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Leise fliegt von Mund zu Munde
Flüsternde, geheime Kunde:
Allen Fremden Schmach und Tod!
Aber ach, nach wenig Wochen
Sind die Waffen all zerbrochen,
Endlos scheint der Knechtschaft Not!
Es war in der letzten Woche des April, als der Amtmann Ebner vor seiner Herrin stand, um mit ihr über die Angelegenheiten der Güter zu sprechen. Er sah sehr niedergeschlagen aus, und als die Unterredung über die Geschäfte zu Ende war, sagte er in gedrücktem Ton: »Wir haben heute nacht Einquartierung bekommen.«
»Franzosen?« fragte Frau v. Fiedler schnell.
»Nein, gute Freunde.«
»Im Turm?« Der Amtmann nickte. »Wer ist es?«
»Hauptmann v. Hartenstein, Max und Oberst v. Dörnberg.«
»Gott im Himmel!« rief die Freifrau unendlich erschrocken, »ist der Aufstand ...?«
»Gänzlich gescheitert!« versetzte Ebner trübe; »der Plan ist verraten worden, man hat zu früh losschlagen müssen, ein paar Kanonenschüsse genügten, die Bauern in wilde Flucht zu jagen. Es ist alles zu Ende.«
Es entstand eine lange Pause, die Nachricht war zerschmetternd. »Mir ahnte Schlimmes!« sagte die alte Dame in schmerzlichem Ton, »die Idee war zu kühn! Das Mißlingen des Kattschen Anschlages auf Magdeburg hätte die anderen warnen sollen. Hoffentlich läßt Schill von seinem tollkühnen Unternehmen ab. Wer hat den Plan verraten?«
»Man weiß es nicht, man vermutet nur, daß das welsche Hexchen die Hand im Spiele habe; sie soll viele Beziehungen im Lande haben, die sich bis nach Thüringen erstrecken.«
»Wo mag diese gefährliche Frau herstammen?«
»Das weiß ich nicht; man sagt, der General v. Malthême habe sie plötzlich an den Kasseler Hof gebracht, wo niemand sie vorher kannte, und wo sie sich durch die Macht ihrer Schönheit und bestrickenden Liebenswürdigkeit bald zur Beherrscherin des leichtsinnigen Königs aufgeschwungen hat.«
»Sind unsere Freunde im Turm verwundet?«
»Oberst v. Dörnberg nicht, mein Bruder wenig, Herr v. Hartenstein erheblich.«
»Was haben Sie für seine Pflege getan?«
»Ich habe sie Mutter Marthe übergeben; sie wohnt dem Turm so nahe, daß sie, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, leicht dort aus- und eingehen kann. Ihr Sohn ist beim Heer, ihre Enkelkinder alt genug, um keine fortwährende Aufsicht zu brauchen.«
»Ich will selbst hinaufgehen und nach den Verwundeten sehen«, sagte Frau v. Fiedler.
»Ich bitte Euer Gnaden dringend, das nicht zu tun,« versetzte der Amtmann nachdrücklich, »es wäre für alle Teile gefährlich. Die alte Marthe ist rüstig und verschwiegen; sie wird die beste Vermittlerin zwischen uns und dem Turm sein.«
»Sie mögen recht haben,« sagte die Freifrau nach trübem Nachdenken, »ich darf die Sicherheit der Flüchtlinge nicht gefährden. Gott helfe uns und ihnen! es scheint, die Zeit der Heimsuchung für unser unglückliches Vaterland ist noch nicht zu Ende!«
Als der Amtmann gegangen war, rief Frau v. Fiedler Lotte zu sich, um mit ihr die traurige Nachricht zu besprechen. Das junge Mädchen war im Laufe der Jahre immer mehr zur unentbehrlichen Stütze ihrer Pflegemutter herangereift, die ohne ihren Rat und Beistand nichts mehr unternahm, da Lottens Klarheit, Tüchtigkeit und Herzensgüte mit ihrem eigenen Wesen trefflich harmonierten. Lotte war gleichfalls sehr erschrocken über das Mißlingen der Pläne, denn sie hatte ein warmes, deutsches Herz in der Brust; aber fast noch mehr bewegte sie das persönliche Ergehen der beiden Verwundeten. »Sie müssen natürlich ganz aus dem Spiele bleiben, liebe Mutter,« sagte sie sehr bestimmt, »Sie brauchen es nicht einmal zu wissen, daß ich auf den Turm gehe. Ich werde es ganz heimlich und unbemerkt tun; vertrauen Sie mir, mein Mütterchen, ich werde sehr vorsichtig und verständig sein.«
