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X.

Es konnte ihr nicht an andern Gelegenheiten fehlen, ihre Beobachtungen zu machen. Sie war bald mit allen vier betheiligten Personen so oft in Gesellschaft gewesen, daß sie eine bestimmte Meinung fassen konnte, wiewohl sie zu klug war, zu Hause ihre Bemerkungen mitzutheilen, weil sie wohl wußte, daß sie damit weder ihrem Schwager, noch ihrer Schwester willkommen sein würde. Sie bemerkte wohl, daß Wentworth Luisen den Vorzug gab; konnte aber, wenn sie ihre Erinnerungen und Erfahrungen zu Rathe zog, doch nicht glauben, daß er in eine der beiden Schwestern verliebt wäre. Es war ein kleines Bewunderungfieber, das aber mit Liebe zu der Einen, oder der Andern endigen konnte, oder wohl gar mußte. Hayter schien zu bemerken, daß er übersehen wurde, und doch schien es auch zuweilen, als ob Henriette zwischen Beide ihre Aufmerksamkeit getheilt hätte. Anna wünschte, es möchte in ihrer Macht stehen, ihnen vorzustellen, auf welchem Wege sie wären, und einige der Gefahren vor ihnen aufzudecken, welchen sie sich aussetzten. Sie schrieb Niemanden unredliche Absichten zu. Es war ihr ein sehr wohlthätiges Gefühl, zu glauben, daß Wentworth die Leiden im Geringsten nicht ahnete, wozu er Anlaß gab. Keine Siegesfreude, keine mitleidige Siegesfreude war in seinem Benehmen. Er hatte wahrscheinlich nie etwas von Hayter's Ansprüchen gehört, nie daran gedacht. Unrecht war es nur, daß er die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen zu gleicher Zeit annahm, denn nur von Annehmen war hier die Rede.

Nach kurzem Kampfe aber schien Hayter das Feld zu räumen. Drei Tage waren vergangen, ohne daß er sich auch nur einmahl in Uppercroß hätte sehen lassen. Dieß deutete offenbar auf eine Umwandlung. Er hatte sogar eine regelmäßige Einladung zum Essen abgelehnt, und als Herr Musgrove ihn bei der Gelegenheit vor einigen Foliobänden gefunden hatte, meinte er mit seiner Frau, es stände nicht gut mit dem jungen Manne, und Beide äußerten ernsthaft die Besorgniß, er könnte sich bei seinem Lernfleiße den Tod hohlen. Marie hoffte und glaubte, Henriette hätte dem jungen Manne völlig den Abschied gegeben, und ihr Mann rechnete völlig darauf, ihn am nächsten Tage zu sehen. Anna glaubte so viel zu erkennen, daß Hayter klug war.

Als eines Tages um diese Zeit Karl Musgrove und Wentworth auf die Jagd gegangen waren, und die beiden Schwestern ruhig bei ihrer Arbeit saßen, traten Henriette und Luise an's Fenster.

Es war ein schöner Novembermorgen. Die beiden Fräulein sagten, sie hätten die Absicht, einen langen Spaziergang zu machen, und meinten, Marie würde eben darum wohl nicht mitgehen wollen; ihre Schwägerinn aber, welche die Vermuthung, daß sie nicht gut zu Fuße wäre, ein wenig eifersüchtig machte, antwortete sogleich: »O ja, ich ginge sehr gern mit Euch: ein langer Spaziergang ist mir sehr lieb.« Anna sah es den beiden Mädchen an, daß sie dieß gerade nicht wünschten, und wunderte sich wieder, wie häusliche Gewohnheiten eine Art von Nothwendigkeit herbei zu führen schienen, sich gegenseitig alles mitzutheilen und alles gemeinschaftlich zu thun, wie unwillkommen und unangenehm es auch wäre. Sie bat ihre Schwester, nicht mitzugehen, und als es vergebens war, hielt sie es für das Beste, die desto dringendere Bitte der beiden Fräulein zu gewähren. Sie glaubte ihnen nützlich werden zu können, wenn sie mit Marien zurückkehrte, und hoffte jede Störung eines eigenen Entwurfes ihrer jungen Freundinn zu mindern.

