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VII.

Als der Admiral gegen Anna den Wunsch aussprach, seinen Schwager nach Bath zu bringen, war Wentworth schon auf dem Wege dahin. Er kam an, ehe seine Schwester geschrieben hatte, und als Anna wieder ausging, sah sie ihn.

Elliot begleitete seine beiden Basen und Frau Clay. Sie waren auf offener Straße, als es anfing zu regnen, zwar nur ein wenig, aber gerade genug, um den Frauen ein Obdach erwünscht zu machen. Elisabeth wünschte besonders, in dem Wagen der Lady Dalrymple, der in einiger Entfernung hielt, nach Hause zu fahren. Sie ging mit Anna und Frau Clay in einen nahen Putzladen, und Elliot begab sich zu Lady Dalrymple, um ihren Beistand zu erbitten. Er kam bald mit günstiger Antwort; wie sich versteht, wieder zurück, und Lady Dalrymple, erfreut, die beiden Fräulein heim bringen zu können, wollte sie in wenigen Minuten abhohlen.

Der Wagen hatte nur für vier Personen bequem Platz, und da Fräulein Carteret bei ihrer Mutter war, so ließ sich nicht erwarten, daß mehr als zwei aufgenommen werden könnten. Elisabeth hatte ohne alle Frage den ersten Anspruch. Sie durfte keine Unannehmlichkeit leiden, aber es dauerte einige Zeit, um den höflichen Wettstreit zwischen den beiden Andern zu schlichten. Der Regen war ganz unbedeutend, und Anna wünschte aufrichtig, lieber mit Elliot zu gehen. Aber auch für Frau Clay hatte der Regen nichts zu bedeuten; sie meinte, es tröpfelte kaum, und sie hätte stärkere Halbstiefeln, als Anna. Sie wollte, aus Höflichkeit, eben so gern mit Elliot gehen, und die Sache wurde zwischen ihnen mit so viel höflicher und standhafter Großmuth verhandelt, daß die Andern für sie entscheiden mußten. Elisabeth behauptete, Frau Clay hätte sich schon ein wenig erkältet, und Elliot that, aufgefordert, den Ausspruch, Anna's Halbstiefeln wären die stärksten.

Es wurde daher beschlossen, daß Frau Clay in den Wagen kommen sollte, und man war eben darüber einig geworden, als Anna, die nahe am Fenster saß, ganz deutlich sah, daß Wentworth die Straße hinab ging.

Ihre Bestürzung war nur ihr allein fühlbar, aber sie machte sich sogleich selber Vorwurfe über ihr einfältiges Benehmen. Ein Paar Minuten hindurch war sie in der größten Verwirrung, und als sie sich selber scheltend, endlich wieder zur Besinnung kam, warteten die Andern noch auf den Wagen, und der immer gefällige Elliot war in eine anstoßende Straße gegangen, einen Auftrag für Frau Clay auszurichten.

Anna hatte große Lust, an die Hausthüre zu treten; sie wollte sehen, ob es regnete. Warum hätte sie einen andern Beweggrund bei sich argwöhnen sollen? Wentworth mußte ja nun so weit sein, daß sie ihn nicht mehr sehen konnte. Sie stand auf, und wollte hinaus gehen; eine Hälfte ihres Selbst sollte nicht immer so viel klüger sein, als die andere, oder nicht immer die andere für schlimmer halten, als sie war. Nun, sie wollte sehen, ob es regnete, mußte aber im nächsten Augenblicke zurücktreten, als Wentworth selber mit mehren Herren und Frauen herein kam, die er ohne Zweifel nicht weit von dem Laden getroffen hatte. Er war bei ihrem Anblicke überraschter und bestürzter, als sie je vorher bemerkt hatte, und sah ganz roth aus. Zum Erstenmahl seit der wieder angeknüpften Bekanntschaft fühlte sie, daß sie weniger ihre Regungen verrathen hatte, als er, und es entstand dadurch für sie der Vortheil, daß sie sich in den letzten Augenblicken fassen konnte. Die überwältigenden, verblendenden und verwirrenden ersten Wirkungen lebhafter Ueberraschung waren für sie vorüber. Aber noch immer war ihr Gefühl lebhaft aufgeregt. Es war Schmerz und Freude in ihrer Brust, ein Mittelzustand von Entzücken und Leid.

