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VI.

Anna hätte nicht nöthig gehabt, nach Uppercroß zu gehen, um zu lernen, daß man oft, wenn man zu andern Menschen kommt, und wäre es auch nur in einer Entfernung von einer Stunde, eine gänzliche Veränderung des Umgangstones, der Meinungen und Ansichten findet. So oft sie früher sich in Uppercroß aufgehalten hatte, war ihr dieß aufgefallen und der Wunsch in ihr erwacht, es möchten Andre aus dem Hause Elliot auch den Vortheil haben, zu erfahren, wie unbekannt, oder unbeachtet hier die Angelegenheiten waren, die man in Kellynch-Hall als so allkundige und durchaus anziehende Dinge behandelte; aber bei aller dieser Erfahrung glaubte sie, jetzt das Gefühl ertragen zu müssen, daß noch eine andre Lehre in der Kunst, unsre Nichtigkeit außer unserem gewöhnlichen Kreise zu erkennen, für sie nothwendig geworden wäre. Mit einem Herzen, voll von dem Gegenstand, der die beiden befreundeten Häuser in Kellynch Wochenlang beschäftigt hatte, war sie gekommen, und hatte freilich mehr Neugier, mehr Theilnahme erwartet, als sie in der Frage fand, welche Herr Musgrove und seine Frau in ziemlich gleichen Ausdrücken an sie richteten: »Ihr Herr Vater und Fräulein Elisabeth sind also abgereiset? und in welchem Theile von Bath werden sie wohnen?« eine Frage, worauf man kaum die Antwort erwartete – oder in dem Zusatze der beiden Mädchen: »Ich hoffe, wir werden nächsten Winter auch nach Bath gehen; aber, lieber Vater, wenn wir hingehen, lassen Sie uns doch ja in eine hübsche Gegend ziehen« – oder in Marie's bekümmerter Aeußerung: »Nun wahrhaftig, da wird's mir gut gehen, wenn Ihr alle fort seid, um in Bath glücklich zu leben.«

Anna konnte sich nur in dem Entschlusse bestärken, künftig solchen Selbsttäuschungen auszuweichen und mit erhöhter Dankbarkeit an das Glück zu denken, eine so wahrhaft theilnehmende Freundinn, als Frau Russel war, zu besitzen.

Herr Musgrove. und sein Sohn hatten ihr Wild zu pflegen und zu schießen, ihre Pferde, Hunde und Zeitungen, und die Frauen waren vollauf beschäftigt mit allen andern gewöhnlichen Gegenständen des Hauswesens, mit ihren Nachbarn, ihrem Anzuge, mit Tanz und Musik. Anna fühlte, es wäre ganz passend, daß sich jeder kleine gesellige Kreis seinen Stoff zur Unterhaltung selber vorschriebe, und hoffte, sich bald zu einem nicht unwürdigen Gliede des Kreises zu machen, in welchen sie sich jetzt verpflanzt sah. Es mußte ihr, da sie wenigstens zwei Monate hier zubringen sollte, eine Angelegenheit sein, alle ihre geistigen Aeußerungen so viel als möglich in die Tracht von Uppercroß zu kleiden.

Es war ihr übrigens gar nicht bange vor diesen zwei Monaten. Marie zeigte sich nicht so abstoßend und unschwesterlich, als Elisabeth, noch so verschlossen gegen allen fremden Einfluß, und auch sonst war im neuen Herrenhause nichts, das einem angenehmen Leben hinderlich gewesen wäre. Anna stand mit ihrem Schwager immer in freundlichem Vernehmen, und in den Kindern, welche die Tante fast so sehr liebten, und weit mehr achteten, als ihre Mutter, fand sie Gegenstände der Theilnahme, der Unterhaltung und heilsamen Beschäftigung.

