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Die Rache ist des Herrn – Er hat vergolten!
Er hat hinausgeführt das, was wir wollten.
Wir beten jauchzend an des Höchsten Walten,
Und im Gedächtnis sollt ihr's dankbar halten!
Es war ein heller, sonniger Frühlingstag zu Anfang des April 1814. Durch das Potsdamer Tor in Berlin ritt ein Geschwader blasender Postillione ein, hinter ihnen ein stolzer Mann, hoch zu Roß, in der glänzenden Uniform eines königlichen Flügeladjutanten, von einigen Kürassieren gefolgt. Alles stürzte an die Fenster und auf die Straßen. »Was ist geschehen?« fragten alle in frohester Erregung, denn daß die Schar Gutes brächte, das sah und hörte man im ersten Augenblick, »Sieg! Sieg!« schallte es ihnen entgegen, »Paris ist gefallen! die Hauptstadt ist unser, am 31. März hat unser König dort seinen Einzug gehalten!« Und die Postillione schmetterten ihr stolzes Stück, die Leute schrien: »Hurra!« und fielen sich in die Arme und hoben die Hände zum Himmel empor und dankten Gott mit heißen Tränen. Wohl lagen die Felder ringsum verwüstet, denn noch vor wenigen Monaten hatte die Stadt den Donner der Kanonen dicht vor ihren Mauern gehört; wohl sah es in den meisten Häusern kahl und schmucklos aus, weil man alles geopfert hatte; wohl trugen Unzählige Trauerkleider, und die Zahl der Witwen und Waisen war unermeßlich groß geworden, denn es gab kaum ein Haus in Berlin, das nicht den Tod eines Vaters oder Bruders zu betrauern gehabt hätte, aber dennoch kostete man jetzt die hohe Wonne des Triumphes in vollen Zügen aus, dennoch schwieg jetzt jedes andere Gefühl, denn das Höchste war nun doch gelungen: das Vaterland war von dem fremden Unterdrücker befreit, das welsche Babel, das den Daheimgebliebenen so unendlich fern dünkte, war gebändigt, der König war an der Spitze seiner tapferen Truppen in die besiegte Hauptstadt eingezogen.
Zu Tausenden schwoll das Gefolge des königlichen Kuriers an, unermeßlicher Jubel und betäubendes Hochgeschrei mischte sich in das Blasen der Postillione. So ging es die Wilhelmstraße und die Linden entlang bis zum königlichen Schlosse, wo die Prinzessin Wilhelm inmitten ihres Hofstaates den Siegesboten empfing. Da mußte er ganz genau von allem berichten, und die Damen hörten sich nicht satt an der wundervollen Erzählung von deutschem Sieg und preußischem Ruhm. Auch Gabriele v. Fiedler war unter dem Gefolge; mit gierigem Ohr sog sie die frohe Botschaft ein, – endlich war ihr Durst nach Rache und Vergeltung gestillt, denn der Feind, der ihre Königin ermordet, lag besiegt am Boden.
Ein zweiter, großer Freudentag kam im Juli. Ganz Berlin war auf den Beinen, Tausende harrten stundenlang in der warmen Sommernacht draußen im Tiergarten, bis endlich unter dem Jauchzen der Menge ein riesiger Lastwagen herankam; der trug die Viktoria vom Brandenburger Tor! Vor acht Jahren hatte Napoleon sie als Siegesbeute fortgeführt, und ingrimmig hatten die Berliner oft zu der langen Eisenstange auf dem Tore aufgeblickt, woran einst das Viergespann befestigt gewesen war. Nun war die entführte Siegesgöttin zurückgekehrt; sie erschien dem Volke wie ein Symbol preußischer Ehre; man hatte sie im blutigen Kampfe zurückerobert – nun war alles wieder gut!
