Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Karl Musgrove und Marie blieben zwar, nach der Aeltern Abreise, weit länger in Lyme, als es nach Annas Meinung nöthig war, aber sie kamen auch zuerst wieder heim, und gleich nach ihrer Rückkehr machten sie einen Besuch bei Frau Russel. Luise war bei der Abreise des jungen Paares im Stande gewesen, außer dem Bette zu sein; sie hatte zwar volles Bewußtsein, aber ihr Kopf war sehr schwach, ihre Nerven waren äußerst empfindlich, und obgleich es im Ganzen gut mit ihr ging, so ließ sich doch unmöglich bestimmen, wann es möglich sein werde, sie nach Hause zu schaffen, und ihre Aeltern, die bald heimkehren mußten, um ihre jüngern Kinder zu den Weihnachtfeiertagen zu empfangen, durften kaum hoffen, daß es ihnen vergönnt sein werde, die Kranke mitzunehmen.

Alle hatten eine Wohnung gemiethet. Frau Musgrove behielt die Kinder der Frau Harville fast immer bei sich; man ließ aus Uppercroß alles herbeischaffen, wodurch der Familie Harville die Last erleichtert werden konnte, und von beiden Seiten zeigte sich ein Wetteifer von Uneigennützigkeit und Gastfreundschaft.

Marie hatte an ihrem alten Uebel gelitten; im Ganzen aber verrieth ihre lange Abwesenheit, daß sie mehr Freude als Leid gehabt hatte. Karl Hayter war häufiger in Lyme gewesen, als es ihr angenehm war. Wenn sie bei der Familie Harville zu Tische waren, wurde nur von einer Dienstmagd aufgewartet, und Frau Harville hatte anfangs der Schwiegermutter den Vorrang gegeben; hinterher aber, als sie erfahren, wessen Tochter Marie wäre, sich so artig entschuldigt, und es war ein so angenehmer Verkehr zwischen der Familie Harville und den Gästen gewesen, und Marie so fleißig mir Büchern versorgt worden, daß man Lyme nur loben konnte. Sie hatte die Umgegend besucht, ein Bad genommen, war in der Kirche gewesen, wo man viele Menschen gesehen hatte, und alles dieß, in Verbindung mit dem Bewußtsein, sich nützlich zu erweisen, hatte den vierzehntägigen Aufenthalt sehr angenehm gemacht.

Anna fragte nach Benwick. Marie wurde finster. Karl lachte.

»O Benwick ist sehr wohl, glaub' ich,« antwortete Marie. »Aber ein sehr wunderlicher junger Mann. Ich weiß nicht, was man aus ihm machen soll. Wir baten ihn, uns auf ein Paar Tage zu besuchen; mein Mann wollte ihn auf die Jagd führen. Benwick schien ganz erfreut darüber zu sein, und ich hielt alles für abgemacht; aber – siehe da, am Dienstage, erst Abends, machte er eine sehr ungeschickte Entschuldigung; wollte nicht schießen können, wollte ganz mißverstanden worden sein, wollte dieß versprochen haben und jenes und das Ende vom Liede war, daß er gar nicht kommen wollte. Ich vermuthe, er glaubte sich zu langweilen, aber ich dachte doch wahrlich, wir wären munter genug in unserm Hause für einen schwermüthigen Mann, als Benwick ist.«

»Aber, liebe Marie,« fiel Karl lachend ein, Du weißt ja doch, wie sich's eigentlich verhielt. Sie sind an Allem Schuld,« fuhr er fort, sich zu Anna wendend. »Er glaubte, sie zu sehen, wenn er uns begleitete, und dachte Alle in Uppercroß beisammen zu finden; als er aber hörte, daß Frau Russel anderthalb Stunden weit von Uppercroß wohnte, hatte er nicht das Herz zu kommen. Das ist das Wahre von der Sache, auf mein Wort! Und Marie weiß es recht gut.«

Marie wollte es nicht gern zugeben, sei es, daß sie Benwick weder durch Herkunft und Stand für berechtigt hielt, in eine Elliot sich zu verlieben, oder daß sie ihre Schwester nicht für eine mächtigere Anziehung halten mochte, als sich selber. Man mag das errathen.