Karl Musgrove war höflich und angenehm, und hatte ohne Frage mehr Verstand und eine bessere Gemüthstimmung, als seine Frau, aber doch nicht so viel Geist, nicht so viel ausgezeichnete Gaben zur Unterhaltung, nicht so viel Annehmlichkeiten, daß der Gedanke an ihr früheres Verhältniß zu ihm für Anna im Mindesten hätte gefährlich werden können, wiewohl sie allerdings mit Frau Russel glauben konnte, daß eine gleichere Verbindung ihn sehr veredelt, und eine Frau von wahrem Verstande seiner Gemüthsart mehr Selbständigkeit, und seinen Gewohnheiten und Beschäftigungen mehr Nützlichkeit, Vernünftigkeit und Annehmlichkeit gegeben haben würde. Er trieb nichts mit viel Eifer, als die Jagd und ähnliche Vergnügungen, und vertändelte sonst seine Zeit, ohne mit Büchern, oder auf andere Weise, sich nützlich zu unterhalten. Er hatte ein sehr aufgeräumtes Gemüth, das der Trübsinn, dem seine Frau sich zuweilen hingab, wenig anzugreifen schien; er zeigte bei ihrem unverständigen Benehmen zuweilen eine Geduld, die Anna bewunderte, und im Ganzen konnten Beide für ein glückliches Paar gelten, wenn es auch sehr oft eine kleine Zwistigkeit gab, woran die Schwester, von beiden Parteien zur Schiedsrichterinn berufen, mehr Antheil nehmen mußte, als ihr lieb war. Beide waren immer darin einstimmig, daß sie mehr Geld brauchten und gern ein hübsches Geschenk von seinem Vater annahmen; aber auch in diesem Punkte, wie in den meisten Fällen, zeigte er seine Ueberlegenheit, und wenn Marie es für schändlich hielt, daß kein Geschenk kam, so erwiederte er immer, sein Vater hätte noch zu andern Dingen Geld nöthig, und ein Recht, es auszugeben, wie es ihm beliebte.

Bei der Erziehung der Kinder hatte er richtigere Ansichten, als seine Frau, und in der Ausübung machte er es nicht so schlimm, als sie. »Ich würde sie sehr gut leiten können, wenn sich Marie nicht darein mengte,« hörte Anna ihn oft sagen, und glaubte auch, daß er nicht ganz unrecht hatte. Hörte sie aber dagegen Mariens Vorwurf: »Mein Mann verhätschelt die Kinder so sehr, daß ich sie nicht in Ordnung halten kann,« so kam sie nie in die mindeste Versuchung zu sagen: Sehr wahr!

Einer der unangenehmsten Umstände bei ihrem Aufenthalte in Uppercroß war das zu große Vertrauen, womit alle Parteien sie behandelten und sie zu sehr in das Geheimniß der Beschwerden beider Häuser zogen. Man wußte, daß sie etwas über ihre Schwester vermochte, und immer mußte sie die Bitte, oder wenigstens den Wink hören, ihren Einfluß weiter, als thunlich war, auszuüben. »Ich wollte, Sie könnten Marie dahin bringen sich nicht immer für krank zu halten,« bat der junge Mann, und in trübsinnigen Augenblicken sprach Marie: »Ich glaube, wenn mein Mann mich sterben sähe, er dächte, es hätte nichts mit mir zu bedeuten. Gewiß, liebe Anna, wenn Du wolltest, so könntest Du ihn wohl überzeugen, daß ich wirklich sehr krank bin, und viel schlimmer, als ich's je sage.«

Marie äußerte: »Ich schicke die Kinder nicht gern in's große Haus, wenn auch die Großmutter sie immer sehen will; sie läßt ihnen zu viel Willen, verzärtelt sie, und gibt ihnen so viel Zuckerwerk, daß sie immer für den ganzen Tag krank und verdrüßlich sind, wenn sie wieder kommen.« Frau Musgrove, die Großmutter, aber sagte bei der ersten Gelegenheit, wo sie mit Anna allein war: »O Fräulein Anna, wenn doch meine Schwiegertochter ein bischen von der Art hätte, wie Sie mit den Kindern umgehen! Sie sind ganz anders bei Ihnen. Aber freilich im Ganzen sind sie verzogen. Es ist Jammerschade, daß Sie ihre Schwester nicht dahin bringen können, die Kinder gut zu leiten. Es sind so hübsche, gesunde Kinder, als man nur sehen kann, das muß man sagen, aber meine Schwiegertochter weiß sie nicht zu behandeln. Wie lästig sie oft sind! Glauben Sie mir, liebe Anna, bloß darum mag ich sie nicht so oft hier haben, als ich sonst wohl wollte. Meiner Schwiegertochter mag es freilich nicht ganz gefallen, daß ich die Kinder nicht öfter einlade; aber Sie wissen ja, wie unangenehm es ist, Kinder um sich zu haben, welchen man immer sagen muß: ›Thut dieß nicht und thut jenes nicht‹ oder die man nicht anders in Ordnung halten kann, als wenn man ihnen mehr Kuchen gibt, als ihnen gut ist.«