Neuer Jubel brach los, als die Berliner Landwehr heimkehrte; die Massen ließen sich nicht halten, die militärische Ordnung brach auseinander, die Frauen stürzten den Männern in die Arme, die Jungen trugen den Vätern die Flinten, und so wogte der lange Zug dahin, die Wehrmänner ganz mit Kränzen überdeckt, Soldaten und Bürger, Männer und Frauen in krausem Durcheinander, in Wahrheit ein Volk in Waffen! Nach Treitschke. Aber der stolzeste Ehrentag war doch der siebente August, an dem der König, an der Spitze seiner Garden, umgeben von den Prinzen und der gesamten Generalität, in Berlin einzog. Als das Brandenburger Tor ihren Blicken sichtbar wurde, sank die Hülle von der Viktoria herab, welche mit einem riesigen Eisernen Kreuze geschmückt war; als der König durch das Tor ritt, läuteten alle Glocken, harmonisch floß das nahe und ferne Geläut zusammen und stimmte die feierliche Menge andächtig. Der lange Weg unter den Linden, bis zum Platze des Lustgartens, war prächtig mit vielen sinnreichen Schildereien geschmückt, mit Laub und Blumen bestreut, alle Häuser und Paläste reich geziert, alle Fenster, Dächer und Bäume mit Zuschauern dicht besetzt. Die weiten Straßen waren Kopf an Kopf mit Menschen angefüllt, keiner wollte heute fernbleiben, aber es entstand kein Gedränge, keine Unordnung, kein Unglück, jeder trug heute die Polizei in sich, jeder fühlte die große Bedeutung des Tages.
Inmitten des Lustgartens war ein mächtiger Altar errichtet, um ihn sammelte sich der König mit seinem glänzenden Gefolge, während die Prinzessinnen des königlichen Hauses mit ihren Damen von den Fenstern des Schlosses aus dem erhebenden Schauspiel beiwohnten. Hier hatten, durch Gabrielens Vermittlung, auch Lotte und Thea Plätze erhalten, und mit unsäglicher Rührung und stolzer Freude heftete die junge Frau die Augen auf den Feldpropst, der mitten unter der Geistlichkeit auf der höchsten Stufe des Altars stand – es war Dr. Hans Ebner, dessen Verdienste unvergessen geblieben waren. Jetzt schwieg die Musik, es schwiegen die Glocken, all die Tausende ringsum hielten den Atem an, und der Geistliche begann in kräftigem und begeistertem Ton seine Rede. »Die Feinde hat des Allmächtigen Hand getroffen, der Herr hat sie verschlungen in seinem Zorn, Feuer hat sie gefressen! Ihr tapferen und frommen Kämpfer, wie habt ihr selbst oft in Erstaunen ausrufen müssen: das haben wir nicht getan, das hat Gott getan! Gott wollte, und wir haben wollen müssen, Gott gab uns die Kraft, Gott gab uns das Glück! Gebt unserm Gott die Ehre!«
Alles lauschte in tiefer Ehrfurcht; bei diesen Worten sank der König mit seinen Kindern auf die Knie nieder und brachte dem Herrn aller Heerscharen sein Dankopfer dar. Als das Amen erscholl, sangen alle entblößten Hauptes »Nun danket alle Gott!« – dann aber brach der lange verhaltene Jubel los, die Luft erzitterte von den Tönen der Freude und aufrichtigen Huldigung. Den Mittelpunkt bildete der König, alles drängte zu ihm, jeder wollte den geliebten Monarchen sehen. Langsam ritt er um den Lustgarten und hinderte seine getreuen Berliner nicht in ihrer stürmischen Freude; sie umringten ihn, küßten ihm die Füße und umarmten sein Pferd. Das Vivatrufen wollte kein Ende nehmen und erneuerte sich, als der König mit dem Feldmarschall v. Blücher und dem Kronprinzen auf dem Altan des Schlosses erschien und nun noch weiterhin sichtbar wurde. Nach Eylert.