»Ich begreife nicht, warum sie glauben, daß ich nicht gern einen langen Spaziergang mache,« sprach Marie, als sie mit ihrer Schwester hinaus ging. »Jedermann glaubt immer, ich wäre nicht gut zu Fuße. Und doch wäre es ihnen nicht lieb gewesen, wenn wir nicht hätten mitgehen wollen. Kommt man auf diese Art zu Jemandem, und bittet, so läßt sich doch nicht Nein sagen.«

In dem Augenblicke, als sie aufbrechen wollten, kamen die beiden Jäger zurück, da ein junger Hund, den sie mitgenommen, ihnen die Jagdfreude zerstört und sie früher nach Hause gebracht hatte. Sie waren munter und aufgelegt genug, weiter zu gehen, und wollten gern die Frauen begleiten. Hätte Anna ein solches Zusammentreffen voraussehen können, so würde sie zu Hause geblieben sein; aber da Theilnahme und Neugier sich in ihr regten, meinte sie, es wäre nun zu spät, ihr Wort zurück zu nehmen, und alle sechs folgten dem Wege, den die beiden Fräulein Musgrove angaben.

Anna war bedacht, Niemanden in den Weg zu kommen, und wo schmale Pfade, die über das Feld liefen, viele Trennungen nothwendig machten, suchte sie sich zu ihrem Schwager und ihrer Schwester zu halten. Ihr Vergnügen auf dem Spaziergange mußte sie in der Bewegung und in dem schönen Tage, in der Betrachtung des letzten Lächelns, womit der Herbst auf die vergelbten Blätter und die verwelkten Hecken herabblickte, in der Wiederhohlung einiger von den unzählichen dichterischen Beschreibungen des Herbstes finden, jener Jahreszeit die einen so eigenen und unvergänglichen Einfluß auf ein fühlendes und zartes Gemüth ausübt, und auch jeden ausgezeichneten Dichter zu dem Versuche einer Beschreibung, oder zu gefühlvollen Zeilen gestimmt hat. Sie beschäftigte ihre Seele so viel als möglich mit solchen Betrachtungen und mit solchen dichterischen Stellen; unmöglich konnte sie sich jedoch versagen, etwas von Wentworth's Unterhaltung mit den beiden Fräulein zu erhorchen, wenn sie ihnen nahe war; aber sie hörte nicht viel Wichtiges. Es war nichts als ein munteres Geschwätz worein junge Leute, die auf freundschaftlichem Fuße leben, leicht fallen. Er unterhielt sich häufiger mit Luise, als mit Henriette, und Luise machte sich ihm freilich auch mehr bemerklich, als ihre Schwester.

Diese Auszeichnung schien immer zuzunehmen, und Luise that eine Aeußerung, die für Anna auffallend war. Nach einem von den immer hervorbrechenden Lobsprüchen auf den schönen Tag, setzte Wentworth hinzu: »Was für ein herrliches Wetter für den Admiral und meine Schwester! Sie wollten heute morgen weit fahren. Vielleicht können wir ihnen irgendwo von diesen Höhen zurufen. Sie wollten in diese Gegend kommen, wie sie sagten. Wo mögen sie sich heute herumtreiben! Ich versichre Ihnen, es geht nicht immer glücklich ab; aber meiner Schwester liegt nichts daran, wenn sie auch einmahl umgeworfen wird!«

»O gewiß, Sie übertreiben,« erwiederte Luise, »aber wenn es auch wäre, ich machte es eben so an ihrer Stele. Wenn ich einen Mann liebte, wie sie den Admiral liebt, ich würde immer bei ihm sein; nichts sollte uns je trennen, und ich möchte mich lieber mit ihm umwerfen lassen, als mit sonst Jemanden in aller Sicherheit fahren.«

Sie sprach diese Worte mit Feuer.

»Wirklich?« erwiederte Wentworth eben so lebhaft. »Ich ehre Sie.«

Beide schwiegen darauf einige Augenblicke.

