußte der Einfluß der Zeit sich so in einem Kopfe zeigen, wo es ursprünglich hell war, und den nur Jugendhitze zu Verirrungen hatte hinreißen können. Anna wagte es indeß noch immer zu lächeln, und nannte endlich den Nahmen ihrer ältern Schwester. Frau Russel sah sie schweigend an, und antwortete dann bedächtig: »Elisabeth? Nun gut, das wird sich ausweisen.«

Diese Hinweisung auf die Zukunft mußte Anna, nach kurzem Nachdenken, sich gefallen lassen. Sie konnte jetzt nichts bestimmen. Elisabeth hatte hier ja den Vorrang, und Anna war so sehr gewöhnt, ihn anzuerkennen, daß eine besondere, ihr gewidmete Aufmerksamkeit fast für unmöglich gelten mußte. Elliot war ja auch erst seit sieben Monaten Witwer, und Zögerung von seiner Seite sehr zu entschuldigen. Anna konnte den Flor um seinen Hut nie ansehen, ohne zu fühlen, daß sie nicht zu entschuldigen wäre, wenn sie ihm solche Einbildungen zuschrieb. War auch seine Ehe nicht sehr glücklich gewesen, so hatte sie doch so viele Jahre bestanden, daß Anna nicht begreifen konnte, es ließe sich der furchtbare Eindruck, den die Auflösung einer solchen Verbindung machen müßte, so schnell vergessen.

Wie indeß auch der Ausgang sein mochte, Elliot war ihre angenehmste Bekanntschaft in Bath. Sie kannte Niemanden, der ihm glich, und es war ein großer Genuß für sie, zuweilen mit ihm von Lyme zu sprechen, das er eben so gern wiederzusehen, und genauer kennen zu lernen wünschte, als sie. Die Umstände ihres ersten Zusammentreffens wurden besprochen. Er gab ihr zu verstehen, daß er sie mit Lebhaftigkeit angesehen hatte. Sie wußte es wohl und erinnerte sich an noch Jemand, der sie auch so angesehen.

Nicht immer aber dachten sie gleich. Sie fand, daß er Rang und Familienverbindungen höher schätzte, als sie. Es war nicht bloß Nachgiebigkeit, sondern wirkliches Gefallen an der Sache selbst, als er an den Bekümmernissen ihres Vaters und ihrer Schwester über einen Gegenstand, der nach Anna's Meinung nicht würdig war, so etwas zu erregen, mit Wärme Antheil nahm. Die Zeitung meldete einst die Ankunft der Witwe des Viscount's Dalrymple, und ihrer Tochter Fräulein Carteret, und für mehre Tage war alle Freude aus dem Hause verschwunden. Die Familie Dalrymple war – nach Anna's Meinung zum Unglücke – mit dem Hause Elliot verwandt, und die bange Sorge wär, wie man schicklich die Bekanntschaft anknüpfen sollte.

Anna hatte ihren Vater und ihre Schwester nie vorher mit dem hohen Adel in Berührung gesehen, und fand sich sehr getäuscht. Die hohe Meinung ihrer Angehörigen von ihrem Range hatte sie etwas Besseres hoffen lassen, und sie sah sich jetzt, was sie nie geahnet hatte, dahin gebracht, den Wunsch auszusprechen, daß sie mehr Stolz haben möchten. Von unsern » Vettern und Basen Dalrymple« klangen ihr den ganzen Tag die Ohren.

Der Baronet zwar einmal mit dem verstorbene Viscount in Gesellschaft gewesen, hatte aber nie sonst Jemand von der Familie kennen gelernt: Die Schwierigkeit entstand aus dem Umstande, daß alle Verbindung durch Höflichkeitsbriefe seit dem Tode des Viscounts abgebrochen war, da zu jener Zeit, bei einer gefährlichen Krankheit des Baronets, eine unglückliche Unterlassung statt gefunden hatte. Es war kein Beileidschreiben nach Ireland gegangen. Diese Versäumniß ward am Haupte des Sünders heimgesucht, denn als Frau Elliot starb, erhielt man auch in Kellynch kein Beileidschreiben, und es war Grund genug zu der Besorgniß, daß das Haus Dalrymple die verwandtschaftliche Verbindung für völlig aufgehoben hielt. Wie diese Angelegenheit wieder in Ordnung gebracht werden und wie man dazu kommen könnte, wieder als Verwandte aufgenommen zu werden – das war die Frage, und es war eine Frage, welche, wenn auch aus einem vernünftigern Gesichtspunkte, weder Frau Russel, noch der jüngere Elliot für unwichtig hielt. Familienverbindungen wären immer der Beachtung, gute Gesellschaft wäre immer des Aufsuchens werth, hieß es; Lady Dalrymple hätte eine glänzende Wohnung auf drei Monate gemiethet, und würde ein großes Haus machen. Sie war auch im vorigen Jahre in Bath gewesen und Frau Russel hatte viel zum Lobe der reizenden Frau gehört. Es war sehr zu wünschen, daß die Verbindung wieder angeknüpft werden möchte, wenn es geschehen könnte, ohne daß sich die Familie Elliot etwas vergäbe.

Der Baronet wollte jedoch seinen eigenen Weg gehen, und schrieb endlich an die hochgeborne Base einen sehr schönen Brief, der volle Erläuterung gab, Bedauern ausdrückte und Bitten aussprach. Weder Frau Russel, noch Vetter Elliot konnten den Brief bewundern, aber er that die verlangte Wirkung und brachte drei Zeilen Gekritzel, worin Lady Dalrymple erklärte, daß sie sich sehr geehrt fühlte, und sich freuen würde, des Baronets Bekanntschaft zu machen. Das Lästige der Sache war nun vorüber, und die Süßigkeiten begannen. Man legte einen Besuch ab, und erhielt Karten von Lady Dalrymple und Fräulein Carteret, die man aufbewahrte, wo sie am meisten in die Augen fielen; und Jedermann mußte von den Basen Dalrymple und Carteret hören.