Anna war so dreist, gar nicht zu verhehlen, daß sie sich geschmeichelt fand, und setzte die Erkundigungen fort.

»O er spricht von Ihnen,« hob Karl wieder an, »und in Ausdrücken –«

»Ich muß gestehen, Karl,« fiel Marie ein, »ich habe ihn in der ganzen Zeit nie mehr als zweimahl von Anna sprechen hören. Ich sage Dir, Anna, er spricht gar nicht von Dir.«

»Nun, freilich nicht ausdrücklich,« gab Karl zu; »aber es ist klar, daß er Sie außerordentlich bewundert. Sein Kopf ist voll von gewissen Büchern, die er auf Ihre Empfehlung liest, und möchte gern mit Ihnen darüber sprechen. Er hat in einem von diesen Büchern etwas gefunden, das er – Ja, ich weiß nicht mehr, was es war, aber es war etwas sehr Schönes. Ich hörte, wie er mit Henrietten darüber sprach, und dabei äußerte: er hätte große Hochachtung gegen Fräulein Elliot. Ja, Marie, es war so, aber Du warest eben im andern Zimmer. Anmuth, Lieblichkeit, Schönheit – O es war kein Ende von Anna's Reizen!«

»O gewiß,« sprach Marie lebhaft, »es macht ihm nicht viel Ehre, wenn er es gethan hat. Fräulein Harville ist erst seit sechs Monaten todt. Ein solches Herz ist des Besitzes nicht sonderlich werth – Nicht wahr, liebe Frau Russel? Sie sind gewiß auch dieser Meinung.«

»Ich müßte Capitain Benwick sahen, ehe ich darüber entscheiden könnte,« erwiederte Frau Russel lächelnd.

»Dazu wird wohl bald Rath werden,« versicherte Karl. »Er konnte es freilich nicht über sich gewinnen, mit uns zu gehen, und hinterher wieder aufzubrechen, um hier einen förmlichen Besuch zu machen; aber Sie können sich darauf verlassen, er kommt ehester Tage selbst nach Kellynch. Ich gab ihm die Entfernung und den Weg an; ich sagte ihm, die Kirche wäre sehr sehenswerth; denn er findet Geschmack an solchen Merkwürdigkeiten, und ich glaubte, ihm dadurch eine gute Entschuldigung an die Hand zu geben. Er hörte mit ganzer Seele zu, und ich sah aus seinem Benehmen, daß er die Absicht hatte, sich bald hier sehen zu lassen.«

»Jede Bekanntschaft von Anna wird mir immer willkommen sein;« erwiederte freundlich Frau Russel.

»O er ist wohl eher mein als Annas Bekannter,« sprach Marie. »Ich habe ihn ja in den letzten vierzehn Tagen täglich gesehen.«

»Nun denn, als ihren gemeinschaftlichen Bekannten werde ich Kapitain Benwick hier sehr gern sehen.«

»Sie werden ihn keineswegs sonderlich angenehm finden,« betheuerte Marie. »Er ist einer der schläfrigsten jungen Männer, die man sehen kann. Oft ist er mit mir am Strande von einem Ende zum andern gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Er hat gar nicht viel Lebensart. Ich bin überzeugt, er wird Ihnen nicht gefallen.«

»Ich bin nicht Deiner Meinung, Marie,« sprach Anna. »Ich glaube Frau Russel würde Gefallen an ihm finden. Ich denke, sein Gemüth würde ihr so sehr gefallen, daß sie bald keinen Mangel in seinem Benehmen erblickte.«

»So geht es mir auch,« sprach Karl. »Ich bin gewiß, er würde Frau Russel gefallen. Er ist ganz ein Mann nach ihrem Sinn. Gibt man ihm ein Buch in die Hand, so liest er den ganzen Tag.«

»Ja, das thut er!« rief Marie spöttisch. »Er liegt über seinem Buche, und weiß nicht, daß Jemand mit ihm spricht, oder daß Jemand eine Schere fallen läßt, oder sonst etwas geschieht. Glaubst Du denn, so etwas könnte Frau Russel gefallen?«