Anna konnte nicht sogleich wieder eine dichterische Stelle wiederhohlen. Die lieblichen Erscheinungen des Herbstes wurden für eine Weile übersehen, wenn nicht etwa ein zärtliches Sonett ihr einfiel, worin etwas von der Aehnlichkeit eines sinkenden Glückes mit dem sinkenden Jahre, und Bilder von verschwundener Jugend und Hoffnung, von verschwundener Frühlingszeit vorkamen.

Endlich, als man auf einen andern Pfad kam, ermunterte sie sich zu den Worten: »Führt nicht dieser Weg auch nach Winthrop?«

Niemand hörte sie, wenigstens antwortete Niemand.

Winthrop, oder die Umgegend – denn jungen Männern pflegt man zuweilen in der Gegend ihrer Heimath zu begegnen – war aber doch das Ziel der Wanderung der beiden Mädchen, und als sie noch eine Viertelstunde aufwärts über weit gedehnte Felder gekommen waren, wo der Pflug in Thätigkeit war, und frisch gemachte Pfade den Landbauer ankündigten, aber die süße dichterische Wehmuth, und den Wahn, wieder im Frühlinge zu leben, zerstörten, kamen sie endlich auf den Gipfel des ansehnlichsten Hügels, der Uppercroß und Winthrop schied, und bald erblickten sie dieses Landgut jenseit, am Fuße des Hügels. Winthrop war weder schön, noch ansehnlich, ein schlechtes, niedriges Haus, von Scheunen und Wirthschaftsgebäuden umgeben.

»Lieber Himmel, das ist Winthrop?« rief Marie. »Das hätte ich nicht gedacht – Nun, ich dächte, wir kehrten um, ich bin müde.«

Henriette, die bei dem Bewußtsein, das sie heimlich mahnte, beschämt war, sah nirgend einen Vetter Karl umher wandeln, oder an ein Thor sich lehnen, und war bereit, Mariens Wunsch zu erfüllen. »Nein!« sprach der junge Musgrove. »Nein! nein!« rief Luise lebhafter, und schien mit ihrer Schwester, die sie bei Seite führte, eifrig über die Sache zu sprechen.

Musgrove erklärte bestimmt den Entschluß, seine Tante zu besuchen, da er einmahl in der Nähe wäre, und zeigte, wenn auch schüchtern, die Absicht, seine Frau zum Mitgehen zu bewegen. Dieß war jedoch einer von den Punkten, worin Marie ihre Stärke zeigte, und als er meinte, es würde ihr, da sie so müde wäre, recht wohl bekommen, eine halbe Stunde in Winthrop auszuruhen, antwortete sie entschlossen: »O nein, wahrlich, den Hügel wieder hinauf zu gehen, würde mir schlimmer bekommen, als das Ausruhen mir wohlthätig wäre.«

Blick und Benehmen verriethen, daß sie nicht gehen wollte. Nach einigen Verhandlungen und Berathungen ward es endlich zwischen Musgrove und seinen Schwestern ausgemacht, daß er und Henriette auf ein Paar Minuten hinab gehen sollten, um die Tante zu besuchen, während die Uebrigen sie auf dem Gipfel des Hügels erwarteten. Luise schien die Hauptanstifterinn zu sein, und als sie, noch immer mit Henriette sprechend, sie und ihren Bruder begleitete, sah Marie unmuthig sich um, und sprach zu Wentworth: »Es ist sehr unangenehm, solche Verwandte zu haben, aber ich versichere Ihnen, nicht mehr als zweimahl in meinem Leben bin ich bei ihnen gewesen.«

Sie erhielt keine andere Antwort, als ein erzwungenes beistimmendes Lächeln, welchem, als er sich umwendete, ein verachtender Blick folgte, dessen Bedeutung Anna sehr gut kannte.

