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Klopft einer an die Türe dein,
So tu ihm auf und laß ihn ein,
Reich' gütig ihm, was ihm gebricht,
Und frag' nach seinem Rechte nicht!
Tiefe Trauer herrschte in Scharfeneck; nicht nur die Seinen weinten um den Verlust des einzigen Sohnes und Bruders, auch die weitere Umgebung, die Angehörigen der ausgedehnten Herrschaft, beklagten den frühen und schrecklichen Tod ihres lieben jungen Herrn. Mit Stolz hatten alle auf den herrlich heranblühenden Jüngling gesehen, von dem sie sich Großes und Gutes versprachen; nun fragte sich mancher mit banger Sorge, wer denn künftig hier als Herr gebieten werde? Freilich, solange Frau v. Fiedler die Zügel in den Händen hielt und der brave Amtmann ihr zur Seite stand, war nichts zu fürchten, aber beide waren nicht mehr jung – und wer würde dann der Erbe sein? –
Still und wehmutsvoll war das Weihnachtsfest vorübergegangen; wohl hatte unten in der großen Halle der hohe Christbaum wie sonst seinen hellen Schein verbreitet und alle Ortsangehörigen, bis zum niedrigsten Knechte herab, um sich versammelt; wohl waren aus Kindermund die alten, lieblichen Lieder wie früher erklungen, aber die sonstige jubelnde Freude konnte nicht laut werden; als die große Schar der Leute abgezogen war, blieb das kleine Häuflein der Hausgenossen traurig beisammen; jeder vermißte Gerhards frohes Lachen, seine jugendfrischen Scherze, seine warme Zärtlichkeit, und mühsam suchte jeder die Tränen der Sehnsucht und des Schmerzes vor den anderen zu verbergen. Auch der Gottesdienst im Dorfkirchlein zu Tannenrode brachte wenig Erhebung; statt des plötzlich erkrankten Pfarrers, der ein treuer Gesinnungsgenosse seiner Patronin war, predigte ein Kandidat, ein echtes Kind seiner Zeit, welche vom lebendigen Christentum vielfach abgefallen war und die menschliche Vernunft als Richterin über Gottes Geheimnisse setzte. Der junge Mann erging sich in klingenden Worten und rührenden Gefühlen, welche die bäuerliche Gemeinde nicht verstand, und fügte, um ihr doch etwas zu bieten, einige trockene Belehrungen über ein nützliches Leben hinzu – das war die Weihnachtspredigt.
Fräulein Arabella hatte Scharfeneck schon vor dem Feste verlassen; nachdem sich ihr Kummer über den Verlust des Neffen vorzugsweise in bitteren Vorwürfen gegen Walter Ebner ausgesprochen, dem sie freilich nie getraut habe und den die ganze Schuld treffe, hatte sie gefunden, daß der Anblick der traurigen Gesichter zu angreifend auf ihre zarten Nerven wirke, und die erste Gelegenheit benutzt, um nach Quedlinburg zurückzukehren. Frau v. Fiedler seufzte erleichtert auf; die Gesellschaft der Schwägerin war für ein wundes Herz schwer zu ertragen; jetzt konnte sie sich wenigstens ungestört der einzigen Beschäftigung hingeben, die ihr eine traurige Befriedigung gewährte, nämlich sich immer wieder von dem Gefährten ihres Gerhard jeden Schritt und jede Äußerung aus den letzten Monaten feines Lebens berichten zu lassen. So gut es anging, suchte sie die Vorgänge in Paris zu verfolgen, in der Hoffnung, daß sich endlich die wilden Wellen beruhigen und ihr gestatten würden, sich selbst dorthin zu begeben und die letzten Spuren ihres Sohnes aufzusuchen. Ihr schien es, als würde sie Ruhe und Frieden finden, wenn sie wenigstens seine Gebeine neben die ihres Gatten betten und an seinem Grabe beten könnte. Dazu war freilich noch wenig Aussicht vorhanden; in Paris, ja in ganz Frankreich herrschte ein wildes Schreckensregiment; die deutschen Heere aber, welche die Aufrührer strafen und die königliche Familie retten wollten, waren längst schon umgekehrt, und ihre Häupter verhandelten mit den Abgesandten der französischen Republik über den Frieden.
