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VIII.

Der Baronet, seine beiden Töchter und Frau Clay waren die ersten von ihrer Gesellschaft, die sich im Vorzimmer des Konzertsaales einfanden, und auf Lady Dalrymple wartend, stellten sie sich an's Kaminfeuer. Die Thüre öffnete sich alsbald wieder, und Wentworth trat allein in's Zimmer. Anna war ihm die Nächste, und vortretend redete sie mit einem höflichen: »Wie befinden Sie sich?« ihn an, als er mit einer Verbeugung vorüber gehen wollte. Er mußte stehen bleiben und gleichfalls eine höfliche Erkundigung einziehen, wie furchtbar auch Vater und Schwester im Hintergrunde standen. Daß sie im Hintergrunde standen, war ein Vortheil für Anna, da sie nicht bemerkte, was jene für Gesichter machten, und ganz ruhig thun konnte, was sie für recht hielt.

Während sie mit Wentworth sprach, hörte sie ihren Vater mit Elisabeth flüsternd sprechen. Sie konnte nichts unterscheiden, aber errathen, wovon die Rede war, und als Wentworth eine kalte Verbeugung machte, errieth sie, auch ihr Vater hätte durch eine kalte Begrüßung ein Zeichen gegeben, daß er sich der ehemaligen Bekanntschaft erinnerte, und mit einem schnellen Seitenblicke entdeckte sie, daß auch Elisabeth einen leichten Knicks machte. Dieß, wiewohl spät, ungern und unfreundlich, war doch besser als nichts, und Anna faßte Muth.

Als man vom Wetter, von Bath und vom Konzerte gesprochen hatte, fing das Gespräch an, zu stocken, und es ward endlich so wenig gesagt, dass Anna jeden Augenblick erwartete, er werde sich entfernen, aber er blieb, schien gar nicht eilig, sie verlassen zu wollen, und endlich sprach er, aufgeregter, ein wenig lächelnd, ein wenig warm: »Ich habe Sie kaum gesehen, seit dem Tage in Lyme. Ich fürchte, der Schreck hat Sie angegriffen, zumahl da Sie in dem Augenblicke selbst sich anstrengten, ihre Fassung zu behalten.«

Anna versicherte, es sei nicht der Fall gewesen.

»Es war eine furchtbare Stunde, ein furchtbarer Tag,« sprach er, und fuhr mit der der Hand über die Augen, als wäre die Erinnerung daran ihm noch zu peinlich gewesen; aber nach einem Augenblicke setzte er, wieder lächelnd, hinzu: »Der Tag hat indeß Folgen gehabt, die nichts weniger als furchtbar sind. Als Sie mit so viel Geistesgegenwart äußerten, daß Benwick am Beßten dazu paßte, einen Wundarzt zu hohlen, konnten Sie wohl nicht ahnen, daß er Einer von Denjenigen sein sollte, welchen des Fräuleins Wiederherstellung besonders am Herzen lag.«

»Gewiß nicht,« erwiederte Anna. »Aber es scheint – ich darf wohl hoffen, es wird eine sehr glückliche Verbindung sein. Auf beiden Seiten sind gute Grundsätze und eine gute Gemüthstimmung.«

»Ja,« sprach er, ohne eben vorschnell auszusehen, »aber weiter geht auch die Aehnlichkeit nicht. Ich wünsche von Herzen, daß beide glücklich sein mögen, und freue mich über jeden Umstand, der es hoffen läßt. Sie haben mit keinen Schwierigkeiten in ihrer Heimath zu kämpfen; kein Widerspruch, keine Launen, keine Hinhaltung steht ihnen im Wege. Die Aeltern des Fräuleins betragen sich, wie das junge Paar selbst, sehr anständig und gütig, und lassen es sich mit einer wahrhaft älterlichen Herzlichkeit angelegen sein, ihrer Tochter Wohlfahrt zu befördern. Alles dieß verspricht viel, sehr viel für ihr Glück, vielleicht mehr als –«

Er schwieg. Ein plötzlicher Gedanke schien ihm durch die Seele zu fahren, und ihm auch eine Ahnung der Bewegung zu geben, die Anna's Wange röthete und ihre Augen an den Boden heftete.

