Achim von Arnim
Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Achim von Arnim

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Sechzehntes Kapitel

Schluß der Geschichte

Wunderbares Nachdenken, ewges Schaffen, du unsichtbare Sonne, in der die Taten reifen, die Begebenheiten in ewigem Wechsel von Frühling zu Frühling fortschreiten; allgegenwärtiger Strahl, der übers Meer und in die Tiefen leuchtet, während er die Höhen zugleich vergoldet, wo ist dein Sitz und deine Quelle? Dieser sterbliche Körper ist dein Zeichen und ein göttliches Zeichen, aber was herrlich im allgemeinen Leben, das denket alles in Gott, alle herrlichen Gedanken sind Strahlen seiner Liebe, Gottsöhne vom heiligen Geiste empfangen, so mannigfaltig hat sich verkündet der Herr allen Zeiten, allen Völkern, wie die Wärme durchdringt er die kalte Welt und regt sie an zu neuer Verbindung. Wehe dem, der sich diesem göttlichen Strahle verschließt, und in eigener Lust sich der allgemeinen Liebe verschließt; immer enger ziehen sich die Schranken seiner Gedanken, er glaubt die Welt zu gewinnen und verliert sich selbst, alles entfremdet sich ihm, er versteht keine gute Seele und keine gute Seele versteht ihn mehr, und seine Liebe und sein Haß und seine Taten und sein Leben, alles ist scheinbar und nichtig. Ein Tag innerer Versündigung kann den Menschen um ein halbes Jahrhundert an Geist, Erkenntnis und Durchdringung alles Lebendigen schwächen und veralten – wie der Schäfer in alter Erzählung von bösen Geistern in einer Zauberhöhle festgehalten, heimkehrt und nur einen Tag versäumt zu haben meint, aber die Welt, die Jahrhunderte fortgerückt ist, weder kennt noch versteht, auch sein Haus nicht wiederfinden kann, so geschieht auch dem Sünder, darum hütet euch vor dem ersten Falle, die ihr das Licht und die Anschauung der Welt liebt.

 

Seit jener unseligen Nacht am Ätna, in der die Fürstin sich ihrer Leidenschaft, die sie vorher noch zu bekämpfen strebte, ganz hingegeben, war ihr der Geist in allen seinen Kreisen verwirrt und verfälscht; mit keiner Seele konnte sie sich eigentlich verständigen, in allen Wesen irrte sie sich. In Kleliens Gesellschaft ergriff sie eine wunderliche Beklemmung, sie haßte sie deswegen heimlich und wußte sich den Grund nicht anzugeben. Gegen Dolores empfand sie ein eigenes Mitleiden, das sie sich nicht gestehen wollte, deswegen machte sie sich oft unter mancherlei Vorwand von der Gesellschaft los. Der Graf hatte allmählig durch ein tieferes Eindringen in die Künste ein gewisses sinnendes Wesen bekommen, das ihn der Fürstin noch reizender darstellte, ihn aber noch viel mehr verhinderte, die Leidenschaft, die sie für ihn gefaßt und der sie nachhing, zu bemerken; er meinte in der Achtung, die er gegen sie hegte, dies sei die höchste ideale Freundschaft, die je ein Weib erfaßt. Sie glaubte in jener Sinnigkeit seines Wesens, die bei dem ernsten Ausdrucke seines Gesichtes, bei dem Schwärmerischen seiner Augen einen eigentümlichen Ausdruck hatte, eine Trauer über seine gegenwärtigen Verhältnisse zu entdecken, ja sie deutete diese und die schöne Aufmerksamkeit, mit der er jeden ihrer Wünsche zu befriedigen suchte, als eine liebevolle Erinnerung jener Nacht, von der er nur aus Rücksicht für ihr Zartgefühl nicht zu sprechen wagte. Der Graf war nie so heiter in sich gewesen, als in dieser Zeit, nie so voll in Gedanken, nie so fertig und reich in allen seinen Tätigkeiten; was er unternahm gelang und Klelie hatte sich nicht mehr zu beklagen, daß er seine gemeinnützigen Arbeiten über eigne Ausbildung versäume. Die Fürstin gab ihm mit ihrer Empfänglichkeit für jede Kunst, mit ihrem freien Urteile alles das, was er je in seiner Nähe vermißt hatte; sein Leben hatte etwas himmlisch Vollendetes, wie es auf Erden nur kurze Zeit dauert und meist in seiner höchsten Erwartung gestört wird. Vielleicht mochte sich auch die Fürstin in ihrer Wahrnehmung über eine gewisse Traurigkeit in ihm nicht ganz irren, sie irrte sich nur in der Ursache. Es ist die Natur vieler Menschen, wenn sie sich recht wohl fühlen, blaß zu erscheinen, während sich eine Kränklichkeit durch eine scheinbar blühende Farbe verkündet: so zeigte auch wohl der Graf in den Stunden seines höchsten geistigen Wohlseins und schöner Erfindsamkeit eine sanfte sinnige Trauer, die in dem Sonnenglanze des Glücks den Augen so wohltuend erscheint wie die dunklere Farbe alles Grüns in den heißen Sommermonaten; diese träumerische Fülle einer Brust, in der nichts widersprechend, weil alle abwechselnden Schwingungen der Freude zu einem gleichen neuen Tone verschwingen, erschloß eine wunderbare Landschaft, die freilich auf unserm Erdboden unmöglich, wo die Lage der Felsen gegen einander einem gewissen Gesetze gehorchet, die aber auf einem anderen Planeten wohl denkbar wäre, und gönnt die Zeit Dauer, so erscheint sie bald in den wunderbaren Taten, bald in den wunderbaren Kunstdarstellungen sichtbar und erfreulich für viele. – Unserm Grafen sollte diese Dauer nicht werden! – Die Besorgnisse der Gräfin Dolores waren durch manche Zufälligkeiten, die einem besorgten Gemüte niemals fehlen, sehr gesteigert worden; der Graf, der allerlei Arbeiten mit frischer Liebe umarmte, hatte sie in der letzten Zeit seltener und flüchtiger besucht, bei der Fürstin dagegen hatte er sich oft lange verweilt, weil diese an allen den Arbeiten den lebendigsten und gebildetsten Anteil nahm, mit ihrem Urteile aufmerksamer machte, mit ihrem verständigen Beifalle ermunterte. Dolores hatte in dieser Zeit oft an ihren Johannes denken müssen, es tat ihr weh, daß er alle Belustigungen der andern Kinder, ihre kleinen Reisen, nicht mitgenießen durfte; sie glaubte sich verpflichtet und tat es so gern, ihm recht oft schriftliche Nachricht von den Seinen nach dem Kloster zu schicken, die Gesinnung des Sohnes hatte diesem Briefwechsel bald eine sehr ernste religiöse Gesinnung mitgeteilt. Heimlich trug sie sich schon lange mit einem Plane, den ihr Klelie vergebens auszureden suchte, ihrem Johannes in Rom die Erlaubnis zu schaffen, aus dem Kloster in den ritterlichen heiligen Johanniterorden überzugehen, dem Grafen war dieser Plan sehr angenehm; aber sie wußte nicht, wie sie es dem Sohne auf eine recht reizende Art darstellen könnte. Ihr letzter Brief an ihn trug es ihm endlich ausführlich vor, wie viel Glück noch in der Welt-Tätigkeit warte, wie leicht er noch dazu gelangen könne, er schloß sich mit den Worten: Lieber Sohn, wenn ich deines Vaters tiefe unerschöpfliche Heiterkeit betrachte, diese Unendlichkeit, die sich seinem Gemüte in jedem Kreise erschließt und wohltuend zu allen spricht, und soll dies alles nicht achten und nur für das Glück, für die Heiligung jenseit des Grabes ihm einen Aufenthalt wünschen und erflehen, sieh, da stehen meine Gedanken stille, ich kann nicht glauben, daß diese Erde einer edlen Seele je ein bloßes Jammertal werden könne, ich kann dieses Leben nicht jenem aufopfern. Denk ich aller Tätigkeit, die dein Vater auf dieses Leben verwendet, so vieler Erfolge, die ihm geworden, so vieler, die ich mit Zutrauen erwarte, denk ich meines eignen Herzens und meiner ganzen Sinnesart, die er in zärtlicher Liebe ohne Härte, ohne Zwang gebessert hat, es ist mir unmöglich zu sagen, dies alles sei eitel und nichtig, und ich hätte eigentlich alle meine Gedanken auf Gott zu richten und seiner zu vergessen. Dieser Tätigkeit für andre bist du durch das Klosterleben für immer entzogen, du siehst die Menschen selten und nur in ihrem tiefsten Kummer, im Aufhören ihres Lebens u.s.w. Erst am vierzehnten Juli, es war der Tag ihrer alten Schuld, an welchem sie immer früh aufstand, um lange beten zu können, erhielt sie die Antwort ihres Johannes, er lehnte das Anerbieten ab, nicht weil er sein jetziges Leben für löblicher halte, sondern weil es ihm notwendig, ihm Bestimmung sei; übrigens erklärte er sich ganz frei, daß er ihre Gesinnung über das Glück und die Tätigkeit dieses Lebens teile, daß diese Meinungen von der Eitelkeit und Nichtigkeit dieser Welt Mißverständnisse wären, daß unser Glaube eine Religion des Lebens, weder der Freude noch des Jammers einzeln und abgesondert sei, daß ihn dies vor allen auszeichne, die entweder die Not der Welt hinter Lügen zu verstecken suchten, oder den armen Menschen in seinem Jammer und Not und Schwachheit mit hämischer List anfielen, um ihn sich zu zueignen; daß aber diese letzte Art leider auch manchen so genannten Christlichen Lehrer verführe. Er schloß mit den Worten: Du siehst liebe Mutter, daß ich mit dem reinsten Ausdrucke meines Glaubens mich nur wenigen in meinem Kloster verständigen kann, nie werde ich darum streiten, denn Christus, der aller Welt und allen Völkern in so verschiedener Gestalt erschienen, allen als Hingebung und Aufopferung aus Liebe, warum sollte der uns im Kloster, die wir aus verschiedenen Völkern Ständen und Bildungen zusammengekommen, in der Betrachtung gleich sein; in unsern Herzen fühlt er sich gleich.

