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Abschied vom Landleben
Die nächsten Tage gehörten dem Abschiednehmen in der Gegend. Die Gräfin heitrer gestimmt und gewiß, daß sie die Leute sobald nicht wiedersehe, war ihnen so verbindlich, daß keiner begreifen konnte, wie er ihr je etwas übel genommen. Ich habe es immer gesagt, sprach einer zum andern, sie ist so übel nicht, aber noch jung, es fehlt ihr nur noch an guter Lebensart. – Sie selbst fand sich von der Behaglichkeit in dem Innern mancher dieser verachteten Familien sehr überrascht, sie bewährten hier ein Leben und eine Erfindsamkeit, es auszuschmücken, die sie ihnen nie zugetraut; jede Arbeit war ein Familienfest. Merkwürdig war ihr vor allen die Frau eines entfernten Anverwandten des Grafen, die mit allen Kenntnissen der besten Erziehung mit bedeutendem Vermögen und ausgezeichneter Schönheit, bloß aus Gewohnheit, weil sie mit ihm auferzogen worden, sich dem sehr beschränkten, aber gutmütigen Manne hingegeben hatte und durchaus nichts in der Welt versäumt zu haben meinte; sah jemand beide einzeln, so schien es unbegreiflich, waren sie beisammen, so konnte es nicht anders sein. Eine gutmütige Natur ist immer sehr reich in allen Verhältnissen zu andern, je vertraulicher sie werden; während die höchsten Talente mit der Härte, die ihnen beigesellt zu sein pflegt, in dieser Vertraulichkeit, in dieser Gewöhnlichkeit ermüden, langeweilen und durch das Widerspiel des Streits sich zu erhalten und zu bewähren streben. Nichts ist törichter, als eine Heirat um eines ausgezeichneten Talentes willen: eigentlich der schändlichste Eigennutz, was der Welt gehört, möchte man sich zueignen; dabei der furchtbarste Aberwitz, den Geist im Körper sich anzueignen, und doch ist dies eine der gewöhnlichsten Verirrungen unsrer Gedanken und keine bestraft sich so schnell. Selbst das Beste, was der Mund spricht, der uns singend entzückt und an sich gerissen hat, scheint uns gegen die Glut jener Kunstübung, die von der Natur zur Freude vieler geschaffen, in vielen Jahren sich ausgebildet hat, etwas sehr ungenügendes. Aber wer den Umgang einer Schauspielerin aus Bewunderung einer ihrer Darstellungen sucht, findet sich immer schmerzlich getäuscht, wenn auch die Frau viel besser als ihre Rolle sein sollte. Die Lehre ist alt, aber die Welt wird ewig wieder jung, dieselben Empfindungen, Schauspiele, über die wir hinaus sind, gefallen der Jugend immer wieder, wie sie uns einst gefielen; so wollen wir sie denn auch gegen dieselben Fehler gewarnt haben, denen auch wir uns unterworfen fühlten. Welche Qual in einem geliebten Wesen ewig etwas Hohes zu ahnden, was sich in jedem Augenblicke verleugnet. – Die Gräfin verließ das Haus dieses Anverwandten mit einem Vorwurfe gegen ihren Mann, den er eigentlich nicht verdiente; sie sagte ihm, daß er sie doch nicht so liebe, wie dieser Mann seine Frau, der ihr die Kinder nachtrug, und die Küche bestellte; aber der Vorwurf war nicht ernstlich gemeint. Besonderen Spaß machte beiden die Haushaltung eines wohl genährten Vetters; der sein ganzes Dorf zum Range seiner Familie erhoben und von jedem Kinde Vaterchen genannt wurde; diese Art patriarchalischer Verhältnisse machte ihnen einige Stellen des alten Testamentes deutlich, die unsren Sitten sonst ganz unverständlich scheinen. Lieber Karl, sagte die Gräfin zu ihrem Manne, wärst du wie dieser, auf ein Paar Gedanken und viel Essen und viele Weiber gerichtet, und von Jugend an im Stalle und bei den Knechten erzogen, könntest du jeder Magd Unarten sagen, jeden Schmutz ertragen und belachen, da könntest du auf dem Lande auch glücklich sein, aber deine Ausbildung, dein Lebensmut werden dich dort stets unbefriedigt lassen. – Dolores zeigte hierin, so wenig es sonst ihre Sache, daß sie da, wo ihr etwas am Herzen lag, wirklich recht tief beobachten konnte; es lag viel Wahres in ihrer Bemerkung und der Graf mußte es fühlen, daß der Übergang vom Lande zur Stadt sehr leicht, das Entgegengesetzte aber sehr schwer sei; zeigt dies doch die Geschichte aller Nationen. – Auch das Fräuleinstift besuchten sie noch aus Neugierde, das alte Hausgeräte, die vielen Sonderbarkeiten der einzelnen ledigen Leute, gaben so viel zu lachen, daß sie beinahe die dienstfertige Gunst aller verscherzt hätten, doch das Angedenken des schönen Hochzeitfestes hielt sie zurück, sich darüber zu äußern; alte Jungfern rechnen sehr weit in die Zukunft und es dachten jene, die dort gewesen, sie hätten sich angenehm beredt gezeigt um wiedereingeladen zu werden im künftigen Jahre, und die andern, von den Beschreibungen entzückt, hofften, daß auch sie im nächsten Jahre die Reihe treffen könnte.