Nach einer Pause aber fuhr er fort: »Ich muß gestehen, ich finde eine Ungleichheit, eine zu große Ungleichheit, und zwar in einem Punkte, der eben so wesentlich ist, als das Gemüth. Ich halte Luise Musgrove für ein sehr liebenswürdiges Mädchen, von sanfter Gemüthsart, und nicht ohne Verstand. Aber Benwick ist etwas mehr. Er ist ein geschickter, ein lernfleißiger Mann – und ich läugne nicht, seine Zuneigung zu ihr hat mich ein wenig überrascht. Wäre es die Wirkung der Dankbarkeit gewesen, hätte er sie lieb gewonnen, weil er glaubte, sie hätte ihm den Vorzug gegeben, so würde es eine andre Sache gewesen sein. Aber es gibt keinen Grund, das zu glauben. Im Gegentheil, es scheint eine von selbst erwachte, ganz unveranlaßte Regung von seiner Seite zu sein, und das eben überrascht mich. Ein Mann, wie er, in seiner Lage – mit einem verwundeten, fast gebrochenen Herzen! Fräulein Harville war ein Mädchen von weit höherm Werthe, und seine Neigung gegen sie war eine wahrhafte Zuneigung. Ein Mann, der sein Herz einem solchen Mädchen geweiht hat, kann es nicht vergessen – er darf es nicht – er kann es nicht.«

War es das Bewußtsein, daß sein Freund dennoch vergessen hatte, oder war's ein anderes Bewußtsein, das ihn abhielt; er sprach nicht weiter, und Anna, die trotz der bewegten Stimme, womit Wentworth die letzten Worte sprach, trotz des Geräusches im Saale, jede Silbe verstanden hatte, war gerührt, erfreut, verwirrt und von tausend Gefühlen bewegt. Es war ihr unmöglich, sich auf einen solchen Gegenstand einzulassen, als sie aber nach einer Pause fühlte, daß sie etwas sagen mußte, und doch nichts weniger wünschte, als die Unterhaltung ganz abzubrechen, wich sie nur halb aus, als sie sagte: »Sie sind lange in Lyme gewesen, glaube ich?«

»Gegen vierzehn Tage. Ich konnte nicht eher fortgehen, bis Luisens Herstellung völlig gesichert war. Ich hatte an dem Unglücke zu viel Antheil gehabt, als daß ich sobald mich hätte beruhigen können. Ich war Schuld – ich allein. Sie würde nicht eigensinnig gewesen sein, wenn ich nicht schwach gewesen wäre. – Die Umgegend von Lyme ist sehr schön. Ich habe sie zu Fuße und zu Pferde häufig durchstrichen, und je mehr ich sah, desto mehr fand ich zu bewundern.«

»Ich wünsche sehr, Lyme einmahl wieder zu sehen,« antwortete Anna.

»Wirklich? Ich hätte nicht gedacht, daß irgend etwas in Lyme einen solchen Wunsch in Ihnen hätte erwecken können. Das Entsetzen und das Unglück, worein Sie verwickelt wurden – die Spannung des Gemüths – und dann wieder die Abspannung der Seele – Ich hätte gedacht, ihre letzten Eindrücke in Lyme wären ein starker Widerwille gewesen. »

»Die letzten Stunden waren allerdings sehr peinlich; aber wenn der Schmerz vorüber ist, wird die Erinnerung daran oft ein Vergnügen. Man hat einen Ort darum nicht weniger lieb, wenn man gleich da gelitten hat, es wäre denn, daß man nichts als Leiden gehabt hätte, was doch keineswegs der Fall bei mir in Lyme war. Wir waren nur in den beiden letzten Stunden in Angst und Bekümmerniß, und hatten doch vorher viel Freude gehabt. So viel Neues und Schönes! Ich bin so wenig gereiset, daß jeder neue Ort anziehend für mich sein würde, und Lyme hat so viele wahre Schönheiten, und« – endigte sie, leicht erröthend bei einigen Erinnerungen – »überhaupt hat der Ort sehr angenehme Eindrücke auf mich gemacht.«