Dieser Brief hatte die Mutter ungemein getröstet, welche Freude ist es einer Mutter, von ihrem Sohne belehrt zu werden, sie dankte dem Himmel in ihrer Kammer für die gnädige Führung ihres Lebens und segnete ihre Kinder, die vor dem Fenster sich auf einem Platze herumtummelten. Mitten in dieser Freude überraschte sie der quälende Gedanke, warum der Graf sie den Morgen nicht besucht habe und während sie noch darüber nachsann, sah sie ihn, mit der Gitarre eilig nach dem Gartenhause der Fürstin gehen, sie erschrak und wollte es sich nicht gestehen warum, auch ihrer Schwester gestand sie es nicht, die zu ihr ins Zimmer trat und sie in Tränen fand; doch hatte diese geliebte Schwester bald die Freude, sie mit mancher Erzählung von glücklichen Einfällen der Kinder zu einer heitern Laune über zu führen. So wenig Klelia sonst sprach, so unerschöpflich war sie, jedem Traurenden etwas mitzuteilen, was ihn beruhigen oder zerstreuen konnte. Als die Herzogin sie verlassen, blickte Dolores noch einmal ein schönes Christusbild an, das den kleinen Altar erfüllte, sie schlug die Bibel auf und wurde mit ihren Augen zufällig auf den Spruch geführt, den Christus zu dem armen Sünder sagte: Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. – Sie ging zu ihren Kindern und zu ihren Beschäftigungen; aber sie konnte den Spruch nicht vergessen, immer stand das Bild vor ihr, milde doch schmerzlich zu ihr sprechend: Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.

Der Graf hatte diesen Morgen seine Frau nicht vergessen, er wollte sie mit einem angenehmen Geschenke überraschen und der Goldarbeiter in Palermo hatte es nicht beendigt, es war ein breiter Goldring, auf welchem die zwölf Planetenzeichen mit Perlen eingelegt waren; er sollte zum Ersatz des verlorenen Verlobungsringes dienen und in dem Bilde des ewig sich verjüngenden Jahrs, die ewig sich verjüngende Liebe darstellen. Ungeduldig hatte er am Morgen darauf gewartet, endlich ging er, um mit seiner Ungeduld nicht allein zu sein, zur Fürstin, auch wollte er dort musizieren. Er wußte überdies, daß er seine Frau an diesem Tage noch angenehmer überraschen würde und fürchtete sich, in dieser Stimmung ihr das ganze Geheimnis, die nahe Ankunft ihres Vaters zu verraten, von dessen Reise er den Tag vorher die erste Nachricht bekommen und von dem er mit Bestimmtheit Briefe in Palermo erwartete. Diese Gedanken machten seine Unterhaltung mit der Fürstin sehr einsilbig, sie setzte ihm nach ihrer Gewohnheit feine Früchte und edlen Wein vor, diesmal Christitränenwein in einem sehr alten Familienbecher, der aus einem Jaspis geschnitten das Haupt der Medusa darstellte, an der die Schlangen als Handhabe geringelt waren; sie hatte immer eine Freude daran, ihn essen zu sehen, weil er alles mit voller Empfindung genoß. Er ließ diesmal den Becher stehen, versuchte eine Melodie auf der Gitarre, die in seinem Kopfe wogte und immer rührender und anziehender unter seinen Fingern sich gestaltete. Die Fürstin saß auf einem breiten Sessel im Fenster, bald sah sie ihn an, bald stützte sie sich auf ihren Arm, und hörte ihn wie aus weiter Ferne. Wiederum mißdeutete sie das Trauernde seiner Melodie, sie glaubte darin eine verhaltene Sehnsucht ausgedrückt; er soll nicht mehr leiden, dachte sie, zu lange dauert seine Qual, er ist zu bescheiden, zu fordern, was er meiner Geburt und Bestimmung unangemessen glauben könnte, ich selbst will den Hauptschritt tun und herrscht er dann über mein Land, wie er über mich herrscht, was kümmerts ihn, ob er den Titel eines Fürsten tragen darf, er ist ein Zauberspruch, der mächtiger wirkt, je heimlicher er ist gehalten. O Stolz meiner Ahnen, o Stolz meiner Liebe, jener möchte ihn beherrschen und dieser sich ewig ihm unterwerfen! – Während dieses Selbstgespräch die Fürstin tief in sich beschäftigte, war der Graf mit seiner Melodie fertig geworden, er sang den rührenden Schluß einer Reihe von Romanzen, die das Leben eines unglücklichen Kaisers besingen. Die Fürstin blickte jetzt wieder auf ihn und der Gesang rauschte an ihrem Ohre, wie die Wellen an der Wand eines Schiffes neben einem Schlafenden, der von seiner Heimat träumend die Sichel durchs Korn, die Bäche durch Blumen, die Hirsche durchs Laub, die Jugend im Tanz rauschen hört, bis der Sturm ihn erweckt. Es wird uns schwer auszudrücken, wie es ihr so einzeln ins Herz tönte, als der Graf sang:

Der Kaiser flieht vertrieben,
Flieht das eigne Land;
Das Heer ist aufgerieben
Fliehend seine Schand.
Nur Die sind ihm geblieben,
Die er oft verkannt,
Denn streng sind, die uns lieben,
Not hat Lieb erkannt,
Er grüßt die alten Tage
Seiner Jugendzeit,
Vergißt der Zeiten Plage
In Vertraulichkeit.

