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Die Freundin schmückt der Myrtenkranz,
Ihr winken Hoheit, Glück und Glanz:
Zieh fröhlich hin, mein Schwesterherz,
Ich trage still der Trennung Schmerz!
Als Gabriele v. Fiedler Hildburghausen erreichte und die freudige Überraschung sah, mit welcher Prinzessin Luise ihre Ankunft begrüßte, als sie diese laut jubeln hörte und die Freundin sie in ihre Arme schloß, – da waren alle Wolken verflogen, und sie gab sich dem Glück der Gegenwart mit Wonne hin. Prinzessin Friederike war gerade von einem leichten Unwohlsein befallen, welches sie an ihr Zimmer fesselte, und so sehr Gabriele sie auch bedauerte, so konnte sie doch eine geheime Genugtuung nicht unterdrücken, daß sie nun die ältere Schwester um so ungestörter genießen durfte. Stundenlang wanderten die beiden im Park oder im Walde umher, bei weiteren Ausflügen nur von einem Diener oder einer Kammerzofe begleitet, die sich in ehrfurchtsvoller Entfernung hielten und den vertraulichen Austausch der Freundinnen nicht störten. Wohl gaben die traurigen Ereignisse – der Tod des Bruders, die Hinrichtung des Königs von Frankreich und die Gefangenschaft seiner unglücklichen Familie – ihren Gesprächen oft einen ernsten und wehmütigen Anstrich, aber auch gemeinsam getragenes Leid verbindet die Herzen, und die Tränen, welche eine zärtliche Hand trocknet, verlieren ihre Bitterkeit.
Über den Grafen v. Malthême hatte Gabriele viel zu berichten; sie verschwieg auch die Zweifel nicht, die ihr zuletzt aufgestiegen waren. »Löse mir das Rätsel, geliebte Luise,« schloß sie ihre Erzählung, »wie ging es zu, daß in einem Augenblick die Abreise unseres Gastes mir als ein großer Kummer erscheinen und im nächsten sein längeres Verweilen mir ein tiefes Mißbehagen erwecken konnte? Ich verstehe mich selbst nicht.«
Luise saß eine Weile in tiefem Sinnen da, dann blickte sie mit einem der ihr eignen, leuchtenden Blicke auf. »Ich glaube, ich verstehe dein Gefühl ganz gut, du Teure; dieser liebenswürdige Graf scheint mir mehr ein Held von Worten und Gefühlen als von der Tat zu sein. Was ist es aber, was uns bei einem echten Manne unwiderstehlich fesselt und uns Achtung abnötigt? Doch zumeist die mannhafte Tatkraft, die sich nicht durch tausend kleinliche Bedenken schrecken läßt, sondern mutig die Hand anlegt, um das eigne Schicksal zu gestalten und fremdes Leid zu wenden. Sieh, ich habe seit einiger Zeit einen Mann gefunden, der diese Gedanken verkörpert, das ist der Preußenkönig Friedrich Wilhelm der Zweite. Ich weiß wohl, daß man früher manches an ihm zu tadeln fand, aber die edle Entschlossenheit, mit der er für die Sache des unglücklichen Königs von Frankreich eintrat, die Opfer, die er persönlich dafür gebracht hat, flößen mir die lebhafteste Bewunderung ein.«
»Aber Luise,« wandte Gabriele schüchtern ein, »er hat nichts damit erreicht! Der arme König hat ein jammervolles Ende gefunden, und das preußische Heer ist umgekehrt, ohne einen Erfolg zu erringen.«
»Ja, leider ist der Erfolg nicht immer mit den Guten, und Gott hat es in seiner unergründlichen Weisheit so gewollt, daß der fromme Ludwig für die Sünden seiner Väter büßen sollte. Aber das tut der edlen, uneigennützigen Handlungsweise Friedrich Wilhelms keinen Eintrag! Seine Schuld war es nicht, daß das preußische Heer unverrichteter Sache seinen Rückzug aus der Champagne antrat, wohl aber ist es sein Verdienst, wenn jetzt hessische und preußische Truppen im brüderlichen Verein die alte Kaiserstadt Frankfurt den Franzosen wieder entrissen haben und ein gleiches mit Mainz tun wollen. O, ich schwärme für diesen Mann und seine beiden Söhne, die schon mehr als einmal durch ihre persönliche Tapferkeit den Sieg an ihre Fahnen gebannt haben!«
