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Tod der Gräfin P... Armut ihrer Töchter. Kriegsvorfälle
Ehe dieser Brief anlangte, waren in seinem Schlosse manche ängstliche herzzerreißende Ereignisse Schlag auf Schlag über die armen Unschuldigen eingebrochen. Einige Kaufleute, die seinem Vermögen schon lange heimlich nachgespürt hatten, waren mit ihrer verzögerten Zahlung dringend geworden, die Gräfin hatte sie mit Lächeln erst abweisen lassen, aber die Leute kamen den andern Tag gleich wieder und wollten etwas bestimmtes über die Rückkehr des Grafen wissen. Die Gräfin wurde dabei von einer sonderbaren Angst ergriffen, insbesondre da ihr die längere Abwesenheit ihres Mannes befremdend schien; sie sandte ihm Stafetten nach an mehrere Orte, wo sie ihn vermutete; die jungen Gräfinnen befürchteten, ihm sei ein Unglück begegnet, Klelia betete und Dolores blieb beinahe einen ganzen Tag im Bette liegen. Ein alter Bedienter, der sie einst auf den Armen getragen und dem Hauswesen mit großer Treue vorstand, drückte ihnen die Hände und sagte bedeutend: sie möchten sich nur fassen, es sei nicht alles, wie es sein sollte, er habe schon seit einiger Zeit so was bemerkt, wenn er den Herrn rasiert; er habe zwar wohl ausgesehen, aber das Fleisch sei doch nicht fest gewesen, auch habe er wie im Traume gesessen; sicher sei er krank geworden. Der Brief des Grafen löste endlich alle bangen Zweifel und erhellte wie ein Wetterstrahl den Abgrund, vor dem sie standen. Die Gräfin hatte sich bis zu der Zeit bei dem fröhlichen Leben im Wetteifer mit ihren beiden schönen Töchtern, jugendlich frisch erhalten; der Graf hatte sie aus mehr als bloßer Gewohnheit unverändert wie in den ersten Jahren ihrer Ehe geliebt; seine Abwesenheit allein, die Sorge für ihn hätte sie unabhängig von den übrigen Sorgen elend gemacht; sie alterte schnell und starb zu ihrem Glücke sehr bald; die Demütigung bei der Fürstin, der sie es sonst in allem zuvortun wollte, um einen Indult vergebens nachzusuchen, gab ihr den Todesstoß. Die liebenswürdigen beiden Töchter blieben mit ihrer Trauer, die sie äußerlich aus Armut nicht einmal anlegen konnten, einsam in dem weiten Schlosse zurück; ein Leid bekämpfte das andre und so viel sie geweint hatten, als sie ihre erste Kammerjungfern entlassen und die gewohnten Besuche abweisen mußten, so gleichgültig sahen sie die kostbaren Hausgeräte, Betten, Silberzeug in öffentlicher Versteigerung den Meistbietenden zuschlagen. Ihr alter Bedienter wütete gegen die hartherzige Schändlichkeit der Kaufleute, die durch des Grafen Unterstützung ihren Handel angefangen, durch unverschämten Betrug sich an ihm bereichert, und nun wegen einiger unbedeutender Schulden den Seinen das letzte entrissen; er schwor, es könne ihnen nie wohlgehen, aber was half das den Gräfinnen, denen es nun recht ernstlich übel ging. Die männlichen Lehen fielen in Administration, auch aus dem Hause wären die armen schönen Kinder vertrieben, trotz allen Schmeichelungen, die sie an die harten Schuldner verschwendeten, denen es zugesprochen, hätte nicht der Krieg das Städtlein durchzogen, der den fürstlichen Hof für immer aus dem Schlosse seiner Vorfahren entfernte und die Grundstücke im Werte so rasch herabsetzte, daß ein Haus von dieser Größe viel mehr Last als Einkommen brachte; darum zögerten die Leute weislich mit der Besitznahme. Die Gräfinnen hatten zu dem Schlosse eine so natürliche Neigung, sie kannten jedes Winkelchen darin; statt dem Rate des alten Bedienten zu folgen, in seinem Häuschen ein Zimmer anzunehmen, zogen sie sich auf ein kleines Stüblein ihrer Kammerjungfern zurück und kamen nun fremde Soldaten zur Einquartierung so schlossen sie