Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Herr Shepherd war ein höflicher, behutsamer Rechtsmann, und wieviel er auch über den Baronet vermochte, oder welche Absichten er auf ihn hatte, zu dem Unangenehmen wollte er lieber jeden Andern rathen lassen. Er lehnte es mit vielen Entschuldigungen ab, auch nur der leisesten Wink zu geben, und bat bloß um Erlaubniß, ein unbedingtes Vertrauen auf die treffliche Beurtheilung der Frau Russel zu empfehlen, in der festen Zuversicht, daß der Verstand, wodurch sie sich, wie bekannt, auszeichnete, gerade die durchgreifenden Maßregeln anrathen werde, die er am Ende angenommen zu sehen erwarten müßte.

Frau Russel erwog die Angelegenheit sehr eifrig und ernstlich. Sie besaß mehr gesundern, als schnell fassenden Verstand, und es ward ihr ungemein schwer, hier zu einer Entscheidung zu kommen, wo zwei widerstreitende Grundsätze sich entgegen standen. Sie hatte selbst strenge Rechtlichkeit und zartes Ehrgefühl; aber sie wünschte so sehr, des Baronets Gefühl zu schonen, sie war so eifrig bedacht, das Ansehen der Familie zu erhalten, und so adelstolz in ihren Ansichten über dasjenige, was ihren Freunden gebührte, als es eine verständige und redliche Frau nur immer sein konnte. Eine wohlwollende, mildthätige, gute Frau, und warmer Zuneigung fähig; durchaus unbescholten in ihrem Wandel, strenge in ihren Ansichten vom Anstande, und von musterhaft feiner Lebensart; sie hatte einen gebildeten Geist und war im allgemeinen verständig und einig in ihren Ansichten; aber der Ahnenstolz hatte Vorurtheile in ihr genährt, und sie achtete Rang und bürgerliches Ansehen so hoch, daß sie ein wenig blind gegen die Fehler derjenigen wurde, welche jene Vorzüge besaßen. Als die Witwe eines Edelmannes von geringerm Range, weihte sie der Würde eines Baronets alle gebührende Achtung, und auch abgesehen von den Ansprüchen, die Sir Walter als alter Bekannten, als aufmerksamer Nachbar, als gefälliger Gutsherr, als der Gemahl ihrer theuren Freundinn, als Anna's und deren Schwestern Vater, machen konnte, war er schon als Baronet, nach ihrer Meinung, bei seinen Bedrängnissen eines innigen Mitleids und besonderer Rücksicht würdig.

Einschränkungen mußten gemacht werden; das war nicht zu bezweifeln; aber Frau Russel wollte dabei ihm und Elisabeth so wenig als möglich ein schmerzliches Gefühl erwecken. Sie machte Entwürfe zu Ersparungen, sie ließ sich in genaue Berechnungen ein, und, woran sonst Niemand dachte, sie zog auch Anna zu Rathe, welche von den Andern behandelt wurde, als ob die ganze Sache ihr völlig fremd wäre. Anna's Meinung war nicht ohne Einfluß auf den Entwurf zu Ersparungen, den sie endlich dem Baronet vorlegte. Jede Veränderung, die Anna darin gemacht hatte, war von dem Grundsatz ausgegangen, daß Redlichkeit mehr als Wichtigthun gelten müßte: sie wünschte noch kräftigere Maßregeln; eine noch vollständigere Umwandlung des Hauswesens, eine schnellere Befreiung von Schulden, und eine lauter ausgesprochene Gleichgiltigkeit gegen alles, nur nicht gegen Gerechtigkeit und Billigkeit.

»Können wir Ihren Vater zu allen diesen Vorschlägen bereden,« sprach Frau Russel, ihre Schrift überblickend: »so kann viel gethan werden. In sieben Jahren ist er schuldenfrei, wenn er diese Einrichtungen sich gefallen läßt, und ich hoffe, wir werden ihn und Elisabeth überzeugen können, daß Kellynch-Hall, trotz aller dieser Einschränkungen, dennoch ein achtbarer Wohnsitz bleiben wird, und daß Sir Walter Elliot's wahre Würde in den Augen verständiger Menschen keineswegs vermindert werden kann, wenn er als Mann von Grundsätzen handelt. Was wird er denn auch anders thun, als was sehr viele unserer ersten Häuser gethan haben, oder thun sollten? Es ist gar nichts Sonderbares in diesem Falle, und solche Sonderbarkeit macht eben oft das Schlimmste in unsern Leiden, wie immer in unserm Benehmen. Ich habe große Hoffnung, es soll uns gelingen. Wir müssen ernsthaft und entschlossen sein; denn am Ende muß doch bezahlen, wer Schulden gemacht hat, und wie viel Schonung auch dem Gefühle eines Edelmanns und eines Familienhauptes gebührt, so kommt doch noch weit mehr auf den Ruf eines redlichen Mannes an.«

Dieß war der Grundsatz, welchem, nach Anna's Wunsche, ihr Vater folgen sollte; und den seine Freunde, wie sie meinte, ihm dringend empfehlen müßten. Sie hielt es für unumgängliche Pflicht, die Ansprüche der Gläubiger. so schnell zu befriedigen, als es bei der durchgreifendsten Einschränkung im Hauswesen nur irgend möglich war, und sah nur in dieser Maßregel allein etwas Würdiges. Sie wollte diesen Schritt vorgeschrieben wissen, weil sie ihn für Pflicht hielt.