Die Fürstin hatte von dieser Strophe nichts vernommen, als das liebe Wort Vertraulichkeit. Der Graf sang weiter:

Zum Fluß ist er gekommen,
Findet keine Brück,
Da wird sein Herz beklommen,
Er kann nicht zurück.
Da kommt ein Schiff mit Netzen:
»Schiffer nimm zum Lohn,
Willst du uns übersetzen,
Meine goldne Kron.«
Der Schiffer hat genommen
Seine goldne Kron
Doch eh er über kommen,
War der Feind dort schon.

Die Fürstin dachte in sich, könnte ich ihm nur meine goldne Krone aufsetzen, wie leicht würde mir!

Der Graf     »So lieb dir ist dein Leben,
Fahr zurück ans Land,
Den Schifflohn will ich geben
Mit der eignen Hand!«
Der Kaiser droht zu schlagen
Mit dem goldnen Stab,
Doch schnell zurückgetragen,
Ihn dem Schiffer gab.
Jetzt sah er wie die Feinde
Ihn am Ufer sehn,
An Freundes Busen weinte,
Wollte schier vergehn.

Die Fürstin seufzte. An seinem Busen zu weinen, an seinem Herzen zu vergehen, wie selig!

Der Graf     »Ich hab nichts mehr zu geben,
Als den Mantel mein,
Der gibt mir Not im Leben,
Bald auch Todespein:
War meiner Not Beglücken
Eurer Tage Preis,
Den Purpur reißt in Stücken,
Geh ihn allen preis!«
Er faßt soviel er konnte,
Jeder riß sein Stück,
Es auf dem Herzen sonnte,
Wie ein Stern im Glück.

Die Fürstin dachte: Nein, nicht mit einem Zeichen soll er sich begnügen, ganz will ich ihn einhüllen in meinem Purpur, er hat für uns beide Platz, daß ich den Liebling ganz allein mit mir verbinde, ihn aller Welt verstecke.

Der Graf     Die Stücke heften Alle
Auf die Kleider fest,
Und vor dem Feind mit Schalle
Halten Ordensfest.
Dann stellen sie sich Alle
Rings zum Kaiser treu,
Daß er von einem Walle
Rings geschützet sei.
Der Purpurstern kann blitzen,
Wärmt auch wohl das Herz,
Kann nicht als Harnisch schützen
Vor der Pfeile Erz.

Ja er muß Sie schützen! rief die Fürstin unerwartet laut. De Graf sagte lächelnd, ich zweifle, und sang weiter:

»Jetzt flieht!« befiehlt der Kaiser,
»Flieht, ich sterb allein!«
Sie rufen all zum Kaiser:
»Das soll nimmer sein,
Der Purpur ist zerrissen,
Aus ist nun Dein Reich,
Vor Gott wir stehen müssen
Bald mit Dir zugleich.
Wir wollen hier vergehen,
Froh des ewgen Muts;
Aus unserm Blut erstehen
Rächer Deines Bluts.«

Die Fürstin hörte jetzt auf die Geschichte und der Graf sang den Schluß.

Die Feinde sehn sie blicken,
Sehn die Sterne hell,
Und ihre Pfeile drücken
In die Herzen schnell.
Nach aller Edlen Falle,
Fällt der Kaiser auch,
Sein Segen über alle
Ist sein letzter Hauch.
Die blutgen Purpurstücke
Halten frisch die Farb,
Der Feind ist groß im Glücke,
Nicht den Schmuck verdarb.

