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VIII.

Wentworth und Anna waren seitdem mehrmahl zusammen in Gesellschaft. Beide speisten bald bei Herrn Musgrove, da Anna nicht länger in dem Zustande des Knaben einen Vorwand finden konnte, sich zurück zu ziehen, und bald folgten andre Gelegenheiten, sich in Gesellschaft zu sehen.

Ob ehemalige Gefühle erneuert werden mußten, ließ sich noch nicht entscheiden; an ehemalige Zeiten aber mußten Beide sich erinnern. Beide wurden unvermeidlich darauf zurück geführt; das Jahr ihres zärtlichen Verständnisses mußte in den kleinen Erzählungen, oder Beschreibungen, worauf das Gespräch leitete, nothwendig von ihm erwähnt werden. Hindeutungen, wie: »es war im Jahre 1800,« oder: »dieß geschah im Jahr vorher, ehe ich zur See ging« kamen gleich an dem ersten Abende vor, den Beide mit einander zubrachten, und obgleich seine Stimme sich nicht verwandelte, und Anna keinen Grund hatte, zu glauben, daß kein Auge bei diesen Aeußerungen sich zu ihr verirret hätte, so fühlte sie doch, daß er, wie sie sein Gemüth kannte, so wenig, als sie selber, von solchen Erinnerungen frei sein konnte. Auch in seiner Seele mußten sich dieselben Gedanken verketten, wiewohl sie keineswegs glaubte, daß er so viel Schmerz dabei empfunden hätte, als sie.

Beide kamen nie anders in eine Unterredung, als wo es die gemeinste Höflichkeit foderte. Sie – einst einander so Viel, waren sich jetzt nichts! Es war eine Zeit, wo Beide, selbst in der zahlreichsten Gesellschaft, es sehr schwer gefunden haben würden, wenn sie hätten aufhören sollen, sich mit einander zu unterhalten. Nur allein vielleicht mit Ausnahme de Admirals und seiner Frau, die bei inniger Zuneigung glücklich zu sein schienen, konnte es nicht zwei so offene Herzen, zwei durch gleiche Neigungen so fest verbundene Seelen, so gleich gestimmte Gefühle gegeben haben. Jetzt sind sie sich fremd, ja schlimmer noch als fremd, da sie nie mit einander bekannt werden können. Eine ewige Entfremdung!

Wenn er sprach, hörte sie dieselbe Stimme und erkannte dasselbe Gemüth. Alle Anwesenden waren im Seewesen sehr unwissend, und alle, zumahl die beiden Fräulein Musgrove, thaten häufige Fragen über die Lebensweise, die Tagesordnung, die Nahrung, die Zeiteintheilung auf dem Schiffe. Die Ueberraschung, welche sie bei seiner Erzählung von der, auch an Bord möglichen bequemen Einrichtung verriethen, entlockte ihm einige Scherze, wobei Anna sich an jene Zeit erinnerte, wo auch sie unwissend gewesen war, und auch sie beschuldigt wurde, sie wäre in der Meinung gestanden, daß man an Bord nichts zu essen, keinen Koch, keinen Aufwärter, nicht einmahl Messer und Gabeln hätte.

Als sie so zuhörte und ihren Gedanken nachhing, ward sie durch die leise Stimme der Frau Musgrove aufgestört, welche, von zärtlichen Erinnerungen bewegt, in die Worte ausbrach: »O liebe Anna, wenn's Gott gefallen hätte, meinen armen Sohn zu erhalten, so dürfte ich wohl glauben, er wäre nun auch so ein Mann.«

Anna unterdrückte ein Lächeln, hörte gütig zu, als Frau Musgrove ihr Herz noch mehr erleichterte, und konnte daher einige Minuten lang der Unterredung der Uebrigen nicht folgen. Endlich war ihre Aufmerksamkeit wieder ungehindert, und sie sah, daß die beiden Fräulein eben das Verzeichniß der Seemacht suchten, und sich dann niedersetzten, um alle die Schiffe zu finden, die Wentworth befehligt hatte. »Ihr erstes Schiff war die Natter, nicht wahr?«

»Die werden Sie hier nicht finden, »sprach er. »Ein morsches Ding, kaum zum Dienste brauchbar. Es sollte zum Gebrauche im Lande noch ein Paar Jahre taugen, und ich mußte damit nach Westindien.«

Die Mädchen sahen ihn erstaunt an.