Sie hatte kaum diese Worte gesprochen, als die Thüre sich wieder öffnete, und die Erwarteten traten herein. »Lady Dalrymple!« erscholl es, und der Baronet ging ihr mit seiner Tochter und Frau Clay entgegen. Im Original heißt es: » ›Lady Dalrymple, Lady Dalrymple,‹ was the rejoicing sound; and with all the eagerness compatible with anxious elegance, Sir Walter and his two ladies stepped forward to meet her.« Den Ausdruck » with all the eagerness compatible with anxious elegance« hat der Übersetzer in seine Übertragung leider nicht mit aufgenommen. In der Karikatur von Hugh Thompson, welche diese Szene einfängt, bildet jene Formulierung jedoch die Bildunterschrift. [ Anm.d.Hrsg.] Sie und ihre Tochter wurden von Vetter Elliot und dem Obersten Wallis, die fast zu gleicher Zeit ankamen, herein geführt. Anna ward in die Gruppe gezogen, die sich um die Ankommenden bildete, und sah sich von Wentworth getrennt. Ihre anziehende, fast zu anziehende Unterredung mußte auf einige Zeit abgebrochen werden, aber unbedeutend war die Buße gegen das Glück, wofür sie dieselbe erleiden mußte. Sie hatte in kaum zehn Minuten mehr von Wentworth's Gesinnungen gegen Luise, mehr von seinen Gefühlen überhaupt erfahren, als woran sie zu denken wagte, und mit frohen, obgleich bewegten Gefühlen erfüllte sie die Pflichten der Höflichkeit, die der Augenblick foderte. Sie war gegen Alle gut gestimmt. Es waren Gedanken in ihr aufgeregt worden, welche sie in die Stimmung setzten, gegen Jedermann höflich und freundlich zu sein, und jeden als minder glücklich denn sie selber, zu bemitleiden.

Ihre freudigen Regungen wurden etwas gemäßigt, als sie in dem Augenblicke, wo sie ein wenig zurücktrat, um sich Wentworth wieder zu nähern, bemerkte, daß er sich entfernt hatte. Sie sah ihn aber noch in dem Konzertsaale gehen. Er war fortgegangen, und auf einen Augenblick regte sich ein schmerzliches Gefühl in ihr. Aber sie mußten sich ja wieder begegnen; er mußte sich ja wohl nach ihr umsehen, und ehe das Konzert zu Ende war, eine Gelegenheit für ihn kommen, sie in der Versammlung zu finden. Vielleicht war es gerade in diesem Augenblicke besser, getrennt zu sein; sie bedurfte ja einer kleinen Pause, sich zu erhohlen.

Als gleich nachher auch Frau Russel erschien, begaben sich Alle in den Konzertsaal, wo man beim Eintritte so wichtig that, so viele Blicke auf sich zog und so viele Anwesende störte als möglich war.

Elisabeth und Anna waren beide sehr glücklich, als sie in den Saal traten. Elisabeth, die Arm in Arm mit Fräulein Carteret ging und auf den breiten Rücken der vor ihr gehenden Lady Dalrymple sah, hatte keinen Wunsch, dessen Erfüllung ihr nicht möglich geschienen hätte, und Anna – Aber es würde Beleidigung für Anna's Glückseligkeit sein, wenn man sie mit den seligen Gefühlen ihrer Schwester vergleichen wollte; da diese nur aus selbstischer Eitelkeit, jene aus edler Zuneigung hervor gingen.

Nichts von dem Glanze des Saales entging Anna's Blicken, wie ihren Gedanken. Ihr Glück kam aus ihrem Innern. Ihre Augen glänzten und ihre Wangen glühten, aber sie wußte es nicht. Sie dachte nur an die letzte halbe Stunde, und als sie mit den Uebrigen zu ihren Sitzen ging, überschaute ihre Seele schnell jene Augenblicke. Seine Wahl der Gegenstände des Gespräches, seine Ausdrücke, und noch mehr sein Benehmen und sein Blick, alles ließ in ihren Augen nur eine einzige Deutung zu. Seine Meinung von Luisens untergeordnetem Werthe, die er recht angelegentlich ausgesprochen zu haben schien; seine Verwunderung über Benwick, seine Ansicht über die erste lebhafte Zuneigung; die angefangenen Aeußerungen, die er nicht zu endigen vermochte – seine halb abgewendeten Augen und seine mehr als halb ausdruckvollen Blicke – alles, alles sagte, daß sein Herz wenigstens zu ihr zurück kehrte, daß es keinen Unwillen, keine Empfindlichkeit, kein Ausweichen mehr gab, und nicht bloß Freundschaft und Achtung, sondern selbst die zärtlichen Regungen vergangener Zeiten darauf gefolgt waren, ja etwas wenigstens von jenen Regungen. Sie konnte aus der Veränderung nichts anders schließen; er mußte sie lieben.

