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IX.

Wentworth war nach Kellynch gekommen, um zu bleiben, so lange es ihm beliebte, da der Admiral ihn eben so brüderlich liebte, als seine Schwester Sophie. Er hatte anfangs den Vorsatz gehabt, sehr bald nach Shropshire abzureisen, um seinen dort lebenden Bruder zu besuchen, aber die Reize, die ihn nach Uppercroß zogen, waren so stark, daß er diesen Gedanken immer aufschob. Die Aufnahme, welche er hier fand, war so freundlich, so schmeichelhaft, so bezaubernd, die alten Leute waren so gastfrei, die jungen so angenehm, daß er nur den Entschluß fassen konnte, zu bleiben, wo er war, und es einige Zeit länger auf Treu und Glauben anzunehmen, daß seines Bruders Frau reizend und vollkommen war.

Bald verging kein Tag, wo er nicht nach Uppercroß kam. Die Familie Musgrove konnte kaum bereitwilliger sein, ihn einzuladen, als er, zu kommen, zumahl in den Morgenstunden, wo der Admiral mit seiner Frau gewöhnlich das Haus verließ, um seine Felder und seine Schafe zu besuchen, oder in dem neu angeschafften Wagen spaziren zu fahren.

Bis jetzt war unter der Familie Musgrove und ihren Angehörigen nur eine Meinung über Wentworth gewesen. Alle weihten ihm eine warme Bewunderung. Kaum aber hatte sich dieses freundliche Einverständniß gebildet, als ein gewisser Karl Hayter zurückkehrte, der nicht wenig überrascht war, und den Seemann sich sehr im Wege fand.

Karl war der älteste Sohn der bewußten Nachbarfamilie, und ein sehr angenehmer junger Mann, der mit Henrietten, vor Wentworth's Ankunft, in einem sehr freundlichen Verhältnisse zu stehen schien. Er war ein Geistlicher und besaß eine Pfründe in der Umgegend, wo er der eigenen Verwaltung seines Amtes sich überheben durfte, und wohnte im väterlichen Hause, ungefähr eine Stunde von Uppercroß. Während einer kurzen Abwesenheit war seine Schöne von seinen zärtlichen Blicken unbewacht gewesen, und bei seiner Rückkehr fand er nicht ohne Kummer ein sehr verändertes Benehmen.

Frau Musgrove und Karl's Mutter waren Schwestern. Beide waren nicht ohne Vermögen gewesen, aber durch ihre Verheirathung in ganz verschiedene Verhältnisse gekommen. Hayter war in Vergleichung mit Musgrove nicht reich, und während die Familie Musgrove sich zu den angesehensten Bewohnern der Umgegend rechnen durfte, würden die jungen Vettern und Basen bei der abgeschiedenen und unfeinen Lebensweise ihrer Aeltern und ihrer eigenen mangelhaften Erziehung, überhaupt gar kein Ansehn gehabt haben, wenn sie nicht mit der Familie Musgrove in Verbindung gewesen wären; der älteste Sohn ausgenommen, der sehr kenntnißvoll, gebildet und von feinern Sitten war, als alle übrigen.

Die beiden Familien waren immer im beßten Vernehmen gewesen, da auf der einen Seite nicht Stolz, auf der andern nicht Neid war, und die Fräulein Musgrove nur in so fern das Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit zeigten, als sie fühlten, daß es ihnen Freude machte, ihre Basen höher zu heben. Henriettens Aeltern hatten Karls Bewerbungen um das Fräulein gar nicht gemißbilligt. Es wäre freilich, meinte man, für Henriette keine glänzende Heirath, doch nichts dagegen zu sagen, wenn sie ihn nur liebte, und sie schien ihn ja zu lieben.

Henriette glaubte es selber, ehe sie Wentworth gesehen hatte; seitdem aber war Vetter Karl ziemlich vergessen.

Welcher von den beiden Schwestern Wentworth den Verzug gab, war noch ganz zweifelhaft, so weit Anna's Beobachtung ging. Henriette war vielleicht die hübscheste, Luise aber war munterer, und Anna wußte nicht, ob zu dieser Zeit die Angenehmste oder die Munterste ihn mehr anziehen könnte.