Zu einer andern Zeit klagte Marie, daß. ihre Schwiegermutter ihr oft nicht den gebührenden Vorrang gebe, wenn man sie mit andern Gästen zum Essen geladen hätte. Als aber Anna eines Tages allein mit Henriette und Luise spazieren ging, sprach Eine von ihnen, nach einem langen Gespräche über Rangsucht: »Ich trage kein Bedenken, gegen Sie zu äußern, daß manche Menschen recht widersinnig über ihren Rang denken, weil Jedermann weiß, wie nachgiebig und gleichgiltig Sie dagegen sind. Wenn doch nur Jemand meiner Schwägerinn einen Wink geben wollte, daß es weit besser sein würde, wenn sie nicht so hartnäckig darauf hielte, besonders wenn sie nicht immer sich vordrängen wollte, um den Rang vor meiner Mutter zu haben. Niemand bestreitet's ja, daß sie vor meiner Mutter den Rang hat, aber es würde schicklicher sein, wenn sie nicht immer darauf bestände. Meine Mutter kümmert es freilich nicht im Mindesten, aber ich weiß, vielen Personen ist es aufgefallen.«

Wie hätte Anna allen diesen Dingen abhelfen können! Sie konnte nicht viel mehr thun, als geduldig zuhören, jede Beschwerde mildern, und den Einen bei dem Andern entschuldigen; Allen aber Winke geben, die zwischen so nahen Nachbarn nöthige Nachsicht zu üben, und am Deutlichsten diejenigen Winke auszusprechen, die auf das Wohl ihrer Schwester berechnet waren.

In jeder andern Hinsicht ging es mit ihrem Besuche sehr gut. Die Veränderung des Aufenthalts und der Umgebungen erheiterte ihre Stimmung: Mariens Leiden minderten sich, als sie immer Gesellschaft hatte, und der tägliche Verkehr der beiden Schwestern mit der Familie im großen Hause war auch ein Vortheil, da weder eine höhere Zuneigung, oder eine vertrautere Freundschaft, noch auch ein häusliches Geschäft dadurch gestört wurde. Dieser freundschaftliche Umgang wurde freilich so weit als möglich ausgedehnt, da sie sich jeden Morgen sahen und selten einen Abend getrennt waren; aber Anna meinte, man würde sich nicht so angenehm unterhalten haben, wenn man nicht immer das geehrte Aelternpaar auf dem gewöhnlichen Platze gesehen, und nicht an den Gesprächen, der Munterkeit und dem Gesange der Töchter sich erfreut hätte.

Anna spielte viel besser, als die beiden Fräulein Musgrove, aber da sie keine Stimme hatte, die Harfe nicht spielte, und zärtliche Aeltern ihr nie zuhörten und sich für vergnügt hielten, so achtete man wenig auf ihre Leistungen, als bloß aus Höflichkeit, oder wenn sie die Andern unterhalten sollte. Sie wußte wohl, dass sie nur sich selber Vergnügen machte, wenn sie spielte; aber dieß war keine neue Empfindung, und eine kurze Zeit ihres Lebens ausgenommen, hatte sie nie, seit ihrem vierzehnten Jahre, nie seit dem Tode ihrer geliebten Mutter, das Glück gekannt, daß man ihr zuhörte, oder durch gerechte Würdigung, oder wahren Geschmack, sie aufmunterte. In der Musik war sie immer gewohnt gewesen, für sich allein zu fühlen, und wenn sie bemerkte, wie parteilich Herr Musgrove und seine Gemahlinn gegen die Leistungen ihrer Töchter, wie gleichgiltig aber gegen die Kunstfertigkeiten aller Andern waren, so freute sie sich darüber mehr um der beiden Mädchen willen, als sie die Demüthigung fühlte, die für sie darin lag.