»Kennst du den König, Luise?«
»Nein, nicht persönlich, aber ich gestehe es dir, daß es einer meiner heißesten Wünsche ist, diesen ritterlichen Vater und sein Dioskurenpaar kennen zu lernen. Man spricht viel Gutes von den Prinzen, besonders der Kronprinz hat sich durch seinen reinen Sinn, sein edles Streben große Anerkennung bei den Besten seiner Umgebung erworben. Solche Männer, die Redlichkeit und Kraft in sich vereinen, tun unserer Zeit not, und ich preise Preußen glücklich, das in seinem Hohenzollernstamm so würdige Fürsten besitzt.«
Wenn Luise so sprach, dann kam sich Gabriele neben ihr recht klein und unbedeutend vor; aber das hinderte sie nicht, in neidloser Bewunderung zu ihr aufzuschauen und sich ihrer Überlegenheit freudig unterzuordnen.
Die Unterhaltung an der heutigen Mittagstafel bewegte sich hauptsächlich um einen Brief des regierenden Landgrafen von Hessen-Darmstadt, welcher die Seinen aufforderte, nunmehr in die Heimat zurückzukehren, da die Kriegsgefahr, der sie im Herbst entflohen waren, durch die Einnahme von Frankfurt völlig überwunden sei. Zugleich lud er die drei Damen ein, ihn im Feldlager bei Frankfurt zu besuchen, wo er sie seinem hohen Bundesgenossen, dem König von Preußen, vorstellen wolle. Die Botschaft fand bei den verschiedenen Personen die verschiedenste Aufnahme; die alte Landgräfin sprach ihre hohe Freude darüber aus, daß hessische Truppen bei der Befreiung deutschen Landes tapfer mitgewirkt und die Heimat von fremden Eindringlingen gesäubert hätten; die Herzogin Charlotte von Hildburghausen beklagte die bevorstehende Trennung von der geliebten Großmutter und den Schwestern; Prinzessin Luise aber jubelte laut bei der Aussicht, den Gegenstand ihrer jugendlichen Begeisterung mit eignen Augen zu sehen. Gabrielens Urlaub war ohnehin abgelaufen, bald nach ihrer Abreise wollte auch die Landgräfin aufbrechen. Der Abschied der beiden Freundinnen war ein sehr inniger, und es flossen viele Tränen dabei, doch schieden sie mit der festen Überzeugung, daß nichts in der Welt ihre Herzen zu trennen vermöchte, und mit dem gegenseitigen Versprechen, durch einen lebhaften Briefwechsel eine ununterbrochene Verbindung aufrechtzuhalten.
Daheim fand Gabriele einen herzlichen Empfang; der Graf konnte sie nicht oft genug versichern, wie schmerzlich er seine kleine Freundin vermißt habe, und wie glücklich er sei, sie wiederzusehen. Auch Tante Arabella war wieder in Scharfeneck erschienen und in ungewöhnlich gnädiger Laune; die Anwesenheit eines französischen Aristokraten entzückte sie, denn sie hatte in dieser Klasse immer das Urbild feinster Sitte und edler Ritterlichkeit verehrt, und die Freundschaft, die eine Prinzessin ihrer Nichte schenkte, hob diese in ihrer Achtung um ein bedeutendes. So herrschte denn ein selten gutes Einvernehmen zwischen den Hausgenossen und dem Stiftsfräulein, welches in den ersten Tagen immer froh war, der Langenweile und den kleinen Zänkereien des adligen Frauenstiftes entronnen zu sein. Sie saß an einem sonnigen Frühlingstage mit Gabriele auf der Terrasse und ließ sich ganz genau die Einrichtungen und Gewohnheiten im Schlosse zu Hildburghausen beschreiben, als Frau v. Fiedler mit einem Briefe in der Hand heraustrat, den sie ihrer Tochter gab. »Von Luise!« rief das junge Mädchen mit erglühenden Wangen, und nachdem sie durch einen Blick die Erlaubnis dazu erbeten hatte, sprang sie die Stufen hinab und eilte in den Park, um in ungestörter Einsamkeit ihr Kleinod zu genießen.
