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Traugotts erste Erinnerung
Gleich am andern Morgen, als Waller noch schlief, fand der Graf die beiden Knaben schon mit Angeln beschäftigt, sie wiesen ihm mit Jubel einen kleinen Fisch. Hier erfuhr der Graf, daß nur der jüngere Knabe Alonso Wallers Sohn sei; der andere Traugott, war ein Kind erster Ehe; die Mutter hatte sich aber durch keine Gewalt von ihm trennen lassen. Alonso hatte die Nacht geträumt, die Mutter sei vom Himmel herunter gestiegen und habe in ihre schwarz seidene Schürze, die sie gewöhnlich zu tragen pflegte, den Traugott eingewickelt und mit sich geführt. Der Traum setzte den Grafen in Verwunderung, da beide Kinder eben kein träumerisches Ansehen hatten, doch schien Traugott den Tag viel stiller als sonst; er mußte ihm etwas aus seiner früheren Geschichte erzählen. Weil er nun noch nie darnach gefragt war, so lag alles sehr bunt unter einander, wie die Umgebung es ihm zurück rief. Viel sprach er von einem Wasser, worin er einmal gelegen; der Bruder sagte aber, das sei nicht wahr, man habe ihnen bloß erzählt, der Storch hätte sie aus dem Wasser geholt, davon käme die Geschichte. Traugott ließ es sich nicht abstreiten, er sagte, daß er ganz allein gewesen und daß ihn ein unbekannter Mann herausgezogen. Dann erzählte er viel von einem kleinen Fürchtegott, mit dem er als Kind gespielt; der sei älter gewesen und habe immer alles im Spiele so schön einzurichten gewußt, daß er noch jetzt die Paläste nicht beschreiben könne, die jener aus Bausteinen und ausgeschnitztem Papiere mit einem durchscheinenden Lichte hervorgebracht habe; er werde nie wieder die künstliche Pracht sehen; er habe soviel Ehrfurcht vor ihm gehabt, daß er jeden Schlag von ihm als eine Gnade angenommen, und sich Gott nicht anders, als wie seinen Fürchtegott gedacht habe; ihm habe er alles geschenkt, was er bekommen an Geld und Früchten, ungeachtet er bei dem Anblicke eines Apfels schon ein begehrliches Zucken im Munde verspürt. Diesem Fürchtegott hätte er auch seine Kleider gegeben, und als das der Vater wahrnahm, hätte jener nicht mehr zu ihm gedurft, und da habe er sich tot hungern wollen. Nachdem er einen Tag gehungert, sei er morgens früh aufgewacht, er hätte den Druck einer Hand gespürt, die ihn erweckt, hätte aber nichts Lebendes um sich gesehen, als den hellen Morgenschimmer, der in der leeren Luft mit unzähligem Staube Ball geschlagen. Sein Blut habe gewallt, sein Herz gepocht, sein Auge sei geblendet gewesen, und er hätte geglaubt sich zu sehen, ganz elend, wie die Leute ihm aus Mitleid seinen Fürchtegott zugeführt hätten. Nachher habe er nichts vor seinen Augen gesehen, als eine feste grüne Wolke im roten Felde, dann sei die Wolke rot und das Feld grün geworden. Unwiderstehlich habe es ihn in den Schloßgarten gezogen, der Vater habe noch geschlafen, das Schloß sei ganz still gewesen, und er habe niemand auf den Treppen gesehen, als ein Paar weiße Mäuse. Vor dem Schlosse habe er unter zwei himmelhohen Linden gestanden, die mit weißen Blüten und summenden Bienenschwärmen bedeckt gewesen. Die Bienen hätten sich endlich davor gesammelt, wie eine braune Wolke und langsam tief ihren Zug weiter in den Garten genommen, er aber sei ihnen nachgefolgt, wo ihm sonst nie erlaubt, hinzugeben, weil er von vielem freien Gewässer durchschnitten. Er sei ihnen erst zagend gefolgt, aber der Schmerz der kleinen Steine an den Sohlen habe ihn endlich entschlossen gemacht. So kam er zwischen eine Reihe weißer Menschen in weißen Kleidern ohne Augen, die unbeweglich blieben, auf seinen Gruß nicht dankten, dann zwischen Bäume, die schmal und breit wie eine Mauer auf eine weite