»Die Admiralität macht sich zuweilen den Spaß,« fuhr er fort, »ein Paar hundert Mann in einem unbrauchbaren Schiffe in die See zu schicken. Man hat für so viele zu sorgen, und unter den Tausenden, an deren Untergange nichts liegt, kann man unmöglich die Leute ausscheiden, die am wenigsten zu missen sind.«

»Was für Zeug das junge Volk schwatzt!« rief der Admiral. »Nie gab's eine bessere Schaluppe, als die Natter zu ihrer Zeit. Für eine Schaluppe von alter Bauart hatte sie ihres Gleichen nicht. Die zu bekommen, das war ein Glück. Er weiß es sehr gut, zwanzig Bessere als er bewarben sich zu gleicher Zeit darum. Ei wohl ein Glück, so etwas davon zu tragen, wenn man so wenig Unterstützung hatte als er zu jener Zeit.«

»Ich fühlte gewiß auch mein Glück, lieber Admiral,« erwiederte Wentworth ernst. »Ich war sehr zufrieden über meine Anstellung. Es war gerade zu jener Zeit wichtig für mich, auf die See zu gehen, sehr wichtig. Ich fühlte, daß ich etwas zu thun haben mußte.«

»Freilich war's so,« erwiederte der Admiral. »Was sollte ein junger Kerl wie Sie ein halbes Jahr lang auf dem Lande thun? Wer kein Weib hat, der will gern bald wieder an Bord sein.«

»Aber, Herr Capitain,« sprach Luise, »wie ärgerlich mußte es Ihnen sein, als Sie sahen, was die Natter für ein altes Ding war.«

Ich wußte es schon vorher, was sie war,« antwortete er lächelnd. »Ich hatte keine Entdeckungen mehr zu machen, so wenig als Sie über einen alten Pelz, der einem halben Dutzend Freundinnen geliehen wurde, bis er endlich an einem naßkalten Tage auch an Sie kam. O es war mir eine liebe alte Natter! Sie gab mir alles, was ich brauchte. Ich wußte das. Ich wußte, daß ich entweder mit ihr untergehen mußte, oder daß ich glücklich mit ihr sein würde. Ich hatte nie zwei Tage hindurch unklar Wetter, so lange ich mit ihr in der See war und als ich Kaper genug genommen hatte, war ich so glücklich, auf dem Heimwege im nächsten Herbste gerade auf die französische Fregatte zu stoßen, die ich brauchte. Ich brachte sie nach Plymouth auf, wo sich das Glück mir wieder günstig zeigte; denn nicht sechs Stunden waren wir im Sunde, als ein Sturm kam, der vier Tage und Nächte währte, worin meine arme alte Natter nicht halb so lange ausgehalten hätte. Vier und zwanzig Stunden später, und es wäre des tapfern Capitain's Wentworth nur in einer kurzen Zeitungnachricht gedacht worden, und Niemand würde um den Seemann, der nur in einer Schaluppe untergegangen wäre, sich viel bekümmert haben.«

Anna mußte ihre Schauder für sich behalten, aber die beiden Fräulein Musgrove durften bei den Aeußerungen ihrer Theilnahme und ihres Entsetzens so offen als aufrichtig sein.

»Und so wird er denn wohl,« sprach Frau Musgrove, die Mutter, leise für sich selber; »mit der Laconia abgesegelt sein, wo er unsern armen Jungen fand. Lieber Karl!« fuhr sie fort, ihren Sohn zu sich winkend: »frage doch den Capitain, wo er zuerst deinen armen Bruder fand. Ich vergesse es immer.«

»In Gibraltar, Mutter, ich weiß es ja. Richard blieb krank in Gibraltar zurück, und sein vorheriger Capitain hatte ihn an Wentworth empfohlen.«

»Aber sage doch nur dem Capitain, er brauche sich nicht zu scheuen, von dem armen Richard vor mir zu sprechen, es würde mir eher Vergnügen machen, wenn ein so guter Freund von ihm spräche.«

Karl, der die wahre Lage der Sachen richtiger vermuthete, antwortete bloß mit Kopfnicken und entfernte sich.