Sie rechnete viel auf den Einfluß der Frau Russel, und da sie selber zu einem hohen Grade von Selbstverläugnung sich fähig fühlte, so glaubte sie, es werde nicht viel schwieriger sein, ihre Angehörigen zu einer vollständigen, als zu einer halben Umwandlung zu bewegen. Wie sie ihren Vater und Elisabeth kannte, mußte sie glauben, daß man es kaum für weniger schmerzlicher halten werde, ein Paar Kutschpferde, als beide Paare, aufzuopfern, und so ging sie durch das ganze Verzeichniß der schonenden Einschränkungen, die Frau Russel vorschlug.

Es ist überflüssig, zu fragen, welche Aufnahme Anna's strengere Foderungen gefunden haben würden; denn was Frau Russel verlangte, wurde für unausführbar und unerträglich erklärt. Wie! jede Bequemlichkeit des Lebens sich entziehen? Reisen, Aufenthalt in London, Dienerschaft, Pferde, Tafel – überall Verminderungen und Beschränkungen! Wie, er sollte nicht länger mit dem Anstande leben, der einem gebildeten Mann gebührte? Nein, lieber wollte er Kellynch-Hall ganz verlassen, als länger unter so schmählichen Bedingungen da bleiben.

Kellynch-Hall verlassen! Dieser Wink ward alsbald von Shepherd ergriffen, dessen Vortheil es verlangte, daß sich der Baronet zu Einschränkungen bequemte, und der vollkommen überzeugt war, daß ohne Veränderung des Aufenthalts nichts geschehen würde. Da ein solcher Gedanke, äußerte er, von Demjenigen ausgegangen wäre, der ihn vorschreiben müßte, so wollte er unbedenklich gestehen, er wäre ganz derselben Meinung. Es schien ihm nicht möglich zu sein, daß der Baronet eine wesentliche Aenderung seiner Lebensweise in einem Hause einführen könnte, das den Ruf der Gastfreundschaft und alter Würde erhalten müßte. An jedem andern Orte könnte sein Gönner allein der eigenen Ansicht folgen, und glauben, Niemand würde es ihm verdenken, wenn er sein Hauswesen nach Belieben einrichtete.

Der Baronet wollte sein Landgut verlassen, und als er noch einige Tage in Zweifel und Unschlüssigkeit geschwankt hatte, war auch die große Frage, wohin er sich begeben wollte, entschieden, und der erste Umriß der wichtigen Lebensveränderung im Reinen.

Man hatte unter drei Vorschlägen gewählt; London, Bath, oder ein anderes Landhaus. Anna war ganz für den letzten Vorschlag. Ein kleines Haus in der Umgegend, wo sie den Umgang der Frau Russel genießen, in Mariens Nähe leben, und zuweilen das Vergnügen haben könnten, die Rasenplätze und Lustwäldchen von Kellynch-Hall zu sehen – darauf waren ihre Wünsche gerichtet. Es war jedoch Anna's gewöhnliches Schicksal, gerade dasjenige gewählt zu sehen, was ihrer Neigung entgegen war, und Bath, das sie nicht leiden konnte, sollte ihr künftiger Wohnort sein.

Der Baronet war anfangs mehr für London gewesen; Herr Shepherd aber, der wohl einsah, dass er seinem Gönner bei dem Aufenthalte in London nicht trauen könnte, wußte geschickt davon abzurathen; und Bath den Vorzug zu verschaffen. Es wäre ein angemessenerer Wohnsitz für einen Mann wie der Baronet, sagte er, und dieser könnte dort eine bedeutende Rolle mit einem verhältnißmäßig geringen Aufwande spielen. Bath besaß zwei wesentliche Vorzüge vor London, die wahrscheinlich entschieden hatten; es war nur ungefähr eine Tagereise von Kellynch entfernt, und Frau Russel brachte jährlich einen Theil des Winters daselbst zu. Sie hatte gleich anfangs für Bath gestimmt, und es war ihr sehr angenehm, daß der Baronet und Elisabeth glaubten, sie würden weder von ihrem Ansehen, noch von ihren Genüssen etwas verlieren, wenn sie sich dort niederließen.

