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Die Verwundeten.

Ein Marsch in den Reih'n hart bedrängt, und der Weg uns fremd;
Ein Pfad durch dichtesten Wald, mit gedämpftem Schritt im Dunkeln;
Unser Heer geschwächt durch schweren Verlust, und der murrende Rest auf dem Rückzug;
Bis nach Mitternacht wir schimmern seh'n ein Bauwerk, trüb erleuchtet.
Halt machen in einer Lichtung wir, vor dem Bauwerk, trüb erleuchtet;
Eine alte Kirch' am Kreuzweg ist's, – ein Spital jetzt aus dem Stegreif;
– Eintretend, auf Minuten nur, o, welche Schau erblick' ich!
Kein Gedicht, kein Bild, jemals gemacht, reicht an die Schau, nicht Eines!
Schatten vom tiefsten, tiefsten Schwarz, nur erhellt von wandelnden Lichtern
Und von einem Pechkranz, sprühend durch Rauch mit wilder roter Flamme;
Dunkel nun seh' Gestalten ich, auf den Boden gelegt, in die Sitze;
Mir zu Füßen, deutlicher, ein Soldat, ein junger, fast noch ein Knabe,
In Gefahr, zu Tode zu bluten sich (ein Schuß traf in den Leib ihn);
Ich stille das Blut für den Augenblick (weiß des Burschen Gesicht, wie 'ne Lilie);
Dann, eh' ich scheide, blick' ich umher, mir alles einzuprägen;
Gesichter, Gestalten, Stellungen, – unbeschreibliche – tot schon viele!
Wundärzte schneidend, Wärter mit Licht, der Geruch von Blut und Äther;
O die vielen blut'gen Gestalten rings, – draußen der Hof gefüllt auch!
Auf der Erde die, auf Brettern die, auf Bahren – einige sterbend!
Zuweilen ein Schrei, – dazwischen laut der herrschende Ruf des Arztes;
Der Schein der Fackeln, rückgeblitzt von den kleinen Stahlwerkzeugen: –
Das alles, singend, fass' ich in eins, – seh' die Sterbenden wieder, rieche den Duft;
Höre draußen das Befehlwort d'rauf: Tretet an, tretet an, meine Jungens! ...
Doch erst hinab noch beug' ich mich auf den bleichen, sterbenden Knaben;
Seine Augen offen, – sieh', er gibt mir noch ein halbes Lächeln;
Dann schließen seine Augen sich, schließen ruhig sich, – und ich eil' hinaus ins Dunkel;
In die Reih'n hinaus, auf den Marsch hinaus, immerzu hinaus,
Auf den Weg, den fremden, dunkeln.

Walt Whitman.
(Übersetzt von Freiligrath.)


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