Der Gipfel des Hügels, wo sie blieben, war ein sehr angenehmer Platz. Luise kam zurück, und Marie, die einen bequemen Platz für sich selber auf einen Zaunbrete gefunden hatte, war ganz vergnügt, so lange alle Uebrigen um sie standen. Endlich aber zog Luise den Seemann mit sich fort, um zu sehen, ob sich in einer nahen Baumpflanzung noch Nüsse finden ließen, und als Beide nach und nach aus dem Gesichte verschwunden waren, und selbst ihre Stimme nicht mehr gehört wurde, war Marie nicht mehr zufrieden, war böse auf ihren Sitz, meinte, Luise hätte irgendwo einen bessern gefunden und nichts konnte sie abhalten, sich auch einen andern zu suchen. Sie nahm denselben Weg, den Luise und Wentworth gewählt hatten, sah sie aber nirgend. Anna fand einen hübschen Sitz für sie auf einer trocknen, sonnigen Bank unter der Baumreihe, wo jene Beiden noch irgend wo sein mußten. Marie setzte sich einen Augenblick; aber es ging nicht; sie war überzeugt, Luise hätte einen bessern Platz gefunden, und wollte weiter gehen, bis sie ihre Schwägerinn gefunden hätte.

Anna, die selber müde war, setzte sich nieder, und sehr bald hörte sie Wentworth und Luise in der Baumpflanzung, hinter ihrem Sitze, wo sie durch einen pfadlosen Hohlweg hinauf kamen. Sie waren im Gespräch begriffen. Luisens Stimme ließ sich zuerst hören, und sie schien mitten in einer lebhaften Unterredung zu sein. Anna hörte zuerst folgende Worte: »So machte ich, daß sie ging. Ich konnte es nicht ausstehen, daß sie sich durch solche Albernheiten von dem Besuche abschrecken ließ. Wie, ich sollte eine Sache aufgeben, die ich beschlossen hätte und für Recht hielt, bloß weil eine solche Frau, oder sonst irgend Jemand, sich ein Ansehn giebt und sich einmengt? Nein, ich begreife nicht, wie man sich so leicht überreden lassen kann. Habe ich einmal meinen Sinn worauf gesetzt, so bleibt's dabei. Henriette schien es sich fest vorgenommen zu haben, heute nach Winthrop wandern, und doch war sie so nahe daran, aus einfältiger Nachgiebigkeit von ihrem Entschlusse wieder abzugehen.«

»Sie würde also zurückgekehrt sein, wenn Sie es nicht verhindert hätten?« hob Wentworth an.

»Ja freilich würde sie's, ich schäme mich fast, es zu sagen.«

»Ein Glück für sie, daß ein solches Gemüth, wie das Ihrige, ihr zur Seite steht. Durch die Winke, die Sie mir jetzt geben, werden meine eigenen Beobachtungen bestätigt, die ich neulich machte, als ich mit ihm in Gesellschaft war, und es ist unnöthig, mich zu stellen, als ob ich nicht sähe, was im Werke ist. Ich sehe wohl, es war nicht bloß von einem ehrerbietigen Morgenbesuche bei Ihrer Tante die Rede – und wehe ihm und ihr auch, sollte es einmahl zu wichtigen Ereignissen kommen, sollten sie in Lagen versetzt werden, wo Standhaftigkeit und Seelenstärke erfodert wird, wenn sie nicht Entschlossenheit genug haben, bei einer solchen Kleinigkeit als diese, einer unnützen Einmischung sich zu widersetzen. Ihre Schwester ist ein liebenswürdiges Mädchen, aber Sie besitzen Entschlossenheit und Standhaftigkeit, wie ich sehe. Wenn das Betragen und das Glück Ihrer Schwester Ihnen etwas werth ist, so flößen Sie ihr so viel von Ihrem Muthe ein, als Sie können. Doch – das haben Sie gewiß immer gethan. Es ist das schlimmste Uebel eines zu nachgiebigen und unentschlossenen Gemüthes, daß aller Einfluß darauf unsicher ist. Man kann nie versichert sein, daß ein guter Eindruck fortdauert. Jeder kann es beherrschen. Wer glücklich sein will, sei fest. Sehen Sie hier diese Nuß,« setzte er hinzu, indem er eine von einem höhern Zweige riß: »eine schöne, glatte Nuß, die alle herbstlichen Stürme überdauert hat, weil sie mit ursprünglicher Stärke begabt war. Nirgend ein Pünktchen, nirgend eine weiche Stelle. Diese Nuß,« fuhr er mit scherzhafter Feierlichkeit fort: »ist zu einer Zeit, wo so viele ihrer Schwestern herabgefallen und zertreten sind, noch immer im Besitze aller Glückseligkeit, deren eine Haselnuß für fähig gehalten werden kann. Für Alle, die mir Theilnahme einflößen,« fuhr er dann wieder mit ernstem Tone fort: »ist mein erster Wunsch, daß sie fest sein mögen. Wenn Luise Musgrove im November ihres Lebens reizend und glücklich sein will, so muß sie ihre ganze jetzige Seelenstärke bewahren.«

