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Sechzehntes Kapitel.
Der Kaiser und sein General

Vor dem fränk'schen Imperator steht die holde Königin,
Aber ach! ihr heißes Flehen rührt nicht seinen starren Sinn!
Fromme Dulderin, verzage nicht ob dieses Mannes Hohn,
Denn es sühnt der Mutter Schmerzen im Triumphe einst dein Sohn!

In dem Dorfe Picktupönen unweit Tilsit herrschte seit kurzer Zeit ein wunderbar lebhaftes Treiben. Während die biederen Bewohner sonst jahraus, jahrein an wenig anderes gedacht hatten als an Säen und Ernten, Dreschen und Spinnen am Alltag und Kirchgehen und Ausruhen am Sonntag, während fast nie ein fremder Fuß das Dorf betreten hatte, gab es jetzt die merkwürdigsten Dinge zu sehen, über denen man fast die gewohnte Tagesarbeit vergaß. Es wimmelte förmlich von hohen Herren in besternten Uniformen, von galonierten Dienern und schönen Wagen, denn seit acht Tagen hatte der König hier sein Quartier aufgeschlagen, ihr unglücklicher, tiefgebeugter Landesvater, den die braven Litauer so innig liebten und verehrten, dem sie gern ihr Bestes geopfert hätten, um ihn für die erlittenen, herben Verluste zu trösten. Und nun sollte auch noch die Königin kommen, von der man sich, besonders seit sie in Memel weilte, so viel Liebes und Gutes erzählte, von der man wie von einer Heiligen sprach! Das kleine Haus des Geistlichen, das sich zum Empfange des hohen Gastes rüstete, und das dem, in welchem der König wohnte, gerade gegenüber lag, wurde nicht leer von Frauen, welche der Pfarrerin ihre Hilfe und Unterstützung anboten; die eine brachte Butter und Eier, die andere junge Hühnchen zum leckeren Braten, die dritte hatte einen riesigen Kuchen gebacken; Scharen von Kindern kamen mit Blumen und Kränzen – jeder wollte etwas dazu beitragen, um die teure Landesmutter würdig aufzunehmen.

Am Abend des vierten Juli rollte ein Wagen die Dorfstraße entlang; die ganze Einwohnerschaft hatte sich dort aufgestellt, aber die Leute fühlten wohl, daß das Herz ihrer Königin voll Trauer sei, und daß lauter Jubel und Hochrufe sich in so trüber Zeit nicht ziemten. Sie grüßten daher nur lautlos und ehrfurchtsvoll, und die hohe Frau verstand ihre zarte Empfindung wohl, denn sie dankte mit ernster Neigung des Kopfes und winkte gütig mit der Hand. Vor dem festlich geschmückten Pfarrhause stand der Geistliche mit den Seinen; die Frauen knicksten tief, als die erste Dame ausstieg, aber die trat ehrerbietig zur Seite – das konnte also die Königin nicht sein; auch die zweite nicht, obgleich sie vornehm und stattlich genug aussah, aber die dritte war es, denn trotz des schlichten, dunkeln Kleides und des blauen Schleiers, der ihr Haupt halb verhüllte, hatte sie doch ein wahrhaft fürstliches Aussehen. Das bleiche Antlitz trug die Spuren vieler Tränen, und doch lag eine so erhabene Ruhe, eine so milde Wehmut darauf, daß man es ohne Rührung nicht ansehen konnte. Ein sanftes Lächeln verklärte die auch in ihrer Traurigkeit noch schönen Züge, als die Königin sich an die Frau des Geistlichen wandte und ihr in freundlichen Worten für ihre Aufnahme dankte; dann trat sie in das Haus ein, wo einige Herren vom Gefolge des Königs sie begrüßten. Ihre erste Frage galt ihrem Gemahl, der noch nicht aus Tilsit zurückgekehrt war; erst in später Abendstunde kam er an, und die Uhr verkündete Mitternacht, ehe die beiden Gatten sich trennten. Wieviel hatten sie sich zu sagen! Wieviel Bitteres hatte der Herrscher von Gottes Gnaden an jedem der letzten Tage von dem übermütigen Emporkömmling erdulden müssen, der Sieg und Macht auf seiner Seite hatte! Wie ganz beruhten alle Hoffnungen des unglücklichen Monarchen auf der herrlichen Frau, welche durch die Gewalt ihrer reinen, edlen Weiblichkeit den hartherzigen Tyrannen zu milderen Friedensbedingungen bestimmen sollte!