»Im savoir vivre hat Gabriele erfreuliche Progressen gemacht,« sagte Fräulein Bella huldvoll; »sie hat von dem Verkehr mit diesem scharmanten Grafen und ihrer Durchlaucht entschieden profitiert und nimmt allmählich ein wirklich distinguiertes Air an. Ich konstatiere, Frau Schwägerin, daß ich im Recht war, als ich Ihnen dringend anriet, das liebe Kind aus dieser simpeln Häuslichkeit in bildendere Environs zu bringen.«
Ein leises Lächeln spielte um die ernsten Lippen der Freifrau. »Ich glaubte Ihnen eigentlich den Beweis geliefert zu haben, liebe Bella, daß das Haus die beste Bildungsanstalt für eine heranwachsende Tochter sei; Sie erkennen nun selbst an, daß ihr Betragen gut und richtig ist.«
Das Stiftsfräulein erkannte grundsätzlich niemals an, daß sie sich geirrt habe, sie zog es daher vor, von etwas anderem zu sprechen. »Ich betrachte es als eine besonders gütige Fügung der Vorsehung, Frau Schwägerin, daß dieser cher comte sein Domizil gerade in Ihrem Hause aufschlagen mußte. Sie haben den Sohn und Erben verloren – wer könnte besser prädestiniert sein, die Lücke auszufüllen, als ein junger Mann von so vornehmer Geburt, so tadelloser Vergangenheit, so eleganter Turnüre? Attachieren Sie ihn für immer an Ihr Haus, geben Sie ihm Sohnesrechte! Er scheint eine Inklination für unsere liebe Kleine zu haben; sicher würde er der konvenabelste Gatte für sie, der würdige Erbe Ihrer Güter sein!«
»Halten Sie ein!« sagte Frau v. Fiedler mit Nachdruck. »Ich wünsche dergleichen nie wieder zu hören. Mein Gatte und mein Vater waren echte deutsche Männer, nie soll ihr Erbe an einen Ausländer übergehen, der unserem Vaterlande, unserem Glauben fremd ist. Ich werde nach allen noch vorhandenen Maltheims und Fiedlers forschen lassen, um unter ihnen einen würdigen Nachfolger zu finden, denn die Güter sollen dazu dienen, unserem Namen Ansehen und Bedeutung zu erhalten. Meine Töchter werden in anderer Weise zu ihrem Rechte kommen.«
»Aber wissen Sie denn nicht, daß monsieur le comte eigentlich ein Cousin der Maltheims ist?« rief Fräulein Bella triumphierend. »Mich frappierte die Ähnlichkeit seines Namens mit dem Ihrer väterlichen Familie gleich, und ich kann mit Stolz konstatieren, daß er ein Deszendent desselben fränkischen Geschlechts ist, von dem Ihre Ahnen abstammen. Sie sollten wirklich einsehen, Frau Schwägerin, daß dies ein Wink des Himmels ist.«
Aber die Freifrau schüttelte den Kopf und sagte nichts dazu.