Abends strahlte die ganze Stadt in blendender Beleuchtung, kein Haus blieb dunkel; von den prächtigen Anstalten vor den Palästen bis zu den bescheidenen Lichtern im Dachstübchen oder Keller, vom Schloßplatze an bis zu den fernsten Vorstädten, wo nur Arbeiter und arme Leute wohnten, wollte jeder einzelne seiner Liebe, seiner Freude und Dankbarkeit einen Ausdruck geben, und wieder wälzten sich die jubelnden Ströme des Volkes in froher Ordnung durch die Straßen. –
Endlich konnte Lotte ein seliges Wiedersehen mit Hartenstein feiern; auch Maltus fand sich ein, und so war am Abend dieses Tages der ganze Scharfenecker Familienkreis froh vereint. Freilich mischte sich mancher Tropfen der Wehmut in den Becher der Freude; jeder vermißte mit Schmerzen das teure Haupt, um das sich so lange alle in Liebe und Eintracht geschart hatten. Gabriele hatte seit dem Tode der geliebten Mutter die Heimat und ihre Verwandten noch nicht wiedergesehen, die Arbeit und Unruhe des Krieges hatten eine Reise bisher unmöglich gemacht. »Aber nun kehrst du doch zu uns zurück, Tante Ella?« fragte Maltus; »ich hoffe, wir bleiben alle nahe beisammen. Du, lieber Hartenstein, wirst der Kriegsfahrten nun auch wohl müde sein; wohlan, vertausche das Schwert mit dem Pfluge! Nimm deinen Abschied und siedle dich in Scharfeneck an; Arbeit gibt es auch da vollauf, und das Haus ist groß genug für uns alle, besonders da Hans darauf besteht, mit Thea ins Pfarrhaus zu ziehen und die verwaiste Stelle zu verwalten, bis er irgendeinen anderen Ruf erhält. Nicht wahr, ihr Lieben, ihr sagt nicht ›nein‹ zu meiner Bitte?« schloß der junge Mann, indem er Hartenstein und Gabriele herzlich die Hände reichte.
Lotte tauschte einen Blick des Einverständnisses mit ihrem Verlobten aus, dann schlug dieser freudig ein. »Wir nehmen deine Einladung gern und dankbar an, lieber Bruder,« versetzte Hartenstein warm; »sobald ich meinen Abschied erhalten habe, hoffe ich an der Seite meiner lieben Braut und an der von dir gebotenen Stätte endlich einmal Ruhe zu finden, die mir seit Jahren versagt war, und nach der ich mich doch mit tiefem Heimweh sehne.«
»Das ist herrlich!« sagte Maltus froh; »ich dachte schon mit Grauen an die öde Leere in dem lieben, alten Nest. Und du, Tante?«
»Ich will oft als Gast bei euch einkehren und mich an euerm glücklichen Zusammenleben erfreuen,« erwiderte Gabriele, »aber nicht für immer. Laßt mich hier bleiben, ihr Lieben, wo ich eine zweite Heimat gefunden habe, wo ich alle meine Kräfte betätigen kann. Ihr seid allesamt noch jung, und das Leben bietet euch Hoffnungen und Verheißungen, – ich hoffe und wünsche wenig mehr für mich selbst. So sollen denn die Armen und Kranken meine Familie sein; für sie will ich wirken und schaffen und meine Befriedigung in Werken der Barmherzigkeit suchen. Ich bin in der glücklichen Lage, aus meinen eigenen Mitteln und durch meine nahen Beziehungen zu den höchsten Personen des Hofes den Anstalten der christlichen Liebe manche Gunst zuzuweisen; das soll mein Lebenszweck sein, dem ich hier in Berlin besser dienen kann als daheim.«
Damit mußte Maltus sich zufriedengeben, und er war froh, daß Hartensteins, bald nach gefeierter Hochzeit, in das Herrenhaus einzogen und die Leitung des Hauswesens in Lottens bewährten Händen blieb, während Thea ohne Bedauern vom Schlosse schied und mit ihrem Gatten in die schlichte Pfarre übersiedelte, wo sie sich ganz an ihrem Platze und vollkommen glücklich fühlte. –
Aber nicht lange sollte der Friede dauern, denn noch einmal versetzte der entthronte Kaiser, für dessen Feuergeist die kleine Insel Elba, auf die man ihn verbannt hatte, viel zu eng war, die Welt in stürmische Bewegung. Er landete in Frankreich, das wetterwendische Volk jauchzte ihm entgegen, seine Marschälle fielen ihm zu, der Bourbone entfloh schleunigst, und Napoleon war wieder der gebietende Herrscher von Frankreich. Aber sein Stern war erblichen, seine Zeit abgelaufen, nur hundert Tage währte seine Herrschaft, dann setzte die gewaltige Schlacht bei Belle-Alliance seiner Macht ein letztes Ende. Auf einer einsamen Felseninsel im fernen Weltmeer blieben dem dämonischen Mann noch sechs lange Jahre, um über seine wunderbare Erhebung und seinen tiefen Fall nachzudenken und sich unter Gottes gewaltige Hand zu demütigen.