An schuldiger Höflichkeit ließ es Kaiser Napoleon nicht fehlen; er schickte am nächsten Morgen seinen Oberstallmeister von Tilsit hinüber, um sich nach dem Befinden Ihrer Majestät zu erkundigen und sie zur Mittagstafel einzuladen; er sandte ihr einen prächtigen Staatswagen, der mit acht Apfelschimmeln bespannt war, und eine Abteilung seiner berühmten Garde, nebst zwei hohen Offizieren, um sie mit königlichem Anstand in die Stadt einzuführen, in der er, umgeben von zahlreichen Marschällen und einem gewaltigen militärischen Gefolge, wie ein Welteroberer verweilte. Die Königin hatte sich für den schweren Gang herrlich geschmückt; ein silbergesticktes, weißes Kleid schmiegte sich um die edle Gestalt, kostbare Perlen – der einzige Schmuck, den sie zurückbehalten hatte, als sie alle ihre Juwelen dem Vaterlande opferte – schimmerten im Haar und auf der Brust. Auch ihre beiden Begleiterinnen hatten festliche Kleidung angelegt, aber unter den prächtigen Stoffen klopften die Herzen voll banger Erwartung und in tiefer Empörung.

Als Gabriele v. Fiedler hinter ihrer fürstlichen Gebieterin das bescheidene Haus verließ, um den kaiserlichen Galawagen zu besteigen, fiel ihr Blick auf die beiden französischen Generale, welche die Königin geleiten sollten, und die sie vorher keiner näheren Beachtung gewürdigt hatte. Jetzt aber schoß ihr das Blut in die Wangen, denn sie erkannte in dem einen den Mann, der einst in ihrem Leben eine bedeutsame Rolle gespielt hatte – den Grafen v. Malthême. Einen Augenblick stockte ihr Fuß, aber schnell hatte sie sich wieder gefaßt, und mit einer stolzen Verbeugung den Gruß des Generals erwidernd, nahm sie ihren Platz im Wagen ein. Schweigend fuhren die drei Damen dahin; die Königin brauchte all ihre innere Kraft, um sich für die bevorstehende Unterredung zu sammeln; sie drückte nur hin und wieder die Hand ihrer getreuen Oberhofmeisterin oder nickte Gabrielen leise zu. Diese fühlte sich von tausend Empfindungen bestürmt; obgleich sie sich schalt, daß sie imstande sei, an etwas anderes zu denken als an die schweren Stunden, die vor ihrer hohen Freundin lagen, so konnte sie doch den Erinnerungen nicht wehren, welche durch die Nähe des stattlichen Mannes heraufbeschworen wurden, der zur Seite des Wagens ritt, und dessen forschenden Blick sie mehr fühlte als sah. Wie lebendig stand die Heimat, die Jugendzeit vor ihrem inneren Auge! Auch damals hatte es Kummer und Tränen gegeben, aber wie schnell waren sie getrocknet! Wie reich und glücklich war das Leben gewesen, als sie noch harmlos allen Menschen vertrauen, von jedem das Beste denken konnte! Der Graf v. Malthême hatte ihr zuerst die traurige Lehre erteilt, daß es auch Unlauterkeit und Lüge in der Welt gebe, und seitdem war ihr der Himmel nie wieder so wolkenlos heiter und sonnig erschienen wie vorher.