Der Graf wollte weitergingen, als die Schloßglocke eilfe schlug, nun war die Zeit vorbei, wo er den Ring noch erwarten konnte, er warf die Gitarre fort und sagte der Fürstin, daß er nach Palermo reiten müsse, wo er mit dem Paketboote Briefe von großer Wichtigkeit erwarte, die der Fürstin Freude machen würden, doch bät er sie, seiner Frau nichts davon zu sagen. – Die Fürstin war überrascht von diesem Geheimnisse, das sie der Frau verbergen sollte, ihr war es in dem Augenblicke ganz gewiß, daß ihn dieselben Scheidungspläne von seiner Frau beschäftigten, worüber sie den ganzen Morgen nachgedacht, sie wurde rot, sie fragte nach dem Geheimnisse; er versagte es ihr aber mit wenigen Worten, bei denen er so bedeutend aussah, daß sie ihre Deutung als unfehlbar betrachtete. Wir wissen die beiden Ursachen seiner kleinen Reise, der Ring und die erwarteten näheren Nachrichten von der Ankunft seines Schwiegervaters, die er allen geheim halten sollte. Der Graf eilte mit einem leichten Handkusse fort, und die Fürstin sah ihm mit dem wunderlichsten Gefühle nach, als er nach flüchtiger Begrüßung seiner Frau den blendend hellen Weg hinunterritt. Sie zählte an den Blumenblättern ab, ob sie sich der Herzogin oder der Gräfin erklären sollte, ihrer Tätigkeit war dieser unerklärte Zustand der drückendste; Bestimmtheit in allem war nicht bloß ihr Grundsatz, sondern auch ihre Art. Die Herzogin war ihr zu ernst, zu ehrwürdig, sie überlegte mit pochendem Herzen noch einmal alles und ging dann zur Gräfin. Die Gräfin war nicht allein, die Kinder hatten allerlei heftige Streitigkeiten, die sie zu schlichten suchte, es waren der liebreichen Hyolda allerlei Papiere entrissen, die sie heimlich bewahrt hatte, erst war sie darüber sehr böse gewesen, endlich mußte sie selbst lachen. Die Fürstin wartete mit Ungeduld auf den Augenblick, wo die Kinder entlassen würden; aber die Herzogin kam früher, es begann ein Gespräch über neue Zeitungen, die sie mitbrachte, inzwischen wurde der Mittagstisch angezeigt, wo einige reisende Fremde die Gesellschaft mit den besten Anekdoten aus ihrem Vaterlande erfreuten, die Fürstin konnte aus Ungeduld nichts essen. Als alle entlassen waren, fand sich die Fürstin endlich mit der Gräfin allein, um die Nachmittagsruhe zu halten, sie brachte zitternd die ersten Worte heraus und bat die Gräfin, die Türen verriegeln zu lassen, weil sie ihr eine merkwürdige Geschichte aus ihrer Familie vertrauen wolle. Die Gräfin erfüllte ihre Bitte. Die Fürstin entwarf nun mit der ganzen Gewalt ihrer Rede ein Gemälde ihres Zustandes und wie sie in des Grafen Seele zu lesen glaubte, wie er zu ihr gezogen werde und seiner Frau doch nicht entsagen könne. Sie wollte eigentlich die wahren Menschen noch nicht erkennbar machen; aber ihre Heftigkeit hatte alles so deutlich gemacht, daß die Gräfin, die sich in ihrer Seele schämte, mit niedergeschlagenen Augen ihr versicherte; sie erkenne alle, die sie ihr beschrieben, leider möchte alles wahr sein, es wäre ein schmerzliches Geschick, denn sie wäre innig überzeugt, wenn ein Mann auf Erden ganz schuldlos sei, so wäre es der Graf, auch vertraue sie ihm ganz, er werde das heilige Sakrament der Ehe gegen eine wilde Leidenschaft verteidigen, – aber Trennung sei notwendig und so lieb ihr die Fürstin – sie flehe in ihr die Freundin, die Mutter an, Sicilien bald zu verlassen. – Eine so freie Hingebung und Offenherzigkeit hatte die Fürstin nicht erwartet, sie fuhr verlegen in ihrer Erzählung fort, und gestand ihr stammelnd, daß diese Rettung, diese Warnung zu spät; sie ging in heftiger Bewegung im Zimmer auf und nieder und bekannte in gebrochenen Worten, wie nahe sie sich seit jener Nacht am Ätna dem Grafen verbunden glaube, sie sei mit ihm eins und unzertrennlich, er selbst sei bedacht, heute diese Verbindung zwischen ihnen öffentlich zu begründen, das sei die Ursache seiner Abreise nach Palermo, deren Geheimhaltung er ihr anbefohlen. Warum wäre er auch nicht mein, rief die Fürstin mit Begeisterung, bin ich doch ganz sein! – Die Gräfin erblaßte bei diesen Worten, sie litt schon seit einiger Zeit an Ohnmachten; in süßer Vergessenheit ihres Schmerzes sank sie in die Arme der Fürstin. Jetzt stieg das Mitleid wieder heiß in die Gedanken der Fürstin, es kam ihr der Gedanke, wie dieselbe Frau, die Mittags so fröhlich im Kreise der Ihren gesessen, jetzt bleich und tot in ihren Armen liege, sie fürchtete sich davor, daß der Graf eintreten möchte, alle Aufmerksamkeiten und Liebkosungen, mit denen er so oft in ihrer Gegenwart seine Frau erfreut hatte, fielen ihr ein, und sie wurde auf einmal an der Leidenschaft irre, die sie in ihm vorausgesetzt hatte; – die menschliche Betrachtung drängt auch in ihrer höchsten Verirrung noch in Augenblicken und gegen den bösen Willen zur Wahrheit und Gerechtigkeit. Angstvoll drückte sie die Ohnmächtige an ihre Brust, die mit Schauder an ihrem Busen erwachte, sich matt erhob, ihre Hände faltete und rief: Gott du bist gerecht! – Der Fürstin klang dieser Ausruf in der Seele wie ein Freudengeschrei wider, es ist doch alles wahr, und noch viel mehr, es wird mir alles noch werden, Glück und Freude, so sagte sie in sich, hier ist ein Geheimnis, das mich beglückt, sie drang in die schwache Gräfin, ihr alles zu enthüllen, sie wisse alles, sagte sie, Gott sei gerecht, so müsse es kommen, wenn es gleich schmerzlich. – Die Gräfin meinte, der Graf habe der Fürstin jenes Geheimnis, ihre alte Schuld mit dem Herzoge verraten, es tat ihr wehe, aber sie verzieh es ihm, sie mußte sprechen, die Welt lag auf ihrer Brust und so erzählte sie mit vielen Tränen, wie sich damals alles zu ihrem Verderben gefügt habe, sie berichtete ihr alles, was sie bis dahin niemand als ihrem Manne, ihrer Schwester, dem alten Diener und ihrem Beichtvater bekannt hatte. – Die Fürstin war so verwundert von diesem Bekenntnisse, wie ein Räuber, der vor Gericht sich überzeugt, es sei sein Eigentum gewesen, was er entwendet; die wilde Heftigkeit verschwand ihr, sie konnte sich in Ruhe erklären; mit klarem Blicke schien sie noch zu schützen, was sie zerstören konnte, sie rührte sich selbst mit ihrer Milde, indem sie der Gräfin versicherte: des Himmels Wille sei deutlich, er strafe Gleiches mit Gleichem, sie solle sich geduldig fügen, den Mann abzutreten, den sie doch nie ganz glücklich machen könne, der hinter Liebkosungen bisher den inneren Vorwurf versteckt habe, der unvermeidlich bei jeder Erinnerung früherer Zeit ihn belasten müsse. Ich allein, rief die Fürstin, verstehe ihn ganz, ich allein kann ihm ein neues Leben und einen angemessenen Wirkungskreis geben in seinem Lande, unter seinem Volke, wohin er sich so oft zurückgewünscht. – Freilich, sagte Dolores, mag er sich oft nach Deutschland zurücksehnen, er verschwieg es mir aus Schonung, weil er es meinetwegen meidet; doch hat er auch mir diesen Wunsch zur Rückkehr entdeckt, als ihm ein guter Fürst einen großen Wirkungskreis versprach; ich konnte den Gedanken nicht ertragen. – Die Fürstin ergriff dieses Wort: Ich gebe ihm einen Wirkungskreis im Vaterlande, worin ihm alles Vergangene schwindet, und meine Liebe schenk ich ihm obenein, mein Land wird alle seine Tätigkeit fordern, und dankbar anerkennen, er soll ein Vorbild werden Deutscher Fürsten und wie ein Gott in der entarteten Zeit auftreten; sein ganzes Leben, seine ganze Ausbildung führen ihn dahin, mit mir erfüllt er seine unbewußte höhere Bestimmung. – Gedenken wir der hohen, fast abergläubisch vergötternden Verehrung der Gräfin gegen ihren Mann, des herrschenden Ansehens der Fürstin, ihrer überzeugenden Stimme; diese Worte erweckten den ganzen Edelmut der Gräfin, der jetzt als ein neuer Feind gegen ihre Liebe und gegen das Zutrauen zu ihrer Liebe auftrat, schmerzlich sah sie das Bild des Grafen an, das an der einen Wand des Zimmers hing. Gib mir ein Zeichen, betete sie zu dem Bilde, was dein Wille ist, zu wem wendest du deine lieben Blicke? – Zu mir, zu mir, rief die Fürstin, mich sieht er an mit der ganzen Freundlichkeit und Hingebung wie am Ätna. – Die Gräfin wandte sich von dem Bilde, denn zum erstenmal kam ihr eine Bitterkeit gegen den Geliebten in die Seele, sie erklärte mit gebrochener Stimme: Sie wolle dem Grafen entsagen, wenn es sein Wille sei! – Jetzt glaubte die Fürstin alles gewonnen, sie hätte mit ihrem halben Leben der Gräfin den Schmerz dieses Entschlusses lindern mögen, sie selbst wollte alles schriftlich aufsetzen, um nichts zu übereilen, und um ihr schmerzliche Mühe zu ersparen; die Gräfin ließ alles geschehen, es drehte sich um ihr die Welt in schrecklicher Verwirrung und sie stürzte in fürchterlichen Krämpfen nieder, als eben die Fürstin das Zimmer verlassen wollte. Die Fürstin war erschrocken und wagte sich nicht zu ihr, sie glaubte sie sterbend und dachte: Wenn sie stirbt, ist alle Not und Verwirrung aus! – Und dann war ihr der Gedanke ein Vorwurf, sie betete zum erstenmal seit vielen Jahren, aber sie wußte nicht zu wem: Laß mich nicht grausam werden in meinem Herzen, laß sie leben! – So schwebend zwischen der Gräfin und der Türe, stand sie wohl ein paar Minuten, ehe sie die Türe entriegelte, und die Kammerfrau zum Beistande für die Gräfin herbei rief. Alles eilte der Gräfin zu Hülfe, niemand dachte die Fürstin als Ursache dieser Zufälle, die sie in der letzten Zeit mehrmals, aber freilich unendlich schwächer gehabt hatte. Die Fürstin fand ihre Hülfe überflüssig, es schien ihr notwendig, die Entsagung schriftlich unterzeichnet dem Grafen bei seiner Rückkehr vorzulegen; sie eilte nach ihrem Gartenhause alles aufzuschreiben, um das wiederkehrende Bewußtsein der Gräfin zur Unterzeichnung dieser Entsagung schnell benutzen zu können. Die Fürstin erscheint uns vielleicht in diesem Augenblicke unnatürlich hart, doch hing diese Härte in ihr mit ihren schönsten Kräften zusammen, die sie sonst zur Beglückung ihres Landes so wohltätig entwickelt hatte; wo sie handelte, war sie mit festem Entschlusse auf alle Fälle gefaßt, mit ihrem Gemüte, mit allen äußeren Eindrücken hatte sie dann abgerechnet; ihr Wille war ihr der Mittelpunkt der Welt, und sie glich in solchem Falle einem tüchtigen Wundarzte, der gar nicht das Geschrei des Unglücklichen hört, wo es des schmerzhaften Schnittes bedarf, sondern mit allen Kräften zum schnellen Ende der Qual arbeitet. Indem sie hastig nach ihrem Gartenhause schritt, trat ein wunderschöner Mann, anständig gekleidet hinter einem Pinienbaume hervor, und erkundigte sich, ob wohl die Fürstin zu sprechen. Ungeachtet der Mann ihr auffiel, wollte sie dem Geschäfte doch keine Zeit versäumen, und sagte flüchtig, daß sie erst spät Abends von einer Reise zurück erwartet werde; der Mann zog sich ängstlich mit vielen Entschuldigungen seiner dreisten Anrede in den Garten zurück. Die Fürstin eilte nach ihrem Zimmer, und suchte ihr Schreibzeug, konnte es aber nicht finden, da der Graf es den Abend vorher zum Skizzieren einer Aussicht mitgenommen, und im Garten hatte stehen lassen. Sie rief dem Schreiber, der auf die Jagd gegangen, vergebens, sie brauchte ihn nie zu dieser Zeit, und doch ward sie jetzt sehr böse, daß er ausgegangen, sie mußte sich selbst Schreibegeräte in dessen Zimmer suchen, welches er wegen der Mineraliensammlung, die darin aufgestellt, immer offen lassen mußte. In Gedanken suchte sie schon die besten Ausdrücke für die Entsagung der Gräfin, daß ihre Großmut nicht neue Liebe in dem Grafen erweckte, als sie sich nach Tinte und Feder umsah; sie ward sehr ungeduldig, als sie nichts fand, denn der junge Mann verschloß alles das Seine mit einer Ordnung, als sollte er sterben. In ihrer heftigen Art versuchte sie an dem verschlossenen Schreibepulte, ob es nicht zu eröffnen sei. Sie setzte die Spitze des Mineralienhammers in die Klappe, und da das Holz in der gewaltigen Hitze eingetrocknet war, so mochte die Klappe leicht aufspringen. Ungeduldig griff sie nach Papier, Feder und Tintefaß, sie fand alles und wollte die Klappe eben zulehnen, als eine Masse aufgeschichteter Papiere, denen sie die Unterlage genommen, herausfiel. Aufgebracht über die Nachlässigkeit des jungen Menschen, der ihr so viele unnütze Mühe gemacht, griff sie in die Masse und drückte sie hinein, als ihr etwas unnatürlich Kaltes die Finger berührte, sie sah hin und fand, daß jenes Bildnis in Gold gefaßt, das sie in jener Nacht dem beglückten Freunde zurückgelassen, wieder in ihre Hände gefallen sei. Erst glaubte sie einen Diebstahl zu entdecken, aber wie sie die Papiere in wilder Hast durchlas, deren jedes eine Feier jener Nacht, ein Lobpreisen des beglückenden Zufalls und der täuschenden Dunkelheit war, da stand in einem Augenblicke die ganze Wahrheit vor ihr, sie durchdrang das Unselige der Begebenheit und der wilde Geist, der ihre Seele lange von fern umlagert, und immer enger bedrängt hatte, zog als Herrscher ein und stellte sich triumphierend auf die höchste Zinne. Mitten in dem Ekel gegen den Mißbrauch ihres Leibes und ihrer zutraulichen Seele, der ihr Inneres empörte, fühlte sie deutlich, wie sie jede Äußerung des Grafen so falsch gedeutet, wie nun alles, seine Reden, sein Betragen, einen verständigen Zusammenhang gewinne, was ihr bisher rätselhaft geschienen, nur der Abschied am Morgen blieb ihr fremd, aber sie fühlte wohl, daß auch etwas Unbedeutendes hinter dem kleinen Geheimnisse für seine Frau verborgen sein könnte, sie fühlte den Grafen seiner Frau unauflöslich verbunden, auf ewig von sich getrennt. Ihre letzte Liebe erlosch ohne Tränen in der Wut, in der Rache, die jetzt ihre ganze Seele geißelte. Ruhig glaubte sie zu überlegen und sie war außer sich, ihre Augen rollten umher, und suchten nach Waffen, aber alles war da so friedlich von wissenschaftlichen Sammlungen umstellt. Die Sonne strahlte ihre grimmigen Glutpfeile ins Zimmer und machte sie immer geduldloser. So blickte sie umher, und bemerkte mit starrer Freude auf einer der Schubladen voll Mineralien den Totenkopf gemalt, der, wie wir uns erinnern, den Leichtsinnigen gegen eine Menge giftiger Metallkalke warnen sollte. Begierig griff sie danach, und fand sich so reich, als dieser Schatz in ihren Händen, sie eilte damit auf ihr Zimmer. Da stand noch der edle Tränenwein in dem Becher eingeschenkt, wie ihn der Graf am Morgen ungeleert hatte stehen lassen, und sie mischte den edlen Sonnenwein, der zu dem Dienste des Herrn bestimmt war, mit den Schrecken der Unterwelt, welche Habsucht und Neugierde der Menschen törigt ans Licht fördert. An den strengen Vater, der ihr den Becher geschenkt, dachte sie jetzt bis an ihr Ende, seine Natur trat jetzt in ihr ganz hervor, ihr Entschluß war gefaßt, er hätte eben so gehandelt, denn so war der Sinn seiner Gerechtigkeit, in der sie ihre Rache erdachte.

