Achim von Arnim
Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Achim von Arnim

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Zwölftes Kapitel

Bekenntnis der Gräfin

Es ist ein Schreckliches in der Natur, daß sie, unbekümmert um die Gesinnungen der Menschen, ihre Rechte übt und aus der Schande, wie aus der Tugend ihr ewiges Fortleben zieht; Kinder in Blutschuld und Untreue empfangen, leben ein gleiches Leben wie die Kinder der treuen Unschuld; wehe aber der armen Unschuld, die aus solcher Schuld hervorgehend, wie ein rächender Engel zwischen die Eltern tritt. Die Gräfin mußte sich nach drei Monaten eingestehen, daß sie wiederum Mutter werden würde, ihr Bewußtsein sagte strafend, daß es eine Frucht ihrer Sünde sei; der Graf ohne Verdacht des Bösen, freute sich herzlich des neuen Segens; Sorgfalt für das Wohlsein seiner Frau beschäftigte ihn ganz, und wenn sie zuweilen bei einer heimlichen Warnung in Gegenwart andrer sich einer Speise, eines gefährlichen Sprunges zu enthalten errötete, so schrieb er es immer auf die Art von Scheu, die jungen Frauen gegen ihre Männer so wohl läßt, als wenn sie gleichsam fürchteten, ihre Vertraulichkeiten möchten an den Tag kommen. Mancher innere Vorwurf beängstigte sie und ihr Zustand selbst, indem er sie beängstete und beschränkte, zwang sie zur Betrachtung; oft schwebte das Geheimnis auf ihrer Zunge, vielleicht wäre alles durch ein offenes Geständnis gebessert worden, aber das war der angebeteten Herrscherin des ganzen Hauses unmöglich, der jeder Tag neue Angedenken unumschränkter Verehrung brachte; es schien ihr sogar eine sträfliche Grausamkeit ihrem glücklichen Manne den geheim ernstvollen, von der Natur versiegelten zweifelhaften Eingang des Menschen in die Welt, nach ihrem bösen Glauben zu enthüllen, und das Kind nicht auf Rosen, sondern von Schlangen umwunden zu zeigen. Dieses war eines Abends das letzte Resultat ihrer Betrachtung: sie wolle schweigen; da kam ihr Mann und sprach mit ihr scherzend, ob es ein Knabe oder ein Mädchen würde, und sie legte ihm die Karten, es wurde ein Knabe. Nun dachte sie, wie er heißen solle, der Graf meinte Johannes dem Markese zu Ehren; wie mag es wohl kommen, sagte der Graf, daß keine Nachricht von ihm kommt, er ist wie verschollen, ich fürchte fast für ihn. – Die Gräfin beruhigte ihn und sie gingen zu Bette; sie schlief unbesorgt ein und dachte nicht daran, daß ihre eigne Zunge ihr ungetreu, verraten könnte, was auf ihrem Herzen lastete und was unter ihrem Herzen ruhte! So ists aber mit der eignen Verkehrtheit des Traumwesens, und sie hatte, ohne es zu wissen, denn ihr Mann mochte nicht darüber klagen, wie oft sie ihn damit aus dem Schlafe gestört, die Schwäche, in fieberhafter Wallung des Blutes, woran sie jetzt oft litt, laut und vernehmlich im Schlafe zu reden, nachdem sie mit den Zähnen einige mal geknirscht hatte. Aufmerksam auf jeden ihrer Wünsche, meinte der Graf erst seine Frau verlange etwas und horchte ihr zu; bald merkte er, daß sie wieder im Schlaf rede und wollte sich auf das andre Ohr legen, als ihn einige Worte aufmerksam machten, und immer aufmerksamer. Wohl der Welt, daß es finster war und daß keiner die steigende Verzweiflung seines Angesichts gesehen hat, als sie in einem ausführlichen schmerzlichen, oft von Schluchzen unterbrochenen Gespräche ihrem Mann die schwere Schuld, die Schuld seines Freundes des Markese bekannte, und alles wahr machte, was ihm in der letzten Zeit wie leere Traumbilder voller Verstandesverwirrung erschienen. Gern hätte er sich für wahnsinnig in dieser Stunde gehalten; aber er fühlte den Bettpfosten, worauf er sich hielt, sah die bekannten Fensterritzen, durch welche das Licht sanft einschlich, und mehr als alles, er hörte sich selber aus ihrem Munde in dem wahrhaften Dialoge, der nur dem Traume und halbverrückten Dichtern eigen, seine eigne Art zu antworten, in Stimme und Gefühl, das sie nicht nachsprach, sondern was er in sich verschloß, aus ihrem Munde heraus schreien; er hörte, wie er mitleidig zweifelnd sie zu überreden suche, das sei alles nur Täuschung im Traume von ihr, sie aber erinnerte ihn an ein goldnes Halsband aus einer goldnen elastischen Schlange, das sie noch bei seiner Rückkehr getragen, ein Geschenk des Markese, worauf der Unglückstag eingestochen. Nun hörte er aus ihrem Munde, wie er raste, wie der Tod so schön sicher vor ihm stehe, es wurde ihm dabei als lebte er wirklich ganz in ihr, wie er in seinen ersten Worten von ihr, in erster Liebe von ihr gesagt hatte: ich hauchte meine Seele im ersten Kusse aus! Da sprach sie aus seinem Munde mitleidiger zu sich, er wolle ihr alles vergeben; aber warnend sang sie ihm ein Lied, das damals viel gesungen wurde:

Mich reut die Schmink, der falsche Fleiß,
Der mich vom Mann gewendet,
Die Sonne schien, ich baut' aufs Eis,
So war ich ganz verblendet

Nun wird es heiß, fort zieht das Eis
Und meine goldnen Schlösser;
Wie ruft es doch im Flusse leis',
Da drunten wär es besser.