Nach einstündiger Fahrt traf man in Tilsit ein und stieg in der dortigen Wohnung des Königs ab, der seine Gemahlin mit ernster, sorgenvoller Miene empfing. Kaum hatte die Königin Zeit, sich von der Fahrt etwas zu erholen, da tönte lauter Hufschlag auf der Straße; man meldete, daß Kaiser Napoleon sich mit einem glänzenden Gefolge dem Hause nähere. Die Oberhofmeisterin und Fräulein v. Fiedler begaben sich an den Fuß der Treppe, um den Sieger zu empfangen; wie voll auch ihre Herzen von Haß und Zorn gegen den furchtbaren Mann sein mochten, so durften sie doch keine Andeutung davon in ihrem Wesen, ihren Mienen merken lassen, denn der Advokatensohn stand vor ihnen als eine Verkörperung des Erfolges, als der Sieger über halb Europa, als der, welcher die Geschicke ihres Vaterlandes in seinen Händen trug.

Als der Kaiser hielt, sprangen die Marschälle von ihren Pferden und drängten sich nach der Ehre, ihm den Steigbügel zu halten. Er begrüßte die beiden Damen höflich und stieg die enge Treppe hinauf, die zum Gemach der Königin führte. Angstvoll schauten sie ihm nach, er sah wenig vertrauenerweckend aus. Eine kleine, starke Gestalt ohne edle Formen, ein aufgedunsenes, gelbes Gesicht mit unheimlich rollenden, großen Augen und einem harten, unbeugsamen Ausdruck um den sonst schön geschnittenen Mund – so erschien der Beherrscher Frankreichs, der wenige Augenblicke später in nachlässiger Haltung vor der edelsten Frau ihrer Zeit, der Königin Luise von Preußen, stand. Aber wie fühlbar er auch den allmächtigen Gebieter über das Schicksal des unglücklichen Landes hervorkehren mochte – die Königin blieb ihm doch gewachsen; mit edler Würde wußte sie die Herrin der Unterhaltung zu bleiben und seine hochmütigen Fragen mit schicklicher Schlagfertigkeit zu beantworten. Die erhabene, geistvolle Erscheinung blieb offenbar nicht ohne Eindruck auf Napoleon, doch heimlich mahnte ihn sein Minister Talleyrand an die Strenge, die er sich vorgenommen, und fragte ihn höhnisch, ob er um einer schönen Königin willen seine größte Eroberung preisgeben wolle?

Einige Stunden später fuhr das Königspaar in Begleitung der Gräfin Voß nach dem Quartier Napoleons zur Tafel, während Gabriele allein zurückblieb. Sie war froh über ein paar stille, ungestörte Stunden, denn sie hatte viel zu durchdenken; sie war erschrocken über die Flut von Bitterkeit, welche der Anblick des Grafen in ihrer Seele entfesselt hatte, denn sie hatte geglaubt, die alte Beleidigung längst vergeben und vergessen zu haben, wie es einer Christin geziemte. Sie war ganz in Sinnen verloren, als ein Diener ihr einen Offizier meldete, der sie zu sprechen wünschte; er bringe Nachrichten aus der Heimat, habe er gesagt. Gabriele sprang auf: »Führen Sie den Herrn gleich herein!« sagte sie lebhaft; gespannt blickte sie dem Kommenden entgegen, das Herz schlug ihr in heißer Sehnsucht und Erwartung. Die Tür ward geöffnet, und herein trat – der Graf v. Malthême. Gabriele wich einen Schritt zurück, ihre Züge nahmen einen kalten, hochfahrenden Ausdruck an; sie ließ die Hand, welche er halb erhoben hatte, um die ihrige zu fassen, unbeachtet.