Die Aeltern der beiden Fräulein, die entweder wenig beobachteten, oder auf die Besonnenheit ihrer Töchter und aller jungen Männer, die ihnen nahe kamen, ein unbedingtes Vertrauen setzten, schienen alles der Fügung des Zufalles überlassen zu wollen. Im älterlichen Hause schien man nicht im Mindesten um die Mädchen bekümmert zu sein das junge Ehepaar hingegen war mehr dazu gestimmt, allerlei Betrachtungen anzustellen und sich zu verwundern, und kaum war Wentworth fünfmahl mit den beiden Fräulein Musgrove in Gesellschaft gewesen und Karl Hayter eben zurückgekehrt, als Anna anhören mußte, wie ihr Schwager und ihre Schwester erwogen, was am beßten sein würde. Karl war für Luise, Marie für Henriette, beide aber meinten, es würde sehr erfreulich sein, er möchte die Eine oder die Andre nehmen.

Karl wollte nie einen angenehmern Mann gesehen haben, und nach Wentworth's eigener Aeußerung hatte er nicht weniger als zwanzig tausend Pfund im Kriege gewonnen. So war der Grund zum Wohlstande gelegt; in einem künftigen Kriege mußte es auch wohl glücklich gehen, und Karl war überzeugt, daß sich Wentworth so gut auszeichnen werde, als irgend ein anderer See-Offizier. O es war eine herrliche Heirath für die eine, wie für die andre Schwester!

»Ja wahrlich, das wär' es!« erwiederte Marie. »Ei und wenn er vollends zu hohen Ehren käme – wenn er ein Baronet würde! Das wäre ganz herrlich für Henriette. Sie würde dann den Rang vor mir haben, und das möchte ihr wohl gefallen. Aber es wäre freilich nur eine neue Baronetwürde, und ich halte nicht viel von euren neuen Würden.«

Marie mochte lieber Henrietten für die Erwählte halten, weil sie wünschte, daß es mit Hayter's Bewerbungen ein Ende hätte. Sie blickte sehr stolz auf die Familie Hayter herab, und glaubte, es würde unglücklich genug sein, die schon bestehende Verbindung zwischen den beiden Häusern zu erneuern; sehr traurig für sie und für ihre Kinder.

»Du weißt,« sprach sie zu ihrem Manne, »ich kann nicht glauben, daß er für Henriette paßt, und in Betracht der Verbindung, welche Deine Familie geschlossen hat, darf sie sich nicht so wegwerfen. Ich glaube nicht, daß einem jungen Mädchen das Reche zusteht, eine Wahl zu treffen, die dem vornehmsten Theil ihrer Familie mißfällig und unangenehm sein kann, und diejenigen in schlechte Verwandtschaften zu bringen, die an so etwas nicht gewöhnt sind. Und wer ist denn Karl Hayter? Nichts als ein Landpfarrer. Eine sehr unpassende Verbindung für Fräulein Musgrove von Uppercroß!«

Ihr Mann aber wollte ihr nicht beistimmen; denn abgerechnet, daß er seinen Vetter achtete, war Karl Hayter der ältere Sohn, und er selber urtheilte als ein älterer Sohn.

»Was das für ein Geschwätz ist, Marie!« antwortete er. »Freilich wäre es keine glänzende Verbindung für Henriette, aber Vetter Karl hat auch als Geistlicher gute Aussichten, und ich bitte Dich zu bedenken, daß er, als der älteste Sohn, nach meines Oheims Tode ein ziemlich ansehnliches Vermögen erbt. Winthrop ist doch ein hübsches Gut, und die Meierei bei Taunton ist auch etwas werth. Ich gebe es zu, jedem Andern von den Vettern, außer Karl, meine Schwester zum Manne zu geben, wäre empörend, und könnte nicht statt finden; aber er ist ein sehr gutmüthiger, wackerer Mann, und wenn einmahl Winthrop in seine Hände kommt, wird er es schon ganz anders einrichten, als es jetzt ist, ganz anders leben, und der Besitzer eines solchen Gutes ist wahrlich nicht zu verachten. Nein, Nein! Henriette könnte eine viel schlimmere Wahl treffen, als Karl Hayter, und wenn sie ihn hat, und Luise den Capitain bekommen kann, werde ich sehr zufrieden sein.«

»Mein Mann mag sagen was er will,« sprach Marie, als sie mit Anna allein war: »es wäre unausstehlich, wenn Henriette den Hayter nehmen wollte; sehr schlimm für sie, und noch schlimmer für mich. Es wäre darum sehr gut, wenn Wentworth ihr ihn bald ganz aus dem Kopfe bringen könnte, und ich glaube wirklich, er hat's gethan. Sie sah gestern Hayter kaum an. Ich wollte, Du hättest sehen können, wie sie sich benahm. Daß Wentworth Luisen so gern hätte, als Henrietten, das ist albernes Geschwätz; gewiß hat er Henrietten lieber. Aber Karl spricht immer so entscheidend. Wärest Du doch gestern bei uns gewesen, so hättest Du entscheiden können, und Du würdest gewiß meiner Meinung gewesen sein, es wäre denn, Du hättest gegen mich sein wollen.«