Er sprach mit ihr und wandte sich dann weg.

Sein Benehmen verrieth Verlegenheit; sie konnte es weder kalt, noch freundlich nennen, und überhaupt nichts so gewiß davon sagen, daß es eben verlegen war.

Nach einer kurzen Pause trat er wieder zu ihr und sprach noch einmahl. Man erkundigte sich wechselseitig nach gewöhnlichen Gegenständen, aber weder sie, noch er mochte durch das Gespräch klüger werden, und Anna wurde noch immer mehr gewahr, daß er weniger unbefangen war, als früher. Sie hatten, da sie so viel beisammen gewesen waren, es so weit gebracht, daß sie mit ziemlich viel anscheinender Gleichgiltigkeit und Ruhe mit einander zu sprechen vermochten, aber er konnte es in diesem Augenblicke nicht dahin bringen. Die Zeit hatte ihn umgewandelt, oder Luise hatte es gethan, und es schien, als ob er selber so etwas gefühlt hätte. Er sah sehr wohl aus, keineswegs als hätte er an seiner Gesundheit, oder an seiner muntern Seelenstimmung gelitten, und er sprach von Uppercroß, von der Familie Musgrove, ja selbst von Luise, und es blitzte in seinem Auge sogar der ihm eigene schlau bedeutsame Blick auf, als er sie nannte; aber es war nicht der behagliche, unbefangene Wentworth, und er konnte sich auch nicht stellen, als ob er es wäre.

Es war für Anna nicht überraschend, aber empfindlich daß Elisabeth ihn nicht kennen wollte. Sie bemerkte, daß er Elisabeth ansah, ihre Schwester ihn, und von beiden Seiten vollkommene Wiedererkennung statt fand; sie war überzeugt, das er als ein Bekannter anerkannt zu werden erwartete, und sie sah nun zu ihrem Bedauern, daß ihre Schwester sich mit unausprechlicher Kälte wegwendete.

Frau Dalrymple, der Elisabeth ungeduldig entgegen sah, fuhr nun vor, und der Diener meldete sie. Es fing nun wieder an zu regnen; es war eine kleine Zögerung nöthig, und so viel Lärm, so viel Gerede, daß Alle, die im Laden versammelt waren erfahren mußten, Lady Dalrymple wollte Fräulein Elliot abhohlen. Endlich ging Elisabeth mit ihrer Freundinn, nur von dem Diener begleitet, da Vetter Elliot noch nicht zurück gekommen war. Wentworth, der ihnen nachsah, wendete sich wieder zu Anna, und erbot sich, mehr durch eine Gebehrde, als durch Worte, sie auch an den Wagen zu führen.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, antwortete sie, aber ich fahre nicht mit. Es ist nicht so viel Platz im Wagen. Ich gehe zu Fuß; ich gehe lieber.«

»Aber es regnet ja.«

»O nicht viel, ganz unbedeutend für mich.«

»Ich bin zwar erst gestern hier angekommen,« fuhr Wentworth fort, »aber wie sie sehen, schon ganz gehörig eingerichtet« – er zeigte auf einen neuen Regenschirm – »und es würde mich freuen, wenn Sie Gebrauch davon machen wollten, da Sie einmahl entschlossen sind, zu Fuße zu gehen. Doch besser wäre es, glaube ich, wenn Sie mir erlauben wollten, Ihnen eine Sänfte zu hohlen.«

Anna lehnte sein Anerbieten dankbar ab, und wiederhohlte, der Regen würde nicht fortdauern. »Ich warte nur auf meinen Vetter Elliot,« setzte sie hinzu. »Er wird gewiß in einem Augenblicke hier sein.«

Kaum hatte sie ausgeredet, als Elliot herein trat. Wentworth erkannte ihn sogleich wieder. Es war ganz derselbe Mann, der in Lyme auf der Treppe gestanden, und Anna, als sie vorüber ging, bewundert hatte, außer daß sich nun in Blick und Benehmen das Bewußtsein der Vorrechte des Verwandten und Freundes verrieth. Er trat geschäftig herein, schien nur sie zu sehen, nur an sie zu denken, entschuldigte sein Ausbleiben, bedauerte, daß sie hatte warten müssen, und wünschte lebhaft, sie nach Hause zu bringen, ehe der Regen stärker würde. Im nächsten Augenblicke gingen Beide hinaus, sie an seinem Arme, und ein höflicher, verlegener Blick und ein: »Ich empfehle mich Ihnen!« war alles, wozu sie Zeit hatte.