»Meine gute Lotte!« versetzte die Freifrau unruhig, »begib dich nicht in Gefahr! du weißt, wir sind schon manchmal von fremden Spähern umgeben gewesen, und selbst hier gibt es Verräter, die dem Feinde dienen. Großer Gott! wenn Dörnberg hier gefunden würde! es könnte ihm und uns schlecht bekommen!«
»Seien Sie ohne Sorge, beste Mutter, Onkel Walter wird ihm sicher forthelfen; gewiß schafft er ihn in der nächsten Nacht an einen anderen Ort. Nur Mut und Vorsicht! Gott wird unsere gute Sache nicht verlassen!«
An demselben Abend spät, als im Herrenhause schon alles schlief und tiefes Dunkel die Erde bedeckte, verließen zwei Gestalten, eine alte gebückte mit einer Blendlaterne und eine jugendliche, hochgewachsene mit einem großen Korbe in der Hand, durch ein Hinterpförtchen das Schloß und schritten lautlos durch den Park, den Abhang hinauf. An dem kleinen Häuschen des ehemaligen Waldwärters, Mutter Marthes längst verstorbenen Ehemannes, vorüber, ging es den steilen, schmalen Pfad hinan durch dichtes Gestrüpp, bis man die Höhe erreicht hatte und nach verschiedenen Wendungen vor einer eisernen Pforte stand, welche die Alte mit einem Schlüssel geräuschlos öffnete. Eine enge, steinerne Wendeltreppe führte nach oben, Marthe klopfte mit drei kurzen Schlägen an die Tür, welche von innen aufgeschlossen wurde; Max Ebners Gesicht schaute vorsichtig durch die Spalte. »Wer da?« fragte er unruhig, als er hinter Mutter Marthe noch eine Person erblickte.
»Lotte ist's, Onkel,« erwiderte das junge Mädchen, »darf ich eintreten? ich bringe euch allerlei Gutes und bitte um Erlaubnis, Eure Wunden zu verbinden.«
»Gute Lotte, du kommst selbst! das ist brav von dir! Meine Schäden sind nicht der Rede wert, aber der arme Hubert leidet schwer an seinem verletzten Bein, und doch ist es dringend nötig, daß er bald wieder reisefähig wird, denn lange dürfen wir hier nicht verweilen.«
Unterdessen war Lotte in das Gemach eingetreten, das ziemlich geräumig war und einige Reste sehr alter Einrichtung zeigte; starke Läden von derbem Eichenholz verschlossen die Fenster, welche am Tage dem Raum von zwei verschiedenen Seiten Licht gaben. Am Tische saß ein kräftiger, nicht mehr junger Mann in Bauernkleidung und studierte eine Landkarte, die vor ihm lag; beim Eintritt des jungen Mädchens erhob er sich und grüßte flüchtig, um gleich wieder zu seiner Beschäftigung zurückzukehren – es war Oberst v. Dörnberg, der Leiter des mißglückten Aufstandes in Hessen.
Lotte folgte der Alten in die Kammer, wo auf einem niedrigen Bett Hauptmann v. Hartenstein in unruhigem Halbschlummer lag; er stöhnte vor Schmerzen, und seine Stirn brannte im Fieber. Mit leiser, sicherer Hand entfernte sie den vorläufigen Verband, wusch die Wunde aus und legte reine Binden um, während sie Marthe anwies, ihm den Kopf mit kalten Umschlägen zu kühlen. Der Verwundete seufzte erleichtert auf, seine Lippen murmelten halb verständliche Worte, doch schien er gleich darauf in tieferen Schlaf zu sinken. Bei ihrem Onkel zog Lotte im Flüsterton allerlei Erkundigungen ein, übergab ihm die mitgebrachten Stärkungsmittel, Fleisch, Wein und Tabak, und begab sich dann auf den Rückweg, nachdem sie ihre Wiederkehr versprochen hatte. Ohne Aufenthalt gelangte sie bis an die Tür des Schlosses; die brave Alte hatte darauf bestanden, das gute Fräulein zu geleiten, obgleich Lotte lachend erklärte, sie brauche im Park gar keinen Schutz und fürchte sich nicht im mindesten, allein zu gehen.