Die Gesellschaft im großen Hause erhielt zuweilen Zuwachs. Die Nachbarschaft war nicht zahlreich, aber die Familie Musgrove wurde von Allen besucht, und war häufiger von geladenen, oder ungeladenen Gästen umgeben, als jede andere, und keine andre war so beliebt.

Die Mädchen waren ganz auf's Tanzen versessen, und die Abendgesellschaften endigten oft mit einem unvorbereiteten kleinen Ball. In der Nachbarschaft wohnte eine verwandte Familie, die nicht sehr wohlhabend war, und alle ihre Unterhaltungen nur von den Vettern und Basen in Uppercroß erwarten konnte. Sie kamen zu jeder Zeit, halfen bei jedem Spiele, oder tanzten überall, und Anna, die lieber am Pianoforte saß, als thätigern Antheil an der Unterhaltung nahm, spielte ihnen Stundenlang Tänze; eine Gefälligkeit, welche ihre Kunstfertigkeit immer der Aufmerksamkeit des Herrn und der Frau Musgrove mehr, als sonst etwas empfahl. »Recht gut, Fräulein Anna!« hieß es dann; »in der That sehr hübsch! Wie die lieben Fingerchen fliegen!«

So vergingen die drei ersten Wochen. Das Ende des Septembers kam, und nun mußte Anna's Herz wieder in Kellynch sein. Eine geliebte Heimath sollte an Andre übergehen; alle die schönen Zimmer und Geräthe, Wäldchen und Aussichten, sollten andern Augen gehören, sollten Andern Bequemlichkeit geben! Anna konnte kaum an sonst Etwas denken, als an den 29sten September, und auch in ihrer Schwester ward am Abend dieses Tages eine theilnehmende Regung erweckt, als sie den Monatstag aufzeichnen mußte. »Ach Himmel!« rief sie, »heute kommt ja der Admiral nach Kellynch! Es ist mir lieb, daß ich nicht eher daran gedacht habe. Wie traurig mich das macht!«

Der Admiral nahm mit seemännischer Munterkeit Besitz, und mußte nun besucht werden. Marie meinte, es wäre nicht zu sagen, was sie dabei leiden müßte, und sie wollte es aufschieben, so lange sie nur immer könnte; aber sie hatte keine Ruhe, bis sie ihren Mann bewogen hatte, an einem der nächsten Tage mit ihr hinüber zu fahren, und war bei ihrer Rückkehr in einem sehr belebten und behaglichen Zustande eingebildeter Rührung. Anna war herzlich froh gewesen, daß sie nicht hatte mitgeben können, wünschte jedoch den Admiral und seine Gemahlinn kennen zu lernen, und freute sich, daß sie zu Hause war, als der Besuch erwiedert wurde. Karl Musgrove war. ausgegangen, aber die beiden Schwestern beisammen. Während der Admiral bei Marien saß, der er sich durch seine gutmüthige Aufmerksamkeit auf ihre Kleinen sehr empfahl, unterhielt sich Frau Croft mit Anna, die Gelegenheit genug hatte, nach einer Aehnlichkeit zu spähen, und als sie dieselbe nicht in den Zügen fand, in der Stimme, oder in Gesinnungen und Ausdruck sie zu suchen.

Frau Croft war weder groß, noch wohlbeleibt, zeigte aber so viel Rüstigkeit und frische Lebenskraft in ihrer Gestalt, daß sie sich stattlich genug ausnahm. Sie hatte feurige schwarze Augen, und angenehme Züge, wiewohl ihre etwas gebräunte Gesichtsfarbe, die Folge ihres vieljährigen Seelebens in ihres Mannes Gesellschaft, ihr ein ältlicheres Ansehen gab, als ihre acht und dreißig Jahre sonst gezeigt haben würden.