Wieder waren die deutschen Heere ausgezogen, um mit ungeschwächter Begeisterung den Feind des Vaterlandes zu bekämpfen, und Maltus mit ihnen. Aber war es, daß diesmal die Gebete seiner Großmutter ihm nicht mehr als schützender Engel zur Seite standen, oder hatte es Gott anders beschlossen – gerade im Augenblick der stolzesten Siegesfreude traf ihn die tödliche Kugel ins Herz, und als eins der zahllosen Opfer des glorreichen Tages ward er mit vielen anderen in ein nahes Hospital getragen, wo Barmherzige Schwestern die Verwundeten pflegten, die Toten aber in langen Reihen auf den steinernen Fußboden der Kirche betteten. Drei Nonnen hielten die Totenwacht; zwei von ihnen zogen sich soweit als möglich von der schauerlich stillen Versammlung zurück, und nachdem sie noch eine Weile über ihren Rosenkränzen gemurmelt hatten, sanken sie in den wohlverdienten Schlummer. Nur die dritte, eine kleine, zarte Gestalt, blieb unermüdlich geschäftig; lautlos glitt sie von einem der schlafenden Krieger zum anderen, faltete jedem die Hände über der Brust und flüsterte einige Worte des Gebetes dazu. Da spiegelte sich das matte Licht der ewigen Lampe in einem Ringe an der Hand, die sie eben emporhob; fünf blaue Steine, die, in ein Goldplättchen eingelegt, ein Vergißmeinnicht bildeten, trafen ihr Auge. Erschrocken blickte sie in das bleiche Antlitz des Toten, das einen selig verklärten Ausdruck trug, »René!« hauchte sie leise und drückte einen Kuß auf die edle, weiße Stirn. Dann fiel sie auf die Knie und schluchzte und weinte bitterlich.
Als der frühe Morgen dämmerte, erwachten die beiden frommen Schwestern, rieben sich die Augen und sahen sich nach der Genossin um, die nirgends zu erblicken war; endlich fanden sie diese lang ausgestreckt am Boden liegen in tiefer Ohnmacht. Alle Versuche, sie zu erwecken, waren vergebens; so hoben sie die leichte Gestalt auf, um sie in die frische Luft zu tragen. » Sœur Marie hat es wieder einmal zu arg getrieben mit Wachen und Fasten und Beten,« sagte die eine Nonne, »sie will es immer uns allen zuvortun.«
»Sie mag wohl schwerere Sünden abzubüßen haben als wir anderen,« meinte die zweite Schwester bedeutsam, »wer weiß, was für ein Leben sie hinter sich hat!« –
So fand der letzte männliche Erbe von Scharfeneck, der die alten Namen der Maltheims und Fiedlers in sich vereinte, ein Grab in fremder Erde, und der Ring, das uralte Wahrzeichen seines Geschlechtes, wurde mit ihm begraben. –
Wieder empfing Siegesjubel den König Friedrich Wilhelm, als er nach kurzem, ruhmvollem Feldzuge in seine Hauptstadt zurückkehrte, aber auf den lauten Triumph inmitten einer tausendköpfigen Menge folgte am nächsten Tage eine stille, ernste Feier in einem auserwählten Kreise. Der König hatte den Schmerz um seine geliebte Gattin noch nicht überwunden, sein ganzes Wesen war seit ihrem Tode noch ernster und verschlossener geworden. In seiner schlichten Erscheinung lag der Ausdruck einer eignen Traurigkeit; er erschien wie ein trauernder Ritter, der seine verlorene Dame nimmer vergessen kann. Nie hatte ihn der bittere Gedanke verlassen, daß seine Luise durch den Jammer der Zeit in der Blüte ihrer Schönheit geknickt worden sei, und seit jenem Schmerzenstage im Jahre 1810 hatte nie wieder volle Heiterkeit sein Gesicht überstrahlt. Selbst der Siegesfreude seines Volkes konnte er sich nicht mit ganzem Herzen hingeben, weil die Königin nicht mehr da war, um den Triumph zu teilen. Im treuen Gedenken an sie hatte er an ihrem Geburtstage das Eiserne Kreuz gestiftet, und ihren Namen trug der Orden, den er nach der Heimkehr für die Frauen und Jungfrauen gründete, die im Kriege mit Werken der Liebe geholfen hatten.