»Darf ich hoffen,« begann er in dem alten, weichen Ton, der ihr wider Willen die Vergangenheit vor die Seele rief, »daß Sie nach so langer Zeit einen einstigen Freund noch wiedererkennen, Baronesse? Ich habe Sie im ersten Augenblick erkannt, obgleich meine kleine Freundin von ehemals sich sehr verändert hat und aus dem anmutigen, warmherzigen Kinde eine stolze, unnahbare Dame geworden ist. Aber ich hoffe, ich habe einen Schlüssel zu dieser Feste: ich bin in Scharfeneck gewesen und habe Ihre verehrte Frau Mutter gesprochen!«

Solcher Kunde konnte sie nicht widerstehen, sie lud ihn ein, Platz zu nehmen. »Ich habe seit vielen Monaten keinen Brief aus der Heimat erhalten,« sagte sie erregt, »ich bitte Sie, Herr Graf, berichten Sie mir genau, wie es dort steht. Was macht meine liebe Mutter, mein Bruder, die Kinder? O, wie hat mein Herz nach solcher Nachricht gehungert und gedürstet!«

»Sie wissen nichts von dort? Dann beklage ich es tief, daß ich der Bote schlimmer Kunde sein muß!« erwiderte der Graf und teilte ihr in der schonendsten Weise den Tod ihres Bruders und die Flucht Marions mit. Gabriele war tieferschüttert; im ersten Augenblick fühlte sie ein Verlangen, fortzustürzen und ihren Kummer vor den Augen eines Fremden zu verbergen; aber Malthême zeigte eine so warme Teilnahme, er wußte ihr so viel von der Heimat und ihrer Mutter zu berichten, es so fein und zart einzuflechten, daß er den Ihrigen einen großen Dienst hatte leisten können, daß ihre anfängliche Zurückhaltung immer mehr verschwand, und sie mit ihm wie mit einem alten Freunde verkehrte. Eine Stunde war in lebhafter Unterhaltung entschwunden, ohne daß sie es merkte; als der Graf sich erhob, reichte sie ihm freiwillig die Hand und sprach ihm ihren herzlichen Dank aus. »Ich hoffe, Sie wiederzusehen«, sagte er, und sie nickte dazu; dann ging er, und sie blieb noch lange in trüben Gedanken an derselben Stelle sitzen. Sie weinte um den geliebten Bruder, der den Seinen zum zweitenmal entrissen war, um ihre treue Mutter, die so einsam zurückblieb; aber trotz ihrer tiefen Traurigkeit empfand sie doch etwas von dem alten Zauber, den der Emigrant einst auf seine ganze Umgebung ausgeübt hatte. Sie hatte seitdem unzählige vornehme Kavaliere kennen gelernt, aber kaum in einem wieder eine so harmonische Vereinigung von Bildung, Liebenswürdigkeit und feinster Form gefunden wie in dem Grafen v. Malthême.

Auf der Straße wurde es lebendig, Wagen rollten und hielten vor dem Hause, die königlichen Herrschaften kamen vom Mittagsmahl beim Kaiser Napoleon zurück. Gabriele erhob sich; die eigenen Interessen, denen sie sich einige Stunden hingegeben hatte, wurden zurückgedrängt, sie mußte wieder ganz die Hofdame sein, ihre Gebieterin empfangen, mit den Herren der Begleitung verkehren. Aber daran war sie seit zehn Jahren gewöhnt, und es wurde ihr heute nicht einmal besonders schwer, da sie von ganzem Herzen verlangte, etwas über den Erfolg der gefürchteten Zusammenkunft zu hören. Sie sah die Königin lebhafter und heiterer als seit langer Zeit; auch auf den Gesichtern der anderen lag es wie ein Schimmer von Hoffnung. Auf dem Rückwege von Picktupönen, als Gabriele mit der Oberhofmeisterin allein im Wagen war, erzählte ihr diese, daß der französische Kaiser sehr höflich und zuvorkommend gewesen sei; bei der Tafel habe er eine lebhafte und gutgelaunte Unterhaltung geführt und nach dieser noch eine Unterredung mit der Königin gehabt, woraus diese die besten Hoffnungen geschöpft habe. So ging man an diesem Abende mit Dank und Herzenserleichterung zur Ruhe.