Die Mädchen machten nun Jagd auf die Laconia, und Wentworth konnte sich das Vergnügen nicht versagen, das köstliche Buch selbst in die Hand zu nehmen, und ihnen die Mühe zu ersparen. Er las ihnen vor, was das Buch davon erzählte, und setzte hinzu, auch dieses Schiff gehörte zu seinen besten Freunden. »O das waren frohe Tage, als ich die Laconia hatte! Wie schnell ich da Geld machte! Da machte ich einen herrlichen Kreuzzug mit einem Freunde bei den westlichen Inseln. Du weißt ja Schwester, der arme Harville. Er brauchte das Geld so sehr, mehr als ich. Er hatte eine Frau. Ein herrlicher Kerl! Ich vergesse es nie, wie er sich freute über sein Glück. Er fühlte es so innig, besonders seines Weibes wegen. Ich hätte ihn gern im nächsten Sommer bei mir gehabt, als ich eben so glücklich im mittelländischen Meere war.«

»Und es war gewiß ein glücklicher Tag für uns, Herr Capitain, als Sie jenes Schiff erhielten,« sprach Frau Musgrove. »Wir werden nie vergessen, was Sie gethan haben.«

Sie sprach, von ihrem Gefühle bewegt, nur leise, und Wentworth, der nicht alles verstand, und an Richard Musgrove sich wahrscheinlich gar nicht erinnerte, schien zweifelnd eine weitere Mittheilung zu erwarten.

»Von meinem Bruder,« sprach eines der beiden Fräulein, »von dem armen Richard spricht meine Mutter.«

»Der arme liebe Junge,« fuhr die Mutter fort. »Er war so gesetzt geworden und schrieb so treffliche Briefe, als er unter ihrer Aufsicht stand, Herr Capitain. O wie glücklich wäre es gewesen, wenn er Sie nie verlassen hätte! Gewiß, Herr Capitain, es thut uns sehr leid, daß er nicht bei Ihnen geblieben ist.«

Es zeigte sich bei diesen Worten auf einen Augenblick ein gewisser Ausdruck in Wentworth's Gesichte, ein gewisser Blick in seinem glänzenden Auge und ein Zug um seinen schönen Mund, woraus Anna erkannte, daß er, statt die freundlichen Wünsche der Mutter für ihren Sohn zu theilen, wahrscheinlich einige unangenehme Mühe gehabt hatte, ihn los zu werden. Zu flüchtig war jedoch die Regung seiner Selbstzufriedenheit, als daß irgend Jemand dieselbe hätte bemerken können, der ihn nicht so genau kannte, als Anna; im nächsten Augenblicke war er wieder ganz gefaßt und ernsthaft, und kam gleich darauf zu dem Sofa, wo sie mit Frau Musgrove saß. Er setzte sich neben die Hausfrau, und sprach mit ihr leise über ihren Sohn, wobei er eine Theilnahme und natürliche Unbefangenheit zeigte, welche alles, was in den Gefühlen der Mutter wahr und verständig war, freundlich beachtete.

Anna war ihm so nahe! Nur Frau Musgrove saß zwischen ihnen, die aber freilich keine unbedeutende Verschanzung abgab. Sie war von ganz ansehnlichem Umfange, und von der Natur mehr dazu geschaffen, Fröhlichkeit und gute Laune auszudrücken, als Zärtlichkeit und Gefühl, und da die Bewegung, welche sich in Anna's zarter Gestalt und schwermüthigen Zügen verrieth, vollkommen verborgen war, so konnte Wentworth allerdings mit großer Selbstbeherrschung die derben Seufzer der Mutter über das Schicksal eines Sohnes hören, den im Leben Niemand beachtet hatte.

Der Admiral, der mit den Händen auf dem Rücken ein Paarmahl auf und nieder gegangen war, wurde von seiner Frau zur Ordnung gerufen, und kam zu seinem Schwager. Ohne zu erwägen, ob er eine Unterredung störte, setzte er nur seine Gedanken fort, als er anhob: »Wären Sie im vorigen Frühjahr nur eine Woche später in Lissabon gewesen, lieber Friedrich, so hätten Sie Frau Grierson mit ihren Töchtern nach England bringen können.«

»Wirklich? Nun, dann ist's mir lieb, daß ich nicht eine Woche später kam.«

Der Admiral schalt ihn wegen seiner Unfeinheit gegen die Frauen. Er vertheidigte sich, wiewohl er gestand, daß er nie mit seinem Willen Frauen in sein Schiff aufnehmen möchte, es wäre denn zu einem Balle oder einem Besuche auf ein Paar Stunden. »Aber, wenn ich mich recht kenne,« setzte er hinzu, »thue ich's keineswegs aus Mangel an Artigkeit gegen die Frauen. Es ist blos, weil ich fühle, wie unmöglich es bei aller. Bemühung und allen Aufopferungen ist, es den Frauen an Bord so bequem zu machen, als sie es haben müssen. Es kann nicht Mangel an Artigkeit sein, lieber Admiral, wenn man den Frauen hohe Ansprüche auf jede Annehmlichkeit des Lebens einräumt, und das ist es ja, was ich thue. Es ist mir zuwider, wenn ich von Frauen an Bord höre, oder sie da sehe, und nie soll ein Schiff unter meinem Befehl Frauen irgend wohin bringen, wenn ich's ändern kann.«