Mutter Marthe brachte am folgenden Tage befriedigende Nachricht von dem Kranken, der heute bei ganz klarer Besinnung sei und seine Wohltäterin herzlich grüßen ließe. Wieder machten die beiden sich spät abends auf den Weg nach dem Turm; die Alte erzählte in gedämpftem Ton, daß die beiden Rangen, ihre Enkel, sich heute in ihrer Abwesenheit tüchtig gebalgt hätten, daß der kleinere dabei auf einen Stein gefallen sei und sich ein Loch in den Kopf geschlagen habe. »Aber es ist dem Schlingel schon ganz recht,« sagte sie, »wozu ist er immer so ...«
» Arrête, qui vive?« schallte plötzlich eine rauhe Stimme in ihrer unmittelbaren Nähe. Mutter Marthe kreischte erschrocken auf, Lotte preßte ihre Hand mit heftigem Druck, um sie und sich selbst zu beruhigen. Sie hob die Laterne höher, der Lichtstrahl spiegelte sich zuerst in einem blitzenden Bajonett, das sich drohend über ihren Weg streckte, und beleuchtete dann das bärtige Gesicht eines Soldaten dicht vor ihnen.
»Gut Freund!« erwiderte Lotte schnell gefaßt, »ich will ein krankes Kind besuchen, das hier im Waldwärterhäuschen liegt, es hat eine böse Wunde erhalten.« Sie schlug den Seitenweg ein, der zu Mutter Marthes Hütte führte; der Soldat folgte und rief auch noch einige Kameraden herbei, alle zusammen betraten das kleine Haus. »Ein kalter, dunkler Abend,« sagte Lotte ruhig, »wollt ihr eine Weile hier rasten, Leute? Ihr findet hier ein gutes Feuer, auch einen gefüllten Heuboden, wo ihr schlafen könnt. Was treibt ihr so spät auf dieser Höhe?«
»Wir suchen flüchtige Rebellen,« erwiderte der Franzose, »sie müssen sich hier in der Nähe versteckt haben.«
»Hier oben? das ist kaum zu denken; hier ist ja nur dies kleine Haus, das könnt ihr in zwei Minuten durchsuchen. Aber ich muß nach meinem Kranken sehen.« Sie trat an das Bett des Kleinen und machte sich an seinem Kopf zu schaffen; die Wunde war höchst unbedeutend, doch behandelte sie diese mit Umständlichkeit, legte ein großes Pflaster darauf und eine breite Binde darüber, so daß die Sache ganz gefährlich aussah. Der Junge war sehr erstaunt, daß das Fräulein vom Schlosse sich so viel Mühe um ihn gab; seine zahlreichen Schrammen pflegten sonst ohne besondere Fürsorge zu heilen. Inzwischen hatten die Soldaten alle Räume durchsucht und kehrten in die Stube zurück. »Was ist das?« fragte der eine mißtrauisch, indem er den Korb ergriff, der unter dem Tische stand. Er guckte hinein; »Für wen sind die Flaschen bestimmt?«
»Für euch, meine Freunde!« erwiderte Lotte heiter, »seht, das trifft sich gut! Sicher seid ihr hungrig und durstig, und mein Kranker darf heute doch keinen Wein trinken.« Sie holte ein paar riesige, altväterische Tassen herbei, die auf dem Simse standen, füllte sie mit Wein und bot sie ihnen dar, einige Tropfen goß sie für sich selbst ein. »Trinkt, Soldaten!« rief sie, indem sie ihr Gefäß erhob, »auf das Wohl aller treuen Untertanen ihres Fürsten! mögen ihre Anschläge gelingen und ihre Widersacher zuschanden werden!«
» Vive le roi Jérôme! vive l'empereur!« riefen die Franzosen begeistert und stürzten den feurigen Trank hinab. Das junge Mädchen füllte die Tassen aufs neue, solange ihr Vorrat reichte, dann schnitt sie große Stücke saftigen Schinkens ab. »Brot haben wir nicht hier, aber laßt euch das Fleisch schmecken,« sprach sie, »brave Krieger müssen auch ihre Stärkung haben. Möge euch die Ruhe behagen – und stört mir den Kleinen nicht! ich kehre nach Hause zurück.«
»Ich werde die Dame begleiten«, sagte der Gefreite, welcher den Trupp anführte, höflich.