So bald sie weg waren, sprach Eine von Wentworth's Begleiterinnen: »Herr Elliot scheint sein Mühmchen nicht ungern zu haben.«

»O allerdings, das ist ja klar genug,« erwiederte eine Andre. »Es läßt sich leicht errathen, was daraus werden wird. Er ist immer um die Familie, wohnt fast da, glaub' ich. Nun, er sieht sehr gut aus.«

»Gewiß,« hob die Erste wieder an, »und ich höre, er soll der angenehmste Mann im Umgange sein.«

»Anna Elliot ist hübsch,« nach meiner Meinung, sprach die Zweite, »sehr hübsch, wenn man sie länger ansieht. Es gehört nicht zum Ton, das zu sagen, aber ich muß gestehen, ich bewundre sie mehr als ihre Schwester.«

»O auch ich!« antwortete die Erste.

»Ich auch,« fiel eine Dritte ein. »Gar nicht zu vergleichen. Aber alle Männer sind ganz geschossen in Fräulein Elisabeth. Anna ist zu zart für sie.«

Anna würde ihrem Vetter sehr verbunden gewesen sein, wenn er auf dem ganzen Wege nach Hause gar nicht gesprochen hätte. Es war ihr nie so schwer geworden, ihn anzuhören, wiewohl nichts über seine Aufmerksamkeit und Sorgfalt ging, und die Gegenstände seiner Reden meist immer solche die etwas Anziehendes für sie hatten, ein warmes, gerechtes und umsichtiges Lob der Frau Russel, und sehr verständige Winke gegen Frau Clay. Aber Anna konnte jetzt nur an Wentworth denken. Sie begriff nicht, was er in diesem Augenblicke fühlte, ob die fehlgeschlagene Hoffnung ihm wirklich Kummer machte, oder nicht, und ehe sie darüber nicht völlig im Reinen war, konnte sie nicht ganz unbefangen sein. Mit der Zeit hoffte sie weise und verständig zu werden, aber leider mußte sie sich gestehen, daß sie jetzt noch nicht weise war.

Ein andrer Umstand, den sie vor allen Dingen gern hätte wissen mögen, war, wie lange er in Bath zu bleiben gedachte; er hatte nichts davon gesagt, oder sie konnte sich nicht darauf besinnen. Vielleicht reisete er nur durch, aber wahrscheinlicher war es, daß er sich eine Zeitlang aufhalten wollte. In diesem Falle war nichts wahrscheinlicher, als daß Frau Russel ihn irgendwo träfe. Ob ihre Freundinn sich seiner erinnern wird? Wie wird sich alles machen? Sie war schon genöthigt gewesen, ihrer Freundinn zu sagen, daß Luise Musgrove Benwick heirathen wollte. Es war ihr schwer geworden, die Ueberraschung der würdigen Frau mit ruhiger Fassung zu bemerken, und wenn nun Frau Russel mit Wentworth in Gesellschaft zusammen treffen sollte, so konnte ihre mangelhafte Kenntniß von der Sache zu einem neuen Vorurtheile gegen ihn Anlaß geben.