Es war in diesem Winter noch wenig Schnee gefallen, im Januar aber schien es, als wolle der Kimmel mit einem Male alles nachholen, was er so lange versäumt hatte. Gegen Abend begannen große Flocken in dichtem Gedränge zu fallen, und gegen Morgen schneite es noch immer; es war, als wären neckische kleine Geister die ganze Nacht hindurch emsig und lautlos beschäftigt gewesen, um Käufer und Gehöfte hohe, weiße Mauern zu bauen. »Ich glaube, es treibt einer von den Burschen einen dummen Spaß mit uns«, sagte die kräftige Küchenmagd, als sie sich vergebens bemühte, die Haustür aufzustoßen, um in grauer Morgenfrühe mit ihrer Laterne nach dem Kuhstall zu gehen; der alte Kuhhirt aber brummte unzufrieden: »Die Dirnen haben es wieder einmal verschlafen! Ich sage es ja immer, es ist kein Verlaß auf die Weibsleut'«, und dabei lachte er recht ingrimmig, als freute er sich, wieder einmal recht zu behalten. Aber bald mußte es ein jeder merken, daß weder die Männer noch die Frauen diesmal eine Schuld träfe, daß es aber die angestrengte Arbeit vieler Menschenhände kosten würde, um das Werk der schadenfrohen kleinen Nachtgeister zu zerstören und Wege und Stege wieder gangbar zu machen.
Einige Tage später berichtete der Amtmann seiner Gebieterin über die Lage der Dinge; mit großer Mühe hatte er sich in Begleitung mehrerer Männer, die sämtlich mit Schaufeln bewaffnet waren, bis zu den Vorwerken und nach Tannenrode durchgeschlagen. Dort sehe es schlimm genug aus; mehrere Personen, die vor Einbruch des Unwetters durch den Wald gegangen waren, würden vermißt, und man sei ausgezogen, um sie zu suchen. Dabei habe man einen fremden Herrn im Schnee steckend gefunden, das Pferd sei verendet, ihn selbst habe man glücklich nach dem Dorfe gebracht, halb erfroren und halb verhungert; da liege er nun in dem kleinen Wirtshause, und die Leute wüßten nicht, was sie mit ihm ansangen sollten.
»Haben Sie nichts Näheres über den Reisenden gehört?« fragte Frau v. Fiedler voll Teilnahme.
»Es scheint ein französischer Marquis oder dergleichen zu sein,« versetzte Ebner, »vielleicht einer von denen, welche aus ihrer Heimat fliehen mußten. Sein Diener, der nur wenige deutsche Worte spricht, verlangt fortwährend Dinge, von denen die Wirtsleute nichts wissen; sie finden es schwer, sich mit dem fremden Brausekopf zu verständigen.«
»Vielleicht auch ein Opfer der furchtbaren Revolution!« sagte die Freifrau wehmutsvoll. »Wir müssen uns seiner annehmen, lieber Ebner,« fügte sie nach kurzem Nachsinnen hinzu; »seien Sie so gut, Walter ins Dorf hinabzuschicken, damit er sich nach den Verhältnissen des Fremden erkundige. Ist jener ein Flüchtling, welcher neben der Grausamkeit der Menschen auch von den Schrecken der Natur verfolgt ist, so will ich ihm gern ein Obdach in meinem Hause anbieten, bis seine Verhältnisse eine Änderung erfahren haben.«
»Euer Gnaden sind wie immer unendlich gütig,« erwiderte der Amtmann zögernd; »wenn nur der fremde Mosjö auch solcher Freundlichkeit wert wäre! Aber man spricht nicht viel Gutes von diesen französischen Emigranten.«
»O still, still davon!« unterbrach ihn die Dame mit abwehrender Gebärde. »Jeder Hilflose hat einen Freibrief an unser Herz, ein Recht an unseren brüderlichen Beistand – seine Würdigkeit wollen wir später untersuchen.«