Anna war beschämt. Wenn Lady Dalrymple und ihre Tochter sehr einnehmend gewesen wären, so würde sie über die Bewegung, wozu Beide Veranlassung gaben, dennoch beschämt gewesen sein; aber Mutter und Tochter waren völlig unbedeutend; keine Vorzüge im Benehmen, in Kenntnissen, oder in Geistesgaben. Lady Dalrymple ward eine reizende Frau genannt, weil sie für Jedermann ein Lächeln und eine höfliche Antwort hatte. Fräulein Carteret hatte so gemeine Züge und ein so linkisches Benehmen, daß sie in des Baronets Hause nie Zutritt erhalten hätte, wenn es nicht wegen ihrer Herkunft geschehen wäre.

Frau Russel konnte nicht läugnen, sie hätte etwas Besseres erwartet; meinte aber, es wäre eine Bekanntschaft, die man schon schätzen müßte. Als Anna ihre Meinung dem Vetter Elliot mittheilte, stimmte er ihr bei, daß zwar Beide an sich nichts wären, behauptete jedoch, sie müßten als Verwandte, als gute Gesellschaft, als Leute, die gute Gesellschaft um sich sammeln würden, allerdings werth geachtet werden.

»Gute Gesellschaft,« sagte Anna lächelnd, »nenne ich die Gesellschaft geschickter, gebildeter Leute, die ein Gespräch zu führen verstehen.«

»Sie sind im Irrthume,« erwiederte Elliot höflich, »das ist nicht gute Gesellschaft, das ist die beßte. Zu guter Gesellschaft gehört nichts, als gute Herkunft, Bildung und Lebensart, aber mit der Bildung nimmt man's nicht sehr genau. Herkunft und gutes Benehmen sind wesentlich, ein bischen Gelehrsamkeit ist jedoch gar nicht gefährlich in guter Gesellschaft, sondern im Gegentheil recht brauchbar. Sie schütteln den Kopf? Sie sind nicht zufrieden? O wer wird so ekel sein! Meine liebe Base,« fuhr er fort, sich zu ihr setzend: »Sie haben mehr recht, hier ekel zu sein, als beinahe alle Frauen, die ich kenne. Aber taugt es? Wird es Sie glücklich machen? Wird es nicht klüger sein, die Gesellschaft der beiden Verwandten sich gefallen zu lassen, und alle Vortheile dieser Verbindung so viel als möglich zu genießen? Ich gebe Ihnen mein Wort, die beiden Basen werden diesen Winter in den ersten Kreisen glänzen. Rang ist nun einmal Rang, und wenn man weiß, daß Sie mit ihnen verwandt sind, so wird dieß seinen guten Nutzen haben, ihrer Familie – unsrer Familie, lassen Sie mich sagen – jene Achtung zu sichern, die wir Alle wünschen müssen.«

»Ja,« seufzte Anna, »es wird wohl bekannt werden, daß wir mit der Familie verwandt sind!« Sie sammelte sich, und keine Antwort wünschend, setzte sie hinzu: »Ich glaube in der That, man hat sich zu viel Mühe gegeben, zu dieser Bekanntschaft zu gelangen. Ich glaube,« fuhr sie lächelnd fort, »ich bin stolzer, als irgend Jemand unter Ihnen, aber ich gestehe Ihnen, es ist mir ärgerlich, daß wir so ängstlich bemüht sind, eine Verwandtschaft anerkannt zu sehen, die unsern Basen gewiß sehr gleichgiltig ist.«

»Verzeihen Sie mir, liebes Fräulein, Sie beurtheilen Ihre Ansprüche ungerecht. In London könnte es, bei der jetzigen stillen Lebensweise Ihrer Familie, vielleicht so sein, als Sie sagen; in Bath aber wird man ihren Herrn Vater und seine Angehörigen immer für eine willkommene Bekanntschaft halten.«

»Nun, ich bin gewiß zu stolz, mich über eine Bewillkommung zu freuen, die so ganz vom – Orte abhängt.«

»Ihr Unwille gefällt mir,« erwiederte Vetter Elliot, »und er ist sehr natürlich. Aber Sie sind jetzt in Bath, und es kommt darauf an, sich hier das Ansehen und die Würde zu sichern, die ihrem Herrn Vater gebühren. Sie reden von Stolz; auch mich hält man für stolz, wie ich weiß, und ich wünsche nicht, daß man eine andere Meinung von mir hätte; denn unser beiderseitiger Stolz möchte, genau betrachtet, wohl auf denselben Gegenstand gerichtet sein, wenn er auch nicht von ganz gleicher Art sein sollte. In einem Punkte aber, meine liebe Base – fuhr er leiser fort, obgleich sonst Niemand im Zimmer war – in einem Punkte fühlen wir gewiß gleich. Wir müssen fühlen, daß mehr Umgang mit seines Gleichen, oder mit Höheren, für ihren Vater den Vortheil haben kann, seine Gedanken von Leuten abzulenken, die unter ihm sind.«

Er blickte bei diesen Worten, auf den Stuhl, wo Frau Clay vorher gesessen hatte, und dieser Blick erklärte hinlänglich seine Meinung. Anna konnte zwar nicht glauben, daß er und sie dieselbe Art von Stolz fühlten, aber es gefiel ihr, daß er Frau Clay nicht leiden konnte, und sie glaubte, daß sie seinen Wunsch, ihrem Vater vornehme Bekanntschaften zu gewinnen, mit seiner Absicht, jene Frau zu verdrängen, völlig entschuldigen dürfte.



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