drei und vierfach alle Türen rings. Mehrmals drangen die müden Soldaten mit Gewalt in das Haus, und ließen sich, da sie niemand fanden, ihr Essen von der Stadt dahin bringen, tranken die Nächte durch, lärmten im Hause und die armen geängsteten Mädchen horchten bange, wie sich der wilde Zug ihnen nahe. Einmal drang sogar ein raubgieriger Haufen durch alle Türen bis zu ihnen ein, immer glaubt das Volk versteckte Kostbarkeiten zu entdecken, wo es verschlossene Türen findet; endlich traten sie nach aufgehauenen Türen in das Zimmer und fanden die Mädchen knieend vor einer Mutter Gottes, sie hatten einen ganzen Tag nichts gegessen, von Furcht gebleicht sahen sie rührenden Steinbildern gleich; der Anblick erschütterte selbst das rohe Volk. Die Soldaten fragten, warum sie denn nicht zu ihnen gekommen wären, sie hätten ihnen schon etwas geben wollen, und somit warf ihnen jeder ein paar Geldstücke hin, die leichtsinnig erworben, und nahmen dafür ein paar Handküsse; auch sagte einer zu der Gräfin Dolores, sie sei das schönste Mädchen, das er je erblickt, er wolle sie heiraten, sie möchte mitkommen. Er gefiel ihr auch recht wohl, doch wie er so in sie drang, mußte er schnell aufsitzen und auf und davon; sie sah ihn nie wieder. Der Krieg entfernte sich, der Mangel wurde um so fühlbarer aller Orten, je weniger er sich durch unbestimmte Hoffnung und gewaltsame Zerstreuungen vergessen machte! Manche der harten Schuldner waren eben so arm wie die Gräfinnen, die sich jetzt ohne Scheu durch Bearbeitung ihres Gartens zu nähren suchten. Leider waren nur wenige Fruchtbäume, meist wilde Waldbäume und amerikanische Gesträuche darin gepflanzt; diese Bäume, zum Schatten in der Hitze bestimmt, mußten ihnen Feuerung geben, in den Gängen zogen sie Kartoffeln; ein paar Ziegen, die sie sich für Handarbeiten der Klelia kauften, gaben ihnen Milch, einige wilde Kaninchen, die sie in Fallen fingen, eine geringe Fleischspeise. Der alte Bediente, der sie verlassen mußte, um ihnen nicht lästig zu fallen, brachte ihnen allerlei Mundvorrat; sie schämten sich nicht von ihm etwas anzunehmen, er hatte ihnen von Jugend auf manches Leckere, das ihnen der Gesundheit wegen vorenthalten wurde, heimlich zugesteckt; er brachte auch die artigen Handarbeiten der Klelia ganz heimlich zum Verkauf. Dolores stand meist zu spät auf, um in diesen Arbeiten etwas zu leisten, auch hatte sie am Zeichnen und an der Musik so überwiegende Freude, daß sie außer den notwendigen häuslichen Verrichtungen, selten etwas anderes vornahm. Ihr Zeichenbuch waren aber die großen weißen Wände im obersten Stockwerke des Schlosses, die sie sehr wunderlich mit allen ihr bekannten Historien in Kohle und Ruß bemalte. Zu ihrer Belehrung und Unterhaltung blieb ihnen an Büchern nichts, als was die Schuldner wegen der Altertümlichkeit verschmäht hatten. Doch die Einsamkeit führte sie durch einen Quartanten nach dem andern; meist waren es alte historische Bücher, deren altadeliche Gesinnung sie immer mehr gegen die damals allgemein sich regende Ausgleichung aller Stände einnahm; und so entgingen sie der Art neuer frecher Geselligkeit, die mit kriegerischer Sittenlosigkeit gepaart das Leben ärmerer Mädchen des Städtchens erheiterte und verderbte. Der Adel der Gegend war teils entflohen, immer im Wahne dem unvermeidlichen Schicksale zu entgehen, teils zu sehr verarmt und in eigenen Angelegenheiten zuweit verloren, um auf ein Paar junge Mädchen zu achten, die in Tagen des Glücks jeden Fremden ihnen vorgezogen; denn ein Vorzug scheint es oft selbst da, wo nur die Artigkeit obwaltet, einem ganz Fremden Gelegenheit zu geben, sich bekannt zu machen. Dolores, wenn sie Morgens spät aufgestanden