Einige Stunden danach kam ein großer Schlitten langsam über den Hof gefahren und hielt vor dem Herrenhause still; darin lag, in Pelze und Decken eingehüllt, von Walter Ebner und einem Diener sorgsam unterstützt, ein junger Mann mit bleichem Antlitz und halbgeschlossenen Augen. Er hatte kaum die Kraft, die Stufen hinaufzusteigen, fast mußten seine Begleiter ihn tragen. Als ihm aber in der Kalle die Edelfrau mit freundlicher Würde entgegentrat, nahm er sich gewaltsam zusammen, und indem er sich mit echter altfranzösischer Anmut vor ihr verneigte, sagte er in seiner Sprache: »Nehmen Sie meinen tiefgefühlten Dank, Frau Baronin, für Ihre Güte, die einem Verfolgten seinen Glauben an die Menschheit wiedergibt, und seien Sie überzeugt, daß Sie Ihre Huld an keinen Unwürdigen verschwenden.«
Ein heftiger Hustenanfall schnitt seine Rede ab, die Anstrengung brachte ihn einer Ohnmacht nahe; auf Frau v. Fiedlers Wink trug man ihn sofort in das für ihn bereitete Zimmer und brachte ihn zu Bette. Als sie dann an sein Lager trat, war er eingeschlafen; mit mütterlicher Teilnahme betrachtete sie das feine aristokratische Gesicht, das den Stempel des Leidens trug. Ihr war es, als hätte sie wieder für einen Sohn zu sorgen, und es lag eine wehmutsvolle Genugtuung in diesem Gedanken; doch hatte der Fremde wenig Ähnlichkeit mit ihrem Gerhard. Er schien beträchtlich älter zu sein; die weiße Stirn mit den bläulichen Adern war von dunklem, krausem Gelock umgeben, die schönen Züge sahen schlaff und müde aus, sie trugen keine Spur jener jugendlichen Frische, welche ihr den Anblick ihres Sohnes stets so sonnig und heiter erscheinen ließ. Waren es nur Not und Krankheit, welche den Franzosen mit so scharfen Linien gezeichnet hatten? Die vornehme Jugend Frankreichs stand nicht im Rufe der Tugend und Mäßigung – aber danach wollte die barmherzige Samariterin nicht fragen; sie wollte ihn pflegen wie einen lieben Angehörigen, vielleicht konnte ja mit Gottes Hilfe mit dem Körper zugleich die Seele genesen.
Der Kranke brachte die ersten Tage in einem fieberhaften Zustande zu, und man mußte ihm strenges Schweigen auferlegen, um seine angegriffene Lunge zu schonen. Desto redseliger war sein Diener Pierre, der in der Bedientenstube der aufhorchenden Gesellschaft eine Menge Einzelheiten aus dem Leben seines Herrn in seinem bunten Kauderwelsch erzählte. Die Zofe Fanny spielte dabei die Dolmetscherin, sie hatte gelegentlich einige französische Brocken aufgeschnappt und tat sich viel auf ihre Sprachkenntnisse zugute. Pierre nannte seinen Herrn Monsieur le comte Léon de Malthême und berichtete, derselbe gehöre einem alten Adelsgeschlechte an, das in der Provinz reich begütert gewesen sei. Der junge Graf habe als Offizier der Leibgarde in unmittelbarer Nähe des Hofes in Versailles und Paris gestanden, sei aber nach der Gefangennehmung der königlichen Familie mit vielen Fährlichkeiten aus Frankreich entflohen und eben auf dem Wege gewesen, um sich mit anderen vornehmen Emigranten zu vereinigen, als das Unwetter im Thüringer Walde ihn ereilte und seiner ferneren Reise ein Ziel setzte.
»Où vous né, Mr. Pierre?« fragte Fanny ihn einmal, als die gesamte Dienerschaft beim Frühstück saß.