Die Neuvermählten in dem entfernten Forst wurden ebenfalls nicht vergessen; aber wie erstaunten sie die Hochzeitschuhe so schnell vertragen zu finden. Die Frau hatte nachlässig ihre Haare um den Kopf hängen, ihr Mann war auf der Jagd; sie schüttete mancherlei Klagen der Eifersucht aus, wegen der vielen Weiber, die sich Holz in dem Forst lasen; sie küßte der Gräfin mit Tränen den Rock, daß sie nicht mehr bei ihr sei, klagte, daß ihr Mann so oft schelte. Der Graf fand aber, daß der Förster dabei nicht ganz unrecht haben mochte; das Mädchen, ungewohnt der ländlichen Arbeiten, immer nur mit Putzmachen und Ankleiden der Gräfin beschäftigt, hatte in dem artigen neuen Hause eine fürchterliche Unordnung einreißen lassen. Die Gräfin bedauerte sie, der Graf aber ermahnte sie ernstlich mit demselben Augenblicke gleich Hand daran zulegen, in ihrem Hause Ordnung und Reinlichkeit zu stiften. Wirklich entschloß sie sich mit Mühe dazu und der Graf verließ sie mitten in der Reinigung ihrer Milchkammer, in der alle Milch schon verdorben war.
Den Prediger Frank fanden sie in einem sehr angenehmen kleinen Hause. Als ein wahrscheinlich noch lange Unverheirateter hatte er sich außer seiner Landwirtschaft und Baumzucht, die er im Großen übte, auch alle Künste einer guten Hausmutter angeeignet. Er kochte sehr gut und trat seinen Gästen mit einer Küchenschürze entgegen; da sie über sein Kochen gelacht hatten, so mußten sie auch Proben davon prüfen und sie gestanden ein, daß sie nie so gute Krammetsvögel gegessen. Nachher führte er die Gräfin auf Verlangen in seinen Dohnenstrich im Garten und sie war überrascht, einen gefangenen Vogel nach dem andern aus der Haarschlinge zu ziehen und ihn triumphierend in die Jagdtasche des Predigers zu werfen. Als sie nachher ihren guten Fang dem Grafen zeigen wollte, da fand sich leider nur ein Vogel, denn der gewandte Mann hatte immer vorauslaufend und den Weg weisend denselben Vogel in alle Schlingen gehängt. Der Graf behauptete, man könne auf diesen Vogel den Ausdruck einer Zeitung über gewisse Kriegsberichte, nach denen nur immer ein Mann gefangen, von neuem anwenden: der bewußte Mann, hier der bewußte Vogel sei wieder gefangen. Beim Abschiede schien der Prediger recht ernstlich betrübt, schwor ihnen, daß er die schönsten Stunden des ganzen Sommers bei ihnen zugebracht habe, nun sei er ganz einsam; rings um ihn wären lauter Leute, zu deren Fassung er sich herabspannen müßte, niemand der seine Geistestätigkeit anspannte als Gott, mit dem er im beständigen Glaubensstreit lebe, weil er so ganz anders denke, als er lehre und lehren müsse. Er brachte zum Abschiede eine Flasche alten Stachelbeerweins, denn seine Gegend war dem Weinstocke nicht geeignet; dabei erzählte er, daß die Accise, die alle Industrie des Landes störe, ihn zwingen wolle, ausländische Weine zu trinken, weil sie über das Einziehen ihrer Steuern dabei in Verlegenheit komme. Nachdem sein Wein Beifall erhalten, fing er an, von seiner kleinen Geliebten behaglich zu erzählen: das Kind habe ihn neulich gefragt, wer denn Amor sei, von dem sie in einem Gedichte gelesen? Er habe geantwortet, ein kleiner Mann mit Flügeln, der sehr gefährlich. Darauf habe sie ihm versichert, wenn er nur klein wäre, da wollte sie ihn wohl zwingen, wäre er aber groß, so groß wie er, da könnte sie sich nicht wehren. Er fand in dem Scherze etwas Vielbedeutendes, wer konnte ihm diesen hoffenden Sinn stören; alle schieden von einander in gegenseitiger Zufriedenheit.