Frau Russel mußte lachen »In der That,« sprach sie, »ich hätte nicht gedacht, daß über meine Meinung von Jemandem so verschiedene Vermuthungen statt finden könnten, da ich mich doch als unwandelbar und offen in meinen Ansichten zeige. Ich bin in der That neugierig, einen Mann kennen zu lernen, der zu so ganz entgegen gesetzten Meinungen Anlaß gibt. Ich würde es gern sehen, wenn er mich besuchte. Und wenn er kommt, Marie, sollen Sie erfahren, was ich von ihm halte; aber vorher will; ich kein Urtheil fällen.«

Marie wiederhohlte ihre Behauptung, Frau Russel aber knüpfte eine andre Unterredung an. Darauf erzählte Marie lebhaft, wie man mit dem jungen Elliot so sonderbar zusammen getroffen wäre, oder ihn vielmehr verfehlt hätte.

»Ich wünsche, ihn nicht zu sehen,« sprach Frau Russel. »Es hat einen sehr nachtheiligen Eindruck bei mir zurück gelassen, dass er sich weigerte, auf freundschaftlichem Fuße mit dem Haupte der Familie zu leben.«

Diese Entscheidung hemmte Mariens Eifer.

Anna wagte es nicht, sich nach Wentworth zu erkundigen, aber sie erhielt unverlangt Mittheilungen genug. Er war in der letzten Zeit weit aufgeräumter geworden, als es sich mit Luisen zur Besserung anließ, und nun ein ganz andrer Mann als in der ersten Woche. Er hatte Luisen nicht gesehen, und war so besorgt, eine Zusammenkunft könnte nachtheilige Folgen für sie haben, daß er gar nicht darum bat, und er schien vielmehr die Absicht zu hegen, eine Reise zu machen, und erst nach acht bis zehn Tagen zurück zu kehren, wo sie sich mehr erholt haben würde. Er hatte nach Plymouth reisen und Benwick bewegen wollen, ihn zu begleiten; aber wie Karl behauptete, war Benwick eher geneigt, nach Kellynch zu reiten.

Frau Russel und Anna mußten seitdem oft an Benwick denken. So oft die Klingel gezogen wurde, glaubte Frau Russel, seinen Herold zu hören, und kam Anna von einem einsamen Spaziergange in ihres Vaters Park, oder von einem Besuche bei dürftigen Dorfbewohnern zurück, so war sie immer neugierig, ob sie ihn sehen oder von ihm hören würde. Benwick kam aber nicht. Er war entweder weniger geneigt dazu, als Karl Musgrove sich einbildete, oder zu schüchtern, und als eine Woche vergangen war, hielt ihn Frau Russel der Theilnahme unwerth, die er angefangen hatte, zu erwecken.

Die Familie Musgrove kam zurück, um ihre frohen Kinder, die aus der Kostschule heim kamen, zu empfangen, und brachten Harville's kleine Kinder mit, um den Lärm in Uppercroß zu vermehren und in Lyme zu vermindern. Henriette blieb bei Luisen.

Frau Russel und Anna machten ihren Besuch zu gleicher Zeit, und Anna fand Uppercroß wieder lebendig genug, und obgleich Henriette, Luise, Hayter und Wentworth fehlten, so war doch das Zimmer ganz anders, als in dem Augenblicke, wo sie es zum Letztenmahl gesehen hatte.

Harville's Kinder waren zunächst bei Frau Musgrove, welche eifrig bemüht war, sie gegen die Mißhandlungen ihrer Enkel zu schützen, die man doch hatte hohlen lassen, um den kleinen Gästen Unterhaltung zu machen. Auf der einen Seite stand ein Tisch, woran schwatzende Mädchen saßen, die Seide- und Goldpapier ausschnitten, und ein anderer war mit Fleisch und kalten Pasteten belastet, wo schwelgende Knaben schmausten. Dazu ein prasselndes Weihnachtfeuer im Kamin, das trotz des Lärms der Kinder sich hörbar machen wollte. Karl und Marie erschienen auch, während der Besuch da war. Herr Musgrove, der Vater, erwies Frau Russel viel Aufmerksamkeit, und setzte sich eine Zeitlang neben sie, aber so laut er auch sprach, er konnte vor dem Geschrei der Kinder, die auf seinen Knieen saßen, sich nicht verständlich machen. Es war ein schönes Familienstück.

