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Der alte Graf P... begegnet dem Fürsten, der in sein Land zurückkehrt
Als sie den Berg hinauffuhren und der Graf in tiefen Gedanken sich noch einmal nach seiner ganz vergangnen ganz untergegangenen Zeit umblickte, wurde er durch einen heftigen Stoß erweckt, sein Kutscher war sehr ungeschickt mit einem anderen Wagen zusammengefahren; der Postillon wollte mit Schlägen über ihn her fallen, aber eine gebietende Stimme im Wagen gebot ihm Frieden, und er gehorchte im Augenblicke; auch der Graf gebot seinem Kutscher, lieber zu helfen statt zu zanken. Die beiden Stimmen erkannten sich; in der Stimme liegt die dauerndste Eigentümlichkeit des Menschen; als sie sich ansahen, denn Wagen stand an Wagen, waren sie einander wieder ganz fremd; es war aber in der Stimme etwas, das die tiefste Vergangenheit, die fröhligste Jugend in ihnen erweckte. Der alte Graf stieg aus dem Wagen, der andre Reisende gleichfalls; heiliger Gott, schrie der andre auf, welch ein Unglück, kein Wort weiß ich davon, das schöne Schloß des Grafen ist abgebrannt, gut daß er das nicht erlebt hat! – Der Graf erkannte an diesem kurz ausgesprochenen gut seinen alten Freund und späteren Feind, den Fürsten; so mitleidig hatte er ihn nie gedacht, nie so alt; er war in seinen Gedanken noch immer der rasche Jäger, der über Felsengeklüfte den Kühnsten voraushetzte. – Ach mein gnädiger Fürst, die Jahre haben mich unkenntlich gemacht, die Sonne meine Haut und das Feuer meine Fehler verbrannt; es ist alles anders geworden, alles durchs Feuer gegangen, mein gnädiger Fürst, mir ist alles verloren und vergessen, nur die frühe Vertraulichkeit, in der wir der Welt Lust und Freuden durchstrichen, fleht zu ihnen um Nachsicht um ein mildes Verzeihen späterer Irrungen; erlauben sie, daß ich ihre Hand küsse. – Der Fürst sah ihn mit großen Augen an, wie ein altes teures Bildnis, welches nach einander viele ungeschickte Hände so wie die Zeit entstellend übergemalt; er konnte kein Wort sagen und ließ sich unbewußt die Hand küssen; nachher umarmte er ihn, dann weinte er und die Zunge war ihm gelöset und strömte über in alter Vertraulichkeit: Sieh, ich wollte allen schmerzlichen Erinnerungen eines festlichen Einzuges entgehen, wollte einsam nach dem Schlosse zurückkehren, denn wie stimmte der Jubel meines guten Völkchens zu meiner Trauer, Frau und Kinder von mir entzweit zu wissen; sieh nur und da kommst du so lebhaft und rufst mir dies und tausend andres mit lebendiger Stimme wieder auf; meine Frau war dir sehr gut, sie spricht noch oft von dir; einmal war ich sogar eifersüchtig auf dich. – Und so wechselten beide mit Anklängen alter Zeiten, neuer Schmerzen; die Wagen waren längst auseinander gehoben, aber ihre Hände ließen nicht von einander; endlich zwang sich der Graf zum Abschiednehmen. Torheit, rief der Fürst, du bist jetzt in meiner Gewalt, in meines Herzens Bannmeile, dich lasse ich jetzt und nimmer von mir, wir haben einander bis an unser Lebensende zu erzählen; du hast Frau und Kinder, ich habe keine und verlange Ersatz vom Schicksale. Ich könnte nicht ruhig sterben, wenn mich kein Freund begleitete; hast du zum Bauen nicht mehr Lust und Zeit, so ziehe zu mir, mein Schloß ist ganz leer. – Der Graf gestand ihm, daß sich eine Geisterfurcht seit der Nacht seiner bemächtigt habe, sonst triebe ihn nichts fort; er wäre ja bloß darum des weiten Weges gekommen, um sich hier wieder anzusiedeln; dabei erzählte er ihm seinen wunderbaren