war und zum Stickrahmen ihrer Schwester trat, hatte immer einen wunderbaren Traum im Kopfe, der ihr großes Glück versprochen und sie beide belustigte; bald war ein ritterlicher Fürst verwundet in ihr Haus gebracht worden und hatte sich ihr ehelich verbunden, zum Danke, wie sorgfältig sie seine Wunden verbunden; bald hatte ihr von einem Baume geträumt im Garten, unter welchem ein Schatz liege – und dann ging sie wohl hin, grub eifrig und ließ auch der Schwester keine Ruhe, bis sie ihr geholfen und dann gruben sie bis die Quellen, die durchdringend den Sand näßten, auch ihre Hoffnung zu Wasser machten. So lebten die beiden Mädchen, jede in ihrer Art, in den Tag hinein; Klelia betete und arbeitete, Dolores träumte und erlustigte sich, ein Tag kam zum andern und endlich behauptete einer, er fange ein neues Jahr an und so wieder und wieder, daß sie schon dreimal seit dem großen Unglücke die Nester aus ihren Gartenhecken ausgenommen, die Vögel groß gezogen und heimlich verkauft hatten, aber kein Fürst kam sich im öden Hause ein Lager zu erflehen; selbst die Bettler scheuten sich vor einem Hause zu singen, vor dem das Gras aus allen Steinritzen hoch aufgewachsen war. Dolores sah einmal mit einem wunderlichen Aufwallen die geputzten Stadtleute Sonntags vorüber ziehen und sagte zu ihrer Schwester: Sieh einmal das Mädchen, welches dort geht, ich glaube, wenn man ihr ordentliche Kleider anzöge, sie sähe wie unser eins aus. Wie unser einer ordentlich, seufzte die Schwester, ich glaube wir könnten beide in den Röcken allein ordentlich gekleidet werden, die das Mädchen zum Überfluß trägt, ihre blanke Mütze schon gebe ein paar Kleider. – Sonderbar, meinte Dolores, die Leute wissen nichts rechts zu ihrem Vergnügen mit dem Gelde anzufangen, da fallen sie auf so abenteuerlichen Putz; hör ich wollte, wir hätten Verwandte unter den Leuten, ich glaube, doch sie täten mehr für uns als unsre Lehnsverwandten. – Hör Dolores, erwiderte Klelia, da habe ich neulich eine Geschichte in dem alten Buche vom Hugh Schapler gefunden, das du immer wegen der alten Sprache nicht leiden mochtest; ich habe mich ganz hinein gelesen und verstehe jetzt fast alles in den alten Büchern, die muß ich dir doch wieder erzählen, es ist doch immer auf eigene Art gewesen, wie adliche Menschen der Not begegnet sind und wir beweisens auch wieder. – Aber sieh einmal den hübschen Bauerburschen mit der roten Weste, unterbrach sie Dolores, sieht der nicht unserm Erbprinzen ähnlich; hör Klelia, das sage ich Dir, wenn ich denke, daß ich immerdar in so bäurischer, gemeiner Beschäftigung mein Leben zubringen sollte, wahrhaftig ich möchte lieber solch einen Burschen zum Manne haben, als gar keinen. Schäme Dich, sagte Klelia, auch im Scherze muß man nicht so reden; ich hätte nichts dagegen, wenn Du Dich in einen armen Jüngling, den du zufällig kennen lerntest, verliebt hättest; ich würde dich bedauern, aber nicht verdammen, wenn du dieser Leidenschaft die alte Sitte und Ehre unsres Hauses durch eine Mißheirat aufopfertest, aber so im Allgemeinen von den Männern, vom Heiraten reden, das geziemt keinem ehrlichen Mädchen. – Ei, sagte Dolores, und sang lustig:
Will ich mit schönen Knaben reden, Die neigen sich in Demut gleich, Und merken nicht wie gern ich jedem Den roten Mund zum Kusse reich' Ach dacht ich oft bei mir so schwer Ach wenn ich nur nicht Gräfin wär'! |
Wo hast du denn wieder diese Weisheit gelesen, du wirst dich noch überstudieren; erzähle nur die alte Geschichte, ich hoffe sie wird unterhaltender sein. – Wir müssen ihr kürzlich nacherzählen, teils weil die Geschichte uns erlustigt, teils weil sie zu den beiden Pflegetöchtern in naher Beziehung steht.