Unterdessen war der Gegenstand dieser Unterhaltung müßig durch Wald und Feld geschlendert und kam, ein Liedchen summend, durch den Park zurück, als er hinter einem Gebüsch ein Geräusch wie von leisem Weinen hörte. Neugierig spähte er durch die Zweige, deren zartgrünes Laub noch keine dichte Mauer bildete, und gewahrte zu seinem Erstaunen Gabriele, welche auf einer Moosbank saß und ihr Tuch in die Augen drückte. Mit zwei Schritten war er neben ihr. »Sie weinen, meine teure Cousine?« fragte er im teilnehmendsten Ton. »Wer hat diesem zarten Herzen ein Leid angetan?«
Das junge Mädchen trocknete sich ihre Augen und suchte sich zu fassen. »Ach, es ist wohl töricht, daß ich weine – und doch – ich kann nicht anders – ich habe ja meine Freundin, meine liebste, einzige Freundin verloren!«
»Verloren!« sagte der Graf voller Mitgefühl. »Das ist unendlich schmerzlich. Ist die junge Dame einer plötzlichen Krankheit erlegen?«
»Nein, nein, Gott sei Dank, sie ist nicht tot!« rief Gabriele. »Sie ist nur – – verlobt!«
Obgleich bei diesem Wort ihre Tränen aufs neue flossen, konnte ihr Gefährte doch ein belustigtes Lächeln nicht unterdrücken. »Verlobt!« wiederholte er in heiterem Ton. »Aber, meine liebe kleine Freundin, das ist doch ein Geschick, dem die meisten jungen Damen unterworfen sind, und das nur wenige als ein besonderes Unglück betrachten. Flößt Ihnen der Bräutigam Ihrer Freundin so wenig Vertrauen ein?«
Gabriele richtete sich auf, sie schämte sich ihrer Schwäche. »Sie müssen mich für sehr kindisch halten,« sagte sie fester als vorher, »aber Sie können nicht wissen, was mir das Herz so schwer macht. Meine Freundin stand als Prinzessin immer hoch über mir; wenn sie nun aber einen Königssohn heiratet, wenn sie später selbst einmal den Thron besteigt, wie kann sie da noch an mich denken?«
»Ich glaube doch, daß ein Wesen wie Sie, mein teures Fräulein, nie vergessen werden wird. Aber gleichviel, ich kann Ihren Kummer jetzt begreifen und wünsche, ich könnte etwas tun, um ihn zu lindern. Früher haben Sie mich getröstet, jetzt lassen Sie mich Vergeltung üben; schlagen Sie ein, mein guter Kamerad, und lassen Sie uns Freude und Leid getreulich miteinander teilen!« –
Die Nachricht von der Doppel-Verlobung der beiden Prinzessinnen von Mecklenburg mit dem preußischen Kronprinzen und seinem jüngeren Bruder Ludwig erregte, wie überall in deutschen Landen, so auch in Scharfeneck die lebhafteste Teilnahme. Fräulein Bella konnte nicht genug Worte finden, um ihre Nichte zu beglückwünschen, daß sie die Freundin einer künftigen Königin sei; über das Gesicht der blinden Maria aber flog bei der Mitteilung ein eigentümlicher Ausdruck, den nur Gabriele verstand: beide dachten an jene Prophezeiung im vorigen Herbst. Der verheißene Myrtenkranz war schon zur Wahrheit geworden, die Krone winkte in erreichbarer Nähe – sollte auch die Dornenkrone sich einst erfüllen? – Übrigens bewies Prinzessin Luise, daß ihr Herz groß genug sei, um neben der neuen Liebe die alte Freundschaft treu zu bewahren; manches Brieflein kam nach Scharfeneck geflogen und schilderte dem mitfühlenden Herzen ihr bräutliches Glück, die hohen Tugenden ihres Verlobten, die Liebenswürdigkeit ihres königlichen Schwiegervaters. Alle Briefe waren voll von heiligen Vorsätzen und Entschließungen, mit denen die hochherzige Prinzessin ihrem neuen Beruf entgegenging, der sie auf einen so viel größeren und glänzenderen Schauplatz führen sollte als auf den ihres stillen, friedlichen Jugendlebens.