Ein Gastmahl bei ihres Mannes Aeltern war die Gelegenheit gewesen wo Anna alles dieß hatte sehen sollen; aber sie war zu Hause geblieben, weil sie Kopfschmerz vorschützte, und der kleine Karl auch wieder unpäßlich geworden war. Sie hatte nur die Absicht gehabt, Wentworth auszuweichen; aber der Abend wurde nun noch ruhiger für sie, da sie auch der Unannehmlichkeit entgangen war eine Schiedsrichterinn abgeben zu müssen. Für Wentworth hielt sie es für wichtiger, daß er den Zustand seines Herzens früh genug erkennen möchte, um nicht das Glück einer der beiden Schwestern zu gefährden oder etwas gegen seine Ehre zu thun, als daß er die eine Schwester der andern vorzöge. Jede von ihnen schien eine liebevolle, gut gesinnte Gattin für ihn werden zu können. Aber was sollte sie von Hayter's Bewerbungen sagen? Sie besaß ein Zartgefühl, das ein leichtsinniges Benehmen bei einem wohl gesinnten Mädchen mit Schmerz bemerkte, und ein Herz, das die dadurch verursachten Leiden theilen konnte; hätte aber Henriette, meinte Anna, über ihre Empfindungen sich getäuscht, so könnte sie darüber nicht frühe genug in's Klare kommen.

Karl Hayter hatte in Henriettens Benehmen vieles gefunden, das ihn beunruhigen und kränken mußte. Sie hatte jedoch zu lange ihre Achtung ihm geweiht, um so ganz von ihm entfremdet werden zu können, daß in zwei Zusammenkünften jede frühere Hoffnung erloschen, und nichts für ihn übrig geblieben wäre, als Uppercroß auf immer zu verlassen; aber er fand doch eine Veränderung, die sehr beunruhigend war, wenn ein Mann, wie Wentworth, für die wahrscheinliche Ursach der Umwandlung gehalten werden mußte. Er war nur zwei Sonntage abwesend gewesen, und beim Abschiede hatte er ihre Freude über die wahrscheinliche Hoffnung gesehen, seine jetzige Stelle bald mit der Pfarre von Uppercroß vertauschen zu können, wo der gute durch Alterschwäche gebeugte Prediger des Ortes ihm die Verwaltung seiner Stelle abzutreten geneigt war. Beide Schwestern waren sehr froh gewesen, ihren Vetter in Uppercroß im Pfarrhause des lieben alten Mannes zu haben. Bei seiner Rückkehr war leider! der ganze Eifer verraucht. Luise mochte nichts hören, als er von seiner Unterredung mit dem Pfarrer sprechen wollte, und sah aus dem Fenster, ob Wentworth käme, und selbst Henriette zeigte nur eine getheilte Aufmerksamkeit, und schien alle frühern Zweifel und Besorgnisse vergessen zu haben.

»Nun, das freut mich,« sprach sie. »Aber ich dacht' es immer, daß es Ihnen nicht fehlen könnte. Es schien mir, daß – Kurz, unser Pfarrer mußte einen Stellvertreter haben, und Sie hatten einmal seine Zusage …; Nun Luise, kommt er noch nicht?«

Eines Morgens, nicht lange nach dem Gastmahle bei Herrn Musgrove, dem Anna nicht beigewohnt hatte, trat Wentworth in das Besuchzimmer, als eben Niemand da war, außer Anna und dem Knaben, der auf dem Sofa lag.

In der Ueberraschung, sich fast ganz allein mit Anna Elliot zu sehen, verlor er seine gewöhnliche Fassung. Er ward bestürzt und konnte blos sagen: »Ich glaubte, Fräulein Henriette und Luise wären hier; ich sollte sie hier finden, wie Frau Musgrove mir sagte.«

Er ging nach diesen Worten an's Fenster, um sich zu sammeln und zu erwägen, wie er sich benehmen müßte.

»Sie sind oben bei meiner Schwester, und werden gewiß sogleich wieder hier sein,« erwiederte Anna. Man kann leicht denken, in welcher Verwirrung sie war, und hätte der Knabe sie nicht zu sich gerufen und etwas verlangt, so würde sie im nächsten Augenblick aus dem Zimmer gewesen sein, um Wentworth und sich selber zu erlösen.