»Friedrich!« fiel seine Schwester ein, »das kann unmöglich Dein Ernst sein. Uebertriebene Verzärtelung! Weiber können es so bequem an Bord haben, als in dem beßten Hause in England. Ich habe wohl so viel auf der See gelebt, als irgend eine Frau, und ich wüßte nicht, wo sich's angenehmer lebte, als auf einem Kriegschiffe. Ich sage es offen, nie habe ich eine Bequemlichkeit oder Annehmlichkeit genossen, selbst nicht in Kellynch-Hall,« (setzte sie mit freundlicher Verbeugung gegen Anna hinzu) »die ich nicht auch auf den meisten Schiffen gefunden hätte, worauf ich gelebt habe, und. es sind ihrer doch fünf.«

»Das gehört gar nicht hierher,« erwiederte Wentworth. »Du warest bei Deinem Mann; und die einzige Frau an Bord.«

Aber Du selber hast ja Frau Harville, ihre Schwester, ihre Nichte und drei Kinder von Portsmouth nach Plymouth gebracht. Wo war denn da deine überfeine Artigkeit?«

»Ganz in meiner Freundschaft untergegangen, Sophie. Ich würde der Frau jedes Waffenbruders beistehen, so viel ich könnte, und Harville's Angehörigen brächte ich gern von einem Ende der Welt zum andern, wenn sein müßte; aber glaube darum nicht, daß ich's weniger für ein Uebel hielte.«

»Glaube mir, sie hatten es alle ganz bequem.«

»Nun, darum gefallen sie mir nun eben nicht mehr. So viele Weiber und Kinder haben gar kein Recht, es an Bord bequem zu haben.«

»Lieber Friedrich, was das für tolles Geschwätz ist. Was würde aus uns armen Seemannsfrauen werden, die wir oft aus einem Hafen in den andern nach unsern Männern reisen müssen, wenn Jedermann fühlte wie Du.«

»Meine Gefühle hielten mich ja nicht ab, Frau Harville mit allen Ihrigen nach Plymouth zu bringen.«

»Aber ich kann's nicht ausstehen, daß Du wie ein Zierling sprichst, und als ob alle Weiber Zierpuppen, nicht aber vernünftige Wesen wären. Niemand von uns erwartet, immer in stillem Fahrwasser zu bleiben.«

»O liebes Kind!« sprach der Admiral, »wenn er erst eine Frau hat, wird er schon aus einem andern Tone pfeifen. Ist er verheirathet, und sind wir so glücklich, wieder einen Krieg zu erleben, so macht er's gewiß wie wir beide, und wie viele Andere es gemacht haben. Er wird sehr dankbar gegen Jedermann sein, der ihm seine Frau bringt.«

»O ja ich denke es auch,« antwortete sie.

»Nun hör' ich auf,« sprach Wentworth, »wenn Eheleute mich angreifen mit ihrem: ›O er wird ganz anders denken, wenn er nur erst verheirathet ist!‹ Ich kann bloß sagen: ›Nein, ich werde es nicht,‹ und wenn es dann wieder heißt: ›Ja, Du wirst es doch‹ – so ist der Streit am Ende.«

Mit diesen Worten entfernte er sich.

»Welche weite Reisen müssen Sie gemacht haben!« sprach Frau Musgrove zu Frau Croft.

»Ziemlich weite, in den funfzehn Jahren meiner Ehe, und doch sind viele Frauen noch weiter gekommen. Ich bin viermahl über das atlantische Meer gefahren, einmahl in Ostindien gewesen, und in verschiedenen nähern Seeplätzen, Cork, Lissabon, Gibraltar. Nie aber kam ich nach Westindien, denn die Bermudas- oder Bahama-Inseln rechnet man nicht zu Westindien, wie Sie wissen.«

Frau Musgrove hatte nicht ein Wort dagegen einzuwenden, und konnte sich nicht anklagen, daß sie jene Inseln je weder so noch anders genannt hätte.