Empfang im Schlosse. – Der Fürst sah tiefsinnig vor sich hin, und schrieb mit dem Stocke einige Züge in den Boden: Ich kann die Gespenster bannen, denn sieh, ich bin auch ein Gespenst, ein Gespenst, das nur noch von dem träumenden Genusse früherer Tage, von seinen Gewohnheiten lebt. – Wer ist dann mehr Gespenst als ich, rief der Graf, einem fremden Weltteile klimatisiert machte ich aus Nacht Tag, aus Tag Nacht: nun wohlan so wollen wir es mit unsern unruhigen Brüdern der Mitternacht aufnehmen! – Er winkte seinem Wagen und sie kehrten alle um; er selbst ging Hand in Hand mit dem Fürsten zum Schlosse. Auf dem Wege fragte den Fürsten eine ausgestellte Wache, ob er nichts von ihrem Fürsten unterweges gehört, ob er noch eintreffe. Der Fürst zog seinen Geldbeutel, gab ihm ein Goldstück und fragte ihn, wer darauf abgebildet? – Unser gnädiger Fürst, antwortete die Schildwache. – Nun so behalts, sagte der Fürst, damit du ihn wiederkennst, wenn er kommt. – Die Schildwache dankte verwundert und versicherte: Seinen Landesherrn wollte er schon erkennen, der hätte bei ihm Gevatter gestanden. Der Fürst und der Graf gingen nachdenklich an das Schloßtor, es war verschlossen; sie klopften an, der Türsteher fragte: Werda? – Dein Fürst Alter! rief der Fürst. – Ach ja der gnädige Fürst, weinte der Alte, öffnete die Türe und umfaßte seine Kniee. – Der kennt mich noch, weil er blind ist, sagte der Fürst weggewandt zu dem Grafen. – Sie durchwanderten nun die alten Zimmer, die ihnen jetzt festlich dünkten, die ihnen sonst mit ihrer alten Pracht lächerlich gewesen; der Graf stellte dem Fürsten seine Frau und Kinder vor, der sich in ihre fremde Art leicht zu finden wußte; sie mußten alle auf dem Schlosse wohnen. Unterdessen hatte sich die Nachricht von des Fürsten Ankunft in der Stadt verbreitet; die festlichen Anstalten, die bekannten weißgekleideten Mädchen, die zitternd eine Rede abquälen, die Blumen, die Kanonenschüsse, die er vermeiden wollte, nichts wurde ihm geschenkt; doch von dem überraschenden Jubel von allen Seiten angezündet brannte das ganze kunstreiche Feuerwerk in rascher Unordnung vor ihm ab, so daß er in der Gesellschaft des alten Freundes alles mitzugenießen vermochte.
Festlicher füllte sich bald das Schloß nach des Grafen Anordnung mit morgenländischen Teppichen und Tänzen; die weichlichen Belustigungen jener lebensreichen Gegenden erfrischten das austrocknende Alter des Fürsten; der Graf verwandte mit Freuden einen Teil der erworbenen Schätze zu seinem Dienste, und diente ihm gern auch in allen ernsteren Verhältnissen mit seiner reichen Welterfahrung. Seinen Töchtern in Sicilien sendete er prachtvolle morgenländische Geschenke, doch wußte er nicht, was er ihnen dabei schreiben sollte, noch weniger verstand er ihre Briefe. Vater und Töchter hatten sich ganz von einander abgelebt, jedem war eine andre neue Zeit geworden; doch dankte er dem Weltgeiste, den er in Indien verehren gelernt, daß er für seine Töchter im ewig ruhigen Verstande gesorgt, nachdem Vater und Mutter sie verlassen, die Welt sie aufgegeben, die Armut sie bekämpft, und die Schuld sie bestritten hatte. Die Trümmer seines alten Schlosses ließ er zu seiner Erinnerung unverändert stehen; Reisende versichern, daß das Lebendige Frische in dem Zerstörten: Marmorsäulen die halb zu Kalk verbrannt, bunte Wandmalerei halb geschwärzt, einen eigentümlichen Eindruck von Vergänglichkeit gewähre, der manchem schwermütigen, der Gegenwart überdrüssigen Gemüte so willkommen ist.