Er schwieg und erhielt keine Antwort. Anna würde sich gewundert haben, wenn Luise auf eine solche Rede, auf so wichtige, mit so ernstlicher Wärme gesprochnen Worte sogleich hätte antworten können. Sie ahnete aber, was Luise fühlen mußte. Kaum wagte sie es, sich zu regen, um sich nicht zu verrathen. Ein niedriger, Stechpalmenstrauch schirmte sie, als Beide vorübergingen, und sie hörte Luisens Worte; »Marie ist sonst gutmüthig, aber zuweilen ärgert sie mich sehr durch ihre Verkehrtheit und ihren Stolz, den Elliot-Stolz: Sie hat allzuviel von diesem Ahnenstolze. Es wäre uns lieber gewesen, wenn Karl ihre Schwester Anna geheirathet hätte. Sie werden es wohl wissen, er wünschte Anna zu haben?«

»Sie schlug ihn aus, wollen Sie sagen?« sprach Wentworth nach einer Pause.

»Ei allerdings!«

»Und um welche Zeit geschah das?«

»Ich weiß es nicht genau,« antwortete Luise. »Henriette und ich waren zu jener Zeit in der Kostschule, aber ich glaube, ungefähr ein Jahr vor seiner Verbindung mit Marie. Ich wünsche, Anna hätte ihn genommen. Wir Alle hätten sie weit lieber gehabt, und meine Aeltern glauben, Frau Russel, ihre vertraute Freundinn, hätte Anna davon abgehalten. Sie meinen, Karl wäre nicht gelehrt und belesen genug, um Frau Russel zu gefallen, und darum hätte sie Anna beredet, ihn auszuschlagen.«

Die Sprechenden entfernten sich nun, und Anna konnte nichts mehr hören. Sie war so bewegt, daß sie nicht sogleich aufstehen konnte, und erst nach einigen Augenblicken hatte sie wieder Fassung gewonnen. Des Horchers sprüchwörtliches Schicksal war nicht ganz das ihrige; sie hatte nichts Schlimmes von sich selber gehört, aber doch etwas von schmerzlicher Bedeutung erfahren. Sie sah, in welchem Lichte Wentworth ihre Gemüthsart betrachtete, und doch hatte sein Benehmen so viel warme Theilnahme und Neugier in Beziehung auf sie verrathen, daß sie lebhaft bewegt sein mußte.

Sie ging, sobald sie konnte, ihrer Schwester nach, und als sie Marien gefunden hatte, kehrten Beide wieder zu dem ersten Sitze an der Hecke zurück. Anna war froh, als nach einigen Augenblicken auch die Uebrigen wieder zu ihnen kamen, und Alle sich wieder in Bewegung setzten. Ihrer Stimmung war jene Einsamkeit und jenes Schweigen Bedürfniß, wozu man nur in zahlreicher Gesellschaft kommen kann.