Aber dieses Aufatmen sollte nicht von Dauer sein, schon der nächste Morgen zerstörte den kurzen Traum von der Großmut des Siegers. Als die Königin mittags in Tilsit ankam, empfing ihr Gemahl sie mit der Schreckensnachricht, daß Napoleon alle seine Zusicherungen für leere Höflichkeiten erklärt habe und auf seinen Forderungen in voller Härte bestehe. Das war ein Donnerschlag! Unsäglich schwer wurde es der getäuschten Fürstin, der Einladung des Kaisers zur Tafel noch einmal zu folgen, und doch wagte man nicht, es abzuschlagen. Heute wollte die Unterhaltung nicht in Fluß kommen; zu bitter empfand jene das empörende Spiel, das der Übermütige sich mit ihr erlaubt hatte, und auch Napoleon sah, trotz seiner Bosheit und Tücke, doch verlegen vor sich hin. Lassen wir den Dichter die letzte Unterredung zwischen Napoleon und Luise schildern.

So sollst du Reine, Treue
Vor dem nun stehen itzt,
Der kaum noch ohne Scheue
Auf dich sein Gift gespritzt!
Sie wollte dies auch dulden,
Die viel geduldet schon,
Und trat in ihren Hulden
Hin vor Napoleon.

Da ward der starre Kaiser,
Getroffen von dem Strahl
Der Anmut, zum Lobpreiser
Der Schönheit auch einmal:
»Ich hoffte, eine schöne
Königin hier zu schaun,
Und finde, die ich kröne
Als schönste aller Fraun.«

Er pflückte eine Rose
Vom nahen Stocke dort,
Sie dir, du Makellose,
Darreichend mit dem Wort:
»So zu verdientem Ruhme,
Zum Zeichen ihres Rechts,
Reich' ich die schönste Blume
Der Schönsten des Geschlechts!«

Hinnahm, ihr Herz bezähmend,
Die Königin das Pfand,
Wohl stach, die Rose nehmend,
Ein Dorn sie in die Hand.
Daß er sie ehrend kränke,
Begehrt er, hochmutsvoll,
Daß sie noch ein Geschenke
Von ihm erbitten soll.

Sie sprach in hohen Sitten
Mit königlichem Sinn:
»Ich habe nichts zu bitten
Als Preußens Königin!
Als Mutter meiner Söhne
Tu' ich die Bitt' allhie,
Zu geben mir die schöne
Stadt Magdeburg für sie.«

Da stand der Mann von Eisen,
Des Scheins der Anmut bar:
»Ihr seid«, sprach er, »zu preisen
Als schöne Kön'gin zwar;
Doch schöner Königinnen
Ein hundert sind zu leicht,
Wenn man sie mit den Zinnen
Von Magdeburg vergleicht!«

(Rückert.)

»Ich bedaure, Sire,« sagte die Königin beim Abschied, »daß ich von Ihnen scheide, ohne in dem Helden auch den großmütigen Sieger ehren zu können!« Als sie ihren Wagen bestieg und Napoleon am Schlage erschien, da machte ihr tiefer Schmerz sich Luft in den klagenden Worten: »O Sire, Sie haben mich grausam getäuscht!«

Wieder war während dieser Zeit Gabriele allein in der Wohnung des Königs zurückgeblieben, und abermals ließ sich der Graf v. Malthême bei ihr melden; diesmal konnte sie ein peinliches Gefühl nicht unterdrücken, doch wußte seine feine Liebenswürdigkeit dieses schnell zu verscheuchen. Er legte ihr in kurzen Zügen sein Leben dar, seit er vor vierzehn Jahren aus Scharfeneck geschieden war; wie er sich anfangs an Monseigneur und den Grafen v. Artois, die beiden Brüder des gemordeten Königs, angeschlossen und ihr Exil in Hamm und Blankenburg geteilt habe, wie sich aber mit der Zeit ein unendlicher Widerwille gegen dieses müßige Leben seiner bemächtigt und ihn getrieben habe, unter dem großen Feldherrn Napoleon Bonaparte Dienste zu suchen. So habe er in den Feldzügen gegen Österreich, Rußland und Preußen mitgefochten und schnell eine Stufe militärischer Ehren nach der anderen erreicht. »Aber vielleicht wird es auch Sie, wie Ihre Frau Mutter, befremden,« schloß er seinen Bericht, »den alten Aristokraten jetzt in kaiserlichen Diensten zu sehen.«