Anna glaubte, nach ihrer eigenen Stimmung urtheilend, ein solcher häuslicher Sturm könnte unmöglich wohlthätig für Nerven sein, welche Luisens Krankheit so sehr erschüttert haben mußte. Frau Musgrove aber, die Anna an ihre Seite rief, um ihr herzlich für alle, den Ihrigen bewiesene Aufmerksamkeit zu danken, schloß eine kurze Erzählung ihrer Leiden mit der Bemerkung, da nun alles überstanden wäre, würde ihr nichts so wohlthätig sein, als ein bischen ruhige Fröhlichkeit in der Heimath, wobei sie einen zufriedenen Blick umher warf.

Luise erhohlte sich nach und nach. Ihre Mutter hoffte sogar, das Mädchen werde heimkehren können, ehe die jüngern Brüder und Schwestern wieder in die Kostschulen zurück kehrten. Harville und seine Frau hatten versprochen, Luisen nach Uppercroß zu bringen. Wentworth war abgereist, um seinen Bruder in Shropshire zu besuchen.

»Ich werde mich künftig hoffentlich erinnern,« sprach Frau Russel, sobald sie mit Anna im Wagen saß, »in den Weihnachtfeiertagen nicht wieder nach Uppercroß zu gehen.«

Jedermann hat seinen eigenen Geschmack, wie in andern Dingen, so auch was Lärm betrifft, und ob Töne ganz unschädlich oder sehr empfindlich sind, hängt mehr davon ab, von welcher Art, als in welcher Menge sie vorkommen. Nicht lange nachher kam Frau Russel an einem Regentage in Bath an, und ließ keinen Klagelaut hören, während sie bei dem Rollen anderer Wagen, bei dem Rumpeln von Karren und Rollwagen, bei dem Geschrei von Zeitungträgern, Backwerk- und Milchverkäufern, und endlosem Geräusch aller Art, durch die langen Straßen fuhr. Nein, dieser Lärm gehörte ja zu den Wintervergnügungen; ihre Seele wurde dadurch aufgeregt, und wie Frau Musgrove fühlte sie, wenn sie's auch nicht sagte, daß nach einem langen Aufenthalte auf dem Lande, ihr nichts so wohlthätig wäre, als ein bischen ruhige Fröhlichkeit.

Anna theilte diese Gefühle nicht. Sie hegte eine sehr bestimmte, obgleich nicht ausgesprochene Abneigung gegen Bath. Als sie durch die dicke Regenluft die großen Häuser der Stadt erblickte, stieg nichts weniger als der Wunsch in ihr auf, sie besser zu sehen; der Wagen fuhr ihr zu schnell durch die Straßen, so unangenehm ihr der Weg war – denn wer hätte sie freundlich bewillkommt bei ihrer Ankunft! Mit süßer Sehnsucht sah sie zurück auf den Lärm in Uppercroß und die stille Einsamkeit von Kellynch.

Elisabeths letzter Brief hatte eine merkwürdige Nachricht gemeldet. Vetter Elliot war in Bath. Er hatte den Baronet besucht, war zum Zweitenmahl, zum Drittenmahl gekommen, ungemein aufmerksam gewesen, und wenn Elisabeth und ihr Vater nicht im Irrthum waren, hatte er sich nun eben so sehr bemüht, Bekanntschaft zu suchen, und den Werth seiner Verwandtschaft mit ihnen zu rühmen, als er sich früher bestrebt hatte, Gleichgiltigkeit zu zeigen. Dieß war sehr wundersam, wenn es sich so verhielt, und Frau Russel fühlte eine sehr angenehme Neugier und Unruhe über Elliot. Sie fing schon an, die Aeußerung, die sie neulich gegen Marie gethan hatte, er wäre ein Mann, den sie nicht sehen möchte, zu widerrufen; sie wünschte sehr, ihn zu sehen. War es sein ernstliches Bestreben, sich, als ein treuer Verwandter, zu versöhnen, so mußte man es ihm verzeihen, daß er sich vom väterlichen Stamme abgesondert hatte.

Anna wurde durch diesen Umstand nicht eben so aufgeregt; aber sie fühlte, daß sie Elliot lieber wiedersehen, als nicht sehen wollte, was sie von vielen andern Leuten in Bath nicht sagen konnte.



 << zurück weiter >>