Karl Musgrove und Henriette brachten den jungen Hayter mit, wie man vermuthet haben wird. Anna konnte es nicht versuchen, die nähern Umstände dieser Angelegenheit zu erforschen; selbst Wentworth wurde hier, wie es schien, nicht ganz zum Vertrauten gemacht; daß aber der junge Mann sich zurückgezogen, und das Fräulein nachgegeben hatte, und Beide sich nicht wenig über ihre Wiedervereinigung freuten, war nicht zu bezweifeln. Henriette sah ein wenig beschämt aus, war aber sehr vergnügt, Hayter höchst glücklich, und Beide waren fast unzertrennlich seit dem ersten Augenblicke, wo sie nach Uppercroß aufbrachen.

Es zeigte sich nun ganz klar, daß Luise und Wentworth auch Lust hatten, ein Paar zu werden. Wo man sich auf dem Wege trennen mußte, oder auch wenn es eben nicht nöthig war, gingen Beide neben einander, fast in so traulicher Nähe, als das andere Pärchen. Auf einem breiten Wiesenstreif, wo Platz genug für Alle war, sonderte sich die Gesellschaft in drei Gruppen, und zu derjenigen, die am wenigsten der Munterkeit und Artigkeit sich rühmen konnte, mußte Anna gehören. Sie gesellte sich zu ihrem Schwager und ihrer Schwester, und hatte sich wirklich so müde gegangen, daß sie sehr gern den freien Arm ihres Begleiters annahm, der zwar gegen sie sehr freundlich war, aber mit seiner Frau ein wenig schmollte. Marie war unfreundlich gegen ihn gewesen, und fühlte nun die Folgen davon, als er fast jeden Augenblick ihren Arm los ließ, um mit seiner Gerte Nesseln in der Hecke abzuhauen. Sie beschwerte sich darüber, und klagte, daß sie, wie gewöhnlich, übel behandelt werde, weil sie auf der Heckenseite gehe, wogegen Anna auf der andern ungestört bleibe; ihr Mann aber ließ nun beide Arme los, um einem Wiesel nachzulaufen, das sich eben sehen ließ, und kaum konnten sie ihn wieder bekommen.

Die Wiese gränzte an eine Gasse, welche der Fußpfad durchschnitt, und als unsere Wanderer an den Ausgang kamen, sahen sie, daß das Fuhrwerk, dessen Rollen sie schon vorher gehört hatten, des Admirals Wagen war. Er fuhr mit seiner Frau nach Hause. Als sie hörten, daß die jungen Leute von einem langen Spaziergange zurück kamen, boten sie freundlich der Müdesten unter den Frauen einen Sitz an, da sie durch Uppercroß fahren wollten. Die allgemeine Einladung wurde von Allen abgelehnt. Die beiden Fräulein Musgrove waren gar nicht müde, und Marie war entweder empfindlich, daß man sie, nicht vor allen Andern eingeladen hatte, oder ihr Familienstolz, wie's Luise nannte, konnte es nicht ertragen, in einem einspännigen Wagen einen dritten Platz einzunehmen.

Die Spaziergänger gingen durch die Gasse und über den jenseitigen Heckensteig, und der Admiral wollte sein Pferd wieder in Trapp sezen, als Wentworth zu dem Wagen sprang und seiner Schwester etwas sagte. Was er ihr mitgetheilt hatte, ließ sich aus den Worten errathen, die Frau Croft an Anna richtete; »Fräulein Elliot, ich weiß gewiß, Sie sind müde. Gönnen Sie uns das Vergnügen, Sie nach Hause zu bringen. Es ist hier Platz genug für drei, und wären wir Alle, wie Sie, wohl gar für vier. Sie müssen, ja Sie müssen!«

Anna war noch in der Gasse, und sie wollte, durch ein dunkles Gefühl getrieben die Einladung ablehnen; aber es sollte nicht sein. Der Admiral bat so dringend, als seine Frau, beide drängten sich zusammen, um ihr Platz in der Ecke zu lassen, und ohne ein Wort zu sogen, kam Wentworth auf sie zu, und vermochte sie mit ruhigem Benehmen, sich seinen Beistand beim Einsteigen gefallen zu lassen.