»Nein, Herr Graf,« erwiderte sie, »ich begreife vollkommen, daß Ihre leidenschaftliche Liebe für den Ruhm Frankreichs im Dienste dieses großen Kriegshelden reiche Nahrung findet, und ich freue mich, daß Sie ein Feld gefunden haben, um Ihre Kräfte zu betätigen. Es ziemt einem Manne nicht, müßig am Markt des Lebens zu stehen.«

»Ich weiß es wohl, Sie hatten schon damals ähnliche Gedanken und hätten mich gern in eine Tätigkeit hinausgetrieben«, sagte er gedankenvoll. »Wie lebhaft steht die alte Zeit vor meinen Augen! Wie oft habe ich an das holde, junge Mädchen gedacht, das mir eine so zärtliche Freundschaft widmete! Sie ahnten es vielleicht nicht, teure Cousine, mit welchem geheimen Weh ich mich damals losriß, wie groß meine Freude war, Sie hier wiederzufinden!«

Er heftete einen prüfenden Blick auf ihr blasses Antlitz, aber sie saß mit gesenkten Augen da und schwieg. »Es wird jetzt Friede geschlossen zwischen den Fürsten und Völkern,« fuhr er fort, »lassen Sie vollen Frieden und herzliche Freundschaft auch zwischen uns beiden herrschen, Baronesse.«

Er reichte ihr die Hand, in die sie einschlug; er hielt sie fest. »Ich möchte mir noch mehr erbitten,« sagte er in weichem, gedämpftem Ton, »schenken Sie mir diese kleine Hand! Folgen Sie mir in mein Vaterland, seien Sie die Herrin über mich und meine Güter! Einst nahmen Sie den Flüchtling in Ihr Haus auf – jetzt biete ich Ihnen das meine an; o Gabriele, verschmähen Sie es nicht, vielleicht werden Sie dort glücklicher sein als hier!«

Sie sah ihn mit einem großen, vollen Blick an und entzog ihm langsam ihre Hand. »Einst, Herr Graf,« sagte sie ernst, aber ohne Bitterkeit, »einst wäre es Ihnen nicht schwer geworden, das unerfahrene Kind für sich zu gewinnen, aber damals wollten Sie nur das vermeintliche reiche Erbe erwerben; das törichte, kleine Herz galt Ihnen nichts. Jetzt liegt zwischen dem Günstling des Kaisers Napoleon und der Freundin der Königin Luise eine Kluft, die durch nichts auszufüllen ist; nie könnte ich daran denken, dem Feinde meines Vaterlandes meine Hand zu reichen. Heute stehen Sie auf der Sonnenhöhe des Erfolges, während wir im tiefen Schatten der Trübsal am Boden liegen, – ich mißgönne Ihnen Ihr Glück nicht, aber mein Platz ist an der Seite der hohen Frau, die Ihr Kaiser so schwer beleidigt und getäuscht hat, und lieber wollte ich neben ihr mit Ehren untergehen als an seinem Ruhme teilhaben. Leben Sie wohl, Herr Graf, unsere Wege scheiden sich hier für immer.«

Sie bot ihm nochmals die Hand, über die er sich tief niederbeugte. »So lassen Sie uns wenigstens als Freunde auseinandergehen,« bat er in innigem Ton, »sagen Sie mir, daß Sie mir ein gütiges Andenken bewahren wollen.«

Gabriele sann einige Augenblicke nach. »Ich will Ihnen ein großes Zeichen meines Vertrauens geben, Herr Graf,« sagte sie dann; »ich habe eine Bitte an Sie, wollen Sie diese erfüllen?«

»Gebieten Sie über mich – alles, alles, was in meinen Kräften steht, will ich tun, um Ihnen meine Ergebenheit, meine Bewunderung Ihrer hochherzigen Gesinnung zu beweisen!« rief er feurig.