»Macht Euch keine Mühe, Kamerad, ich finde den Weg allein; gute Nacht, Mutter Marthe!«
Der Franzose wollte sich jedoch nicht abweisen lassen und schritt neben dem Mädchen her, das zu seinem neuen Schrecken plötzlich eine Gestalt im Bauernkittel auf sich zukommen sah. »Holla, Jochen!« rief sie schnell entschlossen, »seid Ihr's? warum habt Ihr Euch wieder so lange herumgetrieben und Eure alte Mutter allein gelassen? zur Strafe sollt Ihr mich nach Hause bringen, damit dieser Brave eher zu seiner Ruhe kommt. Habt Dank, mein Freund,« wendete sie sich an den Gefreiten, »der Jochen wird Eure Stelle vertreten, legt Euch ruhig hin, Ihr habt's verdient!«
Der Soldat schwankte noch einen Augenblick, aber der weite Weg und der schwere Wein hatten ihn schläfrig gemacht; er brummte etwas vor sich hin und kehrte um. Schweigend schritten die beiden anderen weiter, bis sie in der Nähe des Schlosses waren; dann ergriff der verkleidete Bauer Lottens Hand und schüttelte sie herzhaft. »Ihrer Geistesgegenwart danke ich meine Rettung, mein Fräulein,« sagte er, »ohne Sie wäre ich den Häschern gerade in die Hände gelaufen.«
»Gott sei Dank, Herr Oberst!« versetzte sie inbrünstig; »hoffentlich sind Sie noch unbeargwohnt geblieben. Ich bringe Sie zu Onkel Walter, der wird weiter für Sie sorgen.«
Am nächsten Morgen fuhr ein Wägelchen mit zwei schlichten Bauersleuten von Tannenrode aus durchs Land, und wenige Tage später hatte Oberst v. Dörnberg die böhmische Grenze erreicht – er war gerettet und in Sicherheit. –
Oberförster Ebner und Hauptmann v. Hartenstein blieben in ihrem Versteck unbehelligt; der alte Turm war so tief im Waldesschatten verborgen, daß er gar nicht mehr zu sehen und nur Eingeweihten bekannt war. Ohne Sorge konnte Lotte auch bei Tage ihre Samaritergänge antreten; die Verfolger suchten in anderen Gegenden nach den Flüchtlingen. Die körperlichen Wunden der beiden Männer heilten allmählich; aber es gab dennoch viel zu trösten, denn wie Hagelschauer auf junge Saat stürzten die Schreckensbotschaften des Mai auf die Hoffnungen der Patrioten hernieder. Major v. Schill hatte sich durch das Mißlingen der anderen Anschläge nicht abhalten lassen, seinen kühnen Plan auszuführen: am 28. April hatte er Berlin mit seinen Husaren und einer Abteilung Infanterie verlassen, als zöge er zu einer gewöhnlichen Übung aus; draußen hatte er in feuriger Rede Soldaten und Offiziere aufgefordert, ihm in den Kampf gegen den Unterdrücker zu folgen und das Joch der Fremdherrschaft zu zerbrechen. Begeistert hatten die Leute ihm zugejauchzt, Freiwillige schlossen sich an, das kleine Heer warf sich in die getreue Stadt Halle, die jetzt widerwillig dem König Jérôme gehorchen mußte, entwaffnete die Besatzung und schlug ein Regiment westfälischer Truppen, das ihm entgegengeschickt war.
So weit war alles gut gegangen, aber nun kamen die Rückschläge; die Kunde von einer Reihe glänzender Siege, die Napoleon mit Franzosen und Bayern um Regensburg gegen die Österreicher erfochten hatte, die verstärkte Furcht der Völker vor dem unbesiegbaren Imperator, die Mißbilligung des preußischen Königs, der seinen Soldaten streng untersagte, sich an der »unglaublichen Tat« Schills zu beteiligen – das alles wirkte lähmend auf die tollkühne Unternehmung. Schill warf sich mit seiner getreuen Schar in die Festung Stralsund, wo ihn französische und dänische Truppen hart belagerten; die Tapferkeit der Besatzung mußte endlich der feindlichen Übermacht unterliegen. Im erbitterten Straßenkampfe fiel der tapfere Führer, den die erzürnten Feinde unehrlich, ohne Flintengruß und Kanonenmusik, verscharrten. Wer nicht fiel, wurde gefangen genommen; die Gemeinen wanderten auf die Galeeren in Frankreich, wo sie neben Räubern und Mördern festgeschmiedet wurden, die Offiziere wurden als Rebellen erschossen.