Diese Gedanken, und die dadurch aufgeregten Träume beschäftigten und bewegten sie zu sehr, als daß sie zu beobachten im Stande gewesen wäre, und sie ging durch den Saal, ohne ihn zu erblicken, ohne auch nur zu versuchen, ihn aufzufinden. Als ihre Gesellschaft die Plätze eingenommen hatte, sah Anna sich um, ob Wentworth etwa in demselben Theile des Saales wäre; aber sie konnte ihn nicht auffinden. Das Konzert begann, und sie mußte sich eine Zeitlang begnügen, auf bescheidenere Weise glücklich zu sein.

Ihre Gesellschaft war getheilt und hatte zwei zusammen stoßende Bänke. Anna saß auf der vordersten und Elliot hatte es mit Hilfe seines Freundes, des Obersten Wallis, glücklich dahin gebracht, einen Platz an ihrer Seite zu erhalten. Elisabeth, die zwischen Lady Dalrymple und Fräulein Carteret saß und vom Obersten Wallis sehr artig behandelt wurde, war ungemein vergnügt.

Annas Gemüth war in der günstigsten Stimmung für die Abendunterhaltung. Es war gerade Beschäftigung genug für ihre Seele; sie hatte Gefühl für das Zärtliche, frohe Empfänglichkeit für das Muntere, Aufmerksamkeit für das Wissenschaftliche, Nachsicht mit dem Langweiligen, und nie hatte ihr ein Konzert besser gefallen, wenigstens in der ersten Abtheilung. Gegen Ende derselben, nach einem italienischen Gesange, erklärte sie dem Vetter Elliot die Worte desselben nach dem Konzertzettel, den sie in der Hand hatte. »Dieß ist ungefähr der Sinn, oder die Bedeutung der Worte, denn von dem Sinne eines italienischen Liebesliedchens muß man nicht viel sprechen; aber so genau als ich die Meinung wiedergeben kann, da ich mir nicht anmaße, der Sprache mächtig zu sein. Ich bin im schlecht bewandert.«

»Ja, ja, ich sehe es wohl; ich sehe, Sie verstehen nichts davon, sind aber doch der Sprache kundig genug, daß Sie auf den ersten Blick diese versetzten, verkürzten italienischen Zeilen in klares verständliches zierliches Englisch übertragen können. Sie brauchen nichts mehr von ihrer Unwissenheit zu sagen, wir haben hier den vollständigen Beweis.«

»Ich will nichts gegen eine so gütige Höflichkeit sagen, aber ich würde mich nicht von einem wirklichen Kenner prüfen lassen.«

»Ich habe ihres Vaters Haus so lange zu besuchen das Vergnügen gehabt,« erwiederte er, »daß ich wohl etwas von Fräulein Anna Elliot erfahren mußte; und ich weiß, sie ist zu bescheiden, als daß man ihre Vorzüge auch nur halb kennen könnte, und sie hat so viele Vorzüge, daß ihre Bescheidenheit bei jeder Andern ihres Geschlechts nicht natürlich sein würde.«

»O pfui! zu viel Schmeichelei!« sprach Anna, und auf den Konzertzettel blickend, setzte sie hinzu: »Ich vergesse ganz, was nun kommt.«

»Vielleicht bin ich mit ihren Gesinnungen länger bekannt gewesen, als Sie wissen,« fuhr Elliot mit leiser Stimme fort.

»Nun, wie so? Sie können damit bloß seit meiner Ankunft in Bath bekannt sein, außer daß Sie etwa früher unter meinen Angehörigen von mir sprechen gehört haben.«

»Ich kannte Sie, dem Rufe nach, lange vor Ihrer Ankunft in Bath. Personen, die mit Ihnen auf vertrautem Fuße lebten, haben mir Schilderungen von Ihnen gemacht; und auf diesem Wege sind Sie mir seit vielen Jahren bekannt geworden. Ihr Aeußeres, ihre Gemüthstimmung, ihre Vorzüge, alles wurde beschrieben, alles war mir lebendig.«

Elliot täuschte sich nicht, wenn er durch jene Aeußerungen Antheil zu erwecken hoffte. Wer könnte dem Zauber eines solchen Geheimnisses widerstehen! Von Ungenannten seit langer Zeit einem neuen Bekannten geschildert worden zu sein, das ist unwiderstehlich, und Anna war ganz Neugier. Sie war erstaunt und fragte ihn dringend, aber vergebens. Es machte ihm Freude, gefragt zu werden, aber er wollte nichts sagen.