»Sie sagten mir, daß die Gattin meines geliebten Bruders sich wahrscheinlich zu ihren Landsleuten gewendet habe – Gott weiß, welches dort ihr Schicksal sein wird! Sollten Sie ihr je begegnen, so nehmen Sie sich ihrer an wie ein Freund, lassen Sie sie nicht in Not und Elend geraten! Der Dank meiner Mutter und der meinige werden Ihre Freundlichkeit begleiten.«

»Ich gelobe es Ihnen!« erwiderte er feierlich, »der Name v. Fiedler soll mir überall heilig sein, wo ich ihm auch begegne.«

»Ich danke Ihnen, mein Freund,« versetzte Gabriele warm, »Gott segne Sie – leben Sie wohl!«

Noch einmal verbeugte er sich – im nächsten Augenblick schloß sich die Tür hinter ihm zu. Träumend sah Gabriele ihm nach. »Er ist doch ein edler Mann!« sagte sie mit feuchten Augen, »ich hatte mich nicht ganz in ihm getäuscht. Nun gehöre ich dir allein an, meine hohe Königin, und niemand in der Welt soll mich jemals dir abwendig machen!«

Man kehrte an diesem Abend in tiefster Niedergeschlagenheit nach Picktupönen und bald darauf nach Memel zurück. Der Friede von Tilsit zerstörte alle Hoffnungen und übertraf die traurigsten Befürchtungen, denn nicht allein der Feind, auch der Freund hatte sich gegen den besiegten König gewandt und sich an dem Raube seiner Länder bereichert. Es war, als wäre Preußens Todesurteil gesprochen, als hätte es keine Zukunft mehr zu hoffen. »Wir sind auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen,« sagte die Königin in tiefer Trauer; »weil wir mit der Zeit nicht fortgeschritten sind, hat dieselbe uns überflügelt.«

Aber wie zerschmetternd der Schlag auch war, wie schwer auch die unbarmherzige Faust des Siegers, der sich an keine Abmachung band, auf dem unglücklichen Lande lastete, – dennoch fand die Königin nach kurzer Zeit ihre fromme Ergebung, ihren stillen Heldenmut wieder. »Es kann in der Welt nur gut werden durch die Guten,« sagte sie, »deshalb glaube ich nicht, daß der Kaiser Napoleon fest und sicher auf seinem glänzenden Throne sitzt. Ich glaube fest an Gott und eine sittliche Weltordnung – diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht, daher bin ich der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Ist doch alles in der Welt nur Übergang. Wir müssen durch! Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden!«

So wurde das erhabene Beispiel ihrer Geduld und Hoffnung ein leuchtendes Vorbild für ihre Umgebung, für ihr ganzes Volk, und bei allem Weh war es doch ein reiches Leben, das sich für die königliche Familie in Königsberg und Memel auftat, sobald man den Reichtum des Lebens nicht nach dem äußeren Glanz, sondern nach der inneren Fülle beurteilt. Die besten Männer aus allen Ständen sammelten sich im fernen Nordosten des zusammengeschmolzenen Staates um das Königspaar; Staatsmänner wie der Minister v. Stein, Kriegshelden wie Scharnhorst und Gneisenau, begeisterte Dichter wie Max v. Schenkendorf, alle legten durch ihr mutiges Ringen und Schaffen Zeugnis davon ab, daß, trotz aller Niederlagen, der deutsche Geist noch unbezwungen sei. So wurden die Trauerjahre des Exils eine Zeit der Aussaat, die in späteren Jahren eine reiche, ungeahnte Ernte tragen sollte.


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