Die beiden Vaterlandsfreunde im Turm konnten sich der bitteren Tränen nicht erwehren, als dieser traurige Bericht sie erreichte; in stummer Verzweiflung saßen sie da, denn sie glaubten, das Ende aller deutschen Freiheit und Unabhängigkeit sei nun endgültig besiegelt. So fand sie Lotte bei ihrem Besuche, und vergebens bemühte sie sich, in ihrer frischen, mutigen Weise von der Möglichkeit einer besseren Zukunft zu sprechen – ihre Worte verhallten erfolglos neben der erdrückenden Wucht der Tatsachen. »Ihnen, Fräulein Lotte, habe ich noch eine besondere Mitteilung zu machen,« sagte Hartenstein dumpf und beklommen, »ich fürchte, Ihrem Herzen dadurch sehr wehe zu tun. Ich sagte Ihnen schon, daß Leutnant v. Senden im Schillschen Regiment gestanden habe – auch ihn hat das Verhängnis ereilt.«
»Armer Senden!« versetzte Lotte traurig, »er war noch so jung, so voll Lebensmut und Tatkraft!«
»Wollen Sie hören, wie sein Ende war?« fragte Hartenstein, auf einen Brief deutend, »oder würde es Sie zu sehr schmerzen?«
»Ich bitte darum, Herr Hauptmann.«
Er las: »Mit heroischer Kraft ertrugen die elf gefangenen Offiziere in Wesel ihr tragisches Geschick. Zwei und zwei aneinandergefesselt, erwarteten sie stehend, mit unverbundenen Augen die feindlichen Kugeln; sie brachten ihrem König noch ein Hoch! und kommandierten dann: Feuer! Im nächsten Augenblick lagen zehn am Boden; der elfte war nur am Arm verwundet, er riß die Weste auf und rief, auf sein Herz deutend: Hierher, Grenadiere! Einen Moment später hatte er ausgelebt. – Und dieser elfte«, setzte Hartenstein mit erstickter Stimme hinzu, »war unser Freund Senden.« Der wirkliche Name wird verschieden angegeben, bald Flemming, bald Wedell.
Lotte hatte die Hände gefaltet; aus ihren Augen fielen große Tränen herab. »Und dennoch war es ein glorreicher Tod!« sagte sie nach einer Weile stillen Sinnens, »ebenso ehrenvoll wie der auf dem Schlachtfelde. Auch sie sind für König und Vaterland gestorben, und aus der blutigen Saat wird, will's Gott, noch einmal eine herrliche Ernte erblühen!«
»Gott gebe es!« murmelte Hartenstein kummervoll. Er faßte Lottens Hand und sah ihr forschend ins Gesicht. »So betrauern Sie in Senden nur den tapferen Offizier?«
»Den Offizier und den guten Freund – wen sonst noch?« fragte sie verwundert.
»Gott sei Dank!« seufzte er erleichtert und ließ die Hand des Mädchens los.
Der Oberförster kehrte auf seinen Posten zurück, und da durch die Nachsicht und Milde König Jérômes die Verfolgung der Aufständischen schnell beendet und vergessen wurde, so konnte man es wagen, Hartenstein aus seinem Versteck herabzuholen und im Amtmannshause einzuquartieren, wo er für einen Verwandten ausgegeben wurde. Er blieb bis zum Herbst dort, denn seine Gesundheit hatte einen schlimmen Stoß erlitten; so teilten die Bewohner von Scharfeneck mit ihm alle die vielfachen Erregungen, welche die nächsten Monate brachten. Auf die begeisterte Freude, die hochgespannten Erwartungen, welche die siegreiche Schlacht bei Aspern erregte, folgte im Juli wie ein vernichtender Schlag die Kunde von dem entscheidenden Siege Napoleons bei Wagram und bald darauf die von dem schrecklichen Frieden zu Schönbrunn. Wieder ging Napoleon als sieggekrönter Held, als unbestrittener Gebieter über die Geschicke Österreichs aus dem blutigen Kampfe hervor; tiefer als je war der alte Kaiserstaat gedemütigt, die getreuen Tiroler wurden von ihrem Kaiser Franzl aufgegeben und aufs neue Bayern unterworfen, nachdem Andreas Hofer zu Mantua erschossen worden war. Ja, der furchtbare Korse durfte es unternehmen, die Hand der Kaisertochter als Unterpfand des Friedens zu verlangen, und man wagte es nicht, sie ihm abzuschlagen.
So waren im Herbst des Jahres 1809 alle Hoffnungen geknickt, aller Mut gebrochen, und in dumpfer Trauer blickten die Patrioten auf die völlige Unterwerfung ihres Vaterlandes unter den Weltherrscher. »Österreich singt sein Schwanenlied,« schrieb die Königin Luise an eine Freundin, »ade Germania!«