Mehrere Monate waren schon im verbundenen Hauswesen des Fürsten und des alten Grafen fröhlich vollendet; während jener noch immer aus Rücksicht, der er sich so oft in seinem Leben unterworfen hatte, den Freund zu fragen mied, wie er zu der schönen Frau und zu den großen Schätzen in Indien gelangt sei, ob Glück oder Fleiß sie ihm zugewendet; lange glaubte er, daß irgend ein Geheimnis darauf ruhe. Der Graf gehörte aber zu der Art Leuten, die aus Bequemlichkeit gern voraussetzen, was ihnen begegnet sei, müsse jeder wissen; ganz zufällig kam es eines Nachmittags, wo er sich über die Frau, die von manchen indischen Gewohnheiten, besonders von der Verschleierung, durchaus nicht ablassen wollte, geärgert hatte, daß er zum Fürsten sprach, als sie hinausgegangen: Ich kann nicht strenge gegen sie sein, teils weil es mein Wohlleben stören würde, teils weil ich dieser ihrer besonderen Natur zu viel verdanke. Was dankst du ihr? fragte der Fürst aufhorchend. – Graf P. Sie selbst und alle Reichtümer; habe ich das nie erzählt? – Fürst Nimmermehr. Graf P. So wollen wir uns dazu ganz bequem setzen; ich will den Vorgang kurz erzählen, doch ist genug Stoff zu einem langen Schauspiele darin. Auf der Reise nach Ostindien wurde ich mit einem Deutschen, der sich Thomas nannte, mehr durch die Sprache als durch Übereinstimmung in Art und Bildung genau bekannt; er war ganz roh und wollte sich im Soldatenstande emporschwingen, er war eben so leicht zu befriedigen mit seinem Schicksale als ich damals noch ungenügsam war; ich beleidigte ihn oft mit meinem Hochmute. In Ostindien verlor ich ihn aus den Augen. Ich lebte hoch, so lange mein Geld dauerte; nachher bemühte ich mich vergebens nach guter Anstellung; ich handelte, aber die Leute dort waren verschlagener als ich; bald hatte ich nichts, weder Waren noch Geld. Den Europäern mochte ich nicht dienen, ich lief zu den Völkerschaften des innern Landes, die zwar den Engländern Steuern entrichten, doch ihrer näheren Aufsicht entzogen sind. Mir wurde manche sonderbare Begebenheit, doch war mir das fremdartigste Ereignis, als ich meinen Schiffskameraden Thomas auf dem Nabobsthrone von Tipan fand; die schöne Moham war seine Frau und die eigentliche Herrscherin des Landes; seine Prahlereien von der Kenntnis europäischer Kriegskunst hatten ihn zu dieser Würde erhoben. Ich trat in seine Dienste und hoffte wenigstens Minister zu werden, aber statt dessen machte er mich zum Entenfänger; mit einem Schwimmgürtel angetan, den Kopf in einem großen ausgehöhlten Wasserkürbis versteckt, in welchem ein paar Löcher für die Augen geschnitten, mußte ich den Fluß hinunterschwimmen; bald setzten sich wilde Enten auf den Kürbis, diese zog ich mit der Hand schnell hervorlangend unters Wasser; so brachte ich manches Dutzend nach Hause. Alle vier Wochen fiel es dem strengen Herrscher ein, mich zu sich kommen zu lassen, um Deutsch zu reden, bei welcher Gelegenheit er mir meinen sonstigen Hochmut oft vorrückte. Die Schönheit des Landes, der Überfluß an edlen Lebensmitteln macht in jenen Gegenden manche Beschwerde erträglich; der Umgang mit einigen Büßern, die am Ufer meines Flusses wie Biber sich angebaut hatten, machte mir diesen Zustand sogar angenehm; ich lernte von ihnen die Samskritsprache, während