Ihr Benehmen war offen, leicht, zuversichtlich, Selbstvertrauen und Entschiedenheit verkündend; aber ohne daß sich dabei Unfeinheit, oder Mangel an freundlicher Laune verrathen hätte. Anna freute sich über die Achtung, welche Frau Croft ihr bewies, und gegen alles zeigte, was mit Kellynch in Verbindung stand, zumahl da sie sich gleich in dem ersten Augenblicke überredete, daß Frau Croft nicht das geringste Zeichen einer Bekanntschaft mit frühern Verhältnissen, oder eines Verdachtes verrieth. Sie war über diesen Punkt ganz ruhig und daher voll Stärke und Muth, bis endlich Frau Croft sie plötzlich durch die Frage erschütterte: »Nicht mit ihrer Schwester, sondern mit Ihnen hatte mein Bruder das Vergnügen bekannt zu sein, als er sich in dieser Gegend aufhielt?«

Anna hoffte, sie hätte das Alter des Erröthens überlebt; aber gewiß war sie nicht über das Alter der Gemüthsbewegung hinaus.

»Sie haben vielleicht nicht gehört, daß er jetzt verheirathet ist,« setzte Frau Croft hinzu.

Anna konnte jetzt antworten, wie sich's ziemte, und als Frau Croft durch ihre nächsten Worte verrieth, daß sie von dem Pfarrer sprach, war unsere Freundinn froh, nichts gesagt zu haben, was nicht auf beide Brüder gepaßt hätte. Sie fühlte alsbald, wie natürlich es war, daß Frau Croft an den ältern Bruder, und nicht an Friedrich dachte; und ihrer Vergeßlichkeit sich schämend, hörte sie nun mit Theilnahme, was sie von ihres ehemaligen Nachbars jetziger Lage erfuhr.

Sonst ging alles ruhig ab, bis im Augenblicke des Abschiedes der Admiral zu Marien sagte: »Wir erwarten bald einen Bruder meiner Frau, den sie wohl dem Nahmen nach kennen werden.«

Die beiden Knaben fielen ihm in die Rede, indem sie sich, als ob er ein alter Bekannter gewesen wäre, an ihn drängten, und ihn nicht fortlassen wollten. Er selber aber vergaß über der Drohung, sie in seiner Rocktasche mitnehmen zu wollen und andern ähnlichen Scherzen, was er vorher gesagt hatte, und Anna suchte sich so gut, als sie konnte, zu überreden, dass immer von demselben Bruder die Rede wäre. Sie konnte jedoch nicht zu solcher Gewißheit kommen, daß sie nicht den lebhaften Wunsch gehegt hätte, zu erfahren, ob im andern Hause, wo der Admiral vorher gewesen war, irgend etwas über denselben Gegenstand wäre gesagt worden.

Herr Musgrove wollte mit Frau und Töchtern den Abend bei dem jungen Paare zubringen, und als man schon den Wagen zu hören erwartete, kam das jüngste Fräulein herein. Der erste arge Gedanke war, Luise wäre gekommen, den Besuch abzusagen, und Marie wollte es schon übel nehmen, als das Fräulein alles gut machte durch die Aeußerung, sie wäre zu Fuße gekommen, um für die Harfe Platz zu lassen, die man im Wagen mitbringen wollte.

»Ich will Euch auch sagen, warum,« fuhr sie fort. »Der Vater und die Mutter waren heute Abend sehr niedergeschlagen, besonders die Mutter; sie denkt so viel an den armen Richard. Wir meinten Alle, es wäre besser, wir nähmen die Harfe mit, die scheint ihr mehr Vergnügen zu machen, als das Pianoforte. Ich will Euch sagen, warum sie so niedergeschlagen ist. Als der Admiral und seine Frau heute früh da waren – sie waren nachher erst hier, nicht wahr? – sagten sie, daß ihr Bruder, Kapitän Wentworth. eben nach England zurück gekehrt ist, und in Kurzem bei ihnen sein wird. Zum Unglück fiel's der Mutter ein, der arme Richard hätte einmahl einen Kapitän gehabt, der Wentworth, oder so, geheißen, ich weiß nicht wann oder wo, aber lange vorher, ehe er starb, der arme Junge. Sie sah in seinen Briefen nach, und es war wirklich so; es muß derselbe Mann sein; und davon hat sie nun den Kopf voll, und vom armen Richard. Wir müssen Alle so fröhlich sein, als wir nur können, daß wir ihr die finstern Gedanken vertreiben.«