Ganz verschieden davon war der Abschied von dem Geistlichen des Dorfes; der Streit mit dem Grafen, noch mehr die mancherlei eigenen vom Grafen ersonnenen Verschönerungen des heiligen Dienstes hatten seine ganze Eifersucht erregt; mancherlei Einkommen, das er durch die Gunst des Grafen bezog, hinderte ihn diese Empfindlichkeit offen zu zeigen, es waren aber so einzelne Ausrufungen, in denen sie sich Luft machte. So sagte er wohl, der Herr Graf werden uns so viel Neues mitbringen, daß wir die alte Religion ganz darüber vergessen; zwar bin ich der Meinung, daß wenigstens alle zehn Jahre etwas von dem alten Sauerteige weggeschafft werden müsse, jedes Übereilen ist aber gefährlich. Der Graf fragte ihn erstaunt, wie er auch nur einen Tag etwas dulden könne, das er in heiliger Überzeugung für alten Sauerteig halte, ob das der Sinn der Märtirer sei, die in der Bekennung ihres Glaubens selbst gestorben. Der Mann kam in Verlegenheit, rühmte den Herren Grafen, wie er so hübsch spreche, und weiter hatte es keine Folge, als sie beide gegen einander zu erbittern.
Am Abende vor der Abreise, als der Graf im Hause hin und her lief, um mancherlei Anordnungen selbst zu machen, die seiner Dolores zu lästig waren, und die doch den Bedienten nicht überlassen werden konnten, klappte er auch alle einzelne Schränke auf, um nach vergessenen Sachen zu forschen. In dieser Vorsicht kam er auch an den Schrank des kleinen Traugott, den er noch voll von seinem Spielzeuge fand; er beschaute mit einem eignen Gefühle diese Lust eines Toten. Einem Kinde sollte man alles Spielzeug in den Sarg legen, es macht die Lebenden sehr traurig. Alles trug den eigentümlichen Geist des Knaben: seine frühere Geschicklichkeit alles zu durchsuchen und sich zuzueignen und die spätere Sinnigkeit seines ganzen Wesens; auf dem kleinen Wagen lagen in strenger Ordnung alle Art Sonderbarkeiten, Steine die wie Brot oder wie Pflaumen aussahen, viele wunderliche Puppen, die er zu seinen Stücken sich ausgeschnitten und bekleidet hatte, und tausend andre Dinge, die der Graf nie bei ihm bemerkt hatte. Einen kleinen Schrank von Nußbaumholz mit Schlössern und vielen Kästchen, die der Graf in seiner eignen Jugend sehr wert gehalten hatte, fand er dort mit Verwunderung; der Knabe mußte ihn auf dem Boden irgendwo entdeckt haben. Eingedenk der eignen Art, wie er jedes Kästchen zu einem besonderen festen Gebrauche eingeweihet hatte, zog er jedes heraus und sah mit Erstaunen eine Sammlung von Angedenken, jedes mit kurzer Inschrift bezeichnet, und alle diese Angedenken waren kleine Geschenke des Grafen: manches Weggeworfene, woran er sich kaum erinnern konnte, das aber Traugott in seiner Zuneigung sorgsam bewahrt hatte. Mit dem Angelhaken, den er ihm damals zum Troste nach dem Tode der Mutter geschenkt, begann die Sammlung; in kindischen Reimen stand dabei beschrieben, wie er seine Liebe damit gefangen. Dann fand er Haare, die er ihm einmal im Scherz aus seinem Kamme zum Angedenken verehrt in ein Netz zusammengeknotet; in ähnlichen Versen stand dabei: