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Eine Phantasie.

Die Erdbeerbowle war prächtig. Ich mochte zu viel getrunken haben, denn die Fahrt in meinem Ruderboote über die Spiegelfläche des Wassers wurde mir etwas schwer. Ich war zu müde. Mein Begleiter war Egoist genug, die Landung vorzuschlagen, denn er wollte die Arbeit des Ruderns nicht allein übernehmen. So stießen wir denn an einer schattigen, seichten Bucht an's Land.

Die Wasserkühle that mir wohl. Ich blieb im verankerten Kahne sitzen und rauchte meine Zigarette. Piff paff! ... Wie still! Wie göttlich einsam, wie paradiesisch weltentrückt! Und doch – hier links neben mir rauscht und braust die Riesenstadt Berlin! Und rechts die weite, große, arbeitsschwere Welt ...

Ein ferner, langgezogener Lokomotivenpfiff schrillte durch die lautlose Stille. Von Berlin? Nach Berlin oder weiter hinaus? Etwa Hannover, Köln oder gar – Paris? Der Weg von Berlin nach Paris, die Verbindung dieser beiden Inbegriffe einer, wenn auch noch so gegensatzreichen Welt, hier an dieser einsamen Bucht, an meinem kleinen schwankenden Kahne, geht er vorüber.

Ich fühlte so einen Moment den Angelpunkt der Welt in meinen Händen. Es gibt eben solche Momente, wo man nicht nur dem Weltgeist näher ist, sondern auch das Weltbürgerbewußtsein höher fühlt als sonst. Mag sein! Die Erdbeerbowle – die ermüdende Ruderpartie!

Hinter dem Kaiserpavillon, der einst seine Tage des Glanzes auf der Wiener Weltausstellung sah und der jetzt auf märkischer Ebene sein St. Helena durchlebt, stieg kräftiger Dampf auf. Und abermals ein langgezogener Pfiff, dessen wehmütiger, reizvoller Ton mein Denken mitnahm auf seine luftige Bahn.

Wer mit könnte! – zu fernen Städten, in andere Provinzen oder gar in andere, fremde Länder, oder gar hinüber über den Rhein – zum »Erbfeind!«

Vielleicht zieht hier mitten durch dieses friedliche Idyll eine diplomatische Note hinüber, eine Entscheidung über die Weltausstellung 1900. Dieser edle friedliche Wettstreit! Zwei große Nationen streiten um den Vorrang, ein Friedenswerk zur Ausführung bringen zu können. Hie Berlin! – Hie Paris! Gewiß des Schweißes der Edlen wert. Ein Krieg – der einzig unserer Kultur würdige. Zwei große Völker im Zwiespalt, wer zur Begrüßungsfeier des neuen Jahrhunderts die Welt bei sich zu Gast haben soll. Zwei befreundete Hausfrauen, die sich um die Ehre streiten, den Freundeskreis bei sich zur Sylvestergesellschaft vereinigt zu sehen, während keine die andere dabei missen will. Und doch nicht so! Trotzdem sie ein großes, weltbewegendes Friedensdenkmal sein soll, diese künftige Weltausstellung, die beiden Hausfrauen werden sich gegenseitig nicht zu Gaste haben. Jede will für sich die Welt allein, jede die ganze Menschheit zur Friedensfeier Bruder nennen, nur die beiden Rivalen sind von einander ausgeschlossen. Unversöhnt, unverbrüdert wollen sie hinüberschreiten über die Schwelle der neuen Zeit. Es liegt ein großer, tragischer Konflikt in diesem Kampf der Feinde um das Friedenswerk. Beide wollen die große That vollbringen und die Weltverbrüderung fördern helfen, aber gegenseitig sind sie ausgeschlossen von der Freude und für einander unerreichbar – die beiden Königskinder. Das Wasser ist freilich viel zu tief. Und ist es wirklich so? Muß es wirklich so bleiben?