»Nein, nein!« sprach er, »künftig vielleicht, aber jetzt nicht. Ich mag keine Nahmen nennen, aber es ist wirklich der Fall gewesen; ich habe vor mehren Jahren eine Schilderung von Ihnen erhalten, die mir die höchste Meinung von ihren Vorzügen erweckte, und die lebhafteste Neugier in mir aufregte, Sie kennen zu lernen.«

Anna konnte auf Niemanden rathen, der vor mehren Jahren mit Gunst von ihr gesprochen hätte, als auf Wentworth's Bruder, welcher vielleicht mit Elliot einmahl Umgang gehabt haben mochte, aber sie hatte nicht den Muth, die Frage zu thun.

Der Nahme Anna Elliot war mir lange ein anziehender Ton; lange hat er einen Zauber auf meine Seele ausgeübt, und wenn ich's dürfte, würde ich den Wunsch verrathen, daß er immer unverändert bleiben möchte.

Das waren, glaubte Anna, seine Worte, aber kaum hatte sie den Ton vernommen, als ihre Aufmerksamkeit, durch andere Töne, nahe hinter ihr, angezogen wurde, die alles andere unbedeutend machten.

»Ein Mann von gutem Aussehen,« sprach der Baronet, »von sehr gutem Aussehen.«

»Ja, ein sehr schöner junger Mann,« erwiederte Lady Dalrymple; »mehr Anstand, als man oft in Bath sieht. Wohl ein Ireländer?«

»Nein, ich kenne ihn; eine Huthbekanntschaft – Wentworth – Capitain Wentworth heißt er. Seine Schwester hat meinen Miethsmann, den Admiral Croft, der Kellynch gepachtet hat.«

Ehe der Baronet so weit gekommen war, hatte Anna den Capitain Wentworth entdeckt, der in einiger Entfernung unter einem Haufen von Männern stand. Als ihre Blicke ihn fanden, schien er sein Auge von ihr abzuwenden. Sie glaubte einen Augenblick zu spät gekommen zu sein, und so lange sie hinzusehen wagte, wendete er sein Auge nicht wieder zu ihr; aber das Konzert fing wieder an, und sie war genöthigt, ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spiel zu richten und gerade vor sich zu sehen.

Als sie wieder einen Blick auf ihn werfen konnte, hatte er sich entfernt. Er hätte ihr nicht näher kommen können, wenn er auch gewollt hätte, da sie ganz umringt und eingeschlossen war; aber sie hätte gern seinen Blick auf sich ziehen mögen.

Auch Elliot's Reden machten sie bekümmert. Sie hatte nicht länger Lust, mit ihm zu sprechen, und wünschte, er wäre ihr nicht so nahe gewesen.

Die erste Abtheilung war zu Ende. Sie hoffte nun, eine wohlthätige Veränderung eintreten zu sehen, und als die Gesellschaft eine Zeitlang nichts gesagt hatte, standen Einige auf, sich Thee geben zu lassen. Anna gehörte zu den Wenigen, die nicht aufstanden, und blieb neben Frau Russel sitzen, aber sie hatte das Vergnügen, ihren Nachbar Elliot los zu werden. Sie nahm sich vor, sich selbst durch die Nähe ihrer Freundinn nicht abhalten zu lassen, wenn sie Gelegenheit fände, mit Wentworth zu sprechen. Sie glaubte es ihrer Freundinn vom Gesichte zu lesen, daß auch diese ihn gesehen hatte.

Aber er kam nicht, obgleich Anna ihn zuweilen in der Ferne zu sehen glaubte. Der ängstliche Augenblick ging erfolglos vorüber. Die Uebrigen kamen zurück; der Saal füllte sich wieder, die Sitze wurden wieder besetzt, und eine andere Stunde des Vergnügens, oder der Büßung stand bevor, eine andere Stunde sollte Freude, oder Gähnen erwecken, je nach dem wahrer, oder erkünstelter Geschmack vorherrschend war. Anna sah einer Stunde unruhiger Bewegung entgegen. Sie konnte den Saal nicht mit ruhigem Gemüthe verlassen, wenn sie nicht Wentworth noch einmahl gesehen, wenn sie nicht einen freundlichen Blick mit ihm gewechselt hatte.