Der Schreiber war mit seiner Jagdflinte weit umher geirrt, er war kein eigentlicher Jäger, er hatte erst unter der Anleitung des Grafen seine Flinte laden und abschießen gelernt und begnügte sich damit, kleine Vögel, die zum Auffliegen nicht Lust hatten, zu beschleichen und meist zu verfehlen. An dem Tage geschah es ihm, daß er einer Nachtigall von Baum zu Baum nachfolgte, bis er sie zum Schuß gebracht hatte, da ergriff ihn ein wunderliches Mitleid, er setzte das Gewehr ab, die Nachtigall schlug freudig und er sang:

O Sing Vöglein, das den Zweig bewacht,
Ich leg nicht an zum Schießen,
Du singest mir von guter Nacht,
Du mußt mein Liebchen grüßen:
O könnt ich mich so singen aus,
Sie müßt es einmal hören,
Sing Nachtigall hier ohne Graus,
Ich will dich nicht mehr stören.

So weich wie deine Federlein
Bin ich von süßen Wehen,
Ich gehe in den Wald hinein,
Mag doch kein Blut mehr sehen.
Ein Tränlein auf das Pulver fällt,
Und löschet alles Feuer;
Dir Nachtigall bin ich gesellt,
Und traure in der Feier.

Nun dachte er, wie es ihm noch so wunderbar gehen könnte; die Gegend war so fremd, wohin er sich verirrt hatte, daß ihm viele Märchen seiner Jugend einfielen, von Elfenköniginnen, die sich bei schönen Mondscheinnächten in Jünglinge verliebten und sie zu sich hinaufzogen, das waren aber alles Ritter, kein Schreiber war darunter. Hier fiel ihm Eginhard, Karls des Großen Schreiber ein, wie den des Kaisers Tochter auf den eignen Schultern durch den Schnee getragen. In angenehmen Träumen verlor er sich über den Kreis der Wahrscheinlichkeit, er sah sich an der Seite der Fürstin als Herrscher des Landes, ließ alle seine Liebhabereien mit regieren, sammelte Säle voll alter Marmorinschriften voll alter Handschriften; ein kleiner schwarzer Hirtenknabe erweckte ihn, indem er sich zu ihm setzte, mit seinen Ziegen viel zu reden hatte, und zuletzt ein heitres Lied sehr spöttisch sang.