Ich war sehr versöhnlich gestimmt, scheint mir. – Na ja! die Erdbeerbowle – die schöne friedliche Natur – und –. Ach, wäre ich ein Machthaber dieser Welt, ein Kaiser, König oder Minister! Ich wollte jetzt die ganze Welt umarmen und als ein Großer dieser Erde hätte ich den Bruderkuß dem »Erbfeind« auf die Stirne gedrückt, – (ich war thatsächlich dem »Weltgeist« etwas näher gerückt) – und hätte zu ihm gesagt: Laß uns einig werden, und – geeint, verbrüdert – der Menschheit Idealen leben! – – – – – – –

Da dünkte ich mich schon ein Weltengroßer. Ich wäre Minister. In mein Arbeitszimmer tritt der »Erbfeind« ein. Wir umarmen uns stumm. Da hängt an der Wand meines Zimmers ein großes Bild. Eine schöne, bezaubernd schöne Stadt. Auf einem Berge erbaut. Zierliche Häuser, stolze Türme und Paläste, und ringsherum von der Morgensonne vergoldet die Welt. Das alte, ehrwürdige Luxemburg, der Zankapfel der beiden Lande. Dort hat der Zwist begonnen, der lange, der ewige Zwist.

»Wie wär's?« Da kam mir der Gedanke! »Wie wär's, wiedergefundenes Bruderherz! Dort wollen wir den alten Streit begraben und auf seinem Totenhügel ein hehres ehernes Denkmal unserer Versöhnung errichten! Frankreich und Deutschland, wiedervereint zum Bunde der Menschheit, errichten gemeinschaftlich auf dem neutralen Boden des Luxemburglandes ihre Weltausstellung 1900. Vereint wollen wir die Erde bewirten, am dritten Ort, und unsere große unbezwingliche Macht, das glänzende Banner unserer geeinten Kultur zur Höhe – die Wucht unserer einigen Industrie, die Himmelskraft unserer einigen Wissenschaft, die Paradiesformen unserer einigen Kunst, den Inbegriff Europas, den Extrakt der Weltkugel wollen wir dem staunenden Sonnensystem zur Schau stellen. Ein großes Ereignis, wert der Aufgabe, ein neues, ein erhabenes Jahrhundert der Menschheit einzuleiten!

Auf dem Blachfelde von Luxemburg soll der große Kampf ausgefochten werden, soll die Apothese der Menschheit sich darstellen im hellsten Lichte des Friedens und der Freiheit!

»Bruder«, rief der »Erbfeind«, »das ist ein großer, ein göttlicher Gedanke!«

»Stille! Stille!« Und ahnungsvoll kam es über mich. Da sehe ich schon die alte Stadt. Wie sie sich verjüngt und vergrößert! Palast reiht sich an Palast und riesige Bogen wölben sich über den Ebenen. Und Türme und Säulen und mannigfache Wunder. Und darüber flattern die gekreuzten Banner rot-weiß-blau und schwarz-weiß-rot. Und die Völker ziehen herbei von Grönland und Zululand, der Kirgise aus den Steppen und die Rothaut der Prairie.

Ich wollte jubeln und den Bruder an mich ziehen! Da – – – »Brrr! Brrr! Hilfe!«

Mein Freund, der Egoist, kam herbei und zog mich aus dem Wasser.

Ich war im Boote eingeschlafen, und das Entzücken über die erträumte Weltenherrlichkeit brachte mich aus dem Gleichgewicht.

Ich fiel mitsamt meinem schönen Projekt ins kalte, nasse Element. Verflogen war alles, es war ein Traum. »Und nicht einmal ein schöner,« würde Moltke sagen.

Ob mich nun das Schicksal absichtlich hänseln wollte, als es mich mitsamt meinen Plänen ins Wasser fallen ließ – meine Pläne, noch ehe sie geboren waren? ... Ich weiß es nicht, ruhig lag der Wannsee da und tief auf seinem Grunde das Projekt der Luxemburger Weltausstellung – und ich zog pudelnaß von dannen.

A. H. Fried.


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