» Moi sein keboren im Dauphiné,« erwiderte er, » ah Mademoiselle, welk schöne pays! là nix montagnes de neige, nix froideur, là toujours süßes Luft und krünes Baum. Ici Mademoiselle so bleik wie Schnee, là bientôt blühen comme une rose!«
Fanny errötete, halb ärgerlich, halb geschmeichelt. » Voilà!« rief der lebhafte Franzose, »meine patrie malt Mademoiselle tout de suite Rosen in die Kesicht!«
Alle Zuhörer lachten, und Fannys farblose Wangen erglänzten in immer höherem Rot. »Meiner Treu,« meinte Franz, »das Mittel ist probat! Da könnte unser altes gnädiges Fräulein sich viel Schminke sparen, wenn sie dorthin auswanderte – viel Glück auf den Weg!«
»Schäm' Er sich, Franz, und schwatz' Er nicht so gottlos vor einem Fremden!« sagte Mamsell Jettchen streng.
»Erzählen Sie uns lieber von Ihrer belle France und der großen Revolution, Mosjö Pierre«, bat Fanny.
Und Pierre erzählte von der ausgedehnten Herrschaft und dem prächtigen Stammschlosse der Malthêmes, von ihrem Reichtum und ihrem großartigen Leben, und wenn seinen Zuhörern auch nicht alle seine Worte klar wurden, so verstanden sie doch seine lebhaften Gebärden und hörten ihm wie gebannt zu. Er berichtete auch von seiner eigenen Familie, die fast so lange in Beauplan ansässig sei wie die Grafen, aus der fast alle Jäger und Kammerdiener der gräflichen Familie genommen würden, und die sich daher mit ihren Gebietern unauflöslich verbunden fühle. Der letzte Graf sei freilich ein gar strenger Herr gewesen und habe seine Bauern wohl ein wenig hart behandelt; da hätten die Toren, statt ein paar Jahre zu warten, sich von Pariser Agenten ausreizen lassen, Rache zu üben; sie hätten sich zusammengerottet, das alte Schloß angezündet, den Herrn Grasen totgeschlagen und sich in seine Güter geteilt. So habe Graf Léon, sein Enkel, sein Erbe verloren, aber es werde sicher nicht für lange Zeit sein; bald würden sie sich alle eines Besseren besinnen, die schuftigen Patrioten und Bluthunde aus dem Lande jagen und die rechtmäßigen Besitzer aus den alten Geschlechtern zurückrufen. Dann werde sein junger Gebieter wieder ein großer Herr sein und alle reich belohnen, die ihm treu geblieben seien.
Eine Woche war vergangen; im bequemen Lehnstuhl saß der Fremde am flackernden Kaminfeuer, ihm gegenüber Frau v. Fiedler, welche ihm soeben einen Abschnitt aus einem französischen Erbauungsbuche vorgelesen hatte, teils um seinen Gedanken die gewünschte Richtung zu geben, teils um eine anstrengende Unterhaltung zu vermeiden. Er hatte heute zum erstenmal sein Zimmer verlassen dürfen, aber sein Kopf lehnte noch müde an dem hohen Polster, und sein Antlitz war ebenso weiß wie die feinen Künde, die auf der scharlachroten Decke ruhten, welche fürsorglich über seine Knie gebreitet war. »Wie ernst und feierlich unsere edle Sprache in Ihrem Munde klingt!« sagte er mit weichem Ton, nachdem das letzte Wort verklungen war. »Ich könnte denken, ich sei wieder ein kleiner Knabe und säße zu den Füßen meiner Mutter, die mich die Händchen falten und beten lehrte – meiner schönen, jungen Mutter, die mir so früh entrissen ward!«
»Und wer sorgte nach ihrem Tode für Sie, lieber Graf? Hatten Sie eine Großmutter oder eine ältere Schwester, die Ihnen die verlorene Liebe ersetzte?«