Und wie sie in das Wasser fällt,
So wird sie festgehalten,
Der Mann, dem sie noch wohlgefällt,
Faßt ihres Schleiers Falten.

»Laß mir den Schleier, halt mich nicht,
Laß still mich nunter ziehen,
Denn mein verstörtes Angesicht,
Das kann von Scham nur blühen.«

Der Strom ist stark, sein Arm zu schwach,
Er will sie doch erfassen,
Ihn zieht verlorne Liebe nach,
Er wollte sie nicht verlassen.

Kaum hörte er das noch, und schon stürzte er hinaus auf sein Zimmer, legte die Stirn gegen die Mauer drückte die Augen ein; er fühlte sich in einem Gewebe von Ahndungen, die alle wahr geworden, daß ihm sein Leben und die Welt zu einem Chaos verschwamm; Geister gingen bei ihm aus und ein, sein Hirn war wie der Blocksberg in der Mainacht. Er sah die Sterne am Himmel und sie schienen mit ihm zu weinen; ihr Mitleid schmerzte ihn und er schloß die Laden der Fenster. Bald setzte er sich und saß im Finstern sinnend die ganze Nacht; der Unglücklichen wollte er schonen, aber die Rache an dem Markese schien ihm Pflicht; er hätte sie auch in diesen Augenblicken nicht aufgeben können, und wäre es gleich ein Gesalbter des Herrn gewesen, der so nichtswürdig mit dem Glücke seines Lebens sich einen schönen Abend gemacht. Seine Vorstellungen verwirrten sich allmählig und verwandelten sich; er verschloß sich als die ersten Bewegungen im Hause des Tages gleiche Geschäfte ankündigten, die Mägde lachend die Treppe hinunterstiegen, um Feuer zu machen, die Bedienten anfingen Kleider auszuklopfen; er hörte das alles wie ehemals, in ihm nur war alles aus. Häufig schloß er sich früh ein, um zu arbeiten; durch eine Klappe, die er zu diesem Behufe eingerichtet, wurden ihm Frühstück und angekommene Briefe hineingeschoben. Lässig sah er darüber hin, was sich heute durch die Klappe zu ihm rückte; doch reizte ihn Kleliens Handschrift und Siegel, einen Brief zu eröffnen, der an ihn, wie alle ihre Briefe, gerichtet war. Sie erzählte mit einer heiligen Freude ihr Glück den geliebten Herzog wieder zu besitzen; zwar sei er durch die Anstrengung der Reise noch etwas leidend, aber sie hoffe bei dem ruhigen ländlichen Aufenthalte an ihrer Seite, der jetzt das einzige Ziel seiner Wünsche geworden, ihn bald genesen zu sehen. Weiter erzählte sie umständlich, daß er von einer Wahrsagerin, Arnica Montana gewarnt worden, Sicilien nicht zu verlassen, weil ein Unüberwindlicher nach seinem Leben trachte, worauf er alle seine weltlichen Stellen niedergelegt habe um sich eine himmlische zu erflehen. Nun da sie ihres Aufenthalts gewiß und von Geschäften fast über ihre Kräfte angestrengt werde, ladete sie zum Schluß ihn und seine Frau als ihre nächsten Blutsfreunde recht dringend ein, sie auf den Trümmern einer großen alten Welt in einer blühenden neuen zu besuchen, insbesondre da ihr Mann der Herzog unter dem Namen eines Markese D. ihrer beider Beifall gehabt, wie er ihr erzählt habe, auch viele Verbindlichkeiten für die genossene Gastfreundschaft ihnen in seinem Herzen bewahre.

Vielleicht erstaunen wir nicht minder als der Graf über diese wunderbare Nachrichten, über die Tiefe der Bosheit, über die List, durch Übernahme der Korrespondenz mit der Schwester alle Nachrichten dahin und alle möglichen Entdeckungen zu hemmen; aber wunderbarer wirkte noch dieses Schreiben durch das heitre Glück, das aus jedem Ausdrucke der hochverehrten alten Freundin, aus besseren Tagen über ihn den Verzweifelten selbst noch ausstrahlte, und sich so warm mit der Kälte mischte, in der er erstarrt war, daß ihm beide Pistolen aus der Hand fielen, die eine, die er gegen seinen Beleidiger, die andre, die er nachher zu seiner eignen Beruhigung geladen hatte. Es schrie in ihm laut auf, um dieser einen Frommen sei aller Welt verziehen; wer vermag ihr den Mann zu rauben, an dem ihr bescheidnes heiliges Glück wie ihre Seele am Glauben Christi hängt. Diese Erhebung über sich selbst gab ihm einen Plan, eine Überlegung, eine Sicherheit, die ihm sonst nicht eigen; es war ihm als stände er sich selbst wie ein Berg in seinen Gartenanlagen im Wege den er entweder sprengen, oder abtragen müsse um Aussicht zu gewinnen. Wir wissen alles und können als Vertraute seinen Entschluß in Wahrheit berichten; den meisten schien Zufall, was Absicht in ihm gewesen.


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