Aussicht geführt hätten; aber plötzlich habe er seinen Kopf gegen Bretter gestoßen und statt der Aussicht nichts als bunte Flecken vor sich gesehen. Es muß eine sonderbare Kunst sein, sagte Traugott hier, die etwas macht, das zugleich ist, und nicht ist, oder ist etwa alle Kunst also? – Die Bienen hatte er über diesen Anstoß und über diese Aussicht ganz aus den Augen verloren; er sah aber seitwärts ein schwarzes Schild, das von vielen Ärmen getragen wurde; da fand er in der Mitte einen großen Stein umgeworfen, und einen wunderlichen duftenden Haufen von trockenen Kiennadeln, worauf viele Ameisen liefen, die er wohl kannte. Da huckte er sich nieder, doch mit großer Vorsicht, daß ihm keine ankrieche, sahe dann zu, wohin sie so eifrig liefen, konnte aber nichts finden, warum sie also beweglich; da rührte er in den Haufen, um ihnen doch eine Ursache zur Unruhe zu geben. Weil ihnen nun die Decke ihres Hauses fehlte, hatte er Mitleiden mit ihnen und warf eine Menge trockner Nadeln, die in der Nähe unter einem Baume lagen, darauf. Die Ameisen brachten sie schnell in Ordnung, und nun wurde er dem Völkchen so gut, daß er einen Strohhalm in die Mitte hineinsteckte, auf daß sie sich in der Gegend umsehen könnten. Gleich stiegen viele hinan und wie eine oben, trieb sie wieder eine andre hinunter; er aber wollte, daß eine bleiben sollte und warf mit Erde drein, und da wurden alle böse und hatten ihn heimlich beschlichen und kniffen ihn so unleidlich, daß er davon lief, immer blindzu, bis er in einem kühlen Wasser stand mitten unter Wasserlilien, und aus jeder Wasserlilie sah Fürchtegott heraus; aber so wie er dazu kam, war er wieder fort, und saß auf einer weiter weg und lachte über ihn. Über ihm rief aber ein alter Mann mit einem glühenden Gesichte aus einer grauen Wolke, in die er ein Loch gerissen, und da verschwand Fürchtegott; der alte Mann rief immer fort: Traue Gott fürchte Gott und scheue niemand! Bei diesen Worten hob ihn eine Hand aus dem Wasser und er lief frierend von Nässe in die Sonne, damit die Mutter nicht sähe, daß er im Wasser gewesen. Und da schien es ihm in der Sonne, als ob er selber anfinge zu leuchten, und lebte draußen außer sich auf allen Blumen, die er ansehe, auf allen bunten Steinen, die vor ihm glänzten und das alles sah künstlicher aus als alles, was Fürchtegott ihm gebauet, und Fürchtegott war ihm auf immer ganz gleichgültig; und als er in der Sonne trocken geworden, ging er zurück ins Schloß, wo noch alles schlief, legte sich in sein Bett, frühstückte mit den andern, und sagte lange niemand davon.
Die Historie hatte den Grafen wunderlich ergriffen; er war an manche kleine Begebenheit seiner eigenen Jugend dabei erinnert worden; er ging zu Waller und fragte ihn, der noch im Bette lag: wozu er den Knaben bestimme? Waller sagte, daß er ihn dem rechten Vater wieder zustellen wollte, so wie er seinen eignen Sohn den Amtmannstöchtern überlasse, die den Tag vorher die wunderliche Geschichte mit ihm gehabt. Der Graf bat ihn, den Knaben doch diesen Sommer bei ihm zu lassen, er scheine sich bei der Landwirtschaft zu gefallen. – Es ist ein Allerweltsjunge, sagte Waller, recht gerne, behalten sie ihn, der gibt sich mit allem ab; sie sollten einmal sehen, ganze Pakete Gedichte, Tragödien schmiert er zusammen, und ich kann ihnen versichern, daß ich manches darunter zu meinem Gebrauche bearbeitet habe; denn alles hat freilich etwas sehr Unreifes, Abgerissenes. – Die Annahme des Knaben war aber mit der Zustimmung Wallers noch nicht ausgemacht; die Gräfin war sehr dagegen, sie scheute die kleine Mühe der Oberaufsicht; doch nach mancher Zärtlichkeit des Grafen gab sie endlich zögernd nach.