»Nein, Madame; die eine war lange tot und die andere nicht vorhanden, denn ich war das einzige Kind meiner Eltern; mein Vater hatte durch einen Unglücksfall auf der Jagd ein trauriges Ende gefunden, als ich noch in der Wiege lag. Eine Tante nahm sich meiner an – gute tante Cécile! Sie hatte mich lieb und wollte mein Bestes, aber ich fürchte, ich machte ihr das Leben sehr schwer, denn ich war ein wilder Bube, welcher ihrer Ermahnungen spottete und ihrer Tränen lachte! Auch meine Hauslehrer hatten keine leichte Aufgabe, denn mein Großvater ließ mir allen Willen und erfüllte jeden meiner Wünsche; sein einziges Ziel war es, einen vollendeten Kavalier aus mir zu machen. Mit sechzehn Jahren brachte er mich an den Hof, ich wurde Page der jungen Königin Marie Antoinette – o, wie war sie schön und hinreißend, ganz gleich, ob sie voll neckischer Grazie in Trianon die beglückte Schäferin spielte oder in Versailles voll königlicher Hoheit die höchsten Würdenträger des Staates und des Auslandes empfing – immer war sie es wert, die Beherrscherin der Franzosen zu sein, und unsere jungen Herzen lagen ihr sämtlich zu Füßen! Und jetzt! – Großer Gott, es zerreißt mir das Herz, wenn ich an ihr Elend denke!«
»Wenden Sie Ihren Blick von dem schmerzlichen Bilde ab, mein teurer Graf,« unterbrach ihn Frau v. Fiedler mit bebenden Lippen, »Sie sind noch zu schwach für solche aufregende Gedanken. Später sollen Sie mir alles erzählen; dann wollen wir unsere traurigen Erfahrungen austauschen, denn auch meinem Herzen und Hause hat die Revolution unheilbare Wunden geschlagen.«
Für die Hausgenossen blieb der Fremde vorläufig unsichtbar, auch für Gabriele, die ein lebhaftes Interesse an ihm nahm. Sie schickte ihm zuweilen ein schönes Buch oder einen deutschen Almanach mit schönen Chodowieckischen Kupfern, um ihm die Langeweile zu vertreiben, und ließ sich von Fanny erzählen, was diese von ihm wußte. Endlich trat sie an der Hand ihrer Mutter vor den Kranken. »Ich lasse Ihnen meine Tochter eine kleine Weile hier, lieber Graf,« sagte die Freifrau, »während ich einige dringende Geschäfte zu erledigen habe. Suche unseren Gast unterdessen zu unterhalten, mein Kind.«
Gabriele fühlte sich äußerst beklommen, als jene das Zimmer verließ; sie hatte zwar von ihrer Kindheit an viel Französisch gelernt, wie es, die damalige Bildung erforderte, und es oft mit Tante Bella gesprochen, aber ein wirklicher Franzose flößte ihr doch große Scheu ein, besonders da die Sprache von seinen Lippen ganz anders klang als von denen des Herrn Magisters. Dennoch suchte sie ihre Verwirrung zu bemeistern, und der Graf lächelte so ermutigend zu ihrer schüchternen Rede, er wußte ihr so sein und unmerklich auszuhelfen, wenn sie um einen Ausdruck verlegen war, daß die Unterhaltung bald in Gang kam und Frau v. Fiedler bei ihrer Rückkehr die beiden ganz befreundet fand.
Von diesem Tage an brachte Gabriele täglich einige Zeit bei dem Kranken zu, der bei der fortdauernd rauhen Witterung immer noch das Zimmer hüten mußte. Sie plauderte mit ihm oder las ihm vor, am liebsten aber hörte sie ihn von seiner schönen unglücklichen Königin erzählen. War doch ihr treuer Bruder um dieser Frau willen in den Tod gegangen! Das war ein starkes Band der Sympathie mit dem Comte de Malthême!
»Nimm dich in acht, Lilly,« sagte die blinde Maria warnend, »der fremde Mann gewinnt eine große Herrschaft über die Seele deines Kindes.«
»Nicht in einem gefährlichen Sinne, Maria«, gab Frau v. Fiedler ruhig zurück. »Ist es nicht Christenpflicht und echtes Frauenwerk, die Kranken zu pflegen, die Betrübten zu trösten? Überdies ist die Zeit nicht lang; im Frühling geht der Graf fort, und was er mitnimmt oder hinterläßt, wird nur eine flüchtige Erinnerung bleiben. Möge sie für alle Teile eine angenehme sein!«