ich vom Entenfange ausruhete. – Wunderbar unterbrach ihn hier der Fürst, wunderbar ist dieser Zug aller Deutschen in unserer Zeit nach dem Indischen; wie die Kirchen alle mit ihren Altären nach Osten zu gerichtet sind, und daher oft gegen die Dörfer, zu denen sie gehören, schief liegen, so denken alle an Indien, und lassen ihr Vaterland liegen, wie es will. – Graf Wer kann wissen, was uns daher noch kommt? Ich lebte wohl ein Jahr in jener Schule, ich fühle wie wenig ich noch begriffen und bin doch dankbar für die Aufklärungen des höheren Lebens. Damals störte mich ein unerwartetes Ereignis in meinen Forschungen. Thomas hatte allmählig alle Arten seiner Pracht vor mir ausgebreitet, ich hatte alles kraft meiner samskritanischen Weisheit verachtet; endlich sagte er mir, er habe doch etwas, das über alle Weisheit erhaben, das Höchste der Welt sei: seine schöne Frau; die müsse ich einmal ganz ohne Schleier sehen. Vergebens stellte ich ihm vor, daß mir dies nach den Landesgesetzen bei Lebensstrafe nicht erlaubt sei; ich erzählte vom Gyges, wie er den Candaulus wegen einer ähnlichen Prahlerei nachdem die Frau diese Beschauung bemerkt, auf ihren Befehl habe umbringen müssen; er verstand aber Beispiele nur immer als sonderbare Geschichten, unterhielt sich damit, wandte sie aber weiter gar nicht auf sich an. Ich mußte mich auf seinen Befehl in ein Nebenzimmer bei seinem Bade verstecken, und sollte durch die geöffnete Türe hineinblicken, während er die Augen seiner Moham mit einem neuen Bilde, das an der andern Seite des Badezimmers befestigt, von mir abwenden wollte. In dem Zimmer, wo ich versteckt war, legte er seine fürstlichen Kleider, Binde und Schwert ab. Ich ging wahrhaftig ohne bösen Willen in das Zimmer, aber die Schönheit der Moham, die sich vor meinen Augen allmählig entschleierte, aber aus Züchtigkeit selbst in der Einsamkeit mit ihrem Manne, in einem feinen Badehemde verhüllet blieb, gab mir solche Verachtung gegen Thomas, daß ich sein fürstliches Kleid, seine Binde und Schwert, leise anlegte, während beide im Bade lustig plätscherten, plötzlich in das Badezimmer trat und dem Thomas befahl, mein abgelegtes Fischerkleid anzuziehen und sich augenblicklich auf meinen Fluß zu begeben, um mir für diesen Abend noch ein Dutzend wilder Enten zu bringen. Thomas wollte Einwendungen machen, aber er sah es meinem Schwerte an, daß ich zum Spaße zu ernsthaft gestimmt sei; er mußte das Kleid anziehen. Draußen wollte er die Wachen zu seinem Schutze befehlen, da sie ihn aber in der Tracht mit mir verwechselten und strengen Befehl erhalten hatten, mich bei der geringsten Widersetzlichkeit hart zu züchtigen, und aus dem Schlosse zu werfen, so geschah dies auch ihm. Ich war indessen mit der ohnmächtigen Moham beschäftigt; ich brachte sie zum Leben, und durch meine Kenntnis heiliger Sprüche aus dem Samskrit zum vollen Vertrauen zu mir. Noch denselben Abend erklärte sie mich zum Nabob, und Thomas brachte zu unserm Vermählungsfeste ein Dutzend gefangener Enten; der Einfaltspinsel war bald mit seinem neuem Stande ganz zufrieden. Einige Jahre regierte ich nach Herzenslust, da nahm uns die ostindisch Compagnie die Herrschaft. Mit unsern Schätzen schifften wir nach Europa; das Glück versöhnte mich mit Ihnen, mein Fürst.