Der Graf trachtete seit jenem Tage eifrig danach, Gabriele auf jede Weise zu zerstreuen und zu erheitern. Da seit dem Besuche in Hildburghausen ihre Lehrstunden bei dem Magister nicht wieder aufgenommen worden waren, so bat er sie, ihn Deutsch zu lehren, was sie mit Vergnügen tat. Freilich war es keine leichte Aufgabe, denn seine Zunge wollte sich gar nicht in die fremdartigen Laute fügen, und er beging die wunderlichsten Mißgriffe; dennoch wurden diese Übungen für beide die Quelle der heitersten Unterhaltung. »Fräulein sein eine maîtresse rigoreuse,« klagte er wohl, »Sie niemals nickt loben armes Schüler, das sich nimmt so viele Pein mit diese diffizilen Worten.«
»Weit gefehlt, Herr Graf!« lachte Gabriele. »Sie machen zehn Fehler in einem Atemzuge und wollen auch noch gelobt sein? Da müssen Sie noch ganz anderen Fleiß aufwenden!«
» Hélas,« seufzte er, »dieser schweren Sprack serbrecken meiner Sungen, und Fräulein nur lacken auf meiner Schmersen!« Und Gabriele lachte wie ein fröhliches Kind und nahm dann wieder eine ungeheuer ernste Miene an, um die Lehrstunde fortzusetzen.
Frau v. Fiedler sah die wachsende Vertraulichkeit zwischen ihrem Gast und ihrer Tochter mit stiller Sorge an und überlegte ernstlich, wie sie dem Aufenthalt des Franzosen in ihrem Hause ein Ende machen könnte, aber es widerstrebte ihrem Gefühl von Gastlichkeit, ihm ihre Wünsche in dieser Richtung auch nur anzudeuten; auch konnte sie sich dem Zauber seines anmutigen und feinen Benehmens nicht ganz entziehen. In Fräulein Arabella aber hatte der Graf die wärmste Freundin gefunden; beide waren unermüdlich im Ausdenken von Unternehmungen, um das ermüdende Gleichmaß der Tage zu verkürzen und die müßigen Stunden auszufüllen, an denen alle beide Überfluß hatten. Waren diese Vergnügungen eigentlich auch einfacher Art, beschränkten sie sich auch meist auf kleine Ausflüge in die nächste Umgegend oder harmlose Spiele daheim, so erschienen sie doch Gabrielens unverwöhntem Sinn wie eine ununterbrochene Kette von Freuden; die Tage und Wochen vergingen ihr wie im Fluge, und sie fragte sich manchmal mit einem Gefühl von Reue, wie es möglich sei, so bald nach dem Tode des geliebten Bruders so viel Genuß am Leben zu finden. Zuweilen wunderte sie sich auch, ihren Gast so sorglos und froh zu sehen, während in seinem Vaterlande der blutige Schrecken regierte und seine angebetete Königin noch immer in harter Gefangenschaft schmachtete; aber sie wagte es nicht, diese Gedanken auszusprechen, denn Tante Bella hatte es ihr zur heiligen Pflicht gemacht, dem Emigranten jede trübe Erinnerung zu ersparen.