Er blieb am Fenster stehen, und als er ruhig und höflich gefragt hatte: »Ich hoffe, der Kleine ist besser?« schwieg er wieder.

Anna mußte vor dem Sofa knien und da bleiben, um den Kranken zu beruhigen, und so waren beide einige Minuten allein im Zimmer, als sie zu ihrer großen Freude hörte, daß Jemand durch den Vorsaal kam. Sie hoffte, sich umsehend, den jungen Hausherrn zu erblicken, aber es war Jemand, der am wenigsten dazu taugte, der Verlegenheit abzuhelfen, und Karl Hayter konnte über Wentworth's Anblick wahrscheinlich nicht froher sein, als Wentworth es bei Anna's Anblicke gewesen war.

Sie konnte ihm auch nur wenige Worte sagen; Wentworth aber, der vom Fenster kam, schien ziemlich geneigt zur Anknüpfung einer Unterredung mit ihm zu sein; Hayter wich ihm jedoch aus, und als er sich an den Tisch setzte, wo eine Zeitung lag, ging Wentworth wieder an's Fenster.

In der nächsten Minute kam der jüngste Knabe, ein derber, vorlauter zweijähriger Bube, durch die offen gebliebene Thüre, ging gerade auf das Sofa zu, und forderte alles, was ihm anstand. Anna wollte es nicht leiden, daß er seinen kranken Bruder neckte, er aber klammerte sich so fest an sie, als sie kniete, daß sie ihn nicht abschütteln konnte. Sie sprach, befahl, drohte: vergebens, und versuchte es endlich, ihn wegzuschieben; aber dem Knaben machte es desto mehr Freude, sich sogleich wieder auf ihren Rücken zu hängen.

»Walter,« sprach sie, »Du gehst sogleich! Du bist sehr unruhig. Ich bin Dir sehr böse.«

»Walter,« sprach Hayter, »warum thust Du nicht, was Dir geheißen wird? Hörst Du nicht, was Deine Tante sagt? Komm zu mir, Walter.«

Wer nicht kam, war Walter. Im nächsten Augenblicke aber ward Anna von dem Knaben erlöset, den Jemand von ihr nahm; aber er hatte sie mit seinen kleinen derben Händen so fest umfaßt und ihren Kopf so tief nieder gedrückt, daß man ihn schon entschlossen von ihr gerissen hatte, ehe sie sah, Wentworth hätte es gethan.

Sie konnte kein Wort hervorbringen, als sie dieß entdeckte, und vermochte kaum, ihm zu danken. Sie beugte sich mit unruhiger Bewegung über den kranken Knaben. Die Güte, womit Wentworth zu ihrem Beistande geeilt war, die Art und das Stillschweigen, womit er es gethan, alle kleinen Umstände der Handlung, und die ihr bald sich aufdringende Ueberzeugung, daß er sich geflissentlich sehr laut mit dem Kinde beschäftigte, um ihren Dank nicht zu hören, und daß er fast nur zeigen wollte, wie wenig er eine Unterredung mit ihr wünschte – alles dieß erregte eine solche Verwirrung von wechselnden und schmerzlichen Regungen in ihr, daß sie sich nicht erhohlen konnte, bis sie ihrer Schwester und den beiden Fräulein, die endlich erschienen, den Kranken überlassen konnte. Es war ihr nicht möglich, zu bleiben, wiewohl sie eine gute Gelegenheit gehabt hätte, die Regungen der Liebe und Eifersucht bei allen vier Partheien zu beobachten, wenn sie es hätte über sich bringen können. Es war unverkennbar, daß Hayter den Seemann nicht leiden konnte. Sie erinnerte sich, daß er, nach Wentworth's Zwischenkunft, ärgerlich zu dem Kinde gesagt hatte: »Du hättest auf mich hören sollen, Walter, als ich Dir sagte, Du solltest Deine Tante nicht quälen,« und sie begriff leicht, wie unangenehm es ihm war, daß Wentworth gethan hatte, was er selber hätte thun sollen. Es konnte aber, weder was Hayter, noch was sonst Jemand fühlte, anziehend für sie sein, ehe ihre Gefühle wieder besser in Ordnung waren. Sie schämte sich nun über sich selber, schämte sich, daß sie so reizbar gewesen war, und von einer solchen Kleinigkeit sich hatte aus der Fassung bringen lassen; aber es war so, und erst als sie lange in der Einsamkeit ihre Gedanken gesammelt, konnte sie sich erhohlen.



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