Als die Plätze wieder besetzt wurden, gab es viele Veränderungen, deren Erfolg für Anna günstig war. Oberst Wallis wollte nicht wieder sitzen, und Elliot wurde von Elisabeth und Fräulein Carteret so dringend eingeladen, sich zwischen sie zu setzen, daß er es nicht ablehnen konnte. Anna kam, durch einige andere Veränderungen und durch einen kleinen Kunstgriff von ihrer Seite, näher als vorher an's Ende der Bank, wo sie mit Vorübergehenden leichter in Verbindung kommen konnte. Ihre nächsten Nachbarn verließen bald ihre Sitze, und ehe das Konzert geschlossen war, saß sie am Ende der Bank.

Sie war in dieser Lage und ein Platz an ihrer Seite offen, als Wentworth sich wieder sehen ließ. Er war nicht weit von ihr. Auch sein Auge hatte sie gefunden, aber er sah ernsthaft aus; er schien unschlüssig zu sein, und nur nach und nach kam er ihr so nahe, daß er mit ihr sprechen konnte. Sie fühlte, daß ihm etwas fehlen mußte; die Veränderung war unverkennbar. Sah er doch so ganz anders aus, als sie ihn im Vorzimmer gefunden hatte. Was konnte die Ursache sein? Sie dachte an ihren Vater, an Frau Russel. Hatte man unfreundliche Blicke auf ihn geworfen? Er fing an ernsthaft vom Konzerte zu sprechen, fast wie der Wentworth in Uppercroß; er gestand, seine Erwartung sähe sich getäuscht, der Gesang hätte ihn nicht befriedigt, und er würde es nicht ungern sehen, wenn alles vorbei wäre. Anna hielt der Kunstleistung eine so gute Schutzrede, und sprach, seine Gefühle schonend, so freundlich, daß seine Züge heiterer wurden, und er lächelte beinahe, als er ihr antwortete. Sie sprachen noch einige Minuten mit einander; er blieb in guter Stimmung, blickte sogar auf die Bank herab, als hätte er einen Platz gesehen, der es wohl werth wäre, daß man ihn einnähme; aber in diesem Augenblicke tippte Jemand Fräulein Anna auf die Schulter und sie mußte sich umwenden. Es war Vetter Elliot.

Er bat, entschuldigend, um die Erklärung des italienischen Textes. Fräulein Carteret wollte gern den Inhalt der nächsten Arie kennen. Anna konnte es nicht ablehnen, aber nie hatte sie der Höflichkeit mit so schmerzlichem Gefühle ein Opfer gebracht.

Wenige Minuten, nur so wenige als möglich, mußten indeß unvermeidlich geopfert werden, und als sie wieder frei war, und sich wieder umsehen konnte, nahm Wentworth mit Zurückhaltung, aber hastigem Wesen, Abschied. Er müßte, sagte er, so schnell als möglich nach Hause eilen.

»Wäre denn diese Arie nicht werth, daß Sie noch blieben?« sprach Anna, durch deren Seele schnell ein Gedanke fuhr, der sie noch ängstlicher bedacht machte, ihn aufzumuntern.

»Nein,« antwortete er mit Nachdruck, »nichts ist werth, daß ich bleibe.«

Mit diesen Worten ging er hinaus.

Eifersüchtig auf Elliot! das war der einzige deutliche Beweggrund. Wentworth eifersüchtig auf ihre Zuneigung! Hätte sie das vor acht Tagen, vor drei Stunden glauben können? Für einen Augenblick ein köstlicher Genuß! Aber ach! ganz andre Gedanken folgten. Wie ließ sich diese Eifersucht beruhigen? Wie sollte die Wahrheit ihm offenbar werden? Wie war es möglich, daß er je ihre wahren Gesinnungen erfahren konnte, da ihre beiderseitige Lage so viele Nachtheile herbeiführte! Sie konnte nicht ohne ein peinliches Gefühl an Elliot's Aufmerksamkeiten denken. Es war nicht zu berechnen wie viel Unglück daraus entstehen konnte.



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