Die getreue Dienerschaft des Hauses hatte längst ihre Beobachtungen gemacht und ausgetauscht; es verdroß sie, daß der fremde Graf es sich hier so heimisch machte, und daß Pierre sich so übermütig gebärdete, als ob er und sein Herr die zukünftigen Gebieter von Scharfeneck wären. »Ihr alle kennt diesen feinen Grafen noch nicht einmal so wie ich,« sagte Franz, als er eines Abends mit Fanny in Mamsell Jettchens Stube saß und alle eifrig über diese Sachen sprachen, »aber ich habe ihn mehr als einmal bedient, wenn er Pierre mit Briefen fortgeschickt hatte. Ich habe nicht darüber sprechen mögen, denn ein rechter Diener muß über die Eigenheiten seiner Herrschaft schweigen wie das Grab, aber einmal geht einem das Herz doch über. Ist das ein wunderlicher Herr! In einem Augenblick ist er so gut wie ein Kind, und im nächsten erhält man einen Fußtritt, wenn man seine Wünsche nicht gleich errät. Das ist wie trockner Zunder, im Nu flackert's in die Höhe, und wenn's auch nicht lange brennt oder sehr weh tut, so hat man doch den Schrecken weg. Und was braucht solch ein eleganter Franzose nicht alles! Du lieber Gott! Ich kann nie mehr über unser altes gnädiges Fräulein lachen, denn die hat doch nicht die Hälfte all der Töpfchen und Näpfchen, all der Pinsel und Bürsten nötig, die der um sich stehen hat. Der will ein Soldat sein? Der hat wohl nie im Lager gelegen und eine Schlacht geschlagen, sonst hätte er sich all den Krimskrams längst abgewöhnt. Da war doch unser gnädiger Herr – Gott hab' ihn selig – ein ganz anderer Mann und unser lieber Junker Gerhard dazu!«
»Ja,« sagte Mamsell Jettchen, »diese welschen Herren mögen sehr feine Leute sein, für unsereinen aber passen sie nicht. Gott bewahre unser liebes Fräulein in Gnaden vor solcher Zierpuppe und uns davor, daß hier je ein windiger Franzose das Regiment führen sollte!« –
Während die Hausgenossen sich so mit allerlei Gedanken beschäftigten, schien der, welcher die Hauptrolle darin spielte, gänzlich unbekümmert in den Tag hineinzuleben. Aber wenn er in sein Zimmer kam, nahm sein lächelndes Gesicht einen ganz andern Ausdruck an; dann warf er sich müde und unmutig auf das Sofa und reckte und dehnte sich wie einer, der eine allzu schwere Last getragen hat. » Mon Dieu, quel ennui!« gähnte er oft in verzweifeltem Ton. »Wie soll ich die tugendhafte Atmosphäre eines deutschen Hauses noch länger ertragen!« Dann starrte er lange in die Luft oder wanderte mit gekreuzten Armen im Zimmer auf und ab. »Es bleibt mir nichts anderes übrig,« seufzte er am Schlusse seiner Überlegungen, »es muß geschehen! Aber ehe ich mich so ganz ins Joch spannen lasse, muß ich noch einmal hinaus und das freie, lustige Leben früherer Tage in vollen Zügen genießen. Ach, wer gibt mir das Geld dazu?«
Eines Tages wurde Pierre mit Briefen fortgeschickt; als er nach zehn Tagen zurückkehrte und seinem Herrn ein Antwortschreiben brachte, geriet derselbe in sehr gute Laune. Doch nahm er eine ernste Miene an, als er bei der Hausfrau erschien, um ihr mitzuteilen, daß wichtige Depeschen von hohen Freunden ihn nötigten, ihr gastliches Haus einstweilen zu verlassen. Frau v. Fiedler nahm diese Ankündigung mit großer Befriedigung auf; sie hoffte, er würde endlich etwas für seine Zukunft tun und militärische Dienste bei irgendeinem Fürsten nehmen; sie bot ihm die erforderlichen Mittel zu dieser Reise in der zartfühlendsten Weise an, ehe er noch darum bitten konnte. Fräulein Arabella fand plötzlich, daß sie in Quedlinburg schon dringend erwartet würde, und beschloß daher, ebenfalls abzureisen. So blieb Gabriele auf einmal sehr allein und hatte reichlich Zeit, über Vergangenes und Zukünftiges nachzudenken. Würde der Graf nach Scharfeneck zurückkehren? Nach seinen Abschiedsworten durfte sie darauf hoffen, und sie konnte auch nicht umhin, es dringend zu wünschen, denn das liebe alte Haus erschien ihr öde und leer ohne seine belebende Gesellschaft. Öfter als je zuvor überfiel sie eine heiße Sehnsucht nach dem verlorenen Bruder und der fernen Freundin und trieb ihr mitunter die hellen Tränen in die Augen.