Seit er sie verloren hatte, war es der heiße Wunsch seines Herzens gewesen, ein Bild von ihr zu besitzen, das ihre ganze Schönheit, Anmut und Hoheit wiedergäbe; verschiedene Maler und Bildhauer hatten es schon versucht, die holdseligen Züge darzustellen, aber keinem hatte es gelingen wollen, das Ideal zu verwirklichen, das in der Seele des Königs lebte. Christian Rauch, der ehemalige Kammerdiener der Königin Luise, der lange in ihrer Nähe gelebt und sie hoch verehrt hatte, war im Laufe der Jahre ein großer Künstler geworden; er hatte schon 1811 den Auftrag erhalten, ein würdiges Denkmal herzustellen, welches das Mausoleum in Charlottenburg schmücken sollte. Nun war das Bildwerk vollendet und an seinem Bestimmungsorte aufgestellt worden; der König wollte es zum erstenmal sehen, nur seine Kinder, die Prinzessin Wilhelm und Gabriele v. Fiedler, als langjährige Freundin der Verewigten, durften ihn begleiten.
Durch die dunkle Allee von hohen, ernsten Fichten schritt die kleine Versammlung in andächtigem Schweigen dem einfachen Tempel zu, der sich über dem Grabe der Königin erhebt. Da lag, auf einem Ruhebett ausgestreckt, in reinstem karrarischem Marmor die teure Gestalt, die allen unvergeßlich geblieben war, im Schlummer des Todes, und doch von seiner Macht erlöst, selig und frei. Das leicht zur Seite geneigte Haupt spiegelt die ganze Schönheit des inneren und äußeren Menschen wider, ein traurig-süßes Lächeln umspielt den holden Mund; die auf der Brust gefalteten Hände, die ganze Lage des Körpers, alles drückt tiefe Ruhe, seligen Frieden aus. Ja, das war die Königin Luise, die Hohe, Reine, Edle, die allen, welche je in ihre Nähe kamen, als das Urbild einer echten Frau erschienen war, die denen, welche sie liebte, aus dem unerschöpflichen Schatz ihres Herzens Liebe, Teilnahme und Trost in reicher Fülle gespendet hatte, die Gattin, die Mutter und Freundin, die Königin und Landesmutter, wie sie in solcher Schönheit und Vollendung noch selten über diese arme Erde gewandelt war. Vor diesem erhabenen Bilde fühlten ihre Getreuen alles, was sie an ihr besessen hatten; aber der Schmerz über ihren Verlust wurde geläutert und geheiligt, denn auf dieser Stirn lag der Hauch der Verklärung, das Siegel, daß sie gelitten und in der Kraft des Glaubens überwunden hatte. In tiefster Seele ergriffen, knieten alle um die hehre Gestalt und schauten dem befreiten Geiste nach in eine selige Ewigkeit.
Der König hatte mit den Seinen das Mausoleum verlassen; sein Gesicht, sein Händedruck sagten dem beglückten Künstler einen schöneren Dank, als alle Worte es vermochten. Nur Gabriele war zurückgeblieben, sie konnte sich von dieser heiligen Stätte noch nicht trennen, denn vor diesem hohen Abbilde ihrer verklärten Freundin wurde ihr auf einmal klar, daß ihr Schmerz um sie nicht der rechte gewesen sei. »Die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der Herr«, so schienen diese Lippen ihr mit sanftem Vorwurf zuzuflüstern, und in Reue und Demut beugte sie ihre Knie. »O! meine Luise,« sagte sie leise, »deinem Vorbilde bin ich nicht gefolgt, als ich mein Herz dem Haß und Rachedurst öffnete; von dir hätte ich nur lernen können, zu dulden und zu tragen, zu vergeben und zu hoffen und alles dem gerechten Richter anheimzustellen. O Gott, vergib und hilf mir!« Sie küßte Stirn und Hände der teuern Gestalt und verließ das Mausoleum sanfter, weicher und besser, als sie gekommen.