Ja – er hatte es gethan. Sie war im Wagen, und fühlte, daß sein Wille und seine Hand ihr den Platz verschafft hatten, und daß sie diese Bequemlichkeit genoß, weil er, ihre Müdigkeit erkennend, entschlossen gewesen war, ihr Ruhe zu geben. Anna erkannte aus diesen und andern Zügen, mit tiefer Bewegung, wie er gegen sie gesinnt war, und dieser kleine Umstand schien zu vollenden, was er vorher schon gethan hatte. Sie verstand ihn. Er konnte ihr nicht verzeihen, aber auch nicht gefühllos sein. Er verurtheilte sie des Vergangenen wegen, und dachte mit lebhafter und ungerechter Empfindlichkeit daran; er war zwar ganz gleichgiltig gegen sie, und weihte schon einer Andern seine Zuneigung, konnte sie aber doch nicht leiden sehen, ohne den Wunsch, ihr Beistand zu leisten. Es war ein Ueberrest alter Neigung, ein Antrieb einer reinen, wenn auch unbewußten freundschaftlichen Gesinnung, ein Beweis seines warmen, edlen Herzens, den sie nicht ohne Regungen betrachten konnte, worin Freude und Schmerz so verschmolzen waren, daß sie nicht wußte, welches Gefühl vorherrschte.

Anfangs antwortete sie auf die freundschaftlichen Äußerungen und die Bemerkungen ihrer Begleiter, ohne daran zu denken, und sie hatten den rauhen Weg durch die Feldgasse schon zur Hälfte zurück gelegt, ehe sie völlig gewahr wurde, wovon jene sprachen. Es war von Friedrich Wentworth die Rede.

»Er will gewiß eins von den beiden Mädchen, Sophie,« sprach der Admiral, »aber wer weiß welche. Und er ist ihnen doch so lange nachgelaufen, daß er wohl einen Entschluß gefaßt haben könnte, sollte man denken. Ja, das kommt vom Frieden! Wär' es jetzt Krieg, er hätte längst Alles abgemacht. Wir Seeleute, Fräulein Elliot, können uns in Kriegszeiten nicht mit langer Freierei geben. Wie viele Tage waren's denn, liebes Kind, von dem Tage, wo ich Dich zum Erstenmahl sah, bis zu der Zeit, wo wir beisammen in unsrer Wohnung zu North-Yarmouth saßen?«

»Laß uns lieber nicht davon sprechen,« erwiederte seine Frau, scherzend. »Wenn Fräulein Elliot hörte, wie schnell wir zum Einverständnisse kamen, so würde sie sich nie überreden lassen, daß wir glücklich mit einander sein könnten. Ich hatte Dich aber lange vorher dem Rufe nach gekannt.«

»Nun, und ich wußte von Dir, daß Du ein sehr hübsches Mädchen warst – wozu hätten wir da noch lange warten sollen? Ich hab' es nicht gern, solche Dinge so lange unabgemacht zu lassen. Ich wollte, Dein Bruder spannte ein Segel mehr auf, und brächte uns eines der beiden Mädchen nach Kellynch. Da wäre immer Gesellschaft für sie. Recht hübsche Mädchen sind sie, alle Beide; ich kann sie kaum unterscheiden.«

»Ja, recht liebe Mädchen, ohne alle Ziererei;« erwiederte Frau Croft, mit einem ruhigern Lobrednertone, welcher verrieth, daß ihr schärferer Blick keine von Beiden ihres Bruders ganz würdig gefunden hatte: »und eine sehr achtbare Familie. Eine bessere Verwandtschaft läßt sich wirklich nicht finden …; Aber – lieber Mann, siehst Du den Pfahl nicht? Gewiß, wir fahren dagegen.«

Sie faßte ruhig selber die Zügel, wodurch die Gefahr glücklich vermieden ward, und als sie nachher noch einmahl klüglich ihre Hand ausstreckte, ging Alles auf's Beßte, und Anna, die in dieser etwas belustigenden Art zu fahren, kein ganz unpassendes Bild der, allgemeinen Leitung der Angelegenheiten des guten Paares fand, ward endlich sicher in Uppercroß ausgesetzt.



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