Am folgenden Morgen ging Anna mit ihrer Freundinn aus, und in der ersten Stunde erwartete sie unaufhörlich mit banger Unruhe, ihn zu sehen, und als sie endlich eine Straße hinab ging, sah sie ihn auf dem jenseitigen Fußwege in so weiter Entfernung, daß sie ihn fast in der ganzen Länge der Straße im Auge hatte. Es waren viele andre Männer um ihn; Viele gingen auf demselben Wege, aber ihn zu verkennen, war unmöglich. Anna blickte unwillkührlich auf ihre Freundinn, aber nicht in der thörigen Vermuthung, als ob Frau Russel so schnell, als sie selber, ihn erkannt hätte, da es gar nicht zu erwarten war, daß jene ihn eher bemerken würde, bis er ihr gerade gegenüber war. Sie warf indeß von Zeit zu Zeit einen unruhigen Blick auf Frau Russel, und als Wentworth endlich so nahe war, daß er bemerkt werden mußte, wagte sie es zwar nicht, ihre Freundinn wieder anzusehen, weil sie wohl fühlte, daß sie ihr Gesicht nicht sehen lassen durfte, aber sie wußte sehr gut, daß Frau Russel ihre Blicke gerade nach ihm gerichtet hatte. Sie konnte sich sehr wohl denken, welche Zaubergewalt er auf das Gemüth ihrer Freundinn ausüben mußte, wie schwer es derselben ward, ihre Augen wegzuwenden, und mit welchem Erstaunen Frau Russel bemerken mochte, daß eine Zeit von acht bis neun Jahren, die er in entfernten Weltgegenden und unter vielen Mühsalen zugebracht, ihm nichts von seinen Reizen geraubt hatte.

Endlich wendete Frau Russel ihre Augen weg. Was wird sie nun sagen?

»Sie werden sich wundern,« hob sie an, »wohin ich so lange meine Blicke gerichtet habe. Ich sah nach den Fenstervorhängen, die man mir gestern Abend als die hübschesten in ganz Bath beschrieb. Ich kann mich der Hausnummer nicht erinnern, aber ich sehe mich nach allen Fenstern um, und finde nichts, das auf die Beschreibung paßte.«

Anna seufzte, erröthete und lächelte, voll Bedauern und Verachtung, entweder gegen ihre Freundinn, oder gegen sich selber. Das Aergerlichste bei der Sache war, daß sie bei aller Vorsicht und Sorgfalt den rechten Augenblick verloren hatte, zu beobachten, ob er sie gesehen hatte, oder nicht.

Ein Paar Tage gingen vorüber, ohne daß etwas vorfiel. Das Schauspiel, oder die öffentlichen Oerter, wo Wentworth wohl zu sehen gewesen sein würde, waren nicht vornehm genug für die Familie Elliot, die sich des Abends nur in der zierlichen Armseligkeit von Privatgesellschaften langweilte, worein sie immer mehr gezogen wurde. Anna, die dieses trüben Stillstandes müde war, schmerzlich empfand, daß sie nichts erfuhr, und sich für stärker hielt, als sie war, weil ihre Stärke keine Prüfung bestanden hatte, sehnte sich ungeduldig nach dem Konzertabend. Es war ein Konzert zum Vortheil eines Künstlers, den Lady Dalrymple beschützte. Es verstand sich von selbst, daß die Familie Elliot nicht fehlen durfte. Man erwartete eine vorzügliche Kunstleistung, und Wentworth war ein großer Freund der Musik. Anna glaubte, sie würde zufrieden sein, wenn sie nur noch einmahl ein Paar Minuten mit ihm sprechen könnte, und sie fühlte Muth genug, ihn anzureden, wenn sich die Gelegenheit finden sollte. Elisabeth hatte sich von ihm gewendet, Frau Russel ihn übersehen, und sie fühlte daß sie ihm Aufmerksamkeit schuldig war.

Sie hatte Frau Smith halb und halb versprochen, den Abend ihr zu widmen, aber bei einem schnellen Besuche entschuldigte sie sich, und verabredete mit ihr, am folgenden Tage ihr mehre Stunden zu schenken. »Erzählen Sie mir nur ja alles, wenn Sie zu mir kommen,« sprach Frau Smith. »Wer gehört denn zu Ihrer Gesellschaft?«

Anna nannte alle. Frau Smith antwortete nicht, aber als Anna Abschied nahm, sprach die Freundinn halb ernst, halb mit schelmischem Ausdrucke: »Nun, ich wünsche viel Vergnügen im Konzert, und kommen Sie doch ja morgen, wenn Sie können, denn es fängt an, mir zu ahnen, daß ich nicht viele Besuche mehr von Ihnen erhalten könnte.«

Anna war betroffen und verwirrt, aber als sie einen Augenblick unschlüssig gezögert hatte, war es ihr lieb, daß sie forteilen mußte.



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