Es war ein alter König,
Der hat'ne schöne Magd,
Da freut er sich nicht wenig
Weil sie ihm wohl behagt.

Er läßt die Ritter laden,
Zu seinem Hochzeitfest.
»Es wird dir wahrlich schaden!«
Spricht Einer seiner Gäst.

Da sprechen sie gleich alle:
Wir bleiben dir nicht treu,
Wenn du uns aus dem Stalle
Die Köngin holst herbei.

Er nimmt vom Haupt die Krone,
Er sieht sie schweigend noch an,
Und wirft sie von dem Throne
Auf'n ersten besten Mann.

Und ruft: »Wer sie gefangen,
Der soll mein König sein,
Ich hab nicht mehr Verlangen
Zu herrschen ledig allein.

Es mag ein jeder werden,
Was ich gewesen bin,
Dieweil ich nun auf Erden,
Erst lustig worden bin.«

Auf den die Kron gefallen,
Dem schlug sie ein das Hirn,
Das war der Eine von allen,
Der mit der frechen Stirn.

Ja wem die Kronen fallen,
Dem fällt ein schweres Los,
Doch vielen sie gefallen,
So wird er sie bald los.

Der Schreiber wußte nicht warum ihn das einfache Lied so ängstigte, es war ihm so ein eigner Doppelsinn darin, der ihn in seiner Träumerei störte, er konnte sich selbst als einen Herrscher nicht mehr denken, er hörte es nicht ganz aus, sondern stand auf, der kleine Hirtenbube rief ihm ein Sicilianisches Sprichwort nach: Zum Hängen kommst du immer noch früh genug. Es dunkelte schon etwas, und da er den Weg nicht genau wußte, so ängstigte er sich sehr ab, ehe er in die Nähe des Schlosses kam, und trat außer Atem und mit klopfendem Herzen in das Zimmer der Fürstin, die ihn gleich bei seinem Eintritte in das Gartenhaus zu sich geklingelt hatte. Wie er so eintrat, fielen die Sonnenstrahlen hell auf sie, sie sah sehr ernst aus und zeigte ihm schweigend jenes Bild, das ihn verraten. Erschrocken stürzt er ihr zu Füßen, und umfaßt ihre Kniee, sie hebt ihn auf, und spricht: Ich hatte dir viel Gutes getan, Dir und den Deinen, du hast mich betrogen, du hast meine Gunst nicht ritterlich gewonnen, sondern wie ein Dieb, aber die Liebe verzeiht der Liebe alles, du hast mich dir unterworfen, der du mein Untertan warst; schwöre mir neue Treue, denn jene alte hast du gebrochen, schwöre mir bei diesem Becher, den ich mit dir treulich teilen will, ewige Treue im Tode. – Er schwört ihr ohne Besinnung bei Seele und Seligkeit, sie leert die Hälfte des Bechers und gibt ihm den Rest, er leert ihn, ohne zu ahnden, ohne zu schmecken, welches Verderben er enthalte. Als er ihn geleert hat, glaubt er mit einer Umarmung seines Glückes sich versichern zu dürfen, die Fürstin stößt ihn zurück; ehe er noch seine Verwunderung zu äußern vermag, bedrängen ihn innerlich heftige Schmerzen, und werfen ihn nieder. Jetzt komme in meine Arme Verräter, ruft die Fürstin, die ihren Zorn nicht länger zurückhalten kann; wendest du dich von mir, willst mich kriechend im Staube verehren, wie die Schlange; hast du wieder genossen, was dich verdirbt, wie du meiner Schönheit Freude genossen hast in jener Nacht, die dich am Tage verdirbt; keinen Tag siehst du mehr, dies sind die letzten Strahlen, die mir deine häßliche Gestalt zeigen, und mein Abscheu gegen dich hat keine Grenzen. Der Schreiber ruft bange um Hülfe, aber erst als er mit raschem Schmerze dem Ausgange des Lebens nahet, tritt jemand zu ihnen ein, eben der schöne Fremde, den die Fürstin von sich gewiesen hatte, alle Leute des Schlosses waren mit der kranken Gräfin beschäftigt. Wer sie auch sind, sagt die Fürstin zu ihm, dieses Unglück ist nicht abzuwenden, hören sie aufmerksam zu, damit sie den Nachbleibenden, die uns verlassen haben, alles berichten können. Ängstlich steht der Fremde bei den Leidenden, und kann zu keinem Entschlusse kommen, ob er sie verlassen solle, um Hülfe zu suchen, er hört die Erzählung der Fürstin und seufzt: Ach so ist mein Traum doch eingetroffen, so war zu spät die Warnung! Wir werden diesen Fremden später näher kennen lernen, ihm verdanken wir die meisten Nachrichten von dieser Geschichte.

Die Gräfin hatte inzwischen unglaublich gelitten, der Leibarzt der Herzogin gab wenig Hoffnung bei diesem unerklärlichen Zustande, jedermann wünschte und fürchtete die Ankunft des Grafen, die Herzogin sah von Zeit zu Zeit nach der Landstraße, und betete mit Ungeduld, daß er doch endlich zurückkäme, endlich sieht sie Staub es kommt ein Reiter, aber auch eine Kutsche, und sie bedauert die Fremden, die zu solchem Jammer ankommen. Fröhlig jagt der Graf neben dem Wagen her, der den Minister mit seinen Begleitern in ungeduldiger heitrer Erwartung zum Schlosse führt; der Minister hatte seine Reise so beschleunigt, daß er selbst seinem Briefe zuvorgeeilt war. Auf dem Wege, der in der Nähe des Gartenhauses vorbei führt, hört der Graf das Jammergeschrei der beiden Sterbenden, er springt vom Pferde, der Minister aus dem Wagen, der Fremde ruft aus dem Fenster ihm entgegen, er möchte eilen, ein großes Unglück sei geschehen. Ehe er ins Haus getreten, flehet ihn einer seiner herbeigeeilten Bedienten an, er möchte zu seiner sterbenden Frau eilen, das Blut läuft ihm in schrecklicher Verwirrung durcheinander, aber der Gedanke an seine Frau führt ihn unbewußt nach dem Schlosse, während er dem Minister winkt, nach dem Gartenhause zu gehen. Der Minister eilt die Treppe hinauf, von dem Fremden geführt, er weiß nicht, was seiner wartet; als er ins Zimmer tritt, findet er die Fürstin, seine verehrte Freundin und Beherrscherin, sehr entstellt auf dem Sopha liegen, ihr zu Füßen den Schreiber, der sich in letzter Todesverzweiflung noch an sie angeschlossen. Der Minister wirft sich bei der Fürstin nieder, und frägt abgewandt: Was ist geschehn, wie ist zu helfen? – Die Fürstin erkennt ihn gleich und sagt: Sie hier mein alter Freund, mir ist nicht zu helfen, war der Graf nicht vor der Türe, ich glaubte, seine Stimme zu hören? – Der Minister antwortete ihr, daß der Graf eben hätte eintreten wollen, als er zu seiner sterbenden Gattin gerufen worden. – Das Gesicht der Fürstin verzieht sich schmerzlich, sie seufzt: Der Graf will mich nicht sehen, ich soll ihn nicht mehr sehen und die Gräfin stirbt! Armer Vater, das ist mein Werk, aber nicht mein Wille. Ich kann nicht mehr aufstehen, der Mensch unten hält mich, gern möchte ich die Gräfin um Verzeihung anflehen. – Der Minister versucht, den Schreiber fort zu schieben, aber vergebens, ihn hatte die zerstörende Neige des Giftes, die er begierig eingeschluckt, schnell erstarrt. Die Fürstin blickt hin und sagt: Ist er tot? Wie konnte er so wenig Gift vertragen, und so große Schuld übernehmen – ihr letzten Zeugen meiner Leiden, ich bitt euch, sagts aller Welt, ich habe ihn vergiftet, eingedenk des Vaters strenger Gerechtigkeit und seines hohen Stolzes; ihm schwor ich auf dem Totenbette, des Hauses Ehre heilig zu bewahren, ich habs getan. Der schnöde Sklave hatte trüglich meinen Leib zu seiner Lust mißbraucht. – Zuckungen unterbrechen ihre Rede, sie stammelt mit Abscheu, wie sich alles ereignet, ihre Zuhörer sind von dem Schrecknisse festgehalten und gelähmt, nur der Kammerjunker eilt nach dem Schlosse, den Arzt zu rufen. Endlich unterbricht der Minister ihre Erzählung und bittet sie daran zu denken, wie bald sie werde stehen vor Gottes Angesicht, wo der arme Schreiber da mit ihr erscheine, wo alle Menschen gleich; dem Minister war der Glaube seiner Kindheit in diesem Schrecknisse wieder erschienen. – Gottes Angesicht, ruft sie mit letzter Kraft, wird er nie sehen, er hat geschändet den Leib Gottes, dessen Ebenbild auch ich war! –

