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Ein Märchen.

Es dämmerte. Das helle, goldige Licht kämpfte mit dem tiefsten Dunkel. Das Licht hatte einen sehr harten Stand, denn wenn es an einigen Stellen auch durchbrach, daß diese hell erglänzten, so konnte es doch an den meisten Orten die Finsternis nicht durchdringen. Aber von den beleuchteten Stätten ging doch ein schwacher Abglanz auch zu den dunkelsten hin. Und so wurde die Dämmerung.

Auf Erden aber wandelte eine Huldgestalt, jugendschön und frühlingsfrisch. Das Auge leuchtete in mildem Glanz und der Mund lächelte wie der eines unschuldvollen Kindes. Und wo dieser Jüngling hintrat, da sproßte Segen auf. Segen bei Groß und Klein, bei Hoch und Gering, im Nordland und im Südland. Aber er konnte nur dorthin schweben, wo schon das Licht war. Wo noch die Finsternis herrschte, da erblickte man wohl den schönen Jüngling, allein es war doch zu dunkel, um zu erkennen, welche Wohlthaten er spendete. Und so sperrten ihm die Menschen in der Dunkelheit den Weg und einige sagten und die anderen sprachen es nach: »Es ist nur ein Phantom.« Und da sie die Huldgestalt nicht hineinließen in ihre Reiche, mußte sie an den Grenzen umkehren. Die, welche in dem Dunkelreich für die Klügsten galten, riefen nun spottend: »Seht ihr ein, daß es ein Phantom ist? Man kann es schon nicht mehr schauen.«

Nun aber kehrte der Jüngling zurück zum Licht und sprach dort zu den Weisesten: »Ich spende euch Glück und Heil, Wohlfahrt und Gedeihen. Wollt ihr, daß ich immer und immer eure Lande segnend durchschreite?« Und da antwortete ihm ein Jubelruf von den Weisen und auch von allem Volke im hellen Lichte: »Durchwalle unsere Lande, du Gottgesandter!« Der Jüngling aber sprach: »Wohl will ich thun nach eurem Wunsche, aber ihr müßt mir zeigen weiteren Weg, denn das ewig Gute gab mir die Weisung: ›Alle Lande mußt du durchwandern, Schmerzen heilend und Wunden verbindend. Die Dunkelheit mußt du siegreich durchbrechen?‹ Aber ich sehe, das göttliche Geheiß kann nicht ich allein erfüllen. Es schließen die Menschen im Dunkel die Grenzen. Dort kann ich erst siegen, wenn die Finsternis schwand. Ihr müßt dort leuchten, der Finsternis wehren.«

Doch da sprachen selbst die Weisesten: »Wie können wir das? Ein jeder kann nur geringes Licht tragen in die Dunkelheit. Und die Dunkelheit herrscht schon seit Jahrtausenden siegreich und das Licht ist seit Jahrtausenden verdrängt.«

Da sprach hoheitsvoll der Jüngling: »Es wurde besiegt, weil der Träger des Lichtes zu wenige waren. Aber ihr seid jetzt viele. Alle müßt ihr hinausziehen gegen die Dunkelheit, alle, Mann bei Mann. Und wenn ein jeder nur einen kleinen Funken mit sich führt, so wird dieser Funken unermeßliche Zahl doch ein flammend Lichtmeer bilden, das die dumpfe Nacht besiegt. Ziehet aus und leuchtet!«

Und sie zogen aus gegen die Dunkelheit und leuchteten. Aber die Menschen im Dunkelreich wollten nicht das Licht. Sie waren an die Finsternis gewöhnt und glaubten, es müsse immer so sein. Der Kampf währte lange, lange, wohl ein ganzes Jahrhundert. Die Menschen im Dunkeln wehrten sich wie Verzweifelte; aber die jüngeren immer weniger als die alten, denn sie fanden schon manches Gute an dem Licht. Und als nach hundert Jahren drei Geschlechter ins Grab gesunken, da war es nur noch eine Minderzahl, die das Licht ernstlich bekämpfte. Aber derer, die mit Leuchten auszogen, wurden immer mehr und mehr. Und der Heerhaufen an der Grenze des Dunkelreiches kämpfte mit jedem Jahre begeisterter und freudiger, denn im Sterben gab immer der Vater dem Sohne die Leuchte als heiligstes Erbteil. Und heller brannte der Funke stets dem Sohne und heller noch dem Enkel.

So siegten endlich in einem letzten Ansturm die Lichtträger und die Dunkelheit wich aus dem Lande.

Da aber zog der herrliche Jüngling nun über die ganze lichtdurchflutete Welt und verkündigte allüberall seine Lehren. Und allüberall erwuchs Freude und Glück und die Menschen liebten sich wie Brüder.

Friede hieß der Jüngling, Wahrheit das Licht und Lüge die Finsternis.

Ach, leider ist es nur ein Märchen, das ein Dichter träumt. Aber muß es denn ein Märchen bleiben? Nein, nimmermehr! Das Licht wird siegen über die Finsternis. Die Jahrtausende alte Lüge, daß die Menschen Raubtiere seien, bestimmt, sich zu zerfleischen im Einzelmord und im Massenmord, wird schwinden vor dem Wahrheitslichte. Aber wir müssen die alten Wälle niederreißen, hinter denen die Dunkelmänner sich so sorglich verschanzt, die Phrasenwälle vom Recht des Stärkeren, von der Wahrung der Manneswürde durch die Tötung des Menschenbruders, von der göttlichen Einrichtung des Massenmordes, den sie Krieg nennen.

Aber wie reißen wir die Wälle nieder? Wie besiegen wir die Dunkelheit? Wie es im Märchen heißt, das ich geträumt: alle, die schon im Lichte stehen, die Wahrheit erkennen, müssen ausziehen gegen die Finsternis, Mann bei Mann. Und wenn jeder nur einen Wahrheitsfunken mit sich führt, so wird dieser Funken unermeßliche Zahl doch ein flammend Lichtmeer bilden, das die Nacht besiegt!

A. Berger.


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