in diesem Netze von Haaren tu ich seine Liebe bewahren; dann fand er Kirschkerne, die er ihm einmal gegeben, sie aus dem Zimmer zu werfen, dabei stand geschrieben: die Kerne küßte sein schöner Mund, davon sind sie so glatt und rund; ferner eine trockene Kornblume, dabei stand geschrieben: diese Blume der Graf heut niedertrat, mit mir er nicht gesprochen hat, ich stürzt' mich in das Wasser hinein, sollt' so ein Tag noch wieder sein; ferner ein Blatt aus dem Haushaltungskalender, auf welchem ein Tag unterstrichen war, daneben stand mit Bleistift: dieser Tag sei mir dreimal gesegnet, weil ich dem Grafen dreimal begegnet; endlich ein Kranz mit der Inschrift: den gab mir der Graf am frühen Morgen, ich sollt' ihn an die Gräfin besorgen, und gestern hat er mich fortgeschickt, als sie ihn so zärtlich angeblickt, es rät mir so weh als ich ihn gebracht, die Gräfin hat den Kranz nicht geacht, sie hat ihn im Vorsaal liegen lassen, da rät ich armer Junge ihn fassen, und heb ihn auf in Ewigkeit, da bin ich von meinem Grafen nicht weit. – Hier konnte der Graf nicht weiter lesen, Tränen überliefen seine Wangen; er hatte dem Kleinen alles Gute getan, hätte er aber diese heimliche Zuneigung, diese fantastische Leidenschaft gewußt, wie hätte er ihn oft mit Zuspruch, mit kleiner Gabe erfreuen können, und nun war es zu spät. – Er packte den kleinen Schrank, als seinen kostbarsten Schatz selbst ein, und besuchte noch in der Nacht das Grab des Kleinen; mancher Gedanke zu einem recht bedeutenden Denkmale ging vor ihm über, aber seine Wehmut erstickte sie alle und diese ist das schönste Denkmal der tatenlos verschwundenen Jugend.
Der Morgen der Abreise war unruhig angebrochen, mancherlei kleine Geschäfte nahmen dem Abschiede einen Teil des Schmerzlichen, doch bleibt es immer Gewohnheit in solcher Trennung von einer, wenn gleich nicht ausgezeichneten, doch unter besonderen Verhältnissen verlebten Zeit, mehr zu fürchten, als zu erwarten. Ob ich je diese Seen, diese Wälder wieder sehe, fragte Dolores ganz wehmütig den Grafen: die Glocken läuten zur Frühmesse, jetzt beten alle Menschen und wir reisen; was bedeutet mir das? Gewiß sterbe ich im Kindbette und werde hier beigesetzt zu allen deinen Voreltern und du führst eine andre in diese Zimmer ein, als deine Frau! – Nimmermehr du Einziggeliebte, rief der Graf! mit dir lebt ewig mein ganzes Leben, ob du sichtbar bei mir bist, wie bei unsrer Ankunft der Frühling in jenem Walde, den er mit grünem Kranze bedeckt hatte, oder ob ich entlaubt stehe wie er, einsam in Regen und Wind: ruhig traurend, werde ich an deinem Grabe dann eines höheren Frühlings warten – da wird dich Traugott mir entgegenführen – in Zeit und Ewigkeit bleibst du mir unverloren! Doch wozu so traurige Gedanken? – Der Gräfin schauderte jetzt vor dem Gedanken des Todes, den sie so leichtsinnig ausgesprochen hatte; ihr war zu Mute, wie der leichtsinnigen Furcht, welche Mittags unter vielen Menschen andre mit Gespenstergeschichten erschreckt, die sie einsam in der Mitternacht gern vergessen möchte.