Dieses waren ihre letzten Worte, fast ohne Reue, hart und wild ausgesprochen, wie zu einem hoffnungslosen Kampfe, in welchem sie doch die gute Sache auf ihrer Seite glaubte, so starrte sie dem Tode entgegen, der Arzt kam zu spät. Ihre letzten jammernden Ausrufungen wollen wir nicht aufzeichnen; sie gehörten ihr wohl nicht mehr, sie sind der bloße Schrei der allgemeinen menschlichen Natur, die sich von dem gewohnten Lebenskreise mit Mühe trennt. Der Minister überließ sich nicht gern seinem Gefühle, er vermied es aus einem gewissen Grundsatze der Selbsterhaltung; jetzt, wo es ihn überraschte, konnte er es nicht ertragen, die vordrängenden Tränen durchzuckten ihn schmerzlich, er wendete sich von der Sterbenden, die der Fremde in seinen Arm genommen, der sich ihr als ein ferner Anverwandter aus unglücklichem Stamme, als der Prinz von Palagonien angab, ihm danken wir die meisten Nachrichten von dieser Geschichte, er ist der unglücklichste und edelste Mensch, den die Erde getragen.

 

Der Minister trat ins Schloß, wo alle in dumpfer Betäubung umherschlichen, horchten, keiner ihn fragte, zu wem er wolle, wo keiner seine Fragen beantwortete; er irrte umher und traf endlich auf die Herzogin, die er fragte, wo seine Töchter zu finden wären. Die Herzogin küßte ihm die Hand und sagte: Mein teurer Vater, wie müssen wir uns wiedersehen? Gehen sie nicht weiter, im nächsten Zimmer liegt ihre sterbende Tochter Dolores, die ich vor wenig Stunden gesund verlassen; sie ringt mit fürchterlichen unerklärlichen Träumen, die in einander sich vermehren und keiner mehr beschwichtigen kann. Ich habe mich einen Augenblick entfernt, denn meine ganze Seele ist zerrissen und selbst dem himmlischen Troste ist mein erschüttertes Herz geschlossen. – Bei diesen Worten sank sie schluchzend in des Vaters Arme.

 

Die Sonne sank unter und das Geheimnis umschloß noch alle, da kam der geistliche Sohn Johannes, den eine Botschaft aus dem Schlosse hinberufen, und trat an seiner Mutter Bett. Bei seinem Anblicke kam ihr die Klarheit des Geistes wieder. O dieser schönen letzten Klarheit, sie war so ganz bei sich, als sollte sie noch eine Ewigkeit unter den teuren Seelen leben, die sie so bald verlassen sollte, die sie aber wohl noch als ein allgegenwärtiger liebevoller Schutzgeist umwohnen mag. Die ersten Äußerungen ihres erwachten Bewußtseins waren Großmut und Aufopferung, sie sagte dem Grafen, daß sie nach ihrem Tode keine Frau wüßte, die ihm tröstlicher sein könnte, die ihm und ihren Kindern mehr zugetan wäre, als die Fürstin; Deutschland würde ihn freudig empfangen. Der Graf hielt diese Äußerung noch für bewußtlose Schwärmerei und bat alle umher, von dem Tode der unseligen Fürstin zu schweigen; die Gräfin aber hatte dies vernommen und erfragte allmählig die traurige Begebenheit, sie betrauerte der Fürstin Leiden und erfreute sich der unwandelbaren Liebe ihres Karls. Das Geheimnis seiner Reise, der Planetenring, den er ihr zum Ersatz des verlornen Verlobungsringes an den Finger steckte, durchdrang sie mit dem Vergnügen ihres ganzen Lebens, es war ein neuer Bund mit dem Geliebten und die Scheidende schien ihm noch so schön, wie in den ersten Stunden seiner Liebe. Nie fühlte sie sich ihm so nahe, ihre Fehler waren ihr ein fremdes abgelegtes Kleid, wie ihr Körper, sie fühlte sich durch ihre Buße ihrem Manne und der Welt versöhnt, sie scheute sich nicht eine Ewigkeit zu bleiben, wie sie in den Augenblicken geworden und ein Rückblick in das veränderliche sterbliche Leben machte ihr Schmerz. Noch gedachte sie ihres Vaters mit Sehnsucht und auch dieser Wunsch war ihr durch seine Nähe schnell gewährt. Sie fühlte sich sehr schwach und begehrte die letzte Ölung aus den Händen ihres Sohnes Johannes, der sie ihr mit Würde und Heiligung erteilte; die Fackeln erhellten das stille Zimmer, in welchem nur das Schluchsen ihrer Lieben zuweilen die fromme Segnung unterbrach, draußen hatte Sturm die Himmelsfackeln ausgelöscht und die Schiffe wurden entmastet vorübergetrieben. Dolores betete mit Erhebung und segnete die Ihren, sie gedachte der am Morgen aufgefundenen Worte Christi: Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein: da füllte ein Blutstrom den betenden Mund, ihr Tod war kein Kampf mehr wie ihr Leben, sondern der Anfang des Friedens. Sie starb den vierzehnten Juli, an demselben Tage, in derselben Mitternachtstunde, in welcher sie vor vierzehn Jahren die heilige Treue gegen Gott und ihren Mann gebrochen.

 

Ewige Gerechtigkeit, warum mußte sie sterben? Daß dir schaudre Mensch vor der Gewalt der göttlichen Leidenschaft, der allmächtigen Liebe, welche von der Jugend so oft in törigtem Leichtsinne aufgesucht und ausgefordert wird; daß dir nicht graue vor dem Tode sterblicher Mensch, denn er ist dir gewiß; daß du gedenkest in ihm deines Lebens und dessen unerschöpflich reicher Erfahrung. Der Zukunft gehört alle Welterfahrung, möge keinem ihre gute Lehre zu spät kommen, wer sich nicht verschließt, dem ist sie nicht verschlossen, in ihr lebt alles Vergangene ein vollkommenes Leben. Der Mensch steht aufgerichtet in der Welt, daß er sich umschaue mit offenen Augen; oft will er sich begnügen mit seinem Kreise, aber die Not treibt ihn gewaltsam auf die Höhen, die seinen Blick erst beschränkten; da strahlt ihm das Licht der Welt, sie liegt unter ihm, die dunkle Erde scheint leuchtend, oben umschließt ihn das ewige Blau. Zu dem Lichte möchte der Mensch dann aufsteigen, da beweist ihm die irdische Schwere schwindelnd in ihm ihre letzte Macht: Er fühlt, daß sie ihn stürzen kann und er betet zu allem, was ihn erhoben, daß es ihn nicht zu schanden werden lasse. Da scheidet sich sein Wesen, das Blut aus tiefem irdischen Triebe aufwallend zur höheren reinen Luft füllt den betenden dürstenden Mund, der Mensch stürzt nieder, sein Göttliches steigt empor – dies ist der Tod auf den Höhen der Welt, so beschreiben ihn die Reisenden, die hohe Berge bestiegen.