»Ja, glauben Sie mir,« fuhr Frau Croft fort, »nirgend lebt sich's bequemer als in einem Kriegschiffe; in einem großen, versteht sich. In einer Fregatte ist es freilich ein wenig beschränkt, aber eine vernünftige Frau kann sich auch hier ganz glücklich fühlen, und ich kann wohl sagen, ich habe die glücklichste Zeit meines Lebens auf Schiffen zugebracht. So lange wir beisammen waren, fürchteten wir nichts. Ich bin Gott sei Dank immer sehr gesund gewesen, und überall bekommt mir die Luft. In den ersten vier und zwanzig Stunden immer ein bischen unpäßlich, aber dann von Krankheit nicht mehr die Rede. Die einzige Zeit, wo ich an Körper oder Seele litt, die einzige Zeit, wo ich mich für unwohl hielt, oder Gefahren besorgte, war der Winter, wo ich in Deal blieb, während mein Mann, damahl noch Capitain, in der Nordsee war. Ich lebte in steter Furcht, fühlte alle mögliche Leiden, weil ich nicht wußte, was ich anfangen sollte, oder nichts von ihm hörte; aber so lange wir beisammen waren, fehlte mir nie etwas.«

»O ja, ich bin ganz ihrer Meinung,« erwiederte Frau Musgrove. »Es ist nichts so schlimm, als eine Trennung. Ich weiß, was das ist. Mein Mann wohnt immer der vierteljährigen Gerichtsitzung bei, und ich bin nie froher, als wenn ich ihn gesund wiedersehe.«

Der Abend endigte mit einem Tanze. Als man den Vorschlag dazu that, bot Anna ihre Dienste an, und obgleich sich ihre Augen zuweilen mit Thränen füllten, während sie am Pianoforte saß, so war sie doch sehr froh, auf diese Art beschäftigt zu sein, und wünschte dagegen nichts, als unbeobachtet zu bleiben.

Alle waren fröhlich und Niemand schien aufgeräumter zu sein, als Wentworth. Anna fühlte, daß alles dazu beitrug, seine Stimmung aufzuregen, und nichts mehr als die Aufmerksamkeit der jungen Frauen. Die beiden Fräulein Hayter, von der bereits erwähnten verwandten Familie, waren, wie es schien, gleichfalls eingeladen worden, um die Ehre, sich in ihn zu verlieben, mit den Andern zu theilen. Henriette und Luise schienen beide so ganz mit ihm beschäftigt zu sein, daß man sie für entschiedene Nebenbuhlerinnen gehalten haben würde, wenn sich nicht fortdauernd das freundlichste Einverständniß zwischen ihnen gezeigt hätte. Wer hätte sich wundern können, wenn eine so allgemeine, so lebhafte Bewunderung ihn ein wenig verhätschelt hätte?

Dieß waren die Gedanken, welche Anna's Seele beschäftigten, als ihre Finger über die Tasten flogen, zwar ohne zu fehlen, aber auch ohne daß sie mit ihrer Seele dabei gewesen wäre. Einmal merkte sie, daß er auf sie blickte, vielleicht um ihre veränderten Züge zu bemerken, oder die Ueberreste jener Reize darin aufzufinden, die ihn einst bezaubert hatten – einmahl erfuhr sie, daß er von ihr gesprochen hatte, aber sie ward es kaum gewahr, bis sie aus der Antwort schloß, daß er gefragt hatte, ob Fräulein Elliot nie tanzte. »Nie, nie,« war die Antwort, »sie hat das Tanzen ganz aufgegeben; sie spielt lieber, und wird nie müde dabei.« Einmahl sprach er auch mit ihr. Sie hatte das Pianoforte verlassen, als der Tanz vorbei war, und er setzte sich nieder, und machte den Versuch, die beiden Fräulein Musgrove mit einer Gesangweise bekannt zu machen. Anna ging absichtslos wieder in jene Gegend des Zimmers, und sie erblickend, stand er sogleich auf und sprach mit geflissentlicher Höflichkeit: »Verzeihen Sie, Fräulein, dieß ist Ihr Platz.« Sie zog sich mit einer ausdrücklichen Weigerung zurück, er aber war nicht zu bewegen, sich wieder zu setzen.

Anna wünschte nicht noch mehr solche Blicke und solche Reden. Seine kalte Höflichkeit, sein feierlicher Anstand waren schlimmer als sonst irgend etwas.



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