Die nähern Umstände von diesem rührenden Abschnitte der Hausgeschichte waren, daß die Familie Musgrove so unglücklich gewesen war, einen verwahrloseten Sohn zu haben, und so glücklich, ihn vor seinem zwanzigsten Jahre zu verlieren; daß man ihn auf die See geschickt hatte, weil er auf dem Lande dumm und unlenksam war; daß sich seine Angehörigen nie viel, wiewohl gerade so viel, als er verdiente, um ihn bekümmert, selten etwas von ihm gehört und ihn kaum beklagt hatten, als vor zwei Jahren die Nachricht von seinem Tode im Auslande nach Uppercroß gekommen war.

Seine Schwestern thaten jetzt zwar alles Mögliche für ihn, als sie ihn den armen Richard nannten, aber im Grunde war er nie viel mehr, als ein einfältiger gefühlloser Taugenichts. Er war mehre Jahre auf der See gewesen, und hatte bei den steten Versetzungen, welche die See-Kadetten, besonders solche, die jeder Kapitain gern los sein will, auch ein halbes Jahr lang auf Wentworth's Fregatte Laconia gedient, und von diesem Schiffe, auf Veranlassung seines Obern, die beiden einzigen Briefe geschrieben, die seine Aeltern während seiner ganzen Abwesenheit je von ihm erhielten, das heißt die beiden einzigen uneigennützigen Briefe, da alle übrigen nichts als Geldbitten gewesen waren. In jedem Briefe sprach er gut von seinem Kapitain; aber die Aeltern waren so wenig gewohnt, auf solche Dinge zu achten, sie merkten so wenig auf Nahmen von Leuten und Schiffen, daß der Umstand zu jener Zeit kaum Eindruck machte und es mochte eine von den zuweilen vorkommenden, plötzlichen Erweckungen des Gemüthes sein, daß sich Frau Musgrove eben an jenem Tage des Nahmens Wentworth erinnerte.

Als sie jene Briefe so lange nach dem Tode ihres armen Sohnes wiederlas, wo die Zeit die Erinnerung an seine Fehler geschwächt hatte, wurde sie lebhaft ergriffen, und grämte sich mehr um ihn, als bei der ersten Nachricht von seinem Tode. Ihr Mann war gleichfalls, wiewohl weniger, bewegt, und als sie zu den jungen Leuten kamen, verrieth es sich deutlich, daß sie zuerst wünschten, noch einmahl über diesen Gegenstand zu sprechen, und dann, die Linderung zu erhalten, die eine fröhliche Gesellschaft geben konnte.

Es war eine neue Prüfung für Anna's Gefühle, als sie so viel von Wentworth sprechen hörte, als man seinen Nahmen so oft wiederholte, und nach einigen Zweifeln es endlich für gewiß annahm, daß es derselbe Kapitain Wentworth sein müßte, den man ein Paarmahl gesehen zu haben sich erinnerte, etwa vor sieben, oder acht Jahren, ein sehr schöner junger Mann. Anna fühlte, daß sie sich daran gewöhnen, und, da man ihn erwartete, sich dagegen abhärten lernen müßte. Die Familie Musgrove war sehr dankbar für die Güte, die er dem armen Richard bewiesen hatte, und hegte gegen den Mann, den selbst der arme Richard einen hübschen, nur zu schulmeisterlichen Mann nannte, so viel Achtung, daß. man ihm gleich nach seiner Ankunft einen Besuch machen wollte. Dieser Entschluß trug denn auch nicht wenig bei, die Leute wieder in eine ruhige Stimmung zu setzen.



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