 

Der Graf, die Herzogin, die Kinder, niemand wollte von der Sterbenden weichen; Johannes stand allen bei mit heiliger Kraft, als die Verzweiflung über den unglücklichen Verlust sie beim Leichenbegängnisse ergriff. Die Nachricht ihres Todes verbreitete sich durch die Sterbeglocke der Schloßkapelle durch die ganze Insel, die Glocken läuteten, wie bei einem Erdbeben, alle fromme Seelen beteten für sie, viele dankbar für empfangene Wohltaten.

 

Dem Grafen blieb nach dem unendlichen Verluste viel, seine Trauer und zwölf schöne Kinder, seiner Dolores Abbilder im Spiegel Gottes und eine liebende Mutter für alle, die Herzogin. Die Welt wünschte bald wegen der Kinder die Vermählung des Grafen mit der Herzogin; aber es ziemte nicht dem Schmerze beider, nicht der Gewohnheit ihres Lebens, auch bedurften sie keiner anderen Vertraulichkeit miteinander, ihr Sinn und ihr Herz waren im Denken wie im Handeln eins. Nachdem Johannes die erste trübe Zeit dem Grafen mit Andacht geheiligt hatte, trat der Fremde, den wir als Prinzen von Palagonien kennen lernten, zu ihm; es war das erste Unternehmen des unentschlossenen Prinzen, als er ihm seine Freundschaft so offen, so gutmütig antrug, daß der Graf sich ihm ganz erschlossen fühlte. Die beiden unglücklichen Freunde erheiterten einander mit der Erzählung ihrer Schicksale; der ruhigere Prinz mäßigte die heftigen Ausbrüche des Schmerzes im Grafen, die rastlose Tätigkeit des Grafen zerstreute den von aller Welt zurückgezognen Prinzen durch wiederkehrende Berührung mit derselben. Oft glaubte der Graf, seine Dolores habe ihm aus dem Himmel diesen edlen Freund zugesendet, er schien ihm eine einsame Insel, die aus einem wilden Meere, das ihm alles entrissen, hervorgegangen, ihn freundlich aufgenommen und erhalten hatte. Lange verweilte der Minister bei der frommen Herzogin. Der Anblick seiner sterbenden Dolores hatte ihn tiefgerührt, aber die Erinnerung war ihm nicht fürchterlich; dagegen ließ ihm das Andenken an die Fürstin in Träumen keine Ruhe, oft erschien sie ihm auf einem glühenden Throne und flehte ihn an, daß er für sie beten möge. Er lebte vom Troste der Herzogin und konnte sich lange nicht zur Abreise entschließen. Der Kammerjunker mußte in Aufträgen von ihm den Erbprinzen aufsuchen; die Erzählung des furchtbaren Ereignisses wirkte auf den leichtsinnigen jungen Mann, er entschloß sich von dem gewohnten Leben abzugehen. Seine Kameraden staunten und frohlockten über seine Verwandlung in einen Fürsten, jeder hoffte durch ihn seinen Vorteil, nur Furiosa, die sich durchaus in seinen neuen Gesellschaften nicht finden konnte, verließ ihn.

 

Der Leichnam seiner Mutter, der Fürstin, wurde in einem halben Jahre von den morgenländischen Balsamen, womit ihn die Ärzte gegen Verwesung schützten, hinlänglich durchdrungen, um die warme Luft ertragen zu können. Die Sorge für diese geehrten Überbleibsel verpflichtete den Minister endlich zur Abreise nach Deutschland, der Abschied von seiner Tochter, von seinen Enkeln wurde ihm sehr schwer. Er selbst setzte sich in den Wagen, der den Sarg verschloß, und von allen Kirchen traurig bewillkommt wurde. Die Dichterin folgte ihm in einem anderen Wagen, sorgsam beschäftigt mit seiner Pflege, er erkannte es, denn er war weich und milde geworden durch die harten Stöße des Geschicks. Als sie so durch die pontinischen Sümpfe zogen, gedachte sie mit Leidwesen, wie die Wahrheit alles Schauerliche ihrer Dichtung vom Hylas übertroffen. Nachdem die Fürstin in der Gruft ihrer Väter beigesetzt worden, traf der Erbprinz in der Hauptstadt ein, er wußte von dem Lande nichts, hatte aber Kenntnis der Zeit, er überließ die meisten Geschäfte dem Minister, der aus Liebe zu ihm und zum Lande alles wieder übernommen hatte.

 

Tage und Nächte voll Sehnsucht nach dem stillen Lande, das alles Verlorne wiederzugeben verspricht, vergingen dem Grafen leichter, seit ihm sein Freund, der Prinz, den Gedanken eines Denkmales auf die geliebte Dolores mitgeteilt hatte. Unablässig betrieb er die Arbeit, sie beschäftigte die geschicktesten Bildhauer, und ehe ein Jahr vergangen, erblickten die Seefahrer mit frommem Danke die übergroße Bildsäule der Gräfin, wie sie mit der einen aufgehobenen Hand warnend, mit der andern ausgestreckten, segnend, von ihren zwölf Kindern umringt, auf der Spitze einer gefährlichen Klippenreihe, die bis dahin der Untergang mancher Hoffnung und manches Lebens geworden, milde aus dem Himmel herableuchtend ihnen erscheint. Ihre Augen und ihre gräfliche Krone, und die Augen und Kronen ihrer Kinder werden jede Nacht durch eine kunstreiche Einrichtung wie ein neues wunderbares Sternbild erleuchtet, das noch hellglänzt, während alle am Himmel hinter Wolken erloschen; die Seeleute nennen diesen Leuchtturm das heilige Feuer der Gräfin, oder auch das heilige Feuer der Mutter.

 

So oft der Graf dieses Denkmal beschaute, mußte er des Verlobungsringes gedenken, welcher in der Meerfahrt verloren gegangen; mit wunderbarer Sehnsucht wünschte er ihn zurück, der Ring hatte ihn an das Meer gebannt, tagelang stand er traurend am Ufer, und suchte nach ihm im Sande. Vergebens waren alle versprochenen Belohnungen, den Ring aus der Tiefe zu holen, die Stelle, wo er hinein gefallen, war unergründlich. Was keinem anderen möglich, gelang dem Freunde, der Prinz brachte ihn an einem heiteren Morgen freudig unserem Grafen zurück; wie er ihn erhalten, bleibt ein Geheimnis.

Alle Liebe, die der Graf mit diesem Ringe der Verstorbenen geschenkt hatte, wandte er nun zu dem ewigen göttlichen Vorbilde aller Leidenden, den dieser Ring in dem Kreise der Apostel darstellte, auch fühlte er sich durch den Anblick desselben wieder erfrischt, das Leben zu ertragen und es in allen seinen übrigen Wirkungskreisen zu vollenden, er fühlte sich gestärkt, bei dem Rufe seines bedrängten Vaterlandes, sich von dem Grabe seiner Dolores loszureißen, den Deutschen mit Rat und Tat, in Treue und Wahrheit bis an sein Lebensende zu dienen; ihm folgten seine Söhne mit jugendlicher Kraft.


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