Frau Russel mußte sich den bekannten Wünschen ihrer lieben Anna entgegen setzen. Er hieße, meinte sie, zur viel von dem Baronet verlangen, wenn man ihm ansinnen wollte, ein kleines Haus in der Umgegend zu bewohnen. Für Anna selber würde es, setzte die Freundin hinzu, demüthigender gewesen sein, als sie voraussah, und für ihres Vaters Gefühle wäre die Demüthigung schrecklich gewesen. Anna's Abneigung gegen Bath nannte Frau Russel Vorurtheil und Mißverständniß, woran der Umstand Schuld sein sollte, daß Anna dort nach ihrer Mutter Tode drei Jahre in der Schule gewesen war, und späterhin, als sie einen Winter mit ihrer Freundin daselbst verbrachte, sich nicht ganz wohl befunden hatte. Frau Russel liebte Bath, und meinte, es müßte Allen angenehm sein, und auch für Anna's Gesundheit konnte alle Gefahr vermieden werden, wenn sie die warme Jahrzeit bei ihrer Freundinn in Kellynch zubrächte. Anna hatte, wie Frau Russel glaubte, zu wenig außer dem Hause gelebt, zu wenig gesehen. Sie war nicht lebendig genug, und in größerer Gesellschaft sollte sich diese Blödigkeit verlieren.

In der Umgegend eine Wohnung zu wählen, war auch darum höchst unangenehm für den Baronet, weil es glücklicher Weise, gleich von Anfange an, zu dem entworfenen Plane gehörte, daß er sein Haus nicht nur verlassen, sondern auch in andern Händen sehen sollte; eine Probe der Standhaftigkeit, die selbst stärkere Seelen, als er, zu schwer gefunden haben würden. Kellynch-Hall sollte verpachtet werden! Aber das war ein tiefes Geheimniß, das für's Erste nicht über den häuslichen Kreis hinaus kommen durfte.

Der Baronet hätte die Herabwürdigung nicht ertragen können, wenn man gewußt hätte, daß er sein Landgut zu verpachten gesonnen wäre. Herr Shepherd hatte einmal das Wort Bekanntmachung fallen lassen, wagte es aber nie wieder, darauf zurück zu. kommen. Der Baronet verwarf den Gedanken, das Gut auf irgend eine Weise auszubieten; er verbot, auch nur den leisesten Wink zu geben, daß er eine solche Absicht hätte, und nur wenn er freiwillig von einem ganz unbescholtenen Manne, als um eine große Gunst und auf selbst zu bestimmende Bedingungen, darum ersucht würde, wollte er das Gut überhaupt verpachten.

Wie schnell kommen die Gründe, etwas zu billigen, das wir lieben! Frau Russel erhielt bald einen andern trefflichen Grund, sich sehr zu freuen, daß der Baronet und seine Angehörigen die Gegend verließen. Elisabeth hatte in der letzten Zeit eine Freundschaft angeknüpft, die Frau Russel zerrissen zu sehen wünschte. Es war eine vertraute Verbindung mit Shepherd's Tochter, die nach einer unglücklichen Ehe mit zwei Kindern in ihres Vaters Haus zurück gekehrt war. Sie hatte viel Gewandtheit, und wußte zu gefallen, wenigstens in Kellynch-Hall zu gefallen, und hatte sich bei Fräulein Elisabeth so sehr eingeschmeichelt, daß sie schon mehr als einmahl im Schlosse geblieben war, wie sehr auch Frau Russel, die eine solche Freundschaft für ganz unangemessen hielt, zu Behutsamkeit und Zurückhaltung ermahnen mochte.

Frau Russel vermochte nicht viel über Elisabeth, und schien sie fast nur darum zu lieben, weil sie es wollte, weniger weil Elisabeth Liebe verdiente. Die hatte nie mehr, als äußere Beweise von Aufmerksamkeit erhalten, nichts mehr als die Beobachtung höflicher Umgangsitte, und es war ihr nie gelungen, irgend etwas gegen des Fräuleins vorgefaßte Neigung durchzusetzen. Mehr als einmahl. hatte sie sehr ernstlich den Wunsch ausgesprochen, daß auch Anna ihren Vater und ihre Schwester nach London begleiten möchte, da sie lebhaft fühlte, wie ungerecht und wie nachtheilig für den Ruf der Familie die selbstische Einrichtung war, wodurch Anna ausgeschlossen wurde, und bei vielen unbedeutendern Anlässen hatte sie sich bemüht, Elisabeth in den Vortheil zu setzen, ihr besseres Urtheil und ihre Erfahrung geltend zu machen; aber immer vergebens. Elisabeth wollte ihren eigenen Weg gehen, und nie hatte sie ihn in entschiedenerm Widerspruche gegen Frau Russel verfolgt, als bei der Wahl der Frau Clay. Sie entzog sich dem Umgange ihrer trefflichen Schwester, um ihre Zuneigung und ihr Vertrauen einer Frau zu schenken, der sie nie mehr als kalte Höflichkeit hätte beweisen sollen.

Shepherd's Tochter war, wie Frau Russel meinte, ihren Verhältnisse nach, eine sehr ungleiche, nach ihrer Gemüthsart eine sehr gefährliche Gesellschafterinn, und daher war eine Entfernung, die eine Trennung von Frau Clay zur Folge haben, und Fräulein Elisabeth Gelegenheit geben mußte, sich passendere Freundinnen zu wählen, ein Umstand von hoher Wichtigkeit.



 << zurück weiter >>